B natural: Parallelen zwischen Gender- und Musiktheorie
Die Welt ist zur Zeit dermaßen aus den Fugen, gesundheitsschädlich und lebensbedrohend, dass ich mich wieder mehr der Musik zugewandt habe. Eine alte Liebe, schon seit der Kindheit. Leider blieb die Liebe ziemlich unerwidert.
Vor einigen Monaten erbte ich ein Bechstein-Klavier von meiner Mutter. Es hat einen wunderbaren Klang. Ich ließ es stimmen, kramte ein paar alte Stücke hervor, die ich vor bald vierzig Jahren mal gespielt habe, und legte los. Es kam nicht viel dabei heraus; trotzdem machte mir die Musik und der Klang des Klaviers Freude.
Dann entdeckte ich die Kombination Internet plus iPad als Klavierlehrerin. Besser gesagt: Klavierlehrer - zur Zeit bekomme ich Video-Unterricht von zwei Herren. Beide kann ich sehr empfehlen; ich schreibe demnächst vielleicht mal Genaueres über sie.
Von Shawn Cheek, einem 38jährigen Texaner mit absolutem Gehör und drei kleinen Jungs, die durch seine Lektionen wuseln, lerne ich z.Zt. das Vom-Blatt-Spielen in 132 Lektionen, heute absolvierte ich Lektion 25. Nebenbei bekommt frau auch allerlei Musiktheorie verpasst.
Gleichzeitig beschäftige ich mich, wie immer, mit feministischen Themen, speziell feministischer Sprachkritik, die derzeit in Österreich massiv angegriffen wird, so dass ich dauernd die entsprechenden Links von erbosten bis entsetzten Freundinnen bekomme, die sich über den Schwachsinn aus Österreich nicht beruhigen können. Nun hat der österreichische Frauenring bei change.org eine Unterschriftensammlung gestartet, in dem es u.a. heißt:
Der Textentwurf der ÖNORM A 1080 oder der derzeit im Umlauf befindliche ‚Offene Brief’ zum Thema „Sprachliche Gleichbehandlung“ stellen alle Leitbilder für geschlechtsneutrales und geschlechtergerechtes Formulieren in Frage. Die genannte ÖNORM etwa will ganz genau eine Form auswählen und sagen: Diese und keine andere ist erlaubt.
Bitte unterschreibt diese Petition und sagt es weiter.
Ich folgte dieser Debatte hier im weit entfernten Boston nur mit halbem Ohr, während ich die verbleibenden anderthalb Ohren der Musik und dem Klavierunterricht widmete. Immerhin hatte ich mich schon vor über zwei Jahren ausführlich zur österreichischen Töchterhymne (einem der Steine des Anstoßes) geäußert.
Ganz früher mal hatte ich auch vorgeschlagen, wenn die Söhne denn nicht genehm seien und die „Töchter und Söhne“ die Nationalhymne aus dem Takt bringen - wie wäre es dann mit „Heimat bist du großer Töne“ (statt: „großer Söhne“)?
Und damit bin ich bei meinem heutigen Thema angekommen. Ich finde die musikalische Begrifflichkeit und die Notenschrift faszinierend als Modell zur Veranschaulichung einiger Probleme, die wir mit der Männersprache haben.
Sie alle kennen die C-Dur Tonleiter; sie besteht aus den sogenannten Stammtönen CDEFGAHC. Auf dem Klavier „bewohnen“ sie die weißen Tasten. Die Stammtöne haben Varianten, die einen Halbtonschritt tiefer oder höher liegen und auf dem Klavier mehrheitlich die schwarzen Tasten bewohnen: Dass es Varianten sind, erkennen wir auch an ihren Namen: Die Varianten des Stammtons G heißen Ges und Gis, von D Des und Dis. Auf Englisch G flat und G sharp etc. In der Notenschrift erkennen wir die Varianten an einem vorangestellten b oder Kreuz (#). Die Vorzeichen gelten immer für das ganze Stück; taucht innerhalb eines Taktes ein Vorzeichen auf, gilt es nur für diesen Takt. Auf Englisch heißt das Dreigespann aus Ges, Stammton-G und Gis „G flat, G natural und G sharp“. Die deutsche Note H heißt auf Englisch „B natural“.
Für heute reicht das an Musiktheorie. Die interessante Parallele für die Gendertheorie liegt in der Tatsache, dass die Stammtöne zwei Varianten haben, die jeweils penibel gekennzeichnet werden, im Deutschen mit den Endungen -es oder -is. Während in den Männersprachen, wie wir aus leidvoller Erfahrung wissen, nur die weibliche Variante gekennzeichnet wird, im Deutschen meist mit der Endung „-in“. Die männliche Variante der menschlichen Spezies wird hingegen nicht gekennzeichnet. Sie fällt mit der Stammform zusammen. In der Musik würde ein derartiger begrifflicher Kuddelmuddel Kakophonie statt Harmonie erzeugen und ist daher nicht erlaubt.
