Der Hamburger und die Hamburgerin ...
Gästinglosse von Helke Sander
... liefern wie die Worte „Sekretär“ und „Sekretärin“ den schlagenden Beweis dafür, wie wichtig es ist, die Geschlechterfrage auch sprachlich zu beachten. Sie können gehörig reinfallen, wenn Sie vorhaben, einen Hamburger zu vernaschen und am Ende mit einer Bulette dastehen, während Sie schon immer wußten, daß sich eine Hamburgerin nicht vernaschen läßt und es etwas völlig anderes ist, unter einen Sekretär als unter eine Sekretärin zu rutschen. Daß es ausgerechnet den Hamburgern passieren muß, mit Hamburgern den Namen teilen zu müssen, ist natürlich eine narzisstische Kränkung sondergleichen und wird darum in Hamburg einfach übersehen. Es gibt keine Hamburger-Buden in Hamburg. Hamburg zeigt sich nicht gerne proletarisch, sondern lieber Burberry-englisch.
Die Vorliebe für sogenannt englisches Understatement oder was die Hamburger dafür halten, hat zur Folge, daß eingefleischte Hamburgerinnen an den Farben Blau, Braun, Dunkelgrün im Winter und Elfenbein und Pastell im Sommer zu erkennen sind. Selbst der Modeschöpfer Issey Miyake mit seinen herrlichen Farben liefert nach Hamburg Grau-Blau, vielleicht fertigt er diese Kollektion sogar extra für Hamburg an. Jil Sander dagegen hat die traditionellen Merkmale der Hamburgerin zur Kenntlichkeit entwickelt und auf Weltniveau gehoben: die Treter mit und ohne Lasche, die rechts gestrickten Pullover, die soliden geraden Röcke, die praktisch sind, die zeitlos sind, die sexlos sind und die teuer, teuer, teuer sind. Mit Farben geht Jil Sander erst in München fremd.
Das Fantastische und Liebenswerte ist, daß in Hamburg die Klischees über Hamburg zutreffen, und nach einer Weile werden die Zugezogenen bewundern, auf welch selbstverständliche Weise die jungen und alten Damen von der Kaschmirfront ihre hellblauen oder grauen Pullover mit Perlenkette tragen, während drumherum in der Welt die Farben und Stile explodieren, und sie werden darauf kommen, daß Hamburg eine der letzten unterscheidbaren Städte ist. Hamburg kann nicht mit Bad Salzuflen verwechselt werden, denn in Bad Salzuflen haben die Frauen nicht den Mut, sich so selbstbewußt über Mode und Trends hinwegzusetzen und diese Treter zu tragen, die schon ihre Mütter und Großmütter bevorzugten. Ein Schuh ist ein Schuh ist ein Schuh, könnten die HamburgerInnen mit Gertrude Stein sagen, und der Rest der Welt wird nach der ersten Betretenheit uneingeschränkt bewundern, daß es diesen konformen Individualismus noch gibt, der es erlaubt, eine Hamburgerin auch in München zu identifizieren, so wie Sie im Westen noch vor zehn Jahren immer sagen konnten, ob jemand aus dem Osten kam. Die Hamburgerin war gewissermaßen das Kontrastprogramm zum Osten. Den Osten gibt es nicht mehr, aber die Hamburgerin behauptet sich weiterhin und zeigt, daß sie mehr ist als nur komplementär. Fremdländern fällt sie auch dadurch auf, daß sie aggressiver, männerähnlicher – sie selbst würde sagen: schnittiger – als ihre Geschlechtsgenossinnen in anderen Teilen der Republik Auto fährt und im zeitigen Frühjahr, also schon Anfang März, wenn es noch kalt ist aber gerade nicht regnet, dies möglichst mit offenem Autodach tut. Diese Leidenschaft für frische Luft teilt sie mit ihrem Mann, dem Hamburger. Beide fahren gerne bei Gelb über die Ampel, darauf vertrauend, daß sie noch vor Rot rüberkommen bei den außergewöhnlich langen Hamburger Ampelzeiten. Ein Vertrauen, das nicht auf andere Städte übertragen werden kann. In Berlin zum Beispiel, wo es weitaus kürzere Gelbphasen gibt, sind bei vielen Straßenkreuzungsunfällen ausgesprochen oft HamburgerInnen verwickelt.
Der Hamburger, der kein Fleischkloß, sondern ein Mensch ist, ist in seiner Dezentheit nicht atemberaubend, aber ein wohlgefälliger Anblick. Es gibt viele Herrenbekleidungsgeschäfte in Hamburg und Hergereiste wissen es zu schätzen, daß es irgendwo in Deutschland noch Männer in größerer Anzahl gibt, die darauf achten, daß ihre Hosen sitzen. Es sind auch im Sommer fast keine Hamburger unterwegs, die Sandalen mit Wollsocken tragen, was wirklich angenehm auffällt und Hamburg von anderen Städten positiv unterscheidet.
