Der Schoß, die Schoß und das Schößchen
Aus Wir machen uns unsere Sprache selber: Ein Feminar. Zweiundfünfzigste Lektion.
Meine Glosse „Er kommt aus seines Vaters Schoß“ brachte letzte Woche 18 Kommentare und dazu noch etliche Emails. Das Thema bewegt und beschäftigt offenbar viele - mich auch. Deshalb möchte ich heute noch einige Ergänzungen nachliefern.
Zuerst bekam ich von Monika und Joe den Hinweis, „seines Vaters Schoß“ bedeute hier wohl „Geborgenheit im weiteren Sinn“, vgl. die Redewendung „wie in Abrahams Schoß“ (übrigens ist „Abrahams Schoß“ auf Englisch „Abraham’s bosom“).
Gertrud und Anna schrieben, sie kennten „Schoß“ auch als Kleidungsteil, es gebe da „die Schoß“ und „das Schößchen“: "Anna musste als 6-jährige schon ihre Schoß (beachte: die Schoß) über die Knie ziehen, denn Damen zeigen niemals ihre Knie...", und von den "Schößchen", die auch ich aus meiner Jugend kannte, schickten sie gleich Bilder mit. Dann noch eine Mail von ihnen: "Wir haben uns weitergebildet und herausgefunden, dass die Herren sogar zwei Schöße haben können! Fancy that!!!"
Bridge schließlich erzählt von einem beunruhigenden Erlebnis im Schwimmbad:
2. jänner war badesonntag, ich fuhr mit meiner enkelin ins thermalbad, das überfüllt war. während die kleine sich im becken delektierte, beobachtete ich einen (vermuteten) jungen vater, der ebenso wie ich auch, die beine hoch gelagert, im liegestuhl lag. auf seinem schoß saß ein etwa sechsjähriges mädchen, spielte mit ihm sehr nett wechselseitiges händeklatschen, sie bewegte sich dabei lebhaft. plötzlich fiel mir auf, dass er das kind zurechtrückte. sie war vorher auf seinem unterbauch gesessen, er setzte sie sich nun tiefer, ich sah es von der seite, er setzte sie sich direkt auf’s geschlecht, fuhr mit dem bewegten spiel fort. ich fragte mich selbstkritisch, was ich nun da schon wieder unterstellte, war angewidert, leider wie gelähmt und weit davon entfernt zu reagieren. (wie viele katastrophen brachte nicht der schoß des vaters?) :-(
••••••••••• Ich habe dann ziemlich lange den ziemlich langen Eintrag über „Schosz“ im Grimmschen Wörterbuch studiert und kann nun folgendes berichten:
A) Die textile Bedeutung von "Schoß" bis "Schößchen" ist anscheinend die ursprüngliche. "Schoß" bezeichnet demnach ein von der Taille vorn oder hinten herabhängendes Stück Stoff. Diese Bedeutung ist bis heute lebendig in den Frackschößen der Dirigenten, die ihre Schöße halt hinten tragen. Die seitlich geschlitzten, bis über die Knie reichenden Hemden (Kurtas), die die Männer in Südasien tragen, haben ebenfalls „Schöße“, vorne und hinten.
B) Von dieser Bedeutung leitet sich die Bedeutung „Schoß“ (engl. lap) wie in „auf dem Schoß sitzen“ her, vgl. auch „Schoßhund“ oder „das ist ihr nicht in den Schoß gefallen“. Da das Kind sich, umarmt auf dem Schoß sitzend, geborgen fühlen soll, symbolisiert "Schoß" auch Geborgenheit.
C) „Schoß“ im Sinne von „womb“ bzw. „Mutterschoß“ bezeichnet schließlich den Körperteil selbst, den der Schoß, das Kleidungsstück, ursprünglich nur bedeckte. "Schoß“ in diesem Sinne ist meist beschränkt auf den weiblichen Schoß, Mutterleib, „womb“. Diese Bedeutung vermischt sich metaphorisch oft mit der der Geborgenheit, besonders fragwürdig in der Redewendung „in den Schoß der Kirche zurückkehren“. ••••••••••• Na schön, und was hat das alles mit feministischer Sprachkritik zu tun, die doch das Thema dieses Blogs ist?
