Der Mann als Sicherheitsrisiko, Teil 3
[Für die, die Teil 1 und 2 dieser Abhandlung nicht gelesen haben: Es geht - ausgelöst durch den Frauen- und Mädchenmord in Winnenden - um Antworten auf häufige Fragen und Vorwürfe in der Debatte um die epidemische Gewalt von Männern gegen Frauen, die immer brutaler wird. Wer oder was ist schuld? Was können wir tun? Das sind natürlich Fragen gewaltigen Ausmaßes; ihre Erörterung bedarf vieler DenkerInnen und könnte Bände füllen. Dennoch brauchen wir für Argumentationszwecke oft schnell eine kurze, überzeugende Antwort. Dafür sind diese Vorschläge gedacht. (Zum schnellen Auffinden: Die Kurzfassung der Antworten ist jeweils fettgedruckt.)]
4. “Es gibt doch so viele Männer, die jede Gewalt ablehnen. Die stoßt Ihr mit eurer ungerechten, pauschalen Anklage nur vor den Kopf. Das Problem der Männergewalt können Frauen nur mit Männern gemeinsam lösen. Versöhnen statt spalten!”
Ein Plädoyer für mehr Ausgewogenheit!
Talkshows lieben Ausgewogenheit: Wird die evangelische Kirche eingeladen, so auch die katholische, gerne auch ein Jude, neuerdings immer öfter auch ein Muslim. Wird die CDU eingeladen, so auch Vertreter der anderen Parteien. Frauen? Fehlanzeige. Dass Frauen meist fehlen, von Ausgewogenheit also keine Rede sein kann, fällt den Organisatoren und den meisten ZuschauerInnen in unserer ausgewogenen Herrenkultur oft nicht einmal auf.
Dieser Punkt ist entscheidend für die zwei Ansichten unseres Problems. Die einen sehen da etwas, was für die anderen so normal ist, dass es ihnen nicht auffällt. Werden sie darauf hingewiesen, sagen sie gern: “Nun sei doch nicht so verbissen!” Oder: “Versöhnen statt spalten!”
Nicht so üblich ist es, wegen der Ausgewogenheit zusammen mit Schwulen auch Neonazis zur Talkshow einzuladen. Dass Schwule nicht mit Neonazis über ihr Existenzrecht diskutieren wollen, können wir ihnen kaum verdenken. Die Aufforderung “Versöhnen statt spalten!” ist hier unangebracht. Mit einem Gegner, der meine Vernichtung propagiert, gibt es keine Versöhnung.
Wir sehen, “Ausgewogenheit” gilt nur unter der Annahme eines übergeordneten verbindenden Wertekonsenses. Die Vertreter der Kirchen und Parteien, so hoffen wir, treten nicht nur alle tapfer für die Menschenrechte ein, sondern bestellen sich nach der Talkshow auch keine Zwangsprostituierte ins Hotel…
Diejenigen, die in der Debatte um die Männergewalt gegen Frauen für mehr Ausgewogenheit plädieren, sehen beide Parteien unter demselben Wertekonsens. Für sie sind die Täter immer “die anderen”, irgendwelche wildgewordenen Elemente, die gemeinsam in Schach gehalten werden müssen. Diejenigen, die die Diskussion aufkündigen bzw. ablehnen, sehen keine gemeinsame Basis mehr, sie denken z.B. eher an die täglich 1,2 Millionen Bordellbesuche “stinknormaler” deutscher Männer. Für sie sind zudem alle Männer, ob sie es wollen oder nicht, Teil des verantwortlichen Tätersystems. Ähnlich wie der gesamte Adel in der französischen Revolution als Unterdrücker angeklagt war, obwohl er für seine adlige Geburt nichts konnte und die einzelne Adlige vielleicht sogar zeitlebens segensreich gewirkt hatte.
Für beide Positionen gibt es gute Gründe, und ich denke, wir brauchen auch beide, um voranzukommen. Ein Politiker wie Obama braucht die zornige und kompromisslose Basis, um in der Rassenpolitik voranzukommen und wichtige Forderungen mit ihrer Rückendeckung durchsetzen zu können. Wäre Obama aber von vornherein zornig und kompromisslos, “spaltend statt versöhnlich” aufgetreten, wäre er nicht Präsident geworden. Auch Hillary Clinton hat während des Wahlkampfs selten über Frauenrechte geredet, um für Männer wählbar zu bleiben. **********
Während der Nazizeit gab es nur im Ausland Konsens über die Naziverbrechen. In Nazideutschland wurden diejenigen, die die Verbrechen der Nazis als solche bezeichneten, geköpft.