Hamburger erliegen dagegen mehr noch als Hamburgerinnen der Illusion, Bürger einer Weltstadt zu sein. Dabei braucht man nur dreimal hintereinander in Theaterpremieren und die anschließenden Premierenfeiern zu gehen, um zu wissen, daß das nicht stimmt. Hamburg ist ein Stadtstaat. Es ist in Hamburg nicht so, daß sich die kulturellen Sensationen verteilen wie zwischen Köln, Düsseldorf, Oberhausen, Dortmund, Bonn oder wie zwischen München, Nürnberg, Passau. Die Stadt Hamburg ist eben gleichzeitig das Land Hamburg und in diesem Stadtland gelten die Unterschiede zwischen Leinpfad und Schanzenviertel.
In Hamburg gibt es noch die richtige Adresse. Man muß schon ein sehr großes Haus in Steilshoop haben und als exzentrisch gelten, um nicht unter dem Makel der falschen Adresse zu leiden. In Hamburg geht es ein bißchen zu wie bei einem Pflichtfamilienbesuch am Sonntagnachmittag bei den Großeltern, bei dem immer wieder die gleichen Tanten und Cousinen erscheinen, die ihre Plätze in der Familienhierarchie kennen und klaglos einnehmen. Wehe aber, jemand verzichtet auf diesen Besuch, auf die Theaterpremiere, auf die Ausstellungseröffnung. Solche Leute werden ausgestoßen und enterbt und kommen im Hamburger Abendblatt und in der Morgenpost nicht mehr vor. Die ausgestoßenen Subjekte gewinnen mit der Zeit von sich selbst den falschen Eindruck, so was wie Widerständler zu sein, Beatniks, Ausländer. Wenn Sie das Theaterstück „Leonce und Lena“ kennen, werden Sie wissen, daß Georg Büchner dieses Stück in Wirklichkeit über Hamburg geschrieben hat, den Stadtstaat, in dem jeder jeden kennt und in dem man, steht man hoch genug, von einem Ende des Landes zum andren sehen kann. Hier weiß man, daß Stefan Aust im „Cuneo“ sitzt, daß Hark Bohm nicht ohne Fotograf das Haus verläßt, daß Jan Philipp Reemtsma nicht nur Millionär ist, sondern außerdem noch intelligent und links.
In diesem übersichtlichen Gebilde gibt es natürlich auch Kunst, Film und Literatur und soziales Engagement. In der neuen Kunsthalle z.B. können Sie die „Galerie der Gegenwart“ besichtigen. In Hamburg besteht die Kunstgegenwart aus deutscher und amerikanischer Gegenwart, aus weißer Männer-Gegenwart mit ein paar Einsprengseln weißer Frauen-Gegenwart. Nicht-europäische, nicht-nordamerikanische Kunstwerke werden Sie mit der Lupe suchen und wenn Sie sie finden, werden sie vermutlich unter Folklore abgehandelt. Durch diese Provinzialität wirken selbst Avantgardisten wie Fossilien und viele der ausgestellten Künstler kleiner als sie sind, weil sie sich nur in diesem eng gefaßten Gegenwartsbegriff behaupten dürfen.
Gott sei Dank gibt es in Hamburg das Kino (von Nicht-Hamburgern), und so haben die HamburgerInnen Gelegenheit, Filme aus Finnland oder Neuseeland oder Korea oder den Philippinen oder Südafrika oder Indien zu sehen. Natürlich würde ein Filmfestival mit dem Titel „Film der Gegenwart“ Asien und Afrika und Australien einbeziehen und selbst in Hamburg würde, was den Film betrifft, aufmerksam beobachtet, was aus Papua-Neuguinea kommt.
Andererseits kann es aber durchaus passieren, daß in Hamburg lebende Filmemacher, die ihr Geld nicht der Hamburger Filmförderung zu verdanken haben und die ihre Lehre nicht beim Aufbaustudium Film gemacht haben und trotzdem einen „Goldenen Bären“ oder andere internationale Preise gewinnen, in den entsprechenden Publikationen über die Filmstadt Hamburg nicht auftauchen. Das verweist wieder auf den Leonce-und Lena-Effekt, der seit den fast zwanzig mir bekannten Hamburger Jahren Senatsmitglieder dazu bringt, jahrelang und hartnäckigst zu ignorieren, daß der Filmnachwuchs der Stadt, der Hamburg zur Ehre gereicht und vor allem auch zu Umsatz, daher kommt, von wo er ihrer Meinung nach nicht kommen darf, weil interessierte Kreise hartnäckig und wahrheitswidrig das Gerücht weitergeben, daß die Kunsthochschüler unscharf belichten, ihre Filme schief schneiden und ihnen deshalb der spärlich tröpfelnde Geldhahn überhaupt zugedreht gehört.
Nach fast zwanzig Jahren Hamburg kann ich sagen, daß die in Hamburg wohnenden Nichthamburger ausschließlich diese treffen und nahezu keine Einheimischen kennen und umgekehrt. Es gibt die Zirkel aus echten Hamburgern und es gibt die Zirkel, die sich zusammensetzen aus Mecklenburgern, Berlinern, Italienern, Schweizern, Portugiesen, Kasslern, Amerikanern und anderen Barbaren. Die geheimnisvolle Welt der Hamburger überwältigt die Zugereisten aber durch ihre Sauberkeit, Adrettheit und Freundlichkeit und überträgt dabei etwas von ihrer Höflichkeit auf die Fremden und sogar auf Leute, die normalerweise in anderen Städten und Ländern für ihre Ruppigkeit bekannt sind. Selbst die Serben und PKK-Kurden verlieren in Hamburg viel von ihrer vielkritisierten Aggressivität und benehmen sich auch in schweren Zeiten manierlich.
