Die Entjunkerung
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Siebenundfünfzigste Lektion.
Heute früh, ich lag noch im Halbschlaf, fiel mir Martin Luther ein. Wegen seiner Bibelübersetzung. Wir hatten nämlich vor ein paar Tagen mal wieder den „Letter to Dr. Laura [Schlessinger]“ zugeschickt bekommen, der seit dem Jahr 2000 im Internet kursiert. Darin stellt ein „Fan“ der homophobischen Laura Schlessinger, die wie viele ihresgleichen mit der Bibel argumentiert, eine Reihe interessanter Fragen, ebenfalls gestützt auf die Bibel. Zum Beispiel möchte er (oder sie), im Einklang mit der Bibel (Exodus 21:7), eine Tochter als Sklavin verkaufen und fragt, was heutzutage wohl ein angemessener Preis für sie wäre, undsoweiter. Im „Brief an Dr. Laura“ wird Homophobie, die sich auf die Bibel beruft, höchst vergnüglich ad absurdum geführt. Viel Spaß damit: [url=http://www.snopes.com/politics/religion/drlaura.asp]http://www.snopes.com/politics/religion/drlaura.asp[/url]
Was fällt einer Deutschen beim Stichwort Bibel ein? Luthers Bibelübersetzung. Luther übersetzte die Bibel auf der Wartburg, wo er sich vor seinen Feinden versteckte. Er lebte und arbeitete dort incognito unter einem Decknamen. Wie war doch gleich sein Deckname, dachte ich im Halbschlaf vor mich hin. Mir fiel nur „Jungfer Jörg“ ein - aber das konnte ja wohl nicht stimmen. Ach ja - „Junker Jörg“ nannte er sich.
Junker geht zurück auf Jungherr und ist heute ähnlich veraltet wie Jungfer.
Aber noch immer lebendig, wenngleich überflüssig, sind die Wörter „entjungfern“, „Entjungferung“, "Jungfernhäutchen" und "alte Jungfer". Sie alle gehören eigentlich abgeschafft. Solange sie aber noch herumgeistern, brauchen sie männliche Pendants - und die habe ich heute früh im Halbschlaf gefunden.
Manchmal ist wegen dieser Lücke in unserem Wortschatz die Rede von einer „männlichen Jungfrau“ - wäre da nicht Junker das passendere Wort? Und solange Frauen noch „entjungfert“ werden können, brauchen wir auch das Pendant „entjunkern“: Ein Mann bzw. Junker wird entjunkert, wenn er das erste Mal Geschlechtsverkehr hat. Entjunkerungen sind - logischerweise - genau so häufig wie Entjungferungen. Aber bisher gab es kein Wort für sie, und das liegt an unserer patriarchalen Kultur. Dass eine Frau - in der Regel werden Junker ja durch Frauen entjunkert - am Status eines Mannes irgendetwas bewirken könnte, ist in dieser Kultur undenkbar und wird entsprechend behandelt: Es kommt gar nicht erst zur Sprache, und damit existiert es nicht.
Ob wir neben der „alten Jungfer“ auch den „alten Junker“ brauchen? Ich bin eher für die endgültige Abschaffung der „alten Jungfer“, aber für historische Romane und zu Verteidigungszwecken sollten wir den Begriff parat haben.
Früher oblag die Entjunkerung in der Regel dem weiblichen Dienstpersonal und den Prostituierten. Sie sollten die Junker „in die Geheimnisse der körperlichen Liebe einführen“. Natürlich konnte von Liebe keine Rede sein, gemeint war Sexualität.
Der Status „Jungfrau“ war im Westen früher von ungeheurer Bedeutung, in vielen nichtwestlichen Gesellschaften ist er es bis heute. Die Frau soll „jungfräulich“ in die Ehe gehen. Will sagen, der Ehemann soll sichergehen können, dass er der Erstbenutzer seiner Braut ist. Das Patriarchat unternimmt unglaubliche Anstrengungen, um diese Doppelmoral aufrechtzuerhalten. Nicht mehr intakte „Jungfernhäutchen“ werden von Spezialisten aufwendig wieder repariert oder eingenäht, damit der Eheherr sie wieder durchstoßen kann. Mann geht nicht selten über Leichen, vgl. die sogenannten „Ehrenmorde“, die eigentlich „Schwesternmorde“ heißen sollten.
