Der Ochsenziemer und seine Verwandten
Bekanntlich setzen Männer ihren Penis seit altersher auch als Waffe ein, vorzugsweise bei Vergewaltigungen. Oft richtet sich die Waffe nicht nur gegen Frauen, sondern auch gegen deren „Besitzer“ - ihr „Besitz“ wird dadurch wertlos. Oder gegen liebende Ehemänner, Väter und Söhne, die durch den Anblick ihrer gefolterten Frauen, Töchter, Mütter gedemütigt werden sollen, da sie sie nicht beschützen können.
Dass der Penis aber auch noch als Prügel dient, wusste ich bisher nicht. Der Männerpenis eignet sich dazu wohl weniger, anders als der Bullenpenis.
Ich lese gerade die Georg-Büchner-Biographie von Hermann Kurzke. Dabei stieß ich auf das seltsame Wort „Ochsenziemer“, das ich zwar kannte, aber nicht in seiner vollen Bedeutung. Kurzke schreibt:
„Als Weidigs Trotz sich so nicht brechen lässt, beantragt Georgi beim Großherzoglichen Hofgericht, seinen Gegner mit dem ‚Farrenschwanz‘ prügeln zu dürfen, einem sogenannten Ochsenziemer, einem aus einem Ochsenpenis gefertigten gummiknüppelähnlichen Gerät. Der Antrag wurde abgelehnt. Das Gericht war der Meinung, eine solche Strafe schicke sich wohl für ‚ungebildete und rohe Verbrecher‘, aber nicht für einen Gebildeten.“
Dr. Friedrich Ludwig Weidig (1791-1837), evangelischer Theologe, gehörte wie Büchner zum Vormärz und zu den Wegbereitern der Revolution von 1848 und war deshalb lange in Haft.
Ich recherchierte im Netz zu dem Wort "Ochsenziemer" und fand Erstaunliches. Wikipedia teilt ungerührt mit:
Ein Ochsenziemer (regional auch Ochsenpesel, Ochsenfiesl, Farrenschwanz, Parreschwanz, Hagenschwanz oder in der Schweiz Munifisel genannt) ist eine Schlagwaffe, die aus einem getrockneten Bullenpenis hergestellt wird. Er hat eine fertige Länge von 80–100 cm, ist sehr elastisch und schwer.
Der Ochsenziemer wurde früher zur Bestrafung von Menschen und Tieren eingesetzt, findet heute allerdings kaum noch Verwendung in dieser Funktion. Bei Pferderennen wie dem Palio di Siena wird er aber weiterhin eingesetzt. Manche Wirte halten auch heute noch einen Ochsenziemer zur Selbstverteidigung griffbereit, um sich gegen betrunkene Randalierer und ähnliches wehren zu können.
Die Wirkung des Schlags ist erheblich und kann starke Verletzungen hervorrufen. Ochsenziemer wurden unter anderem im KZ Dachau und im KZ Mauthausen dazu verwendet, Häftlinge zu misshandeln.
Im Stiftsgymnasium Kremsmünster wurde ein Ochsenziemer noch bis Ende der 1990er Jahre vom damaligen Konviktsdirektor August Mandorfer zur Misshandlung von Schülern verwendet. (Wikipedia)
Inzwischen ist der Ochsenziemer allerdings auf den Hund gekommen:
Heute werden sie fast nur noch als Futtermittel für Hunde hergestellt, das vorrangig als Kauspielzeug zur Beschäftigung des Hundes dient.
Wie die meisten harten Kauspielzeuge eignet sich der Ochsenziemer auch zur eigenständigen Zahnreinigung des Hundes. (ebd.)
Aber auch als Hundefutter kommt der Ochsenziemer langsam aus der Mode:
Der Geruch eines angekauten Ochsenziemers wird von den meisten Menschen jedoch als unangenehm empfunden, so dass sich immer mehr synthetisch hergestellte geruchlose Kaufuttermittel zur selbständigen Zahnreinigung für Hunde durchsetzen. (ebd.)
Bleibt noch die Frage zu klären, wie der „Bullenpenis“ zum „Ochsenziemer“ wurde. Dazu fand ich kaum Auskünfte, nur dass „Ziemer“ auf frz. cimier „Schwanz“ zurückgeht. Ich denke, „Bullenpenis“ wird als Name für das Schlaggerät instinktiv abgelehnt, weil es das männliche Ego doch möglicherweise kränkt und verstört, einen echten Penis als Prügel zu erkennen. Dann schon lieber „Ziemer“, denn wer weiß schon, was ein „Ziemer“ ist. Und für den Fall, dass es doch jemand weiß, ist es eben der Ziemer eines Ochsen, also ein Penis, der sowieso zu nichts mehr „taugt“ - anders als der des Bullen, jenes Inbegriffs ungebärdiger, kampflustiger Männlichkeit:
Im Gegensatz zum unkastrierten männlichen Rind, dem Stier, ließ sich ein Ochse gut abrichten und eignete sich damit in der Landwirtschaft als Zug- und Arbeitstier.