Zweierlei ist da auffällig und einschlägig:
Erstens: Früher, etwa bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, wurde statt "der Schoß" meistens "die Schoß" gesagt:
der hohe himmel liebt die tieffe schosz der erden. (Fleming)
sie setzten sich an einen grünen hügel, dem mosz und rohr die schosz, ein wald den rücken, deckte. (Brockes)
(der mensch) steigt eyffers voll empor und dringt sich in die schosz und gründe der natur. (Opitz)
Zweitens: Auch den Schoß des Mannes als Ort der Geborgenheit zu verharmlosen, kann böse Folgen haben, wie Bridge in ihrem Kommentar sehr anschaulich beschreibt. Im Schoß des Mannes lauert der Penis, und wenn der Mann ein Kind darauf setzt, ist das oft nicht so harmlos, wie es aussehen mag.
Die einschlägige klassische Szene steht in Nabokovs „Lolita“: Humbert Humbert setzt Lolita auf seinen Schoß (genauer gesagt auf seinen Penis, "the gagged beast") - nach außen sieht das ganz lieb aus, der Vater spielt mit seiner Stieftochter, aber “jede ihrer Bewegungen, jedes Rücken und Rutschen, half mir, das geheime System des Kontakts zwischen Ungeheuer und Schönheit zu verbergen und zugleich zu optimieren, mein geknebeltes, berstendes Untier der Schönheit ihres kindlichen Körpers in seinem unschuldigen Baumwollkleidchen immer näher zu bringen” (Übersetzung von LFP).
Lolita erschien 1959 - in den seither vergangenen 50 Jahren wurde die Technik, die Nabokov sich für seinen Pädoverbrecher Humbert ausdachte, von der Sexindustrie weiter "optimiert" und kommerzialisiert. Wozu der männliche Schoß heutzutage aufgelegt und imstande ist, wird am ekligsten sichtbar in der Praxis des lap dancing, zu der sich der Striptease seit den 90-er Jahren „weiter entwickelt“ hat:
Beim heutigen lap dancing sitzt die Frau in der Regel in einer Kabine [eines Sexclubs] nackt auf dem Schoß des bekleideten Mannes und massiert mit ihren Genitalien seinen Penis. (Jeffreys, Sheila. 2008. The Industrial Vagina: The Political Economy of the Global Sex Trade, S. 87. Übersetzung von LFP)
Kanadische Striptänzerinnen haben sich gegen die Entwicklung des lap dancing in den Clubs organisiert. In einer Untersuchung beschwerten sich Interviewte besonders darüber, dass sie mit dem „Ejakulat des Kunden“ in Kontakt kämen, was vorkommen könne, „wenn das Ejakulat des Mannes während des lap dancing seine Kleidung durchnässe.“ (Jeffreys, Vagina, S. 96)
Der männliche Schoß ist also vom weiblichen sehr verschieden. Oft ist er für Kinder und Frauen eher ein Hort der Gefahr als der Geborgenheit.
Deshalb wäre es sinnvoll, wieder „die Schoß“ und „der Schoß“ zu sagen und die weibliche Schoß grundsätzlich vom männlichen Schoß zu unterscheiden.
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9 Kommentare
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14.01.2011 um 15:08 Uhr anne
“dem echten herzen der verführung” (toscani), dem weiblichen schoß, hat sich nun auch der fotograf toscani gewidmet und einen kalender herausgebracht, in dem in jedem monat das geschlechtsteil einer anderen frau abgebildet ist. dienen soll das ganze einem werbezweck für einen toscanischen lederhersteller.
als pseudoargument dient herrn toscani die modeindustrie, zitat: “ich wollte die klassische modeindustrie entlarven, wo die frauen in high heels und rotem lippenstift auftauchen - und alles gezeigt wird außer dem genitalbereich, dem echten herzen der verführung.”
merkwürdige art , die modeindustrie zu entlarven, die (junge) frauen auf dem laufsteg wie schaufenster-barbie-puppen zur schau stellt und dementsprechend definiert.
