Der Mann als Sicherheitsrisiko, Teil 2
Für die, die den ersten Teil dieser Abhandlung nicht gelesen haben: Es geht - ausgelöst durch den Frauen- und Mädchenmord in Winnenden - um Antworten auf häufige Fragen und Vorwürfe in der Debatte um die epidemische Gewalt von Männern gegen Frauen, die immer brutaler wird. Wer oder was ist schuld? Was können wir tun?
Das sind natürlich Fragen gewaltigen Ausmaßes; ihre Erörterung bedarf vieler DenkerInnen und könnte Bände füllen. Dennoch brauchen wir für Argumentationszwecke oft schnell eine kurze, überzeugende Antwort. Dafür sind diese Vorschläge gedacht. (Zum schnellen Auffinden: Die Kurzfassung der Antworten ist jeweils fettgedruckt.)
3. “Wer erzieht denn die kleinen Sprößlinge, na? Wer verstümmelt denn den kleinen Mädchen die Genitalien? Frauen!”
Diese Fragen suggerieren, dass Frauen a) den Weiblichkeits- und den Männlichkeitswahn wenn nicht gar selbst produzieren, so doch alleinverantwortlich an die nächste Generation vermitteln. b) selbst schuld sind an der Genitalverstümmelung von Frauen (und ähnlichen Gräueltaten, wie den Mitgiftmorden und der Witwenverbrennung in Indien, der selektiven Abtreibung weiblicher Föten in China und Indien, (früher) dem Füßeeinbinden in China).
Einen Hinweis auf die Antwort finden wir in dem FAQ-File zur Pornographiedebatte: Einer der Vorwürfe lautete “Wenn die Pornodarstellerinnen nicht mitmachen würden, gäbe es das ganze Problem nicht.” Die Antwort darauf: “Es stimmt, manche Frauen verdienen ein wenig in der Pornoindustrie. Aber wir wollen doch nicht vergessen, dass der Profit in der Pornoindustrie überwiegend an die Produzenten und die Verteiler geht. Wenn wir unseren Ärger auf die Darstellerinnen lenken, ist das so, wie wenn wir die MindestlohnempfängerInnen bei McDonald für die Schäden verantwortlich machen, die die Fast-Food-Industrie verursacht.”
Hier half also die alte Frage “Cui bono?” (Wem nützt es? Wer profitiert davon?), um die eigentlich Schuldigen, die Drahtzieher hinter den Kulissen, zu identifizieren.
Nützt der Weiblichkeitswahn, wonach die Frau passiv ist und der Mann aktiv, die Frau für den “Innendienst”, die Pflege des Haushalts, des Mannes und der Kinder zuständig ist und der Mann für den “Außendienst”, den Broterwerb und den Schutz seiner Angehörigen bis hin zur Verteidigung mit der Waffe oder im Krieg - nützt diese Lehre den Frauen?
Wohl kaum, denn seit die Frauen überhaupt die Wahl haben, stimmen sie massenhaft dagegen: Sie wählen die Berufstätigkeit und lassen sich scheiden in einem bis vor kurzem ungekannten Ausmaß (zwei Drittel der Scheidungen werden von Frauen eingereicht), und sie bekommen umso weniger Kinder, je besser sie ausgebildet sind. Die Männer hingegen bleiben dem Männlichkeitswahn weitgehend verhaftet: Sie reißen sich keineswegs um Hausarbeit und Kindererziehung, und die Jungmänner markieren weiterhin den starken Mann und versuchen, ihre Probleme durch Gewalt zu lösen.
Die Geschlechterhierarchie und die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, kurz Weiblichkeits- und Männlichkeitswahn, nützen eher den Männern, und dementsprechend ist eher der Mann dafür verantwortlich.
Zugleich bin ich mit Margaret Mead (Sex and temperament in three primitive societies, 1935) und Simone de Beauvoir (Le deuxième sexe, 1949) davon überzeugt, dass wir nicht als Frauen und Männer geboren, sondern dazu gemacht werden. Nur: Wer oder was macht uns dazu?
