Der Hausarzt und seine Verah
Ich höre gern die Sendung „Doppelkopf“ vom Hessischen Rundfunk als Podcast. Besonders aufgewühlt hat mich in dieser Woche eine Sendung vom 26. September, Dr. Regina Oehler im Gespräch mit Prof. Dr. Ferdinand M. Gerlach, „Hausarzt-Lobbyist“. Gerlach ist Präsident der DEGAM (Dt. Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin), die Ende September ihr 50jähriges Bestehen mit einem großen Kongress in Frankfurt feierte.
Was Gerlach über die DEGAM erzählte, war sehr progressiv und vernünftig und weckte viele Hoffnungen, dass es sich in Deutschland mit der Gesundheitsfürsorge und der Versorgung der Kranken doch noch zum Guten wenden könnte. Es lohnt sich, den Podcast anzuhören.
Bei aller Fortschrittlichkeit der Inhalte war aber die Sprache des Professors rückschrittlich und patriarchalisch, daran konnte auch die sympathische und frauenbewusste Moderatorin nur wenig ändern, so unverdrossen sie ihm auch mit gutem Beispiel voranging. Wo sie von „Hausärztinnen und Hausärzten“, „Patientinnen und Patienten“, „Kolleginnen und Kollegen“ sprach - fielen ihm nur Hausärzte, Fachärzte, Patienten und Kollegen ein. Begeistert erzählte er von den neuen Entwicklungen in der Medizin, sie werde immer weiblicher, 63 Prozent der Medizinstudierenden seien weiblich, und in seinem Fach, der Allgemeinmedizin, seien es sogar 70-75 Prozent, und damit werde sich auch das Kommunikationsverhalten und die Betreuungsqualität verbessern. Der Hausarzt der Zukunft werde eine Hausärztin sein! Am Schluss fragte ihn Oehler: „Und Sie? Haben Sie eine Hausärztin oder einen Hausarzt?“ „Eine Hausärztin“, verriet er fröhlich.
Also der Mann ist durchaus frauenfreundlich, hat die richtigen Ideen und Grundsätze, als Musik wünschte er sich Nina Simone - und befleißigt sich doch einer häßlichen, frauenfeindlichen Sprache, die nur das Maskulinum kennt. Ich habe beim zweiten Hören eine Strichliste gemacht: Innerhalb von rund 40 Minuten brachte er es fertig, für gemischtgeschlechtliche Gruppen und hypothetische Personen 270 Maskulina zu benutzen, also etwa 7 pro Minute. Er beherrscht auch EINE geschlechtsneutrale Personenbezeichnung, nämlich „Studierende“. Die benutzte er 10 mal.
Regina Oehler hingegen, die sehr viel weniger sprach als Gerlach (dabei heißt die Sendung doch „Doppelkopf“), gebrauchte das generische Maskulinum nur 12 mal, die Doppelform („Ärztinnen und Ärzte“) hingegen 15 mal. Viermal war sie sogar so kühn, gegen den maskulinen Schwall des Kollegen ein generisches Femininum zu platzieren - er überhörte die feinen Hinweise und manndelte ungeniert weiter.
Es war eine böse Ohrenplage und ein echter Horror!
Aber wenn er doch die richtigen Grundsätze hat, können wir ihm die frauenfeindliche Sprache dann nicht verzeihen? Seine Gesprächspartnerin hat dieselben guten Grundsätze und spricht zudem eine differenzierte und gerechte Sprache. Wir dürfen doch wohl auch von einem Mann erwarten, dass er nicht nur an sein eigenes Geschlecht denkt. Dass er das tut, beweist er durch zwei Ausrutscher. Der eine ist relativ harmlos: Über die Tatsache, dass viele Menschen wahllos zu viele Pillen schlucken, erzählt er: „Unsere Studien zeigen, dass der Hausarzt in der Regel gar nicht weiß, was der Patient alles nimmt. […] Er kriegt was vom Orthopäden verordnet, vom Neurologen und vom Kardiologen. […] Es gibt Patienten, die nehmen etwas vom Nachbarn, weil der behauptet hat, dass das ja gut geholfen hat, oder von der eigenen Ehefrau…“.