Was nun die Männerherrschaft betrifft, so gibt es leider kein “Ausland”. Es gibt nur “inländische” Widerstandskämpferinnen, wenige - und noch viel weniger Widerstandskämpfer. Sie leben gefährlich. Daher ist die Forderung an Männer nach Widerstand gegen die Gewaltverbrechen ihrer Geschlechtsgenossen nicht einmal unter Frauen weit verbreitet.
Es stimmt - es gibt Männer, die jede Gewalt ablehnen. Dabei ist allerdings fraglich, ob sie einen “harmlosen Bordellbesuch” überhaupt als Gewalt einordnen. Und wenn sie angesichts der Klagen von Frauen beleidigt reagieren, haben sie noch nicht viel begriffen. Denn, wie die große Schweizer feministische Theoretikerin Iris von Roten schon 1958 (sinngemäß) feststellte: “Jeder Mann ist Mitglied des herrschenden Kollektivs - ob er will oder nicht.”
Mit anderen Worten: Es herrscht hier strukturelle Männergewalt, und sie wird von vielen Männern als Aufforderung gesehen, ihr Herrenrecht auszuüben, sei es zu Hause, im Bordell oder im Beruf.
Was ich von einem “gewaltfreien” Mann erwarte, ist aktives Engagement gegen Männergewalt, also Widerstand. Männer, die sich “nur” passiv verhalten oder gar auf Proteste der Frauen beleidigt reagieren, sind bestenfalls “Mitläufer”. Mit so einem würde ich zwar (ungern) auf einer Talkshow oder in meinem Blog reden, aber privat nur, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt.
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9 Kommentare
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21.04.2009 um 12:52 Uhr Anne
Ja @ Evelyn - ich werde mich daran beteiligen und eine protestmail an die obige sendung abschicken.
Zu `frauenvernachlässigendes` liegt mir vorab besonders am herzen, dass die meisten menschen wenig kenntnis haben über die vielen bedeutenden frauen a.d. politik, literatur, forschung, wissenschaft, widerstand, politik etc. Hier auf fembio werden bedeutende frauen a.d. vergangenheit u. gegenwart sichtbar gemacht. Zwecks aufklärung finde ich es wichtig, daß dieses projekt in den medien mehr beachtung finden sollte - z.b. im fernsehen. Es gibt viele sendungen, z.b. mona lisa - ein magazin, das ja insb. die rechte der frauen im `auge` hatte. Wie ML selbst wirbt mit einem anliegen `wir möchten , dass frauen nicht mehr als minderheit betrachtet werden . Meiner meinung nach gehört gerade auch dazu, die öffentlichkeit deutlich über die leistungen bedeutender frauen zu informieren.
Jedenfalls denke ich daran, an ML eine e-mail zu senden , um auf dieses einmalige projekt fembio aufmerksam zu machen.
Kochsendungen im fs, meistens haben hier natürlich köche die oberhoheit, gibt es en masse - wichtiger wäre themen über `frauenarbeit/frauenporträts/frauenwissen/feminismus` in den medien publik zu machen.
Das nur jetzt in der eile ....
21.04.2009 um 05:14 Uhr Evelyn
Danke, dass meine Idee des Protestmarsches durch moderne Mittel so gut ankommt. Ich möchte uns allen noch einen Vorschlag machen zum praktischen Vorgehen: Ich nehme an, Luise Pusch hat nichts dagegen, wenn pro Woche ein Hinweis eingeht in den Kommentaren, wo es dringend geboten wäre, zu protestieren. So könnten gleich 100 von uns loslegen und sofort eine Protest-Mail oder einen Brief hinschicken. Das wäre dann eine wirksame konzertierte Aktion.
Mein Tipp für diese Woche: Bei Anne Will protestieren, dass immer wieder reine Männerrunden als Gäste eingeladen werden. An diesem letzten Sonntag hatten wir das schon wieder. (Anne Will googlen; auf der Seite zur aktuellen Sendung ist ein Hinweis “Anregungen / Kritik”, anklicken und schon kommt die Maske zum Reinschreiben). Gemeinsam können wir etwas erreichen. Einzelne e-Mails werden nichts bewirken als ein Lächeln der Angeschriebenen!
