Der Nepotismus und die Neffe
Zum 525. Todestag von Papst Sixtus IV. gab es am 12. August eine Zeitzeichen-Sendung, zu der ich aber erst gestern gekommen bin. Ich vernahm Erstaunliches: Papst Sixtus ließ nicht nur die nach ihm benannte Sixtinische Kapelle bauen; berühmt und berüchtigt ist er vor allem wegen seines hemmungslosen Nepotismus. Kaum war er 1471 zum Papst gewählt worden, eilten 25 Neffen (lat. nepotes) von ihm nach Rom, um von seiner neuen Macht zu profitieren. In den 13 Jahren seines Wirkens (1471-84) ernannte Sixtus sechs von ihnen zu Kardinälen. Insgesamt kreierte er 34 Kardinäle, nach rein machtpolitischen, nicht etwa seelsorgerischen Gesichtspunkten.
Beim Anhören seiner Untaten, die schon Macchiavelli inspirierten, ging mir erstmals auf, warum die Unsitte, die eigenen Verwandten auf hohe Ämter zu hieven, für die sie meist keinerlei Eignung mitbringen, Nepotismus genannt wird, von lat. nepos “Neffe”. Eigene Söhne sollten katholische Geistliche ja tunlichst nicht zeugen, an ihrer Stelle dienen hier die Neffen dem Machtausbau und -erhalt. Mit ihrer Hilfe hat Sixtus seine ganz eigene, eben nepotische, Dynastie errichtet.
Nepotismus ist offiziell so verpönt wie er inoffiziell floriert, genau wie die Ämterpatronage, die Vetternwirtschaft und die Amigo- oder Amiciwirtschaft. Wie stimmig, dass die Bezeichungen für Amtsmißbrauch sich alle von Bezeichnungen für Männer herleiten.
Ein nahezu undurchdringlicher Männerfilz, mit dem wir Frauen es da zu tun haben. Und wir wundern uns noch über die gläserne Decke (glass ceiling)? Die Sache hat System, und einer der Begründer des Systems war Papst Sixtus. Zum Dank für seine großartige Förderung ließ sein Neffe, Papst Julius II., die Sixtinische Kapelle von Michelangelo und anderen Künstlern so schön ausmalen, dass sie bis heute der Ort des Konklave, der Papstwahl ist. Habemus papam!
Wie der männliche Name und die päpstliche Herkunft schon erkennen lassen, sind Frauen vom Aufstieg durch Nepotismus ausgeschlossen. Die Ämter, die da zu vergeben waren, standen ihnen sowieso nicht zu. Aber es kommt noch besser. Heutzutage werden Frauen gern von Ämtern ausgeschlossen, zu denen wir uns prinzipiell schon den Zugang erkämpft haben, die uns prinzipiell schon irgendwie offen stünden - wenn nicht der Kampf gegen den Nepotismus Vorrang hätte: Viele Wissenschaftlerinnen sind mit Wissenschaftlern verheiratet. Sie ziehen automatisch mit um, wenn ihr Mann einen Karrieresprung tut, geben oft gute Stellen auf, die ihnen als Frauen widerwillig genug gewährt wurden. An des Gatten neuer Universität gibt es für sie oft keine entsprechenden Stellen - das wäre ja Nepotismus!
Kann sein, dass die neusten Entwicklungen frauenfreundlicher sind, ich lasse mich gern belehren. Bis in die jüngere Vergangenheit verliefen weibliche Karrieren jedoch öfter wie folgt: Ich zitiere aus meiner FemBiografie über die Nobelpreisträgerin Maria Goeppert-Mayer:
1930 promovierte Maria Goeppert bei Max Born über Doppel-Photonen-Prozesse, einen quantenphysikalischen Effekt, heiratete Joe Mayer und ging mit ihm nach Baltimore, wo er eine Professur an der Johns-Hopkins-Universität bekam. Für die gleich qualifizierte Maria Goeppert-Mayer gab es wegen der Nepotismus-Beschränkung keine Stelle.
Und über die Nobelpreisträgerin Gerty Cori:
Seit 1931 leitete Carl Cori das Pharmakologie-Department der Washington-Universität in St. Louis, und Gerty bekam dort eine Forschungsstelle mit einem nur symbolischen Gehalt, denn es war verboten, dass zwei Mitglieder einer Familie an derselben Uni arbeiteten. Die Coris wechselten bald zur Biochemie-Abteilung. Eine Professur bekam Gerty Cori dort jedoch erst 1947 – in dem Jahr, in dem sie auch den Nobelpreis bekam!
*** Als ich im Grimmschen Wörterbuch unter “Neffe” nachschaute, erfuhr ich zu meinem Erstaunen, es bedeute “Blattlaus”. Allerdings war das die Bedeutung des mir bis dahin unbekannten Femininums “die Neffe”. Das trifft es doch irgendwie genau, gell? Zwischen die Neffe und der Neffe ist eben ein himmelweiter Unterschied. Und Nichten? Die sind überhaupt ganz nichtig.
•••••••••••••• Zum Weiterlesen: Über Vetternwirtschaft im Gutachterwesen (dank an Anne Beck für den Link)
ZEIT-Artikel "Männer sind die Hüter der gläsernen Decke" vom 29..09 (dank an Joey Horsley und Brigitta Huhnke für den Link)
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3 Kommentare
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28.09.2009 um 10:03 Uhr Duerr
Danke Luise! Nepotismus gibt es grundsätzlich nur gegen Frauen. Klar! Als ich ins Alter der Berufswahl kam, fiel mir irgendwo ein Firmenschild XY & Sohn AG auf. Ich fragte am Mittagstisch, ob ich auch Schmiedin lernen könnte und dann hiesse unser Geschäft ZZ & Tochter, oder? Ich erntete Hohngelächter! “Das ist nichts für ein Mädchen,” tröstete mich mein Vater. Trotzdem: Bis heute habe ich nie gelesen: XY & Tochter AG! Nennt man das Filiusismus?
Aber offen gesagt: Der Nepotismus ist nun wirklich eine der allerkleinsten Schandtaten der Päpste! Alle anderen findet man im Strafgesetzbuch, und es gibt keins, kein einziges Verbrechen, das sie ausgelassen hätten. Da waren die Herren akurat! Aber das mindert den Jubel der “Gläubigen” ja auch im Zeitalter der Information nicht.
lg Duerr
27.09.2009 um 21:21 Uhr papierschiff
die kirchen vielleicht sogar alle (welt)religionen sind vom grund auf frauenfeindlich. zwar hat sich jede menge verbessert, man ist aber weit vom ziel entfernt.
...
papierschiff
27.09.2009 um 19:08 Uhr sabine
danke für das lesevergnügen - abgesehen vom anlass!
das wort “nichtig” erinnert mich an neujahrsbräuche in griechenland, über die ich vorhin folgendes las: “Gefeiert wird innerhalb der Familie(!). Zum Essen gibt es [......]einen Zopf, in dem eine Münze eingebacken ist. Um Mitternacht wird der Zopf in vier Stücke geteilt, die
das HAUS,
den VATER,
die KÜCHE und
die MÖBEL der FAMILIE symbolisieren.” (E. Höppner)
go figure….
herzlichen gruß, sabine