Der Papst im Altweibersommer
Was für einen fraulichen Altweibersommer haben wir dies Jahr! Oder würde „altweiblich“ besser passen? Meine 86jährige Nachbarin rief mir im Treppenhaus zu: „Herrliches Wetter heute! Diese schöne klare Luft! Ich war draußen, Sonne tanken.“ Also meinetwegen auch „herrlich“. Ich sagte zu ihr: „Ja, schöner Altweibersommer, das passt zu uns!“ Darauf sie: „Aber Sie sind doch noch so jung!“ Ich lachte und ging dann auch nach draußen, Altweibersonne tanken.
Warum heißt eine der schönsten Zeiten im Jahr „Altweibersommer“ - als wären alte Weiber in unserer Kultur nicht das Allerletzte? Dazu Wikipedia:
[Ein] Zeitabschnitt gleichmäßiger Witterung im Spätjahr, oft im September, welcher sich durch ein Hochdruckgebiet, stabiles Wetter und ein warmes Ausklingen des Sommers auszeichnet. Das kurzzeitig trockenere Wetter erlaubt eine gute Fernsicht und intensiviert den Laubfall und die Laubverfärbung. Der Name leitet sich von Spinnfäden her, mit denen junge Baldachinspinnen im Herbst durch die Luft segeln. Mit „weiben“ wurde im Althochdeutschen das Knüpfen der Spinnweben bezeichnet.
Wiktionary hält noch mehr Ideen zur Herkunft des Wortes parat: Folgende Möglichkeiten werden erwogen:
Das Wort wird seit dem 17. Jh. verwendet, die genaue Herkunft ist unklar. Eine Möglichkeit ist, als Grundlage der Bezeichnung weiben = weben anzusehen und somit die Spinnweben in den Mittelpunkt zu stellen. Daran wäre schlicht die Jahreszeitbezeichnung Sommer angehängt und das ganze mit dem Adjektiv alt verbunden, um auszudrücken, dass es sich um einen späten, gewissermaßen alten Sommer handelt, der bald in den Herbst übergeht. Das Wort würde sich auf diese Weise als „alter Spinnweb-Sommer“ erklären. Eine andere Möglichkeit ist, dass der Bestandteil -sommer hier nicht die Jahreszeit meint, sondern mit engl. gossamer verwandt ist, welches „Spinnweben“ bedeutet. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, an eine Übertragung von der (schlecht belegten) Bedeutung „zweite Jugend bei Frauen“ zu denken. So, wie diese „zweite Jugend“ verächtlich als kurzlebig und unzeitig gesehen wird, so ist auch der Spätsommer nicht von langer Dauer.
Das klang vor 35 Jahren im „Großen Wörterbuch der deutschen Sprache“ des Duden-Verlags aber noch GANZ anders: Dort finden wir nach Altweibergeschwätz, Altweibergewäsch (törichtes, albernes Gerede), Altweiberklatsch (törichte, üble Nachrede), Altweiberknoten (laienhaft geknüpfter, nicht belastbarer Knoten), Altweibermärchen (unglaubwürdige, alberne Geschichte) schließlich auch den Altweibersommer mit folgender Definition: "(vielleicht nach dem Vergleich einer späten Liebe älterer Frauen): sonnige, warme Nachsommertage".
Kein Wunder bei dermaßen gehässigen Definitionen des Wortbestandteils "Altweiber-", dass eine 78jährige Bürgerin sich über den Ausdruck „Altweibersommer“ aufregte und den Deutschen Wetterdienst aufforderte, ihn nicht mehr zu verwenden. Aber ihre Klage wurde 1989 abgewiesen.
Heute würde ihr das Wort vielleicht sogar gefallen, wenn sie das freundliche, aufgeklärte Wiktionary heranziehen würde. Immerhin ist der Altweibersommer, wie gesagt, wohl die schönste Zeit des Jahres, und dass sie benannt ist nach der Gruppe mit dem schlechtesten Image, finde ich gut.
Bleibt noch die Frage zu klären, warum der Papst für seine Reise nach Deutschland den Altweibersommer wählte. Der Begriff passt gut zum fortgeschrittenen Alter des Papstes und anderer katholischer Würdenträger und zu ihren weiblichen Outfits - bei der Vigil in Freiburg saßen sie da alle aufgereiht wie alte Bäuerinnen im schönsten Sonntagsstaat. Aber Wikipedia verweist auf eine noch schlüssigere Antwort:
Da das Wetter im Altweibersommer für Freiluftveranstaltungen besonders günstig ist, wurde das Oktoberfest in München im Laufe der Zeit vom Anfangstermin Mitte Oktober zum Septemberende hin vorverschoben.