der kampf um `aufmerksamkeit` in der werbung wird immer härter. “ein überragendes beispiel dafür, wie der körper von frauen für publicity benutzt wird.” (eine vertreterin des vereins gegen häusliche gewalt) der kommerz macht nicht halt vor dem weibl. schoß, solange das diktat dem männlichen schoß entspringt - ob hier das wahre herz des mannes steckt? :-(
http://diestandard.at/1293370660907/Fotograf-Toscani-Weiblicher-Genitalien-Kalender-erhitzt-die-Gemueter
14.01.2011 um 08:36 Uhr Klaus
Der ‘Schoß’ des Mannes bzw. der Frau unterscheidet sich in Österreich sprachlich von den Bekleidungsstücken ‘Schoss’ und ‘Schösschen’ massivst.
Schoß ... langes o
Schoss ... kurzes o
Schösschen ... kurzes ö
Falsch ausgesprochen ist das, wie wenn österreicherIn Tag und Nacht verwechselt.
Das ist wie beim ‘Spaß/Spass’.
Die Deutschen haben Spass während die ÖsterreicherInnen Spaß haben.
12.01.2011 um 14:34 Uhr Stephanie
... und dann gibt es noch den Schössling, das Schoß, wie meine Mutter sagte.
Von “schossen” - austreiben - wie Wikipedia sagt.
Die Schoß ist schon ein sehr bedeutungsvoller Begriff…
Stephanie, die in feministische Sprache ganz verschossen ist…
12.01.2011 um 13:46 Uhr Amy
hallo @ liebe Bridge - danke für die interessanten Hinweise - ich lege dir hier gerne `in die Schoß` :-) die im Link unter 2.2 dargestellten Visionen von Brigitta . Danach heisst es i.d. Übersetzung:
“Die Geburtsszene erhält hier neue ikonographische Motive . Maria wird in ein weißes Gewand gekleidet , Josef bringt eine brennende Kerze , das Kind liegt nackt und weiß auf dem Boden , von ihm geht ein überwältigendes Licht aus , das Kerze und Sonne überstrahlt . Maria betet mit gefalteten Händen ihr Kind an, nimmt es auf, drückt wärmend es an Wange und Brust und legt es in die Krippe.” Hier scheint die Übersetzung nicht ganz stimmig, evtl. nach eigenen bildhaften Vorstellungen der Übersetzerin ,oder sollte die Krippe die Schosz bedeuten? Uff , weiter habe ich mich in den Texten nicht durchgewühlt. Aber die Sache mit die Schosz - nach meinem Empfinden ist Marias Schoß gemeint? Ist doch auch ganz schön, daß Josef mal als Kerzenhalter bzw. als Leuchte/r fungierte :-(
Als Unkundige grüsst Amy
http://www.religioeses-brauchtum.de/winter/weihnachten_3.html
11.01.2011 um 22:33 Uhr Bridge
@ `..und do siczende auff der erden legt sie den sun in die schosz.` muss es nicht heißen: “und do siczend auff der erden…”, nämlich: ...und da sitzend auf der erden legt sie den sohn in den schoß..”... In wessen schoß legte sie den sohn? Nach vorrömischem recht erkannte nämlich ein mann ein neugeborenes an als sein kind mit folgender schönen, symbolischen handlung: er legte es sich auf den schoß - was bedeutet: ich will der vater sein dieses kindes. Wehe aber für die wöchnerin, wenn er dies nicht tat!? Wurde das kind getötet? Wurde die mutter mit dem kind verstoßen? die römer machten es später nicht weniger grausam: Ein römischer oder griechischer bürger konnte alle kinder wie auch sklavInnen töten nach laune - auch seine frauen. - Aber zurück zur vision der Brigitta von schweden: Legte vielleicht Maria ihren außerehelichen sohn dem Josef auf den schoß, dass er ihn als seinen sohn ansehe? Damit wäre “das gesetz des schoßes” in vielen kulturen wirksam gewesen.
PS: Danke für alle erläuterungen und beispiele!