Wieder einmal erweist sich das sogenannte geschlechtsneutrale Maskulinum als keineswegs neutral, hat doch „der Patient“ plötzlich eine „eigene Ehefrau“.
Der zweite Ausrutscher betrifft nicht nur Gerlach, sondern die gesamte Branche. Plötzlich gibt es unter all den Hausärzten, Fachärzten, Allgemeinmedizinern, Neurologen und Kardiologen doch noch eine Frau, und zwar die Verah. „In Zukunft wird man vielleicht erleben, dass auch bestimmte Routine-Hausbesuche von Nicht-Ärzten gemacht werden, von Pflegekräften, von Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis, die vielleicht auch mit telemedizinischer Unterstützung mit der Hausarztpraxis in Kontakt stehen. Da wird es einen Wandel geben, in einigen Bereichen erproben wir das auch schon. Aber es wird letztlich so sein, der Hausarzt, der ins Haus kommt, der den Patienten persönlich kennt und betreut, hat einen ganz besonderen Stellenwert. Das ist auch der Grund, warum die Patienten in IHREM Hausarzt die Person im gesamten Gesundheitssystem sehen, mit der sie das höchste Vertrauen verbinden, zu dem sie das meiste Vertrauen haben (m.H.).“
Ist nochmal gutgegangen. Fast hätte er ja sein Loblied auf den Hausarzt noch mit einem völlig unpassenden Femininum gekrönt!
Bei so viel Vertrauen des Patienten auf seinen Hausarzt kann natürlich die „Versorgungsassistentin in der Hausarztpraxis“, abgekürzt die VERAH ([url=https://www.verah.de/]https://www.verah.de/[/url]), nicht mithalten. Dieser Job existiert - wie der der Sprechstundenhilfe von ehedem - nur im Femininum und nur für Frauen. Was wohl die Männer meinen zu dieser beispiellosen Diskriminierung ihres Geschlechts? Aber wenn sich nur so das Kommunikationsverhalten und die Betreuungsqualität verbessern lassen, werden sie es wohl hinnehmen müssen zum Wohle der Kranken...
Das „Simple-Video“ über "Dr. Lehmann und seine Verah" (auf [url=https://www.verah.de/]https://www.verah.de/[/url]) müssen Sie sich anschauen. Da kriegen Sie die Krätze. Aber die Verah wird Sie schon wieder kurieren.
Mehr Glossen von Luise F. Pusch gibt es hier. Jeder Band enthält rund 50 Glossen und kostet 9,90 EUR:
4 Kommentare
Nächster Eintrag: “Studenten” und andere Enten: Ein Plädoyer für “Studierende”
Vorheriger Eintrag: Fontanes lymphatische Blondinen: Auf der Suche nach einer vergessenen Wortbedeutung
25.10.2016 um 17:14 Uhr else
@ Lena Vandrey
Exakt! Ihre Schilderung trifft exakt die Lage.
Im Griechischen ist es ähnlich wie im Französischen. Ich bin dafür, einfach den weiblichen Artikel zu verwenden.
18.10.2016 um 17:48 Uhr Uschi
Liebe Luise,
wer kümmert sich jetzt um die Krätze, die ich grade beim Anschauen des verah-Videos gekriegt habe? Kerstin will ich nicht belästigen, die soll ihren wohlverdienten Feierabend genießen. Ob Dr. Brausefrosch ihr wohl etwas abgibt von seinem Zusatzverdienst? Wer verantwortet bloß solche Videos?!
Mir blieb grade das Lachen im Halse stecken.
