Das Hemdchen
Eine Neuheit aus dem Bereich Damenunterwäsche ist anzukündigen. Regelmäßig schickt mir die Firma Tchibo ihre aufregenden Infos; vor kurzem bekam ich diese Mitteilung:
Die Sprache der Verführung
Liebe Frau Pusch, diese neue Wäsche-Kollektion spricht für sich! Tolle Basics, transparente Wäsche, wilde Animal Prints, Bodyforming- und Seamless-Wäsche in drei klassischen Farben zeigen ihre ganze Schönheit in all ihren atemberaubenden Facetten. Ihr Tchibo.de-Team >zum Shop
Ich hätte erwartet, dass die "tollen Basics" etc. MEINE Schönheit in all ihren atemberaubenden Facetten zeigen sollten, aber die Unhöflinge von Tchibo hatten das “ihre” klein geschrieben. Also meinten sie wohl nur die atemberaubende Schönheit ihrer Tchibo-Dessous. Dennoch konnte ich der Sprache der Verführung nicht widerstehen und klickte mich in den Shop.
Dort sah ich sie: Die HEMDCHEN! Erst ein "Hemdchen, schwarz":
Darunter, liegend, eine schöne Dame im "Hemdchen, weiß". Ich klickte auf den Text “Hemdchen, weiß” und fand neben allerlei Infos in der schon oben vorgeführten heißen Tchibo-Sprache den nüchternen Hinweis: Ähnliche Produkte finden Sie unter folgenden Begriffen: "Unterhemd" "Top".
"Unterhemd" - wie prosaisch! Trotzdem klickte ich auf "Unterhemd" - und fand sie - die ganze glorreiche Parade der Hemdchen. Ein Klick, und Sie können sie auch bewundern.
Meine vergleichenden Studien ergaben: Ein "Unterhemd" reicht bis zum Beinansatz, ein "Hemdchen" nur knapp über den Bauchnabel. Ein Hemdchen lässt das ganze Höschen sehen, möglichst ein ganz heißes Höschen natürlich.
Das, was wir früher "Hemdchen" nannten, nämlich ein Unterhemd für Babys und Kinder, heißt hier “Kinder-Unterhemd”.
Ein Hemdchen macht die Frau zum Baby, zur Kindfrau. “Kindmann”? Gibt es nicht. Stattdessen haben wir den Sohnemann. “Tochterfrau?” Gibt es nicht.
Die Lücken in unserem Wortschatz zeigen froh die Richtung an: Der Sohnemann soll sich schon als Hemdenmatz stark fühlen wie ein Mann, das Töchterchen aber soll am besten ewig Kind bleiben und noch als erwachsene Frau im “Hemdchen” ihre “atemberaubende Schönheit" zu Markte tragen.
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14 Kommentare
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15.06.2009 um 13:24 Uhr Anne
Die modemacher und der -trend bestimmen, dass die erwachsene frau auch `baby-hemdchen` tragen soll -immer einsatzbereit als verführerisches lockmittelchen, falls männerherzchen erkalten könnten? Die kindfrau eine figur männl. begehrens. Bequeme und wärmende unterwäsche mussten sich längst begriffe wie liebestöter oder beziehungskiller gefallen lassen. Modemacher bestimmen, wo`s lang geht, u.a. wie frau auszusehen hat, bestimmen modelgrösse, untergewicht, magersucht etc. pp.
Nee, den tausch `baby-hemdchen` gegen wärmende bequemlichkeit muss die erwachsene frau nicht unbedingt mitmachen ...:-(
Och, da trage ich doch lieber `leibchen`, wird das wort heutzutage in der schweiz und österreich synonym auch als t-shirt verwendet.
Llg Anne
15.06.2009 um 10:03 Uhr Oliver
Was ist eigentlich mit dem “Leibchen” und dem “Höschen”? Das Leibchen gehört nicht mehr zu meiner Generation, das Höschen durchaus. Bemerken möchte ich noch - da wir nun schon beim Bauchfreien sind -, dass eine so genannte Pädagogische Hochschule im äussersten Süden Deutschlands eine Bekleidungsordnung kennt, erlassen vom Kanzler und einzelnen DozentInnen (ja, auch eine Dozentin ist dabei). Die Ordnung bezieht sich in erster Linie auf bauchfrei tragende Studentinnen, eine Form der Diskriminierung, gegen die ich mündlich und schriftlich Einspruch erhoben habe. Der Kanzler erklärte mir eines Tages zu seiner Motivation, er habe vor einiger Zeit auf dem Flur eine “fette Studentin” mit kurzem Oberteil gesehen und sei daraufhin angeekelt gewesen. Nicht eklig fand man stinkende Studenten; denn Männer können Männer einfach besser riechen. P.S.: Die Ordnungen beziehen sich nicht auf den Schulunterricht, den die Studentinnen mitgestalten, sondern auf die Lehre an der Hochschule. Eine Rechtsgrundlage gibt es meines Wissens nicht.
