Die Compute - reloaded
Der Computer wird von InsiderInnen Rechner genannt: „Du musst den Rechner runterfahren und rebooten“ - so reden die Eingeweihten.
Obwohl ich seit 1983 einen Computer besitze (inzwischen mindestens den zehnten), ist mir erst in diesen Tagen, seit ich Julie des Jardins’ Buch über die „Hidden History of Women in Science“ lese, klar geworden, dass computer ursprünglich eine Berufsbezeichnung war: A writer writes, a computer computes, a worker works.
Wie ich aus des Jardins’ Buch gelernt habe, war das berufsmäßige Rechnen vor den Zeiten des Computers eine überwiegend weibliche Tätigkeit. In der Astronomie beispielsweise fielen endlose Stunden öder Rechenarbeit an - das war die Sache von Frauen. Männer waren dafür zu schade; ihnen oblagen die höheren und höher bezahlten Tätigkeiten des Theoretisierens und Interpretierens der errechneten Daten.
Manchen Frauen gelang es, aus dem Meer der Zahlen aufzutauchen und etwas theoretische Luft zu schnappen. Sie durften dann ihre epochalen Beiträge zur Astronomie leisten wie Annie Jump Cannon, Williamina Fleming, Henrietta Leavitt - dann aber wieder huschhusch zurück an die niedrigen Tätigkeiten des Zählens und Rechnens.
Da nun „computers“ ursprünglich Frauen waren, sollten da die Eingeweihten nicht eher von ihren „Rechnerinnen“ sprechen, um die weibliche Tradition zu ehren und die Unterdrückung im Gedächtnis zu bewahren?
Vielleicht. Andererseits spricht auch einiges dafür, diese Tradition endlich hinter uns zu lassen und zu neuen Ufern aufzubrechen.
Immer eine gute Idee ist allerdings die Feminisierung unserer Umwelt. Zu diesem Zweck habe ich schon 1984 vorgeschlagen, das Gerät lieber Compute oder kurz Pute zu nennen. „Dumme Pute“ würde ich - eben wegen der weiblichen Tradition - nur für Momente krassen Ärgers anraten.
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Gibt es nun mehr Platz für Frauen in den höheren Rängen der Astronomie und anderer Naturwissenschaften, nachdem die Rechenarbeit an die Rechenmaschinen delegiert wurde? - Nicht wirklich, wie wir wissen.
Das Buch von des Jardins sollten alle lesen, die noch daran glauben, dass es in der Wissenschaft um Erkenntnisgewinn und objektive Wahrheit geht. Es geht vielmehr um Ruhm, Ehre und Profit - für sich selbst, die Firma, die Uni oder das Land. Weibliche Konkurrenz stört da nur, und außerdem: Wer übernimmt dann die Rechenarbeit, von der Hausarbeit zu schweigen? Es geht um die sog. Beherrschung der Natur, die oft weiblich gedacht wird. Frauen kommt es nicht zu, die Natur zu beherrschen; sie sind vielmehr selbst die Natur, der Mann ist der Geist, der sich die Natur unterwirft.
Diese kulturellen Muster sitzen tiefer in uns, als wir wahrhaben möchten. Jüngste Studien ergaben, dass Frauen, die sich um Graduiertenstipendien bewerben, eine fünfmal so hohe Leistung nachweisen müssen wie Männer, um als gleich qualifiziert wahrgenommen zu werden (des Jardins, S. 292). Um diese Ungerechtigkeit zu überwinden, fordert des Jardins in ihrem Fazit (S. 292):
Je mehr Frauen Zugang zu wissenschaftlichen Institutionen bekommen, umso mehr müssen wir über bloße Statistik hinausdenken. Wir müssen sicherstellen, dass die Prämissen, Fragestellungen und Zielsetzungen dieser Institutionen eine egalitärere, weniger polarisierende Kultur widerspiegeln als die, die im zwanzigsten Jahrhundert vorherrschte. Bis dahin wird „the scientist“ in der amerikanischen Vorstellung männlich sein und „the woman scientist“ ein Oxymoron, eine Frau, die sowohl unangenehm auffällt als unsichtbar bleibt.
Apropos unsichtbar: Im Mai zeichnete Bundespräsident Wulff die Sieger des diesjährigen Wettbewerbs „Jugend forscht“ aus: drei junge Männer.
Peinlich, peinlich - aber für die deutsche Wissenschaftslandschaft und Kultur nicht untypisch: Als ich im Jahre 1978 meine Habilprüfung an der sogenannten Reform-Universität Konstanz ablegen musste, saßen rund 60 Leuchten der Geisteswissenschaft über mich zu Gericht, allesamt männlich bis auf Senta Trömel-Plötz, soeben habilitiert und somit zum Kreis der Erlauchten zugelassen. Ich ging hinein wie zu einer Hinrichtung und habe nur knapp überlebt: Unklugerweise hatte ich meine Ideen so formuliert, dass auch die Herren aus den Fächern Philosophie, Geschichte und Literaturwissenschaft sie verstehen konnten - und das kam denen doch äußerst suspekt vor. In der Welt drumrum geht es zum Glück schon weniger provinziell zu: Im Juli endete der erste Google Science Fair, an dem über 10.000 junge Leute aus 90 Ländern teilgenommen hatten.
In jeder der drei Altersgruppe ging der erste Preis an eine junge Frau, der Hauptpreis an die 17-jährige Shree Bose (Bild, Mitte), die über Eierstockkrebs forscht. Sie erzählt, dass alle Professoren ihre Bitte ablehnten, sie im Labor forschen zu lassen. Eine Professorin aber ließ sich darauf ein... (Mehr Infos hier) Mit zu dem Sieg der Frauen beigetragen hat sicher auch die Tatsache, dass in der zwölfköpfigen Jury immerhin fünf Frauen saßen. Beim Teilwettbewerb Jugend forscht: Sachsen bestand die Jury aus 21 Männern und 3 Frauen - in den anderen Bundesländern dürfte es ähnlich gewesen sein.
(Dank an Senta Trömel-Plötz für den Hinweis auf Julie des Jardins’ The Madame Curie Complex: The Hidden History of Women in Science. (2010)).
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18 Kommentare
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08.08.2011 um 09:47 Uhr Susanne Horst
Ich glaube, dass mehr Mädchen sich für ein Informatikstudium begeistern würden, wenn die Informatiker nicht so grässliche Langweiler wären.
08.08.2011 um 08:48 Uhr Dürr
Hihi, nee, liebe Luise, mein Rechner bleibt männlich! Denn seit 1988 - spät, aber immerhin - rede ich ihn mit “Komm-Puter” an, wenn er - typisch männlich - wieder mal eine lange Leitung hat! Zudem betrachte ich ihn als meine Sekretär und schickaniere ihn mit Lust und Freude. Und behandle ihn mit Miss- und Verachtung. Hier kann ich meinen ehemaligen Frust ausleben, was ich sonst bei Menschen bewusst nicht machen will. Und so hat mein Puter in meinem konsequent männerlosen Haushalt eine Ecke gefunden, in der er geduldet ist.
lg Dürr