Schon um die Waage zu unseren Gunsten ein wenig ins Gleichgewicht zu bringen, sollten wir bei jedem Vorkommen des Wortes „Entjungferung“ die Pendants „Junker“ und „Entjunkerung“ ins Gespräch bringen und zur Not darauf bestehen, dass der Mann „junkerlich“ in die Ehe zu gehen hat.
Die Frage, ob „Junker Jörg“ wirklich noch ein Junker war und vier Jahre später von seiner Ehefrau entjunkert wurde, ließ sich bisher nicht klären. Da er bis 1524, ein Jahr vor der Eheschließung, Mönch war, ist das aber nicht unwahrscheinlich. Wenn ja, heiratete die 26jährige Jungfer Katharina von Bora einen mit 41 Jahren schon fast uralten Junker. Dass die Entjunkerung trotzdem erfolgreich war, bezeugt die große Kinderschar des Ehepaars Luther.
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10 Kommentare
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13.08.2012 um 14:37 Uhr lfp
danke, Anne, für diese wichtigen Infos!
13.08.2012 um 13:45 Uhr anne
prima glosse!
etwas zum mythos jungfernhäutchen, der sich heute noch hartnäckig hält und vielen frauen zum verhängnis werden kann.
tradition ist alles (darüber berichtete das fernsehen) - z.b. auch zur roma-sitte gehört heute noch der nachweis, dass die zukünftige junge braut `jungfräulich` in die ehe gegangen ist. wen nur fräut`s, wenn die junge braut dem clan anläßlich der hochzeitszeremonie ein mit blut beflecktes laken vorweisen kann? die sog. `entjungferung und entjunkerung` findet fast im beisein der familienangehörigen statt. wenn es keine blutflecken zu bestaunen gibt, kann die junge braut umgetauscht werden, der bräutigam natürlich nicht.
die herren junker konnten sich austoben, `seine` spermien in alle welt hinein/tragen…zumeist mit gewalt und gegen den willen der (jungen) frauen.
aber herum/geschnippelt wird auch an vielen im kindesalter, siehe beschneidungen/genital-verstümmelungen .. grausame religiöse rituale!
und die medizin sahnt kräftig ab mit dem mythos `jungfrau` , damit junge (beschädigte) frauen unversehrt in die ehe gehen können - sie repariert, flickt dort, wo es nichts zu reparieren gibt…wie wäre es, wenn auch der junker s/eine entjunkerung reparieren liesse?
terre des femmes hat eine neue broschüre/flyer für jugendliche herausgegeben mit dem slogan: das jungfernhäutchen ist kein joghurtdeckel. es könnte der anfang zur entmystifizierung einer gewebefalte sein, die heute noch über das schicksal von frauen entscheidet. manche mädchen sind so verzweifelt, dass sie suizidgefährdet sind. so groß ist die angst, ihre jungfräulichkeit nicht beweisen zu können. (Christa Stolle)
zitiert aus `nichts zu reißen`/dieFreitag vom 6.12.2011 : Immer mehr Ärzte bieten sogenannte „Revirginationen“ an: In einer OP von rund 20 Minuten stellen sie das Jungfernhäutchen künstlich her. Mit einigen Stichen wird das Vaginalwandgewebe zu einem Wulst zusammengezurrt, damit es beim nächsten Geschlechtsverkehr blutet. Oder es wird eine Kunststoffmembran mit Kunstblut eingesetzt. Zwischen 200 und 4000 Euro verlangen Mediziner für diese Hymenrekonstruktion.
Die Eingriffe finden natürlich im Geheimen statt. Mediziner veröffentlichen weder Resultate noch Komplikationen. Sie lernen sich untereinander an. Qualitätsstandards gibt es nicht. Die Bioethikerin Verina Wild vom Ethik-Zentrum der Universität Zürich brachte 2010 erstmals ein wenig Licht ins Dunkel der obskuren Praxis. Sie wertete anonyme Onlineanfragen zur Revirgination an das Universitäts- und Kinderspital in Zürich aus. Ihre Erhebung ist zwar nicht repräsentativ, aber aufschlussreich.
vaginale korona
http://www.emma.de/news-artikel-seiten/der-mythos-jungfernhaeutchen/