Das Gendern ist des Müllers Lust
Letzte Woche führte ich in Linz an der Donau mit GewerkschafterInnen (genauer: Mitgliedern der FSG OÖ = Fraktion der sozialdemokratischen GewerkschafterInnen in Oberösterreich) einen Workshop durch, zum Thema „Frauen besser ansprechen“. Es ging aber nicht um Anmache, wie mir im Vorfeld versichert wurde, sondern um (geschlechter)gerechte Sprache. Von den 13 Teilnehmenden waren etwa ein Drittel Männer, ein ungewöhnlich hoher Prozentsatz, der für die Aufgeschlossenheit der Gewerkschaft spricht.
Die Einstellung zur - in der Gewerkschaft immerhin vorgeschriebenen - gerechten Sprache war gemischt, erwartungsgemäß bei den Männern aber kritischer als bei den Frauen. Einer fand die „Genderei“ lästig, um nicht zu sagen überflüssig, und eine junge Genossin schloss sich ihm vorbehaltlos an.
Das Wort „Genderei“ anstelle von „Anwendung (geschlechter)gerechter Sprache“ war mir neu, bis dahin kannte ich nur „gendern“, substantiviert als „das Gendern“. Aber „die Genderei“, wenngleich es ein abfälliger Ausdruck ist, hat einen Vorteil: Es ist ein Femininum!
Der Ausdruck „gendern“ stammt m.W. auch aus Österreich, zumindest hörte ich ihn vor etwa drei Jahren zum ersten Mal von meiner Freundin Anna aus Wien. Inzwischen hat es das Gendern bis in den Duden geschafft. Auf duden.de lesen wir:
gendern Wortart: schwaches Verb Gebrauch: Politikjargon Bedeutung: "das Gender-Mainstreaming (auf etwas) anwenden" Beispiel: "die Behörde wurde gegendert" Grammatik: schwaches Verb; Perfektbildung mit "hat"
(Quelle: hier)
Da hat also die feministische Sprachkritik einen kurzen, griffigen Ausdruck hervorgebracht, der uns nicht nur von dem Ungetüm „Gender Mainstreaming“ selbst befreit, sondern der auch flexibel als Verb und als Substantiv eingesetzt werden kann. Aus „Gender Mainstreaming ist eine Querschnittaufgabe“ wird schlicht: „ALLES muss gegendert werden“:
Die Sprache muss gegendert werden: Frauen müssen sprachlich sichtbar sein. Die Politik muss gegendert werden: Frauen müssen in den Parlamenten und Regierungen zu 50-52 Prozent vertreten sein. Die Wirtschaft muss gegendert werden: Frauen und Männer müssen für die gleiche Arbeit denselben Lohn bekommen. In den Vorständen und Aufsichtsräten müssen 50-52 Prozent Frauen sein. Die Parteien: Die Grünen und die Linke sind seit ihren Anfängen bis in die Partei-Doppelspitze gegendert, die anderen Parteien ziehen langsam und widerwillig nach. Keine schlechte Idee, auch die höchsten Staatsämter zu gendern. Nach dem Rotationsprinzip müssten nach den 56 Männerkanzlerjahren (1949-2005) also noch 48 Kanzlerinnenjahre abgearbeitet werden, außerdem natürlich 64 Bundespräsidentinnenjahre.
Undsosweiter ad libitum.
Ich stelle befriedigt fest: Die Sprache hat einen ungeheuren und sichtbaren Einfluss auf die Geschlechterpolitik. Das Wort „gender“ (Genus) selbst ist ein linguistischer Fachterminus; er bezeichnet im Englischen ursprünglich das „grammatische Geschlecht“. Von dort wurde seine Bedeutung ausgeweitet zu „soziales Geschlecht“ als Gegensatz zu sex „biologisches Geschlecht“. Bald fand „gender“ im „Gender-Mainstreaming-Konzept“ Eingang in die offizielle Gleichstellungspolitik der EU.