Meads Antwort: Die Kultur, in der wir aufwachsen. Wir übernehmen ihre Regeln genau so “bewußtlos” wie die Sprache unserer Umgebung - und werden diese Prägung nicht mehr los. Frauen und Männer versuchen das zu werden, was ihre Kultur, die Gesellschaft, in der sie aufwachsen, von ihnen erwartet.
Was Mead über den Einfluss des Geschlechts auf das menschliche Verhalten herausfand, sagt sie am besten selbst:
Wir haben ... die jeweils typischen Männer und Frauen bei drei primitiven Völkern untersucht. Wir haben festgestellt, dass bei den Arapesh Männer und Frauen eine Persönlichkeit entwickeln, die wir ... unter dem Elternaspekt mütterlich und unter dem Aspekt der Sexualität weiblich nennen würden. Männer und Frauen werden dazu erzogen, hilfreich, friedfertig und verständnisvoll gegenüber den Bedürfnissen anderer Menschen zu sein. Die Sexualität ist weder für Männer noch für Frauen eine treibende Kraft. In deutlichem Gegensatz hierzu haben wir bei den Mundugumor den Typus rücksichtsloser, aggressiver, stark sexueller Männer und Frauen vorgefunden, bei dem mütterliche Neigungen kaum vorhanden sind. Männer wie Frauen näherten sich einem Persönlichkeitstyp, der in unserer Kultur nur von undisziplinierten, äusserst gewalttätigen Männern verkörpert wird. (...) Bei den Tchambuli fanden wir die Haltung der Geschlechter in unserer eigenen Kultur geradezu auf den Kopf gestellt, da die Frau der herrschende, sachliche und lenkende, der Mann der weniger verantwortliche und gefühlsmässig abhängige Teil ist. (...) (Es besteht also) überhaupt kein Grund mehr, derartige Verhaltensweisen für geschlechtsbedingt zu halten. (...) Die Formung so gegensätzlicher Typen ist nur durch die Wirkung einer Fleisch und Blut gewordenen Kultur zu erklären... Mead schließt ihr Fazit mit dem berühmten, immer wieder zitierten Satz: "Wir werden zu der Folgerung gezwungen, dass die menschliche Natur ausserordentlich formbar ist..." (Mead, "Leben in der Südsee" 1965: 533f)
Die Kultur wird von vielen Kräften geformt, weiblichen wie männlichen. Aber es ist klar, dass diejenigen, die in einer Kultur das Sagen haben, die Kultur maßgeblich formen und für sie in erster Linie verantwortlich sind. In unserer Kultur sind das die Politik, die Kirchen, die Wirtschaft, die Justiz, das Militär, die Wissenschaft, nicht zuletzt das Kapital. Vielleicht habe ich die eine oder andere Institution vergessen, das macht nichts. Auffällig ist vor allem eins: In all diesen Machteliten unserer Kultur kommen Frauen fast gar nicht vor.
 Obwohl Frauen also in unserer Männerkultur nur wenig Einfluss haben, versuchen doch viele, ihre Kinder demokratisch und partnerschaftlich zu erziehen und müssen ohnmächtig erleben, wie sie trotzdem zu kleinen Machos oder Modepuppen werden, um den Erwartungen unserer Kultur zu entsprechen. Oder, wie Undine im FemBio-Blog es so anschaulich schildert:
Die Mütter erziehen also die Kleinen? Kann ich nicht bestätigen. Die Väter, auch wenn sie sich beim Windelwechseln selten blicken lassen, tun doch ziemlich viel für ihre und anderer Leute Kinder: dümmliche Kinderfilme produzieren zum Beispiel, dümmliches Kinderspielzeug, dümmliche ‘Erwachsenen’-Filme, ständiges Wiederkäuen von einfach lächerlichen Klischees, bis die lieben kleinen es schließlich glauben und für gegeben hinnehmen ... Es gibt kaum ein Entkommen, Fernsehen abschaffen ist da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Bitte, nicht die erzieht das Kind, die ihm das Essen mit Messer und Gabel beibringt. Der erzieht das Kind, der die Umwelt formt, in der dieses Kind dann groß wird. Mütter können da im besten Falle Schadensbegrenzung erreichen - dass das liebe Kleine nämlich trotz der geballten Ladung Gewalt und Kriminalität, die es täglich bereits schon auf dem Spielplatz serviert bekommt, eben kein durchgeknallter Erwachsener wird. Dass soviele Mütter bei dieser Schadensbegrenzung scheitern, sollte ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden...
