Die Epigone oder: Frauen in der Kunst
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Achtundfünfzigste Lektion.
In ihrer Kurzbiografie zum 150. Geburtstag von Camille Claudel für den Kalender „Berühmte Frauen 2014“ schreibt Andrea Schweers:
Den lobenden Kunstkritikern galt sie als begabte Schülerin des großen Bildhauers, den Gegnern Rodins als nicht ernst zu nehmende Epigone.
Ich stutzte. „Die Epigone“ - das gefiel mir, ich fand es natürlich sehr passend, aber so richtig korrektes Deutsch war es wohl nicht? Sagen wir nicht ausschließlich „der Epigone“?
Der Duden bestätigt diese Vermutung mit folgendem Eintrag:
Epigone Wortart: Substantiv, maskulin Gebrauch: bildungssprachlich Bedeutung: jemand, der in seinen Werken schon vorhandene Vorbilder verwendet oder im Stil nachahmt, ohne selbst schöpferisch, stilbildend zu sein Herkunft: griechisch epígonos = Nachgeborener
Für weibliche Personen, die in ihren „Werken schon vorhandene Vorbilder verwenden“, sieht der Duden die abgeleitete Form „Epigonin“ vor.
Soll ich - als Herausgeberin des Kalenders - Andrea Schweers’ schöne Eingebung korrigieren und aus ihrer „Epigone“ eine „Epigonin“ machen?
Nicht doch! Wenn griech. epigonos "Nachgeborener" bedeutet, dann bedeutet epigone "Nachgeborene" - so viel weiß ich noch von meinem Graecum, das ich vor rund 50 Jahren ablegen musste. Weibliche Nachgeborene soll es ja auch geben. Epigonin wäre also etwa so sinnvoll wie „Nachgeborenin“.
Es ist überraschend, dass es im Deutschen statt „die Epigone“ für die Vorstellung der bloß nachahmenden, nicht selbst schöpferischen Künstlerin nur ein aus dem Maskulinum abgeleitetes Wort gibt. Wo doch der männliche Kunstbetrieb traditionell davon ausgeht, dass eine künstlerisch tätige Frau genau das typischerweise ist: Epigonal.
Aber noch vor dieser misogynen Vorstellung rangiert die Idee, dass eine Frau in der Kunst gar nichts zu suchen hat und auch nicht vorkommt bzw. vorzukommen hat. Nicht einmal als „bloß Nachahmende“. Dass - ob für Nachahmer oder Originalgenies - die Kunst ein rein männlicher Spielplatz ist.
Welche Abgründe an Erkenntnissen sich doch auftun, wenn wir unseren Wörtern, die wir dauernd arglos benutzen, auch nur mal ein kleines bisschen auf den Grund gehen... •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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4 Kommentare
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17.05.2013 um 11:23 Uhr Lena Vandrey
Liebe LoVise,
Vielen innigen Dank für Deine Empfehlung und Deine Meinung über unser Unternehmen ! Wir sind ganz hingerissen ! Ein schönes Geschenk zur CSD-Parade ! Somit haben wir den Eindruck, ein bisschen dabei zu sein und Hand in Hand mit Euch zu walken. Ihr habt hoffentlich nichts zu befürchten, während die Parade in Paris durch diese furchtbare Frigide Barjot allerhand Ärger riskiert. Es gibt ja eine Komik, die nicht mehr komisch ist ...
Ganz herzliche Grüße an Joey und Dich !
Im Herbst gibt es ein neues Buch über das Museum und die Frage, wenn es Euch gefällt, ob nicht ein paar neue Ansichten (via CD) bei Euch landen könnten ...
Eure dankbaren Lena und Mina.
16.05.2013 um 12:42 Uhr lfp
@Lena Vandrey: Heute ist der 115. Geburtstag der Malerin Tamara de Lempicka, die für ihre Bilder horrende Summen erzielte. Welchen Preis sie dafür bezahlte, läßt sich auf der FemBio-Startseite und hier nachlesen:
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/tamara-de-lempicka/
Auf FemBio gibt es ein Porträt von Lena Vandrey, das alle Kunstliebhaberinnen studieren sollten. Dort gibt es auch eine schöne virtuelle Ausstellung der Werke Lenas und einen virtuellen Gang durch ihr wunderbares Museum. In meiner Wohnung hängen 2 Bilder von Lena, eins hat sie mir geschenkt, das andere habe ich gekauft. Frauen, die Lenas Werke sehen oder kaufen möchten, finden hier alle nötigen Informationen:
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/lena-vandrey/
16.05.2013 um 12:23 Uhr Lena Vandrey
Da wir noch dabei sind: Kandinsky schreibt an Gabriele Münter, dass er nur durch SIE etwas werden kann… Ist das nicht eine Perle ? Und dabei gilt sie, trotz feministischer Bemühungen, immer noch als Garnitur Nr.2 ! und also als Epigone. Die Muse eines Künstlermannes - im früheren Jargon ein “Malweib” - schadet sich selbst.
