Biodeutsche
In letzter Zeit höre ich regelmäßig den Podcast „Fragen an den Autor“ des SR2, der diesen wie folgt anpreist: „Die traditionsreichste Sachbuchsendung im deutschen Sprachraum stellt seit über 33 Jahren jeweils ein Buch eines Autors eine Stunde lang im Gespräch vor.“ Vielleicht weil die Sendung so alte Wurzeln hat, ist sie nach wie vor nicht nur im Titel, sondern auch im Inhalt sehr männlich geprägt. Unter den letzten 12 „Autoren“ war nur eine Autorin, nämlich Anne Katharina Zschocke mit ihrem spannenden Buch über Darmbakterien. Wenn frau von dem Männerauflauf allmählich genug hat, kann sie zurückgreifen auf den Podcast des Archivs der Sendung, betitelt „Klassiker aus ‚Fragen an den Autor’“. Dort sind derzeit 300 Sendungen greifbar, und es findet sich hin und wieder auch eine mit einer Autorin, z.B. konnte ich schon Iris Radisch über die Familie hören und Maja Maike Nowak über Hunde.
Darmbakterien, Familie, Hunde - neben dem breiten Themenspektrum, mit dem die Männer aufwarten, wie NSA, Snowden, Putinversteher, Bittere Pillen, Klimawandel, Nahost, Arktis, Japan, Arbeitswahn usw. - nehmen sich die Interessen der Frauen ja recht häuslich aus. Ich selbst hätte in meinen Sachbüchern auch spannende Themen anzubieten, Männersprache, Wahnsinnsfrauen, Frauenpaare usw., aber ich wurde in den vergangenen 39 Jahren vom SR noch nie zum Gespräch eingeladen. Macht nix, ich empfehle die Podcasts trotzdem: Sehr lebendig und informativ. Ich habe bei meiner Hausarbeit zuhörend schon sehr viel gelernt. [Nachtrag: Ich habe mich geirrt. Schon 1986, vor bald 30 Jahren, wurde ich für die Sendereihe zum Gespräch über "Deutsch als Männersprache" eingeladen. Die Sendung ist nun archiviert als "Klassiker von 'Fragen an den Autor'" und kann als Podcast heruntergeladen werden.]
Eingeladen war im Dezember auch Heinz Buschkowsky, der Bezirksbürgermeister des Brennpunkts Berlin-Neukölln, zu seinem Buch „Die andere Gesellschaft“. Und damit komme ich zum eigentlichen Thema meiner heutigen Glosse: Buschkowsky sprach wiederholt von „Biodeutschen“ - das Wort hatte ich noch nie gehört. Er meinte damit wohl mich und meinesgleichen, also Deutsche mit deutschen Wurzeln bzw. Deutsche ohne Migrationshintergrund. Ich wollte mich bei Wikipedia informieren und erfuhr, dass der Artikel „Biodeutscher“ wegen interner Differenzen gelöscht wurde. An dessen Stelle war ein kurzer Satz im Artikel „Migrationshintergrund“ getreten: „Synonym zum Begriff des Menschen mit Migrationshintergrund wird der des Allochthonen gebraucht. Antonym zu diesen Begriffen ist die Bezeichnung Autochthoner. In Bezug auf Deutschland ist für Menschen ohne Migrationshintergrund auch (meist scherzhaft) von Biodeutschen die Rede.“
„Allochthon“ und „Autochthon“ - das klingt ja mächtig griechisch und kommt derzeit vielleicht nicht so gut an. „Bio“ hat zwar auch griechische Wurzeln, aber das stört niemand mehr.
Nachdem ich den Wiki-Artikel „Migrationshintergrund“ gelesen hatte, kamen mir Zweifel, ob ich wirklich echt biodeutsch bin, denn die Eltern meines Vaters sind aus Polen eingewandert. Die Definition ist nicht nur kompliziert, sondern auch undurchsichtig und widersprüchlich. Ich hatte keine Lust, da tiefer einzusteigen.
Offenbar finden viele die Bezeichnung „biodeutsch“ diskriminierend, obwohl doch Biogemüse als edler gilt als einfaches Gemüse und auch teurer ist. Aber diejenigen, die die Bezeichnung „biodeutsch“ für sich ablehnen, wollen halt nicht mit Gemüse gleichgesetzt werden, und sei es auch das edlere, teurere und gesündere.