Ich fasse zusammen: Frauen und Männer werden zu dem, was ihre Kultur von ihnen erwartet. Die Kultur bestimmen und formen weitgehend diejenigen, die die Macht haben. Bei uns sind das zu 95 Prozent Männer. Mütter können höchstens versuchen gegenzusteuern.
Kommen wir nun zum zweiten Teil der Eingangsfrage: “Wer verstümmelt denn den kleinen Mädchen die Genitalien? Frauen!”
Obwohl die Antwort sich aus dem eben Gesagten herleiten lässt, möchte ich doch gesondert auf diese entsetzliche, oft lebenslange Folter eingehen, der Millionen von Frauen in Afrika unterworfen sind.
Zu den unaussprechlichen Gräueln im Krieg im Kongo gehören die Vergewaltigungen, zu denen Soldaten männliche Verwandte von Frauen mit Waffengewalt zwingen. Weigert sich der Bruder, wird er erschossen. Manche lassen sich erschießen, manche folgen dem sadistischen Befehl und vergewaltigen ihre Schwester, Tochter oder Mutter - und werden danach zusammen mit ihrem Opfer ermordet.
Solche “Alibi-Folterer” (Mary Daly) würde wohl niemand schuldig sprechen. Schuld sind vielmehr diejenigen, die die Verbrechen mit vorgehaltener Waffe erzwungen haben.
Zur Genitalverstümmelung stellt Mary Daly in Gyn/Ökologie* fest: “Der Gedanke, daß solche Prozeduren oder auch nur Teile davon von Frauen erdacht sein könnten, ist nur denkbar in der Vorstellungswelt der Phallokratie, denn in Wirklichkeit ist es undenkbar.” (S. 186).
Diese Einschätzung leuchtet sofort ein, wenn wir folgendes erfahren:
Ein Teil der Prozedur besteht darin, dass eine der Frauen, die die Infibulation durchführen, den Bräutigam vor der Heirat besucht. Zweck dieses Besuches ist es, die genauen Maße seines ‘Gliedes’ zu bekommen. Danach geschieht folgendes: ‘Nach den Maßen macht sie eine Art Phallus aus Ton oder Holz, und mit dessen Hilfe schneidet sie die Narbe bis zu einer gewissen Länge auf und lässt das in einen Lumpen gewickelte Instrument in der Wunde, um zu verhindern, dass die Ränder wieder zusammenwachsen." (Daly S. 186; sie zitiert Montagu). Daly kommentiert: “So bekommt der Herr seine Braut maßgeschneidert, damit sie zu seinem ‘Glied’ paßt. … Das ganze Ritual ist auf den Mann bezogen. Die Männer sind es, die diese weibliche Kastration verlangen, und in ihrer Gesellschaft ist für eine Frau Voraussetzung zum Überleben, dass sie eheliches Besitztum ist. Die scheinbar aktive Rolle der Frauen, die selbst verstümmelt sind, ist in Wirklichkeit rein passiv und instrumental. … Diese weiblichen Alibi-Folterknechte werden von den Männern benutzt, um die (männliche) treibende Kraft hinter der Genitalverstümmelung zu verschleiern.
Dass den Männern die Verschleierung gelingt, sehen wir an der Frage, die zum Ausgangspunkt dieser Überlegungen wurde: “Wer verstümmelt denn den kleinen Mädchen die Genitalien? Frauen!”