[…] In einigen Ländern wie z. B. den USA ist es üblich, männliche Tiere für die Weidemast generell zu kastrieren, da diese dann wesentlich friedlicher sind. (Wikipedia)
Über die naheliegenden Schlussfolgerungen kann sich nun jede Leserin ihre eigenen Gedanken machen. Denn anders als der Ochsenziemer wird der Männerpenis als Waffe wohl nicht so bald aus der Mode kommen.
Und was ist mit der Ochsenschwanzsuppe? Wird ab sofort aus meinem Leben gestrichen, denn wer weiß schon, was für ein Schwanz da verkocht wurde.
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4 Kommentare
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18.07.2016 um 14:13 Uhr Elvira O.
In der Waidmannsprache bedeutet Ziemer gleich Zimmer, Rute, Rückenteil des Hochwildes. Ziemer galt sogar als Bezeichnung für einige Drossel-Arten. Oder ein Ziemer war ein derber Wanderer, ein Kiesziemer ein Eigenlöhner. Zimmer ist als der eigentliche Leib des Rotwildes. Und der Prügel? Es gibt in der Porno-Szenerie Abb. von Schwanzträgern, die ihren erigierten Penis voller Stolz dem Publikum vorstellen und als Prügel bezeichnen. Sicher käme kein Ochse auf die Idee, mit anderen Ochsen (früher bezeichnung für Kampf/Stiere)
um seinen Prügel um die Wette zu geifern. Auf die Idee kommen Männer, die es nötig haben, sich damit zu ’ brüsten’ . In einigen Ländern ist es üblich, männliche Stiere generell zu kastrieren, da diese dann wesentlich friedlicher sind.
17.07.2016 um 21:39 Uhr Emil
Interessant!
Spontan stellte sich mir die Frage woher “Das ziemt sich nicht” kommt.
14.07.2016 um 18:07 Uhr Anne
...‘und seine verwandten’ : dazu fällt mir ein, dass der bullenpenis wilder oder halbwilder kampf/stiere (bullen) für den torero als trophäe dient. War der torero beim ungleichen kampf mit dem stier genial , gehörten ihm penis, hoden, ohren und der schwanz , welche demütigung. Auch vor diesen armen kreaturen machten männer in ihrem wahn nicht halt. In Island gibt es ein phallus-museum voller trophäen; angefangen hat alles mit einer peitsche aus getrocknetem stierpenis und die passenden stierhoden-lampen, echte handarbeit. Es gab oder gibt ein potenzmittel aus dem nashorn- oder tigerpenis. Früher angeblich auch ein ritual, nach dem kampfgetümmel den feinden den penis abzuschneiden. Mann sollte eigentlich nicht stolz darauf sein, wenn frau bedenkt, welche waffe/n männer einsetzen , um sich als helden feiern zu lassen. Und keine bange, der penis als waffe kommt nicht aus der mode; frauen begrabschen, sie sexuell nötigen, sie verbal belästigen etc. sind die vorboten und vorbereitung f. d. waffeneinsatz. Der ominöse phallus-kult als symbol der zeugungsKraft und manneskraft hat bis in die gegenwart hinein seinen festen
platz ; bisweilen schrieb mann ihm sogar den sitz der seele zu….es gibt das sprichwort: wenn ihm der verstand in die hose rutscht?
11.07.2016 um 22:13 Uhr Amy
Wow, liebe Luise - das sind ja interessante und wertvolle Hinweise! Vielen Dank! Es wundert mich nicht, wenn ich den Begriff piesacken in Erinnerung rufe, denn die Spur weist auf das alte Wort für Sehne : Pese; dieses findet sich in Ossenpesek für Ochsenziemer wieder. Niederdt. Peserek = Geschlechtsglied der männl. Tiere. Und wie die männl. Zweibeiner mit ihrem Peserek Frauen und Mädchen mit den schlimmste Folgen für sie piesacken können, ist bekannt. Auch der Begriff Prügel für Peserek oder Ochsenziemer wird von der holden Männlichkeit als Schlagwort eingesetzt, vor allem , um zu imponieren. So mancher potente öffentliche Herr ist schon über seinen Prügel gestolpert, siehe die Affäre A. Wiener oder der Dom aus Köln (ehem. Kölner Lokalpolitiker , der bei Twitter seinen Peserek unter dem Pseudonym Dom aus Köln dem Publikum vorführte und dabei über seine Sado/MasoVorlieben zwitscherte). Alles keine Einzelfälle. Aber interessant, dass der Ochsenziemer sogar als Futtermittel für Hunde dient - Endstation für all die hässlichen Männlichkeitsrituale?