Als waschechter Bayer kennt Ratzinger sich aus. Und was fürs Oktoberfest gilt, gilt auch für seine Massen-Gottesdienste im Freien. Warum nicht beim nächsten Besuch beides einfach zusammenlegen? Statt des Messweins und der Oblaten zur Abwechslung mal eine Maß Bier und eine Brezn, der Papst im Papamobil auf dem Autoscooter, dann die Predigt hoch oben von der Achterbahn oder vom Riesenrad - das könnte eine Riesengaudi werden. Ein echt zeitgemäßes und supergeiles Crossover-Event, wenn schon die Ökumene nicht klappen will.
Keine gute Idee? Macht ja nix. Ist eh nur Altweibergewäsch.
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4 Kommentare
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27.09.2011 um 11:05 Uhr lfp
@Alison und @Anne:
Ich habe diese Erklärung mit den “wehenden weißgrauen Haaren alter Frauen” auch oft gehört und denke daher bei “Altweibersommer” immer an Kate Milletts graue Haarpracht und an die ganz alte Hedwig Dohm.
http://www.fembio.org/biographie.php/frau/biographie/kate-millett
27.09.2011 um 10:52 Uhr anne
es gibt ein sprichwort: ” spinne am morgen, kummer und sorgen, spinne am abend, erquickend und erlabend. bei dieser redensart soll es sich nicht um das tier spinne handeln.
das spinnen von wolle hat einst gutes geld eingebracht, doch die armen leute mussten schon morgens damit anfangen, um sich in der zeit , in der es auf dem feld keine arbeit gab, ein zubrot zu verdienen. die reichen konnten es sich leisten, das spinnen als netten zeitvertreib in die abendstunden zu verlegen.
früher glaubten die leute, so erzählen es alte sagen, daß alte weiber (damals war das noch kein schimpfwort für alte frauen) diese haare beim kämmen verloren hätten und daß dies das wirken der nornen, der alten schicksalsgöttinnen, die die lebensfäden der menschen spinnen, war.
alten menschen, an denen solche spinnfäden hängen bleiben, sollten sie glück bringen.” (zit. gartenkalender/altweibersommer)
zu zeiten der göttinnen wurde das wissen der `alten weiber` geschätzt, positiv umgesetzt. die abwertung in “altweibergewäsch, altweibergeschwätz usw.” ein sicheres zeichen des negativen einflusses göttlicher vorherrschaft? paulus d. erste brief an timotheus “......doch weise die unwahren geschichten zurück, die verletzen, was heilig ist, und altweibergeschwätz sind. übe dich andererseits mit gottergebenheit als deinem ziel.”
in schweden heisst altweibersommer brigitta sommer , sicherlich zurückführend auf die schwedische nationalheilige?
“der herbst 1314 markierte für brigitta eine lebenswende: dem abschied von ihrer mutter,die im september 1314 starb, folgte im spätherbst der abschied der finsta.” (1.2. aspanäs)
27.09.2011 um 03:09 Uhr Alison
Mir wurde das immer so erklaert: die Faeden der Spinnen in der Landschaft sehen aus wie die weisse Haare von alte Weiber. Ebenso die Nebelstreifen, die aufsteigen wenn kalte Naechte die Spaetsommersonne weichen.
24.09.2011 um 23:23 Uhr Amy
Bedeutet Altweibersommer nicht auch “Witwensommer, Frauensommer” ?
Passt doch in Zeiten der Emannzipation irgendwie zu der diesjährigen Altherren-Sommer-Parade kath. Würdenträger - die Witwer sind los?
So heisst es z.B. “Spätere - im Christentum entstandene Legenden wiederum wissen zu berichten, daß die Silberfäden des Altweibersommers aus dem Mantel Marias stammen, den sie bei ihrer Himmelfahrt trug. Im Volksmund heißen deshalb diese Spinnfäden `Marienfäden, Marienseide, Marienhaar`oder `Unserer lieben Frauen Gespinst`.
Nicht nur die Nonnen leben in einem sog. Brautstand oder Ehebund mit dem lieben Jesulein - unsere kath. hohen Würdenträger könnten allesamt Witwer bzw. Wittmänner Marias sein, oder nicht? Aber im Grunde genommen sind die doch zu jeder Jahreszeit zu bedauern :(
Eine Oktoberfest-Gaudi wäre auch nicht verkehrt. Da käme dann noch eine weitere, die “Fünfte Jahreszeit” hinzu.
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