Und nicht nur das “Dem-Opfer-die-Schuld-geben” (Blaming the victim) gelingt den Männern. Sie erzeugen gemäß dem Prinzip “Teile und herrsche” mit dieser Qual, deren wahre Verursacher den Mädchen verborgen bleiben, auch einen elementaren Hass der Mädchen auf Frauen, also letztlich auf sich selbst: “Diese Verwendung von Frauen schwächt die Schwesterlichkeit, nachdem sie bereits die Macht des Selbst blockiert hat.” (Daly 186-7)
********** Ich schreibe dies am Karfreitag 2009. Der Leidensweg Christi wird beweint und besungen auf allen Kanälen. Eine urige Arie aus der Matthäuspassion will mir nicht aus dem Sinn:
Buß und Reu, Buß und Reu Knirscht das Sünderherz entzwei.
Von Sünderinnen ist da keine Rede. Immerhin wird dem Sünder ein Herz attestiert. Aber von Buße, Reue und Zerknirschung über uns zugefügte Leiden hören wir Frauen fast nie etwas.
Diese enttäuschende Bilanz führt uns direkt zum dritten Teil. Darin geht es nächste Woche um folgenden Vorwurf:
4. Es gibt doch so viele Männer, die jede Gewalt ablehnen. Die stoßt Ihr mit eurer ungerechten, pauschalen Anklage nur vor den Kopf. Das Problem der Männergewalt können Frauen nur mit Männern gemeinsam lösen. Versöhnen statt spalten!
•••••••••••••••••• *Daly, Mary. 1981 [1978]. Gyn/ökologie: Eine Meta-Ethik des radikalen Feminismus [= Gyn/ecology: The Meta-Ethics of Radical Feminism]. Aus dem am. Englisch von Erika Wisselinck. München. Frauenoffensive.
Mead, Margaret. 1965. Leben in der Südsee: Jugend u. Sexualität in primitiven Gesellschaften [=From the South Seas]. Aus d. am. Englisch v. Gitta Carnegie. Enthält die dt. Übers. folgender Werke: Coming of age in Samoa (1928); Growing up in New Guinea (1930); Sex and temperament in three primitive societies (1935). München. Szczesny.
Montagu, M.F. Ashley. 1945. “Infibulation and Defibulation in the Old and New Worlds”, in American Anthropologist, n.S. 47, 1945, S. 465F. Zitiert nach Daly S. 186.
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16 Kommentare
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12.04.2009 um 12:32 Uhr Ricky D.
1.)@Rosalin
“Sie wissen sicher auch, daß sie mit Mary Daly eine Frau zitieren, die es für eine gute Idee hält, den Anteil der Männer an der Weltbevölkerung auf 10 % zu reduzieren?”
Dem kann ich nur zustimmen ! Die Emanzipationsbewegung in den 70zigern hatte eine Chance, weil es (Kriegsbedingt ) weniger Männer in Deutschland gab!
2)Verhaltensweisen von heterogenen Frauen.
Ich glaube,
dass es zwei Gruppierungen in der feministischen Szene gibt.
Die eine Gruppe stellt sich dem Patriarchat entgegen _deckt auf, klärt auf_
und prangert die Missstände an.
Die andere Gruppe nützt die feministische Szene dazu, Wege zu finden _das
sie MIT Männern besser zurecht kommen, um einerseits sich frei bewegen zu
können, anderseits den Mann nicht ausschliessen zu müssen bzw. sich nicht
konsequent abwenden zu müssen.
Und genau das ist der Spagat zwischen den Frauen _und somit auch der politische Kampf
untereinander (unter den Frauen!).
3.) Feminismus ist für mich eine (Dach-)Wissenschaft (vgl.Anthropologie) mit vielen Untergruppierungen wissenschaftlicher Disziplinen.
Leider wird dies weder erkannt, noch anerkannt.
Niemand würde einer Sprachwissenschaftlerin zumuten mit einem Analphabeten über Groß- und Kleinschreibung zu debattieren *?!*
bei dem Begriff Feminismus glaubt jedeR per Geschlecht und Hausverstand mitreden zu können, ohne (wenigstens)über ein Grundlagen wissen zu verfügen.
