Der Stall der Nonnen
(Nachdem ich letzte Woche zwei Glossen produziert habe, gibt es heute nur eine "Konserve" aus dem Jahr 2003. Möge sie euch zu kühnen Urlaubsideen für den Winter anregen!)
Ende Januar 2003 waren Joey und ich eine Woche auf der schönen vulkanischen Atlantikinsel Madeira. Die Insel ist nicht ohne Reiz für Frauen, haben wir festgestellt. Da ist zum einen die "Chinesa", ein espressoartiges Getränk - ähnlich wie der sächsische "Blümchenkaffee" benannt nach einem Bild auf dem Grund der Tasse. Die Chinesa ist nicht nur sehr wohlschmeckend, sondern auch der einzige uns bekannte nach einer Frau benannte Kaffee, und also schlürften wir sie bei jeder Gelegenheit.
Zum zweiten sind die madeirensischen Männer so erholsam! Im Schnitt sind sie mindestens einen Kopf kleiner als die Touristinnen aus Nordeuropa. Das gibt der Frau einen guten Überblick und ein ganz neues Lebensgefühl. Außerdem haben die kleinen Männer ungewohnt angenehme Umgangsformen: freundlich und hilfsbereit, aber zurückhaltend. Sie wahren gegenüber den Touristinnen eine wohltuende stolze Distanz.
Wir waren dort untergebracht, wo die meisten Deutschen landen, in Caniço de Baixo. Hotel direkt am Meer, fast im Meer fühlten wir uns. Zimmer mit Meeresblick und Halbpension. Der Fernseher funktionierte nicht, und so spielten wir jeden Abend "Odins Raben", ein Geschenk meiner dem Feminismus noch fernstehenden Nichte, und tranken dazu reichlich Madeira.
Da die Aussicht so spektakulär war, hatte die Hotelleitung sich mit der Dekoration der Zimmer weiter keine Mühe gemacht: Über den Betten hingen zwei Bilder, das eine sah exakt aus wie das andere. An der Wand gegenüber dasselbe: Ein Blumenstrauß, gleich zweimal nebeneinander. Wie eigenwillig!
Das Hotel war von Kopf bis Fuß auf Rentnerinnen und Rentner eingestellt. Da man bei den Altchen nie weiß, waren die Matratzen vorsichtshalber mit Plastikfolien umgeben, die bei jeder Bewegung laut quietschten. Befremdlich war auch, daß die Betten, wenn wir zueinander strebten, stattdessen auseinanderfuhren. Aber wir fanden bald das rechte Mittel gegen all diese Unbill: Noch ein Gläschen Madeira oder zwei – und schon waren auch wir quietschvergnügt. Und dazu säuselte oder brüllte köstlich die ewige See.
Clara und Franz, unsere madeirakundigen FreundInnen, hatten uns das "Tal der Nonnen" ans Herz gelegt – von einem bestimmten Punkt aus, genannt Eira do Serrado, hätte man einen spektakulären Blick 1100 Meter senkrecht hinunter in dieses Tal.
In ihrer Madeira-Führerin (DuMont Verlag 2002, S. 104) schreibt Susanne Lipps: "Der Name 'Curral das Freiras' bedeutet 'Stall der Nonnen'. Da dies nicht sehr fein klingt, ersannen Fremdenverkehrswerber die Bezeichnung 'Nonnental'. Gründerinnen des Ortes waren Nonnen des Konvents Santa Clara in Funchal [Hauptstadt Madeiras]. Wichtigster Landbesitz der einflußreichen Schwestern war das Gebiet von Curral das Freiras, das man wegen der damals dort betriebenen Weidewirtschaft Curral (Stall) nannte."
Warum "Stall der Nonnen" "nicht sehr fein klingt", erläutert Susanne Lipps nicht weiter – es versteht sich anscheinend von selbst. "Nonnenstall" – das erinnert an Kuhstall oder Hühnerstall.
So weit so schlecht. Und ich frage mich, hätte ein "Stall der Mönche" auch wg. Unfeinheit umbenannt werden müssen in "Tal der Mönche"? Ich glaube kaum – was sollen Mönche auch in einem Stall! Absurde Vorstellung, auf die niemand so schnell käme. Daß bei den Nonnen eher an Insassinnen statt an Besitzerinnen des Stalls gedacht werden kann, liegt an der Lage der Frau im allgemeinen und der von Nonnen im besonderen. Die Frau wird sowieso gern mit Tieren gleichgesetzt - wir werden bezeichnet als Gänse, Hühner, Ziegen, Kühe und was mann sonst noch gern so alles in Ställen zusammenpfercht. Ein Haufen Weiber auf einem Haufen - das erinnert doch sowieso stark an einen Hühnerhof. Und der Priester, ohne den Nonnen keine Nonnen sein können, ist der stolze Hahn dazu.
Als wir uns das alles vergegenwärtigt hatten, verzichteten wir auf einen Besuch des Nonnentals und begnügten uns mit dem klebrigen Kastanienlikör, den die Nonnen dort angeblich herstellen. Er klebt heute im Inneren meiner Kühlschranktür.
Der wahre Grund für unseren Verzicht waren aber die halsbrecherischen Serpentinen, die es zu überwinden galt, um zum Stall der Nonnen zu kommen. Bei der Besichtigung des Friedhofs von Caniço waren uns die zahllosen Gräber junger Burschen aufgefallen – wir nahmen an, daß sie mit jungmännlichem Ungestüm in die Abgründe gerast waren, die tückisch an jeder Straßenkurve der Insel lauern. Gingen wir also lieber gemächlich an einer rentnerinnenfreundlichen Levada (Wasserleitung) entlang. Wegen der Levada-Wanderwege "aller Schwierigkeitsgrade" waren wohl auch die meisten Deutschen auf die Insel gekommen. Manche der rüstigen RentnerInnen hatten in Hannover mit Rucksack und Wanderstiefeln das Flugzeug bestiegen und waren, kaum auf Madeira gelandet, süchtig ins nächstbeste Gebirge gestapft, während wir es uns auf der Hotelterrasse mit Madeira und Chinesas gutgehen ließen.
Gegen Ende unseres Aufenthaltes sagte Joey plötzlich zu mir: "Also irgendwie gibt es mir hier zu viele RentnerInnen." "Wieso?" sagte ich. "Du bist doch auch im Ruhestand." "Ja schon, aber trotzdem", beharrte sie. "Irgendwie sehe ich mich noch nicht als Rentnerin." "Das geht den anderen hier sicher ganz genau so", sagte ich weise.
Zu Hause wiederholte sie ihren Eindruck vor Clara und Franz, die Mitte vierzig sind. Sie lachten laut und herzlich. Anscheinend hatten sie keinerlei Probleme damit, uns als Rentnerinnen zu sehen.
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1 Kommentar
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15.10.2007 um 14:22 Uhr Jacqueline
Liebe Luise,
ich könnte jeden Tag so eine schöne Glosse lesen und mich “krümeln”
...und wann du sie geschrieben hast, spielt für mich garkeine Rolle.
Ich habe mich sehr amüsiert und mich für dich und Joey gefreut (so eine schöne Reise) und außerdem freue ich mich auf unser Wiedersehen!!!
Liebste Grüße Jacqueline