15.06.2009 um 08:47 Uhr Klaus
Alles nur Kopien, denn Hemdchen für Männer, gibt’s schon viiiel länger… und zwar in folgender Form!
Feinripp und von Muttchen zur Firmung gekauft.
Mit 20 strafft’s das Bauarbeiter-Sixpack und mit 50 trägt’s mann, nabelfrei und stolz, überm Bierbauch. Klar, dass dann das gut sichtbare Dreckwutzerl im Nabel (Piercing für Wehleidige), nicht fehlen darf SCNR
Hmmm, wir sollten vielleicht einmal über einen “Vater-Tochter-Nabelfrei-Tag” nachdenken :)
15.06.2009 um 08:13 Uhr Undine
Die Steigerung von ‘Hemdchen’ ist dann wohl das ‘Hemdchen mit rosa Totenköpfchen Piratchen-Flägchen’ weil das ist ja so süüüß. Meine Güte, von mir aus können ‘klassische Unterhemden’ (warum heisst das Pendant dazu eigentlich Ober- nicht Überhemden?) auch gerne als Nierenwärmer verkauft werden - dann könnten die Hersteller sogar einen Wellness-Aufschlag dafür verlangen.
Andererseits erschliesst sich, ausgehend vom ‘Hemdchen’, auch die Mode über der Hose ein Kleid zu tragen - ja irgendwas muss frau doch warm halten, wenn es das gute alte Baumwollhemd nicht mehr in den Tchibo-Shop schafft.
Hemdsärmelige Grüße
Eine Undine
14.06.2009 um 13:35 Uhr Oliver
Natürlich handelt es sich, verehrte Frau Pusch, um einen Druckfehler; natürlich wollte Tchibo von “Ihrer” Schönheit sprechen, denn die Werbeabteilung würde sich allenfalls im Vollrausch die atemberaubenden Facetten “ihrer” Billig-Unterwäsche einbilden. Deren Benutzung würde allerdings “Ihre” Schönheit leiden lassen, selbst wenn “Sie” das Wort “Tchibo” - ein Trick meiner Eltern - französisch aussprächen.
Zum “Hemdchen” selbst ist zu sagen, dass dieses nicht nur die Frau zu verjüngen und zu verzieren versucht, sondern auch als Abschlepphilfe dient. Darüber klärt der Spiegel unter dem Titel “Die Abschlepphilfe” auf: “Die “Hemdchen”-Tragetasche ist das Ur-Modell der Plastiktüte. Heute vor allem noch in südlichen Ländern, Asien und Afrika gebräuchlich, bekommt man sie in Deutschland meist auf Märkten zum Einkauf hinzu. Das Hemdchen ist extrem günstig herzustellen. Die Wanddicke beträgt meist nur noch um die 5 Mükrometer.” Würde man das Hemdchen in Zukunft “Abschlepphilfe” nennen, wäre die Sprache um eine Präzisierung reicher und eine Lücke ärmer.
Hinzuzufügen ist, dass in der Schweiz von einem “Hemdli” oder auch einem “herzigen Hemdli” die Rede ist. Und dieses können Kinder, Mädchen, Jungen, Frauen und - zumindest ohne den “herzigen” Zusatz - Männer und Tchibo-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter tragen. Vgl. hierzu das schweizerische Sprichwort: “Wenn zweu mitenangere prozediere, goht eis im Hemdli und d’s angere blutt.”
13.06.2009 um 20:35 Uhr Joey Horsley
Alles sehr richtig! Aber unsere Sprachen ermöglichen doch auch, dass “boys will be boys”, auch im Greisenalter. Ein paar Beispiele aus dem Englischen: old boys’ network; boyfriend; toy boy, best boy. Und im Deutschen nennen Bartträger einander gerne “Jungs”, wenn sie sich am Stammtisch entspannen oder proletarisch wirken wollen.