18.10.2016 um 13:38 Uhr anne
klasse und danke Luise für die wichtigen hinweise zu den manndelungen , die sich beim thema gerechte sprache nach wie vor nicht nur i.d. sendung doppelkopf so eisern halten. dass der professor und präsident bei dem gespräch die feinen töne der frau Oehler einfach ignorierte, ist ein zeichen von ignoranz; nicht-reaktion, abwesenheit einer antwort soll das frauen wieder zum schweigen bringen; da das thema gerechte sprache mehr als deutlich ausdruck für die ungleichheit der geschlechter ist. und durch die sprache werden wir täglich daran erinnert. revolutionär wäre es und ein zeichen der modernisierung, wenn nicht mehr der hausarzt , sondern die hausärztin das cover schmücken könnte. so bleibt es beim hausarzt und seiner Verah - versinnbildlicht, dass der beruf arzt wie apotheker ein typischer männerberuf ist und frauen der platz der assistentin gewährt wird. frauen als zuarbeiterinnen für großartige männer? es wäre vonnöten , mehr auf das umfassende femininum hinzuweisen, das sogar optisch mit dem wort patientinnen den patienten nicht übergangen hat. aber , ich vermute, dass das maskulinum sich wenig darum schert und vielleicht mit seiner dominanz hausarzt zu verstehen geben will, dass der hausarzt eine besonderheit ist , während die hausärztin eher wie eine assistentin wirken soll. es bleibt eine halbfertige darstellung, wenn ich z.b. lese , was die Kaiser Friedrich Stiftung für das ärztliche fortbildungswesen an informationen darbietet: Neues für die Hausärztin/Hausarzt - 111. Fortbildung für Allgemeinmediziner und hausärztlich tätigen Internisten - nur als beispiel! das zeigt doch deutlich, wie schon bei der schreibweise herumgemanndelt und mit aller sprachmacht versucht wird , das femininum durch sprache zu übergehen. die feministische sprachkritik ist das non plus ultra beim aufzeigen von geschlechterungleichheit , und die ausreden der maskus sind äußerst bequem , wenn sie argumente wie die bessere lesbarkeit anführen. lassen wir die eine hälfte der menschheit einfach unsichtbar, denn schon wie es in der bibel verdeutlicht wurde, entstammt die Eva aus der rippe Adams.. danke liebe Luise für dein starkes feministisches engagement.
18.10.2016 um 12:36 Uhr Lena Vandrey
Im Deutschen habt Ihr das Glück, dass es en Begriff “Ärztin” überhaupt gibt, wie ja auch die Anrede und die Mehrzahl weiblich sind, für die französische Sprache unvorstellbar. Der Arzt heißt “médecin” und das Femininum wäre folgerichtig “la médecine”... also die Arznei. Ansonsten der Titel Doktor, der nur von ÄrztInnen getragen wird, die sich darauf fürchterlich etwas einbilden. Neunhundert Seiten Literatur-Doktorat, aber keinen Titel, und fünfzig Seiten in Medizin, und fertig ist der Doktor. Das Femininum von Doktor wäre die Doktoresse, von Poet die Poetesse und von Peintre (Maler) die Peintresse. Das alles ist abzulehnen, weil es dem beruflichen Status schadet und Frauen veräppelt. Die Heilgymnastin fragt, wie war es mit dem Arzt? Der Arzt ist ...eine junge Frau. Wir sind also einerseits als Personen weiblich, aber beruflich gesehen männlich, und zögern, eine weibliche Form anzuwenden, weil es den Frauen schadet. Mit einigen Wörtern steht es besser, beispielsweise “vétérinaire”. Aber selbst “la vétérinaire” ist in zwei geteilt, denn sie ist ja auch ein Doktor. Das ist alles sehr wackelig und gipfelt in dem Satz: “Dreihundertfünfundsechzig Lehrerinnen und ein kleiner Junge” werden maskulin dekliniert… Darüber gäbe es noch viel zu sagen…
Wir hören schon lange kein Radio mehr wegen der ewigen Männerstimmen mit ihrer Männersprache, und beschränken uns für das Fernsehen auf Nachrichten und hin und wieder einen guten Film. Und auch die Nachrichten bedeuten nichts anderes als eine kolossale Ladung von Typen, und ab und zu eine Frau, die wie ein Mann redet, das ist die Grundvoraussetzung für ihr Da-Sein. Abends frage ich mich, ob ich auf der Welt bin, um mir diese Fratzen anzugucken und den Schwachsinn anzuhören. Anscheinend ja…