4.)die (phobische) Angst der Spaltung zwischen den Geschlechtern geht von Männern aus. Sie wissen, dass sie ohne Frau an ihrer Seite nicht existieren könnten.
Das wurde bereits von August Bebel 1857 “Frau und Sozialismus ” (unwissenschaftlich) dafür um so umfänglicher beschrieben.
Ähnlich wie in der ehemaligen DDR, hält heute auch bei uns die sog. “Gleichstellung” Einzug.
Frauen sollen mit den Männern in allen Bereichen mitziehen. Die Definition von Gleichstellung liegt aber bei männlichen Machthaber (auch die ökonomische Gewalt gegen Frauen)s.h. DDR.
wie @anne richtig erwähnt, hatte Dr.Anita Heiliger bereits 2004 auf die Gewalt in Schulen hingewiesen. Als Sozialwissenschaftlerin am Deutschen Jugendinstitut München, vertrat sie bereits damals die These, dass es (innerhalb von zwei Jahren) möglich wäre, gewaltbereite Buben umzuerziehen.
Und wer hats verhindert ? wer hat die vielen Toten zu verantworten ?
Abschließend sei gesagt:
ob Frauen die besseren Menschen sind muss nicht Diskutiert werden, denn es fehlt die Möglichkeit es nicht zu sein. Die Geschichte hat aber bewiesen, dass Männer es nicht sind - und IHNEN müssen wir die Möglichkeiten nehmen.
Selbst wenn der Mann total entrechtet wäre, würde er nie das Leid der Frauen ertragen müssen!
Frauen wie ich würden keinen “gekreuzigten Mann” zweitausend Jahre lang anbeten- ich würde nach den Tätern fragen *?!*
Euch allen befruchtende Ostertag ... und hoffen wir das Mutter Natur sich bald ganz für die Pathonogenesse entscheidet;-))
@lfp ..danke !!! normalerweise müssten wir zur Uni marschieren um dies alles lernen zu dürfen!!!
12.04.2009 um 08:36 Uhr lfp
@Roslin:
Ihre Bemerkung über Margaret Meads “Wunschdenken” bezieht sich wahrscheinlich auf die Attacken von Derek Freeman aus den 80er Jahren, die höchst umstritten waren und inzwischen selbst nur noch von historischem Interesse sind.
Vielleicht können Sie den Fundort der angeblichen Äußerung von Mary Daly zitieren? Ich glaube nicht, dass sie das gesagt hat, weiß aber, dass sie routinemäßig diffamiert und ihre Aussagen häufig verzerrt und falsch zitiert werden.
Ich weiß, dass das Pendel in der Geschlechterdebatte derzeit wieder ins Biologistische ausschlägt - ob wir aber deshalb so weit gehen müssen wie Sie, möchte ich doch bezweifeln.
12.04.2009 um 02:21 Uhr Roslin
@Luise Pusch
Sie wissen sicherlich, daß Margaret Mead sich in zahlreichen ihrer Beobachtungen von ihrem Wunschdenken leiten ließ und heute in der Anthropologie nur noch historische Anerkennung erfährt?
Sie wissen sicher auch, daß sie mit Mary Daly eine Frau zitieren, die es für eine gute Idee hält, den Anteil der Männer an der Weltbevölkerung auf 10 % zu reduzieren?
Außerdem erscheinen Frauen in ihrer Vorstellungswelt auf der einen Seite als fürchterlich schwach, beeinflußbar, dem Patriarchat fast widerstandslos sich ausliefernd, ihm sogar bereitwillig dienend.
Auf der anderen Seite sind diese nämlichen Frauen stark, selbstbewußt, immerhin in der Lage, dem Patriarchat, dem fürchterlich auf ihnen lastenden, in den letzten 100 Jahren die Emanzipation abzutrotzen, so unvollkommen sie sich in Ihren Augen ausnehmen mag.
Ja, wie denn das?
Wenn Frauen dazu in der Lage waren, dann formen sie vielleicht in sehr viel stärkerem Maße Gesellschaft und Männer, als Sie das sehen wollen.