In guten Momenten hält man HamburgerInnen für Leute, die der Zivilgesellschaft näher stehen als andere. Dafür sorgen vor allem die Hamburger Busfahrer. Ein Hamburger und ein Berliner Busfahrer kommen aus vollständig anderen Systemen, die auch nicht mit West oder Ost zu umreißen sind. Es wäre ein Akt der Entwicklungshilfe, wenn Berliner Busfahrer zu einem Pflichtjahr in Hamburg verdonnert werden könnten, um dort Freundlichkeit zu lernen und Höflichkeit. Jedesmal wieder bin ich hingerissen und geradezu ergriffen, wenn ich erlebe, wie eine Busfahrerin die Straße im Auge behält und auf Leute wartet, die noch fünfzig Meter enternt sein mögen und sich nicht einmal besonders beeilen. Er oder sie öffnet ihnen die Tür. Er oder sie ist kein Sadist. Kommen Sie dagegen nach Berlin, dann wird es Ihnen regelmäßig passieren, daß sich die Tür in dem Augenblick schließt, in dem Sie den Bus erreichen und nichts, gar nichts, wird den Fahrer (selten ist es eine Fahrerin) dazu bringen, sie noch einmal zu öffnen. Im Gegenteil, Sie müssen, möglicherweise im Regen stehend, auch noch sein höhnisches Grinsen und die Genugtuung in seinem Gesicht ertragen, über diese Macht, die er mit einem Türhebel über andere hat, und Sie werden plötzlich an sehr unangenehme Dinge aus Deutschland erinnert. Berliner Busfahrer sind eine nationale Schande. Mögen mir die wenigen Ausnahmen verzeihen. Aber sitzen Sie mal in einem Bus und haben Mitleid mit jemand, der draußen steht und rein will und die Ampel ist gerade erst rot geworden! Jeder Einsatz der Fahrgäste wird vergebens sein. Das sage ich als leidenschaftliche Berlinerin. Ab und zu mischen sich Fahrgäste, meistens Nicht-Berliner, ein und bitten darum, die Tür noch einmal zu öffnen. Aber sie haben so wenig Einfluß wie Eingaben bei Amerikanern gegen die Todesstrafe. Und deshalb gucken in Berlin die Leute aus Scham gar nicht mehr hin, wenn wieder ein Mitmensch den Bus zu erreichen sucht. Die draußen Stehenden sind Delinquenten und wer ihnen von innen beisteht, ist Komplize. Busfahren in Berlin bedeutet, sich schämen zu müssen. Die Hamburger Busfahrerinnen und Busfahrer dagegen zeigen ein anderes Deutschland. Ich bin stolz auf sie. Ich liebe sie. Ich habe überhaupt diesen Aufsatz über Hamburg nur geschrieben, um diesen Satz schreiben zu können. Wegen der Hamburger BusfahrerInnen werde ich immer gerne nach Hamburg kommen.
Zuerst veröffentlicht in: „Hamburg satt“, Hrsg. Ingrid Klein, Hamburg 1999.
Nachschlag: Anne Beck schickte zur Illustration zwei Links: • über einen besonders unflätigen Berliner Busfahrer • ZEIT-Artikel über Benimmkurse für Berliner Busfahrer, wo sie den Lehrfilm Der eingeklemmte Fahrgast gezeigt bekommen.
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
2 Kommentare
Nächster Eintrag: Heidi und Klara im Heu
Vorheriger Eintrag: Kopftuchverbot für Referendare
13.10.2007 um 20:19 Uhr Kleini
Ich, als ursprüngliche Hamburgerin, habe mich köstlich über diesen Text amüsiert! Er hat so viel Wahres, aber natürlich auch viel Ironisches, mir hat er wirklich sehr gefallen und ich kann nur sagen: “Mehr davon!”
Grüßle
Kleini
28.05.2007 um 23:26 Uhr Anne
Prima die gästinglosse von Helke Sander und die beschreibungen `hamburger verhältnisse`. Hat mir wunderbar gefallen und danke für die veröffentlichung bei FemBio.
Eigene negative erlebnisse u. beobachtungen bei anderen passagieren mit busfahrern in anderen städten könnten seiten füllen. Beschämend ist, daß aufgrund vieler beschwerden jetzt die sog. `Benimmschüler`z.B. in berlin erst richtiges soziales verhalten für ihren beruf erlernen müssen.
Nicht besser sieht es auch bei vielen männl. autofahrern aus, die aufgrund rüder fahrweisen und sonst. auffälligkeiten im strassenverkehr erst durch strafmandate z.t. gestoppt werden können.
Freue mich auf weitere glossen!
Llg anne