Als Gründerin von FemBio.org (eine Abkürzung von Feministische Biographieforschung) werde ich auch oft von Witzbolden gefragt, ob unser Frauenbiographieportal ein Bioladen sei. Geschenkt.
„Biodeutsch“, so las ich auch, sei erstmals von Cem Özdemir benutzt worden, und es sei eine diskriminierende Bezeichnung, die gern von Deutschen mit Migrationshintergrund benutzt werde, um sich von den Deutschen ohne Migrationshintergrund abzugrenzen.
Ich vermute ja, dass die Wortschöpfung „biodeutsch“ nicht unbedingt feindselig gemeint war. Es zeugt nur von einer anderen Perspektive. Die Deutschen mit Migrationshintergrund setzen sich selbst als Zentrum und Bezugspunkt und benennen die Andersartigen. Sowas sind wir Biodeutschen nicht gewöhnt. Normalerweise sind wir es, die die „Zugewanderten“ und wie die Bezeichnungen alle heißen mögen, kategorisieren und zwecks Abgrenzung benennen.
Bei Hubert Fichte las ich zum ersten Mal das Wort „Solide“. Als „Solide“ bezeichneten Prostituierte solche Frauen, die keine Prostituierten, sondern „solide“ waren. Auch eine relativ positive Bezeichnung. Nur mögen wir halt nicht von „denen“ überhaupt kategorisiert werden, noch dazu als „Nicht-Prostituierte“. Das Kategorisieren ist unser Privileg bzw. allgemein gesprochen das Privileg derjenigen, die sich als Norm begreifen. Die Norm wird nicht extra benannt, schrieb ich schon in meiner Uraltglosse „Damenwahl“ vor 100 Jahren. Das Pendant, die „Herrenwahl“ findet zwar bei Tanzveranstaltungen laufend statt, hat aber - da die Norm - keinen eigenen Namen. Ähnlich funktionieren die „Herrenhandtasche“ und die „Herrentorte“. Die Homosexuellen wurden schon immer ausgegrenzt, kategorisiert und benannt. Die Heterosexuellen sehen sich erst seit kurzem in dieser Situation.
Etwas weniger volkstümlich behandeln Philosophie, Psychologie und Soziologie das Thema „Otherness“:
When used as a verb it means to distinguish then label then identify as belonging to a category and then exclude those who do not fit a societal norm. In geographic terms "to other" means to place outside of the center, somewhere along the margins where the societal norm does not reside.
Für den Mann ist die Frau „das andere Geschlecht“, wie schon Simone de Beauvoir feststellte. Die neu benamsten Biodeutschen verhalten sich diesbezüglich zu den Deutschen mit Migrationshintergrund wie Männer zu Frauen. Die sprachliche Ausgrenzung und „Andersbehandlung“ der Frauen durch die Männer ist das Thema der feministischen Linguistik. Womit wir wieder beim Anfang angekommen wären, bei den “Fragen an den Autor“, die schon im Titel keinen Gedanken an Frauen aufkommen lassen und dann das Geschäft jahrzehntelang auch genauso frauenvergessen durchziehen.
Apropos frauenvergessen: Unter den Deutschen mit Migrationshintergrund und den Biodeutschen gibt es anscheinend auch keine Frauen, wie uns folgendes Titelbild nahelegt: Wir sehen, das Thema geht uns Frauen sowieso nix an. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich damit unsere Zeit vergeudet habe. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
Mehr Glossen von Luise F. Pusch gibt es hier. Jeder Band enthält rund 50 Glossen und kostet 9,90 EUR:
Kommentieren für diesen Channel-Eintrag nicht möglich
4 Kommentare
Nächster Eintrag: Der Stinkephallus
Vorheriger Eintrag: Manslamming, Mansplaining, Manspreading und andere Flegeleien
06.04.2015 um 09:44 Uhr Petra
Die letzte Diskussion über “Biodeutsche” war im Spätsommer 2013 von Dr. Mutti Goschler und Sprachlog-Stefanowitsch angestoßen worden.
Liest man/ frau sich nicht in Ihren Kreis_innen?
http://www.migazin.de/2013/09/05/wie-nennt-man-eigentlich-deutsche-ohne-migrationshintergrund/
22.03.2015 um 21:46 Uhr Mycroft
“Biodeutsch” weckt bei mir Assoziationen mit “garantiert ungespritzt” und “aus Bodenhaltung”.