Männer formen durch ihr Begehren Frauen, wollen fürsorgliche, schöne, jugendliche Frauen.
Darum wollen viele Frauen genau so sein.
Weil heterosexuelle Frauen Männern gefallen wollen.
Heterosexuelle Frauen begehren “potente”, auch symbolisch potente, möglichst statushohe Männer.
Darum wollen Männer oft genau so sein.
Weil heterosexuelle Männer Frauen gefallen wollen.
Weil Frauen Sieger lieben, erziehen sie auch ihre Söhne in genau diesem Sinne, zu “starken”, kompetetiven, aggressiven Männern, deren Hormonausstattung diese Aggressivität befördert.
Wir werden also immer mit Männern leben müssen, die, wenn sie in entgleisen, gewalttätig sind, häufiger als Frauen.
Sozialisation kann dies vielleicht seltener geschehen lassen, völlig verhindern kann sie es nicht.
Vielleicht können lesbische Frauen das Begehren heterosexueller Frauen nicht nachempfinden, diese Sehnsucht nach dem “starken” Mann.
Männer werden sich erst dann grundlegend ändern können, wenn Frauen in großer Mehrheit andere Männer begehrenswert finden können, so wie Frauen erst dann aufhören können, nach Jugendlichkeit und Schönheit zu streben, wenn Männer Status und Klugheit bei Frauen ähnlich hoch schätzen wie Frauen das bei Männern tun.
Ich fürchte nur, genau das wird bei Heterosexuellen nie der Fall sein, weil der Mensch als Mann und Frau nicht so frei ist, zu wollen, was er will, wie er gerne glauben möchte.
Er ist immer auch ein Säugetier mit Instinkten, die nur sehr begrenzt überformbar/veränderbar sind.
11.04.2009 um 23:38 Uhr Lies*chen
Ich denke, die Argumentation von “Papierschiff” ist nicht untypisch. Ich glaube, viele Männer (und leider auch Frauen) haben reale Probleme mit feministischen Ansichten, also damit, die Welt so zu erkennen, wie sie ist. Daran hindert sie nicht nur das subjektive Unschuldsgefühl, sondern auch die Tradition und das von den Medien tagtäglich übermittelte Weltbild. “Quer zu denken”, kritisch zu denken ist überhaupt eine Leistung, die wir leider nicht von allen erwarten können.
Welche Art Zugang es zu Männern UND Frauen gibt, die nicht feministisch zu denken vermögen, weiß ich leider nicht. So scheinen z.B. die Mehrzahl der in der DDR sozialisierten Frauen nicht feministisch zu denken. Traurige Erfahrung mit vielen Freundinnen! Gute, kluge, sozialkritische Frauen- aber sobald ich versucht habe, systematisiertes Unrecht gegen Frauen zu thematisieren, bin ich kläglich gescheitert- außer vielleicht, wenn es um die “3. Welt” ging.
11.04.2009 um 23:33 Uhr Anne
Einfach nur Danke, liebe Luise, für all Deine wunderbaren Arbeiten, überzeugenden Analysen und deutlichen Worte - auch für den Hinweis auf die Antwort zur `Pornographiedebatte`.
Ja, der Leidensweg Christi wird beweint und besungen, gebetsmühlenartig mit gefalteten Händen bei Weihrauch, Glockengeläut und Heuchelei - anstatt den Leidensweg bzw. Kreuzweg Mio versklavter Frauen aktiv anzugehen und Männergewalt gegen Frauen in jeglicher Form zu ächten…
Ich verabscheue Heuchelei, Verschleiern, Verleugnen und Passivität.
Hinsehen und Handeln, Gewalt gegen Frauen verhindern (Stop Violence Against Women) war 2oo4 eine Kampagne u.a. in enger Zusammenarbeit und Solidarität mit verschiedenen Frauenverbänden, die sich vier Aufgabenbereiche zum Ziel gesetzt hat (nachzulesen im Schwarzbuch zur Lage der Frauen).