In der Sprache ist der Kuddelmuddel dagegen üblich und erwünscht, weil er den Herrschaftsanspruch der Männer über das „andere Geschlecht“ klar zum Ausdruck bringt.
Eine weitere interessante Parallele zwischen Gender- und Musiktheorie sehe ich in den Bezeichnungen „natural“ bzw. „Stamm-".
Aus der Biologie kennen wir die Stammzellen, die sich zu jeder beliebigen Zelle entwickeln können. Die Sprachwissenschaft redet von Wortstämmen, an die die Endungen angehängt werden. Nehmen wir als Beispiel den lateinischen Stamm domin- (hochgestellte Person) Mit einem angehängten -a wird es zu domina, mit einem -us bekommen wir dominus. Was alsdann unsere Herrenkultur aus den Bedeutungen gemacht hat, nämlich einerseits Gott den Herrn („dominus vobiscum“), andererseits die Domina im Bordell, das war zu erwarten und steht auf einem anderen Blatt.
Die „Stammtöne“ in der Musik, die „Stammzellen“ in der Biologie und die „Wortstämme“ in der Sprache bezeichnen also Ursprüngliches, das veränderbar, variierbar ist. Die abgeleiteten Formen behalten ursprüngliche Eigenschaften und bekommen neue hinzu. Dieses Muster erinnert mich an die Gendertheorie à la Judith Butler und an die Queertheorie: Die Geschlechter sind nur eine (fast künstliche, ja überflüssige) Zutat, wichtiger ist das Ursprüngliche an ihnen, das beiden Geschlechtern Gemeinsame: B flat und B sharp sind, das verrät schon ihr Name, nicht so ursprünglich wie B natural.
Es gibt noch sehr viel mehr Parallelen zwischen Musik- und Gendertheorie. Darüber vielleicht später mal mehr. Jetzt gehe ich ans Klavier und übe noch ein bißchen. Jeden Tag mindestens eine halbe Stunde, sonst wird das wieder nix.
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8 Kommentare
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03.08.2014 um 09:25 Uhr Felix Sachs
Liebe Anne
9/11 will ich auch nicht “weiter ausbauen” - das wäre reine Zeitverschwendung. Die Frage “Holocaust ohne Hitler?” kann ich nicht beantworten. Die Tatsache, dass “Mein Kampf” zum Bestseller wurde und die Haltung einer Mehrheit der Christen auf die Berufung Hitlers zum Reichskanzler zeigt doch, dass “die Volksseele kochte”. Wie hätte sich die emotionale Stimmung ohne Hitler entladen?
Heute befinden wir uns wieder in einer gefährlichen Stimmung. Das Internet wäre eine wunderbare Sache: freie Kommunkation aller mit allen. Nur sollte meiner Ansicht nach die Anonymität total aufgehoben werden: Wer etwas zu sagen hat, soll mit dem eigenen Namen dazu stehen - oder schweigen. Ich bin überzeugt: Ein grosser Teil der momentanen antijüdischen Hetze im Internet wird von Agitatoren im Hintergrund gezielt geschürt, um berechtigte Kritik am Krieg gegen Gaza unmöglich zu machen… Das ist nur ein Beispiel. Ich habe selbst schon in einem Blog über 9/11 einen solchen Agitator als “Maulwurf” enttarnt - danach war Ruhe.
Felix Sachs
30.07.2014 um 18:34 Uhr anne
@ Felix Sachs - ich möchte das thema nicht weiter ausbauen, aber hätte ohne A.H. der holocaust stattgefunden? wobei seine widerliche `kampfschrift` zum bestseller und Er sowohl von teilen der bevölkerung begierig `auf- bzw. angenommen` wurde. der antisemitismus , den er aufgriff und in seiner `kampfschrift` verbreitete, findet sich sogar in einem zitat von M.Luther wieder..und A.H. meinte im sinne eines allmächtigen zu handeln `indem ich mich des juden erwehre, kämpfe ich für das werk des herrn`(zitat A.H.)
zitiert / wikipedia ” Die Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wurde von der Mehrheit der Christen als „Rettung des Vaterlandes“ begrüßt.” http://www.das-weisse-pferd.com/99_07/kirche_hitler.html
29.07.2014 um 18:39 Uhr Gudrun Nositschka
Bravo, Luise, dass Du Dich intensiv ans Klavier zum Üben setzt! Das soll ja ungeheuer die Gehirntätigkeit steigern! Bin schon neugierig wie sich das auf Deine Sprachforschung auswirkt. Übrigens - auch wenn Baum und Stamm im Deutschen maskulin daherkommt, sind für ihre Früchte in der Mythologie bekannte Göttinnen verantwortlich, die sie den Menschen geschenkt haben. Und wenn das Patriarchat sich noch so einbildet, der Mann wäre der Stammhalter, ist die Garantin der Sippschaft immer die Frau und ihre weiblichen Nachkommen.