Ich finde es sehr bedenklich, Menschen mit Begriffen aus der Landwirtschaft zu bezeichnen. Was wären dann nebenbei Deutsche mit Migrationshintergrund? Gendeutsche? Synthodeutsche? Deutsche aus Lagerhaltung? Ok, darüber macht man keine Witze!
Autochthon gefällt mir besser. Solidarität mit Griechenland! (Und, ganz wichtig, es heißt Au-to-chthon. Wer Au-toch-thon sagt, hat verloren!
03.03.2015 um 16:27 Uhr Lena Vandrey
Also, das Cover ist ja wirklich abstoßend!
Lfp erinnert zurecht an frühere Migrationen. Es hat deren immer gegeben. Im Französischen kann ich mir eine Bio-Française nicht vorstellen, das würde nur bedeuten, dass sie Bio isst…
Eine Frage: Wie steht es mit den deutsch-jüdischen EinwohnerInnen? Sind sie auch Biodeutsche? Deutschland ist tausend Jahre alt, die Juden aber kamen mit den Römern vor mehr als zweitausend Jahren. Also sind die Deutschen bei den Juden zuhause? Und die wirklichen Biodeutschen wären jüdisch? Die Einwanderungen erlaubten vormals auch Verbesserungen des Status. Da gab es einen Herrn, der ganz einfach Nolte hieß. Er zog um nach Bremen und hängte das “ius” an seinen Namen: Noltenius. Andere machten sich adelig. Als Reaktion auf die Nazi-Zeit kamen urplötzlich allerhand Leute von anderswoher: schwedisch-italienisch, holländisch-portugiesisch, aber nichts mit “deutsch”, und wenn ich sagte, ich käme aus dem Osten, so wurde an Elsass-Lothringen gedacht. Biodeutsch ist ein unglücklicher Ausdruck, denn dieserart Herkunft gibt es nicht! In Frankreich werden die EuropäerInnen die “Weißen” genannt, auch scheußlich. Trennen, um zu herrschen, mehr ist das nicht.
03.03.2015 um 14:13 Uhr anne
diese glosse - liebe luise - ist einfach supra - ich hoffe sehr, dass du als `gefährliche`, feministische, kritische autorin und begründerin der feministischen sprachkritik (sowohl von FemBio) noch weitaus viel mehr öffentliche aufmerksamkeit erhälst als autoren, auf deren sachverstand in unserer herrenkultur wie üblich mehr wert gelegt wird.
wie wird uns immer publik gemacht: männer lesen eher sachbücher als romane - mit ein wichtiger grund, deine sachbücher sowie all deine veröffentlichungen in sämtlichen medien an den mann und die frau zu bringen.
wenn diese obige podcast-sendung frauen auch gedanklich einbeziehen würde, müsste es außerhalb des generischen maskulinums heißen: fragen an die autorin ? aber, wie du es in einem zitat so gut auf den punkt bringst, fällt es männern schwer, sich unter einer weiblichen bezeichnung einzufinden. so bleibt es bei der herrischen bezeichnung `autor`, was uns über die männersprache deutsch suggeriert, dass fast ausschließlich männer mit sachkenntnis angesprochen und bevorzugt werden - bzw. als ob überwiegend männer über sachverstand verfügen?
das alles schlägt mir dermaßen auf den darm und bereitet mir immense übelkeit .
die macht der sprache - auf dem weg zur gerechten sprache ist für viele erst einmal aufklärung wichtig.
http://www.emma.de/artikel/wiedervereinigung-die-macht-der-sprache-265260
“Für Frauen ist es vertretbar, hin und wieder „Doktor“ oder „Lehrer“ genannt zu werden. Kein Mann würde sich „Lehrerin“ oder „Krankenschwester“ nennen lassen, es sei denn, er wäre schwul und hätte Humor. Feminisierung bedeutet für den Mann immer Deklassierung. Ein Hund macht Männchen, wir reden von Vater Staat, dem großen Bruder, den Marsmännchen, Ampelmännchen oder dem Mann im Mond. Und Gott ist ja irgendwie auch ein Kerl.”
danke für deine ausgezeichnete sachkenntnis !
llg anne