Deutsche Meister
Ende März berichtete der “Hochschwarzwald-Kurier” über die “Internationale Deutsche Meisterschaft der Bartträger” in Schluchsee.
Ja ist denn das Barttragen eine Sportart? Da wäre ja sogar eine Meisterschaft der Langschläfer sinnvoller: Wer am längsten schlafen kann, wird Meister. Gleich kommt uns der Tod in den Sinn, ewig währt am längsten. Der Tod ist ja auch ein Meister - aus Deutschland, dem Land der Meister und Gartenzwerge. Tatsächlich sehen die Bartträger des Vollbartclubs Groß-Schluchsee, die sich für die Meisterschaft stolz ablichten ließen, aus wie eine Riege Gartenzwerge.
Die Zeitung behandelt das haarige Thema als liebenswerte Skurrilität und zitiert aus dem launigen Grußwort des Vollbartvereinsvorsitzenden: “Auch in Zukunft werden wir die Leitlinien unseres Vereins: Pflege der Geselligkeit, das Heranführen der männlichen Jugend zur sinnvollen Gestaltung der Gesichtsbehaarung und zur Pflege des Bartes ohne Schädlinge, streng befolgen.”
Darum möchten wir Damen aber auch herzlich bitten.
Alles gut und schön, aber warum nur sagen sie “Meisterschaft”, statt “Wettbewerb” wie in “Schönheitswettbewerb”? “Meister” und “Meisterin” verwenden wir heute überwiegend für Sport und Handwerk. Mann wird erst Deutscher Meister im Weitsprung und dann Friseurmeister. Frau wird Deutsche Tennismeisterin und dann Maurermeisterin. Erst muss hierzulande gefälligst was geleistet werden, dann gibt’s eventuell den MeisterInnentitel. Was aber leisten Bartträger? Wenn er nichts dagegen unternimmt, ist jeder Mann ein Bartträger. Daraus eine Meisterschaft abzuleiten, wirkt im Land der Tüchtigkeit geradezu subversiv.
Deutsche “Schönheitsköniginnen” und “-könige”, die ebenfalls nichts Nennenswertes leisten, sondern nur die Geschenke vorführen, die Mutter Natur ihnen beschert hat, werden “Miss Deutschland” und “Mister Deutschland” genannt. Auch ziemlich blöd, aber nicht so blöd wie “SchönheitsmeisterIn”.
Wir haben auch keine deutschen Cellomeister oder Klaviermeisterinnen. Nichtmal unsere Anne-Sophie Mutter nennt sich Geigenmeisterin, obwohl sie dauernd Meisterklassen gibt. Violinweltmeisterin - das klänge für eine Anne-Sophie Mutter wahrscheinlich einfach zu popelig, zu sehr nach Sport. Sie macht schließlich Kunst.
Wie wäre es mit einer Meisterschaft der Haarträger, Brillenträger, Prothesenträger? - Das Maskulinum ist beabsichtigt: Selbst der so weiblich dominierte Schönheitswettbewerb ist ja eine Erfindung der Männer. Es heißt, Frauen seien weniger konkurrenzfreudig als Männer. Liegt es vielleicht daran, dass die Frau es in sich hat, während der Mann es außen hat?
Es ist ja bekannt, dass Penisträger auch gern hinsichtlich Leistungskraft und besonders Größe des Organs miteinander wetteifern. Im Kindesalter geschieht es noch ganz offen. Wer hat den längsten und wer kann am weitesten pinkeln? Die Mädchen jedenfalls nicht. Und das ist schon mal wohltuend für das zarte männliche Ego.
Der erwachsene Mann muss auf diese prickelnde Konkurrenz in der Öffentlichkeit aus Schicklichkeitsgründen verzichten. Die meisten weichen auf andere Gebiete aus, um sich und den Konkurrenten ihre Potenz zu beweisen. Kindlichere Gemüter abstrahieren nur ein klein wenig, die Verschiebung (im Freudschen Sinne) ist noch sehr durchsichtig. Statt der Länge und Pracht des Penis wird eben die Länge des Bartes gemessen, die Pracht des Haarwuchses verglichen und gegebenenfalls bewundert. Googeln Sie mal nach "Bartträger" - Sie werden sich wundern.