Evelyn
20.04.2009 um 14:46 Uhr Katja
Liebe Luise Pusch,
Ich bin Jahrgang 1976 und im Gegensatz zu Ihnen fällt es mir schwer, mich für die Nazizeit zu schämen. Für aktuellen Rassismus, Sexismus, für aktuelle Dummheit und Ignoranz - ja, dafür schon. Aber ich glaube, es geht mir wie vielen Männern, die von Ihnen als Mitläufer bezeichnet werden: Die völlige Abwesenheit eigener Erfahrung kann oft nicht allein intellektuell ausgeglichen werden.
Soll heißen: Männer, die mit Männergewalt im persönlichen Umfeld nur oder fast nur als Gewalt unter Männern konfrontiert wurden, werden zwar immer sagen, dass sie gegen Gewalt gegen Frauen sind, aber ihnen wird häufig der Impuls fehlen, aktiv zu werden jenseits eigenen Handelns.
Ich persönlich bin schon für jeden Mann dankbar, der selber gewaltlos lebt, dankbarer als für den, der nach außen unser Verbündeter ist und zuhause die Sau raus lässt.
Und ich glaube an die Macht der persönlichen Erkenntnis: Also, liebe Frauen, sprecht mit den Männern aus Eurem Umfeld über männliche Übergriffe, Grabschereien und verbale Belästigung, über Gewalt und Ängste, über Ohnmacht und mangelnde Hilfe durch die Umwelt. Es ist leichter einen Freund, Schwager oder Bruder zu überzeugen als einen Diskussionspartner im Internet.
Und bei manchen hilft nur das eigene Erleben, wie ich an einem guten Freund sehen konnte: Nachdem er im Urlaub aus Versehen in einer Schwulenkneipe landete und dort von einem deutlich größeren, schwereren, augenscheinlich kräftigem und alkoholisiertem Kerl angebaggert wurde, war er in der Lage zu verstehen, was ich meinte, wenn ich darauf hingewiesen hatte, dass man als Frau einer sexuellen Belästigung oft ausweichen würde, um einer Eskalation zu entgehen, statt laut zu werden. Er jedenfalls lächelte besagten Schrank freundlich an, entzog sich dessen Umarmung unter einem Vorwand und flüchtete - und ist seitdem ein guter Verbündeter gegen Männer, die von Frauen immer fordern, doch “einfach mal den Mund aufzumachen”.
Danke für Ihre Glossen!!
20.04.2009 um 10:33 Uhr undine
Werte Frau Pusch,
Ihre Glosse hat diesmal ans innerste Eingemachte gerührt, meinen Respekt für Ihren Mut. Allein schon für den Mut, sich damit auseinanderzusetzen, und dann für den Mut, dass hier zu veröffentlichen.
In Zeiten wie diesen tröste ich mich mit Ihrem genialen Text über das ‘fraulenzen’. Wahrlich, es ist kein großer Phallust! Treten wir also aus der Küche aus, und denken immer daran, auch Männer sind Menschen. Sie können sich ihre Brötchen selber schmieren - die meisten allerdings nur, wenn sie’s auch müssen. Weiß der Fuchs, woher dieses Menschenrecht auf von anderen fertig geschmierte Brötchen herstammt, dass so vielen Männern eigen ist, so eigen, dass frau es schon fast für angeboren halten könnte.
Die Idee von @Evelyn ist gut: zu sagen wo der Schuh drückt. Sonst sagen die Herrschaften am Ende noch zu Recht: wir wussten ja gar nichts von eurem Elend. Lassen wir sie unser Elend wissen, und dann nichts wie los, zum fraulenzen!
20.04.2009 um 10:06 Uhr Klaus
Ich finde es traurig, dass meine Geschlechtsgenossen ständig versuchen, etwas zu rechtfertigen. Jedem und jeder steht es zu, dumm zu sein. Spätestens wenn die Dummheit erkannt wird, ist sie abzustellen.
Gewalt gegen Frauen gab es und gibt es. Frauen für die Nazigrauslichkeiten mitverantwortlich machen zu wollen, halte ich für Schwachsinn. Wie kann frau auch nur ansatzweise mitverantwortlich gemacht werden, die sanktionsfrei in der Ehe vergewaltigt und geschlagen werden durfte? Miteinander geht nur bei gleichen Rechten!