11.01.2011 um 18:09 Uhr Amy
Die Schosz habe ich gefunden in Brauchtum im Winter: die Darstellung der Geburt Jesu erhielt im 14. Jahrhundert eine neue Akzentuierung durch die Visionen der mit dem schwedischen Königshaus verwandten Mysterikerin Brigitta von Schweden (1302-1373), die 1372 in Bethlehem eine Vision hatt. Die Gottesmutter offenbarte ihr die Umstände der Geburt Jesu . Brigitta diktierte die `Relevationes` im siebten Buch der himmlischen Visionen in schwedischer Sprache. In italienischer Sprache erschien der Text noch im 14. Jahrhundert.
Die älteste deutsche Textfassung ist für 1468 belegt. In den Kapiteln 21 und 22 heisst es zum Schluß `..und do siczende auff der erden legt sie den sun in die schosz.`
Die einzige Gefahr droht dem männlichen Schoß durch ein Gerät - die Gefährdung der Fruchtbarkeit bei täglicher Laptop-Benutzung auf dem männlichen Schoß. Durch Übererwärmung droht eine Reduzierung der Spermienproduktion.
Also eine neue , ganz natürliche Art der Empfängnisverhütung? Auch die Sitzheizung im Auto steht im Verdacht einer Bedrohung.
Also ab heute heisst es nur noch die weibliche Schoß.
Ich erinnere mich als Kind (8 Jahre) daran , mal auf dem Schoß eines älteren Mannes - dem ich vertraute - gesessen zu haben , der uns Kinder an einem Nachmittag in der Nachbarinwohnung hüten sollte. Wie schon oben beschrieben, empfand ich diesen angeblichen `Ort der Geborgenheit` aber gleich als eine Gefahr und habe mich entfernt, als ich die `Signale` verspürte.
Überhaupt nur durch eigene Achtsamkeit, Mißtrauen und ein frühes Gespür für Gefahr bin ich so mancher Gefahrensituation vorzeitig entgangen.
11.01.2011 um 16:59 Uhr lfp
@ Bridge:
Ja, die Sache mit dem Dreieck ist spannend, Stoff für weitere Glossen ...
“Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch” ist von Brecht (“Arturo Ui”, Epilog). Natürlich aber meint der alte Patriarch “den weiblichen Schoß”, wenn auch im übertragenen Sinne.
11.01.2011 um 15:24 Uhr Bridge
mir war es auch mit “schoß” noch nicht genug, weshalb ich hoch erfreut bin, dass wir nun weiteres zusammentragen.
ich hab mich jetzt selber bei GRIMM hineingelesen, es gibt wirklich “die schoß”, die vom schoß, m, verdrängt wurde, wie L.P. recherchiert hat. Wir können also “die schoß” mit fug und recht wieder verwenden, wenn unsereins wen auf ihrer schoß hält: Ich erinnere mich, wann ich letztmalig meiner großmutter auf der schoß gesessen bin: ich war 18 und frisch maturiert, ich habe sie geherzt und, wohl unbewusst, getröstet, dass sie so ungebildet war. - Noch was: Ich rätselte schon öfters über das “schwarze dreieck”, das die bildende kunst häufig zitiert: gemeint ist jener “bewaldete” dunkle hügel über dem geschlecht erwachsener frauen, der von vorn ein gleichseitiges dreieck mit der spitze nach unten bildet, während das männliche dreieck (mit spitze nach oben) das “auge gottes” eingrenzt. Nun sagt mir der GRIMM beim stichwort “schoß”, dass das wort im niederhochdeutschen auf eine grundbedeutung verweist, die mit “schießen” zusammenhängt und etwas abgewinkeltes meinte: “drischoss” war also etwas “dreieckiges”: Eine “schoß” ist also etwas dreieckiges im doppelten sinn, weil nur die abgewinkelt sitzende person eine schoß herstellt. So verräterisch ist die sprache! - Vergessen wir auch nicht den satz von CELAN ???, der sich auf die nazi-ideologie bezieht: “Fruchtbar noch der schoß, aus dem das kroch”