Die amerik. Juristin C. McKinnon weist nach, daß Pornographie auch die perfekte Vorbereitung für die sexuellen Verbrechen war, die in Ex-Jugoslawien während des Krieges verübt worden. Der Konsum von Pornographie begleitete, nach den Berichten der Opfer, die Greueltaten ihrer Vergewaltiger und Folterer (1993). Pornographie dient dazu, Frauen in den Augen ihrer Benutzer zu entmenschlichen. Pornographie sorgt für die Koppelung von sexueller Lust und Unterwerfung von Frauen. Der Erfahrung oder der Androhung direkter sexueller Gewalt sind alle Mädchen und Frauen in der patriarchalen Gesellschaft ausgesetzt.(Auszug a. Sexuelle Gewalt v. Anita Heiliger)
11.04.2009 um 22:15 Uhr Papierschiff
ein ganz schön langer artikel, da ich leider nur wenig zeit habe (nicht jeder mensch ist über ostern von der arbeit befreit) werde ich mich nur kurz dazu äußern.
wer dem feminismus mit den oben genannten fragen versucht zu kontern hat leider wirklich nicht viel vom problem verstanden und führt wiedermal eher zu mehr unverständniss.
allerdings haben diese fragen -meines achtens- einen wahren kern in sich.
hinsichtlich der verstümmelung von frauen kann ich nicht viel sagen, davon hab ich einfach zu wenig ahnung um mir ein bild zu machen.
zu der erziehung aber.. natürlich ist die gesellschaft in vielen bereichen von den männern geformt / geprägt. jedoch finde ich es falsch zu sagen, dass mütter nur zur schadensbegrenzung fähig sind. klar, es wird so manchen erzieher_innen / elternteilen nicht leicht gemacht das kind entgegen den üblichen klischees / frauen/männerrollen zu erziehen. jedoch muss man auch sehen, dass es sehr viele menschen gibt, die nichtmal versuchen “dagegen” zu erziehen, die entsprechende klischees sogar fördern. und da ein großer teil der erziehung (kinderkrippe, kindergarten, grundschule, hort, wg’s, heime..) leider in frauenhänden ist (leider nicht weil ich kinder dort falsch aufgehoben finde, sondern weil es besser ist, wenn sich frau und mann gleichermaßen um ihr kinder kümmern), begehen auch viele frauen derartige zum teil gravierende fehler. jetzt kann man natürlich damit kontern, dass sie nur opfer des systems sind. vielleicht, stimmt. eine schuldzuweisung an frauen für das problem kann man damit wohl nicht machen, jedoch kann man daran schon sehen, dass auch viele frauen dieses system mittragen / teilweise unterstützen. da würde ich mir zumindestens deutlich mehr unterstützung gegen das “jetzige system” wünschen, schon allein weil auch ich in diesem bereich arbeite und das schon sehr nervig ist…
lg und allen ein schönes osterfest
papierschiff
11.04.2009 um 20:29 Uhr Evelyn
Wie wollen Männer bitteschön von sich weisen, dass 40 Prozent der deutschen Frauen häuslicher Gewalt ausgesetzt sind, 49 Prozent sind es bei den türkischen Frauen; über 400 Morde geschehen jährlich an Frauen in unserem Land - fast auschließlich durch “Partnerschaften” und andere nahestehende männliche Personen; die Frauenhäuser zum Schutz von Frauen sind übervoll und unterfinanziert; die männliche Jugend beschäftigt sich mit Killerspielen am Computer und Pornographie, nicht die weibliche,und meint dann auf eine Beziehung zu Mädchen vorbereitet zu sein ... für mich ist diese Bilanz einfach das Grauen. Wir alle leben inmitten dieses Grauens. Ich höre nie ein Bedauern oder den Aufruf gezielter Aktivität, dies zu beenden, seitens der Männer - auch nicht in der Politik!
11.04.2009 um 20:25 Uhr hildegard
wunderbar! vielen dank, vielen dank auch für das klare schreiben, wem es jetzt noch nicht einleuchtet….