Es ist für einen Mann zwar keine Leistung, sich einen Bart stehen zu lassen - aber wir begreifen allmählich: Der Bart steht für etwas anderes, für das Organ, mit dem - nach männlicher Auffassung - die Leistung schlechthin vollbracht wird, sozusagen der Vater aller Leistungen.
Wenn Goethe seinen Penis “Meister” nennt und sein alter ego "Wilhelm Meister" - dann ist auch eine Meisterschaft der Bartträger geradezu naheliegend.
(Dank an Theresia Sauter-Baillet für den Hinweis auf den Artikel über die "Deutsche Meisterschaft der Bartträger" im Hochschwarzwald-Kurier vom 25.3.2009, S. 11!)
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5 Kommentare
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13.06.2009 um 12:55 Uhr Amy
Also ich bin seehrr froh, daß ich als Frau es in mir habe :-) Penis- oder Mähmaschinen-Neid sind kein Thema für mich .
Tatsächlich wurde mir aus berufenem Munde vor Jahren von einem netten Herrn unaufgefordert erzählt ......, daß er in jungen Jahren mit Freunden um die Wette onaniert habe, d.h. es war zu seiner Zeit nicht unüblich, daß die Jungs voller Drang gemeinsam ihr Füllhorn ausschütteten - Gemeinsamkeiten machen halt stark!
Und die lieben Buben heute, die sich zuhauf schon mit 12 Jahren in zarter Runde harte Pornos `reinziehen`. Wer käme da nicht auf die Idee ?
Der Schritt von der Manntasie bis zur tatkräftigen gemeinsamen Meisterschaftsübung ist kurz, wenn manche Jungs so unter sich sind. Aber warum sollten sie sich auch nicht messen lassen und Spass haben - für die Übenden wäre es doch ein Phallust….? (*/*)
Und wer`s nicht glaubt, einfach mal googeln.
13.06.2009 um 10:24 Uhr Oliver
Ein schöner Satz von Alice Schwarzer, auch wenn “Schwanzlose” ein wenig wie “Hirnlose” klingt. Dazu fällt mir der Schwanzneid und sein Pendant, der Muschineid, ein. Ich vermute, dass letzterer viel verbreiteter ist, wofür auch die zahllosen weiblichen Identitäten in Second Life sprechen, hinter denen meistens Männer stehen. Und was tun sie da, während sie so stehen? Genau, und damit wären wir wieder beim Thema. Obwohl ich im Grossen und Ganzen zustimme, möchte ich an meiner Vermutung festhalten, mich geradezu daran festklammern, dass das Weitpinkeln und seine sexuell aufgeladenen Varianten ins Reich der Märchen gehören (es gibt eben auch Frauenphantasien). Dass allerdings Männer auf Workshops solche Märchen erzählen, glaube ich gerne. Sie würden es nicht ertragen, wenn sie in einer Phase ihres Lebens nicht ihren Mann gestanden hätten. Von daher handelt es sich vielleicht doch nicht um Frauen-, sondern wieder um Männerphantasien. Fleischgewordene Männerphantasien in diesen Tagen waren Berlusconi und Gaddafi. Die Medien erinnerten sie an Operette, mich an 50 Cent. Solcher Männlichkeit gegenüber fühle ich mich total hilflos. Ich verzichte darauf, bei Tamoil die Tankpistole zu ziehen. Aber ob das wirklich reicht? P.S.: Mein Schlechtschreibprogramm (OpenOffice.org Writer 3) mag das Wort “Muschineid” nicht und schlägt stattdessen “Mähmaschine” vor.
11.06.2009 um 15:04 Uhr Amy
Weitpinkelversuche und andere `meisterhafte` Bildungsversuche männl. Pubertierender scheinen auch heute gar nicht so unüblich zu sein. In einem Workshop zum Thema `Das erste Mal` haben mehr als die Hälfte der vielzählig anwesenden Männer von ihren erotischen Begegnungen untereinander während der Pubertät berichtet. Dazu zählen gemeinsames Onanieren, Wettpinkeln, Wettspritzen etc. zur Vorbereitung männl. Idenditätsfindung für größere Aufgaben in Politik und Gesellschaft?