Bzgl. Bordellbesuche: Freilich erkennen wir einen “harmloser Bordellbesuch” als Gewalt. Auch wir Männer, würden nicht jeder Frau, jeden Mann antun.
Zu lfp (die ich zu meinen LieblingsautorInnen zähle) und den hier schreibenden Frauen (deren Argumente ich hervorragend finde): Weiter so! Ich stimme euch zu voll zu! Und macht euch nichts aus den Maskulisten-Heulern, die auf ihrer schmelzenden Eisscholle, dahin jammern. Ihr habt es eh schon richtig erkannt, dass die eigentlich nur Recht kriegen wollen und Argumenten gegenüber, nicht aufgeschlossen sind :)
20.04.2009 um 08:56 Uhr Anne
Liebe @ Evelyn - deine idee ist ausgezeichnet - ich habe schon häufig protestmails verschickt, zuletzt an die `bild-redaktion, abteilung werbung`- hier dürfen anlässlich einer werbeaktion `bild der deine meinung` insb. sog. prominente (ich glaube alles männer) mit sprüchen ihre `weisheiten` von sich geben.
Besonders `aufgestossen` ist mir der spruch des porno-rüpel-rappers sido, der jetzt wochenlang bild dankt mit `Danke für die Titten`.
Auf jeden fall werde ich weiter nerven ..... ich hoffe, daß sich immer mehr frauen diesem protestmarsch anschliessen - ich wünsche mir, es würde wieder die berühmte `tomate` in den einsatz kommen, denn es gibt genügend gründe ...!
19.04.2009 um 23:06 Uhr Anne
Danke,liebe Luise, für den teil 3:
Aktives engagement der männer bezüglich männergewalt gegen frauen wird die meisten angesprochenen wohl eher überfordern?
Männergewalt findet ja nicht nur ausgiebig in der realität statt, sondern sie treibt reichlich blüten in der medienwelt, der musik-film-szene, pornographie, gewalt-computer-spiele, sprache etc.
Auch hier wird überwiegend gewalt ausgeübt,
meistens gegen frauen ... Ich glaube nicht daran, daß hier männer generell ein bewusstsein entwickeln würden. Sie scheinen mir eher vor lauter reizüberflutung desensibilisiert zu sein, was gewalt allgemein und gewalt gegen frauen betrifft.
Erschreckend ist die tatsache, daß 12jährige jungs sich im computer harte pornos herunterladen und ein frauenverachtendes vokabular im sprachgebrauch zum alltag gehört.
Gewaltdarstellungen, u.a. gegen frauen in der virtuellen welt sind in unserer kultur schon fast zur zweiten natur geworden - der weibliche körper inzwischen zum sexuellen konsumprodukt mutiert.
Die meisten männer werden wohl auch in der prostitution keinen gewaltakt gegen frauen erkennen. Daß hier gegen die menschenwürde verstossen wird, daß es hier um macht, ausbeutung, sexuelle ausbeutung, profitgier geht wie i.d. porno-branche, frauenhandel, im sex-tourismus das bedarf eines riesigen umdenkens - eher geht in dieser spassgesellschaft ein kamel durch`s nadelöhr :-(
llg v. Anne
19.04.2009 um 22:56 Uhr Evelyn
Liebe Leserinnen dieser Glossen!
Angesichts der mangelnden Ausgewogenheit, von der Luise Pusch spricht, möchte ich einen Vorschlag euch gegenüber machen, der relativ einfach umzusetzen ist: Einen P r o t e s t m a r s c h durch moderne Mittel! Auch Obama hat per Internet die Wahlen gewonnen. Mit massenhaften Protest-e-Mails lässt sich sicher etwas erreichen, was ich alleine wohl nicht schaffen werde, obwohl ich vielleicht schon 100 solcher Mails verfasst habe.
Immer wenn ihr etwas Frauenfeindliches, aber auch Frauenvernachlässigendes wie die Talk-Shows unserer Talk-Ladys im Fernsehen, seht, eine kleine, aber scharfe e-Mail zu schreiben!
Themen werden aber auch nie frauenspezifisch behandelt, auch dagegen protestiere ich; Politiker sagen etwas Dummes, auch dagegen protestiere ich; Politikerinnen versuchen frauenspezifische Ansätze zu vermeiden (sie könnten sich ja unbeliebt machen), auch dagegen protestiere ich .... stellt euch einmal vor, wir würden das alle gemeinsam machen?
Nur Mut: Es kann nur positiv für uns ausgehen!
Evelyn