Niki de St-Phalle beklagte sich darüber, dass ihr Mann, Jean Tinguely, überall auf der Welt seine eigenen Museen hatte und sie (immer noch) kein einziges. Tinguely hasste und verachtete Künstlerinnen mit einer einzigen Ausnahme, St-Phalle, von der er sagte, sie sei eine VIRILE Künstlerin. Viril bedeutet männlich in positivem
Sinne. Dem Hass der Männer auf Frauen könnte der Hass der Frauen auf Männer entgegenstehen. Aber die Verachtung ? Der Dichter Stendhal schrieb : Ein Genie als Frau geboren ist für die Menschheit verloren ! Und der Bruder der Malerin Gertrude Degenhardt, Franz-Josef, sagte : Was Männer machen, wissen wir nun hinlänglich ; wir wären interessiert zu erfahren, was Frauen machen, aber es wird uns nicht gezeigt ! Er sagte auch : Es kommt weiterhin nur darauf an, WEM WAS gehört ! Richtig ! Trotz gröBter Meisterinnenschaft gehört den Frauen die Kunst NICHT ! Diverse Werke der Camille Claudel kreisen als Rodins weiterhin herum, und der große Gustav Mahler verbot seiner Alma das Komponieren. Undsoweiter undsofort ...
Ein berühmter französischer Maler, Portraitist von Johannes XXIII.,Farah Diba, John Kennedy und allen literarischen Männer-Koryphäen, sagte : Lena ist ein Genie, und ich bin nur ein Talent… Von diesem Talent lebten 15 Personen, und das Genie musste betteln gehen…
So ist die Ordnung der Dinge, und so wird sie bleiben. Ein Talent als Mann geboren wird zum Genie hochgejubelt, und 90% aller BetrachterInnen sind Frauen für 90% ausübende Männer-Künstler. Frauen, und jedenfalls Feministinnen, sollten sich überlegen, welche Ausstellungen sie mit ihrem Besuch kautionieren und jedenfalls eine Reaktion bis Boykott sich leisten können.
Auf dem Gebiet der bildenden Kunst wäre noch viel zu tun in diesem Sinne ...
14.05.2013 um 14:21 Uhr Lena Vandrey
Zu Camille Claudel ist ganz einfach zu sagen, dass es vormals - in den 80er Jahren- eine “Fondation Camille” zu ihren Ehren gab. Der Nachname Claudel wurde weggelassen. Das Ministerium für Frauen-Rechte und die Stiftung “Camille” wussten, wie sehr die Familie (Mutter und Bruder) der Künstlerin geschadet hatten. 40 Jahre Psychiatrie und ein unauffindbares Grab…
Epigonin, das kann nicht sein, denn sie war Rodin weit voraus, was beide wussten. Die Stiftung wünschte sich Niki de St-Phalle als Präsidentin des Unternehmens, aber selbige lehnte ab. Von ihrer Meinung her gab es keine Epigonen, Epigoninnen usw…, nur gleichwertige Künstler.
Die Situation für weibliche Künstler wäre wohl etwas anderes, wenn Feministinnen sich für IHRE Kunst interessieren würden und dieses Interesse bezeugen, indem sie die Taschen öffnen und die Werke bekannt machten.
Die Jahrhundert-Künstlerin Niki de St-Phalle starb und hinterließ 760 unverkaufte Werke ... Kein einziges Museum zu ihren Gunsten in den Ländern, von denen sie partizipierte, die Schweiz, die USA, Frankreich.
Keine von uns ist eine “Nachgeborene”, sondern JEDE eine Pionierin, egal mit welchem Meister (?)... Eine FRÜHE in einer späten und verdorbenen Zeit. Eine Epigonin kann es in diesem Sinne NICHT geben. Keine NACHAHMERIN ist denkbar. Dass die Erfindungen von Pionierinnen in die Nachahmung eingeschlossen wurden, ist eine patriarchalische Gemeinheit, welche uns der Herr Baselitz kürzlich erklärt hat: “Frauen können nicht malen, es fehlt ihnen die männliche Stoßkraft”. So dachten auch Zweig und Konsorten. Und die Griechen sowieso ...