In der Politik wird ähnlich gewetteifert, etwas subtiler, wie Spiegel Online im Jahr 2oo2 berichtete zu `Beim Wettpinkeln verloren` ... “Politik bleibt ein Männertheater. Als die CDU vor zwei Jahren im tiefsten Spendensumpf am Boden lag, durfte Merkel als Vorsitzende ran, weil kein anderer sich bei den Aufräumarbeiten verschleißen wollte. Doch von Anfang an war Merkel bei den intriganten Provinzfürsten im Herrenclub CDU und der mächtigen Bundestagsfraktion eher geduldet als gewollt. Alice Schwarzer formulierte das krass Die Männer denken nicht im Traum daran, eine Schwanzlose in ihre Wettpissrunden aufzunehmen…”
Richtig und das müssen sich die Herren schon einmal gefallen lassen. Oh weh, der arme Meister Goethe - wer weiss, welche Hand ihn beim Tagebuch-Eintrag so meisterlich zum Instrument führte. Hier in der schönen romantischen Gegend längs des Rheins soll der `Instrumentenspieler` nicht immer den besten Eindruck vermittelt haben…
Grüsse von Amy
11.06.2009 um 12:09 Uhr Oliver
Ich glaube, das mit den kleinen Jungs ist ein Gerücht. In dem Alter vergleicht man noch nicht die Länge. Das wäre zu frustrierend und kommt später, wenn überhaupt. Auch Weitpinkelversuche kenne ich nicht, genauso wenig wie das, was Grass in “Katz und Maus” beschreibt. Vielleicht gibt es auch bei Männern mehr als eine Kindheit und Jugend?
Ansonsten sind Bärte einfach geschmacklos. Und zwar keineswegs nur die phallusartigen, sondern auch die so genannten Muschibärte. So genannt von einer Frau, die ich liebe und verehre und der ich hiermit das goldene Copyright-Zeichen verleihe. Muschibärte sind die Bärte, die unterhalb der Lippen kleben wie ein heruntergerutschter Hitlerbart; ebenso wie dieser entstellen sie den Träger, obwohl man meinen könnte, ein wenig Weiblichkeit ziere auch das männliche Geschlecht.
Vom Googeln würde ich übrigens abraten, zumindest wenn frau sich eine geschlechtergerechte Suchmaschine wünscht. In meinem Beitrag “Die Frau als Objekt” gehe ich darauf ein, was man findet, wenn frau nach “Rechten” und “Frauen” sucht: http://crazyprocesses.blog.de/2009/05/18/frau-objekt-6135810/ ... Frau/man kann sich koogeln vor Lachen oder sich wegpingen vor Frust.
07.06.2009 um 15:14 Uhr Anne
WOW, das ist ja eine dolle glosse - ganz lieben dank!!
Ein meisterbart als `verstecktes` phallussymbol, ob als hänge-, zwirbel- oder backenbart? Wenn er sich mit diesem gestrüpp schmückt, hat er etwas zu verbergen? In der traumdeutung gilt ein bart als männliche überlegenheit - als maske - als herrschaftssymbol, wie das tragen eines bartes früher nur den königen oder propheten erlaubt war.
Um sein bestes stück machte mann schon immer viel aufhebens. Und wie ordentlich und sauber sie ihr symbol doch nach aussen präsentieren - mit viel stolz - wie die gockel - versuchen, ihre konkurrenten zu übertrumpfen. Welcher mann möchte schon den kürzeren ziehen?
Der volksmund rät beim `bart bei einer frau` (wie sollte es auch anders sein) vorsicht vor dem weibl. geschlecht; es drohen verdruss, ärger, unangenehme erinnerungen und schleichende krankheit.
Vielleicht werden bärte demnächst als süssliche `leckerei` angeboten, wie es eine österr. handelskette inzwischen mit penissen vorsieht als `lollies`- hier fehlt halt nur noch ein warnhinweis wie beim rauchen ...:-(
Phallussymbole zierten ja schon in der antike etliche unholde, um kraft, fruchtbarkeit, männlichkeit und sex. gewalt gegenüber dem weibl. geschlecht zu demonstrieren.
Tja, mit seinen phallus-symbolen hat mancher mann schon eine menge weniger meisterliches von sich gegeben.
Übrigens ca. 24 mio gartenzwerge zieren deutschlands vorgärten !
Llg v. Anne