Und nun hat der österreichische Genius oder Schlendrian uns diese handliche Abkürzung beschert, die das Reden über das Gender Mainstreaming so nett vereinfacht und damit die Chancen der „Genderei“ deutlich erhöht.
Ob auch die Literatur gegendert werden muß, ist derzeit noch umstritten. Immerhin wurde das Buch der Bücher bereits erfolgreich gegendert zur „Bibel in gerechter Sprache“. Zwar wurden rassistische Bezeichnungen wie Astrid Lindgrens „Negerkönig“ zu „Südseekönig“ verändert. Aber die extrem sexistischen Figuren der Hexe und der bösen Stiefmutter wurden noch nicht aus Grimms Märchen entfernt oder in fiese Hexer und böse Stiefväter verwandelt. Berühmte Gesangszyklen wie „Die schöne Müllerin“ von Schubert oder „Frauenliebe und -leben“ von Schumann wurden noch nicht gegendert und auch nur selten vom „anderen Geschlecht“ gesungen: Lotte Lehmann und Brigitte Faßbaender sangen „Die schöne Müllerin“, aber ich kenne keinen Sänger, der sich an „Frauenliebe und -leben“ getraut hätte. Da kommt noch einiges auf uns zu.
Nachtrag: Meine Freundin Swantje Koch-Kanz informiert mich, dass Matthias Goerne den Zyklus "Frauenliebe und -leben" singt. Bravo!
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11 Kommentare
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15.04.2013 um 15:11 Uhr anne
märchen sind oft sehr grausam, wahrscheinlich dienten sie als erziehungsmittel? mich wundert sehr, dass in diesen geschichten oft stiefmütter , böse frauen, hexen (weise frauen) ihr unwesen treiben - den bösen stief-/vater scheinen die märchenerzähler gar nicht erst in erwägung gezogen oder vergessen zu haben? die bösen stief-/mütter sind also die störerinnen der `familienharmonie`, hat die hohe müttersterblichkeit (u.a. aufgrund unzähliger zwangerschaften) dazu geführt, dass der `liebende, harmlose, umsorgende` vater auf neuer muttersuche war? inzest und vergewaltigungen i.d. ehe waren zu der zeit der grimmschen märchenschreiber weit verbreitet , also nicht unbekannt? solche gegebenheiten dagegen in der literatur bestimmt nicht angebracht und für kinderohren ungeeignet, solange es nur darum ging, den kindern das gruseln und ein bestimmtes frauenbild beizubringen? wie im weblink beschrieben , scheint es all der grausmkeiten kein unrechtsbewusstsein zu geben , dass hexen (hänsel und gretel) verbrannt werden und die ehemals `weisen` frauen die inkarnation des bösen sind ...beschriebene grausamkeiten sind auch heute i.d. medienwelt schon im kindesalter herzlich willkommen, solange es den einzelnen aus dem publikum nicht selbst betrifft. prinzessinnen, nicht-adlige arme junge frauen, jungfrauen, die auf den erlöser (märchen-prinzen) und den ehe-stand hoffen, zieren diese blöden märchen-/geschichten - und der märchenhafte geschichts-ausgang ist immer der gleiche `und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute`...in den figuren der rosa-pinkenen barbies und prinzessin lillifee, grusel ... texte zu `frauenliebe` lasse ich mir auch lieber von betroffenen frauen-liebenden frauen erzählen :)
http://www.noz.de/deutschland-und-welt/kultur/66478734/grimms-maerchen—neu-gelesen-18-in-haensel-und-gretel-geht-es-grausam-zu—auch-wenn-am-schluss-vermeintlich-alles-gut-wird
14.04.2013 um 21:49 Uhr lfp
@Susanna:
Wohl wahr! “Frauenliebe und -leben” sollte ein Mann singen!
14.04.2013 um 20:36 Uhr Susanna
Ich habe mal in “Frauenliebe” hineingesehen und mich dann entschieden, lieber die “Dichterliebe” zu üben. Viel bessere Texte.