28.07.2014 um 21:58 Uhr Sabine
„Heimat bist du großer Töne“: Toll, unschlagbar, hilarious! Nicht zum diesem Thema gehörend: 2x fragte ich schon wegen der Zweig/Hörbuch-Geschichte nach, ob es jetzt was wird? Ich bin da ja adamant…
28.07.2014 um 07:12 Uhr Felix Sachs
Liebe Anne
Ob Europa ohne den gewisen Adolf grosses Unglück erspart geblieben wäre? Ich wage das zu bezweifeln. Vermutlich wäre schon einiges anders verlaufen - aber besser? Da war schon mal die eigentlich bekannte (im ganzen Mainstream aber tunlichst verschwiegene) Freundschaft Adolfs mit einem gewissen Henry - zugegeben: kein Kriegstreiber, ob aber die Autoschwemme, die von ihm herrührt, mit allen Folgen, wirklich ein Segen für die Menschheit ist? Adolf war doch eigentlich nur ein Rädchen des militärisch-industriellen Komplexes, ohne den hätte er die Machtergreifung nie geschafft. Dieser mafiöse Komplex wirkt im Hintergrund bis heute ganz mächtig weiter - ein Dick ennet dem Teich sei als ein Name beispielhaft genannt. Dass die drei (nicht nur 2!) Hochhäuser im WTC-Komplex nicht wegen der Flugzeuge eingestürzt sind, ist übrigens keine “Verschwörungstheorie”, sondern physikalisch erhärtet: ohne perfekte Sprengung wären die nie in Fallgeschwindigkeit (10 Sekunden Nr. 1 und 2, steht sogar so S. 305 im Kean/Hamilton-Report, 6.3 Sekunden Nr. 7!) eingestürzt. Die Presse hat darüber zu schweigen und keine Fragen zu stellen. Deshalb wurden bis heute keine wirklich Schuldigen eruiert und ist Guantanamo ein Schandfleck für die US-Justiz. Dass Osama bin Laden nichts damit zu tun hatte, hat sogar der FBI in seiner Website implizit zugegeben. Afghanistan, Irak, Libyen, Syrien, die Ukraine haben mehr damit zu tun als wir ahnen.
Felix Sachs
27.07.2014 um 16:38 Uhr anne
hervorragend, liebe Luise , deine metapher zur musiktheorie!
heimat bist du großer söhne , so lautete der text der österr. bundeshymne und nicht nur ein heimatliedler aus österreich beisst sich auch gegenwärtig in seinem melodischen liedgut daran fest, was vor allem österreichs `rechte` mit genugtuung aufnimmt und wie eine feste burg darauf besteht. wenn ich jetzt gehässig wäre und manche großen söhne österreichs kritisch betrachte, so wäre europa das größte unglück erspart geblieben, hätte der große sohn österreichs nicht existiert. leider zeigen sich heute etliche enkel und urenkel immer noch fasziniert von österreichs großem sohn Adolf.
stamm erinnert mich aber auch an stammhalter - wichtig für das patriarchat, dass der stammhalter männlich war/ist, so daß von vornherein die töchter das nachsehen hatten; gut genug , um als gebärmaschinen die dringend erwünschten männl. stammhalter ins leben zu befördern .
interessant, wie mann versucht zu legitimieren: besorgte der söhne-bundeshymne lassen verlauten: niemand hat das recht, in einen poetischen text einzugreifen, das ist , wie wenn man eine skulptur umbaut.`
aber hier wird doch nichts umgebaut sondern nur ergänzt! weil missachtet, vergessen, diskriminiert, gehasst und das patriarchat läuft sturm.
eigentlich unglaublich, wie zu einer bundeshymne zwei worte `und töchter` ein ganzes land in aufruhr versetzen. das ist mehr als beschämend! dies müsste doch alle frauen endlich hellhörig machen und auf die barrikaden bringen und uns in unserem bemühen um die gerechte sprache noch mehr motivieren. wäre da nicht für viele frauen diese bequemlichkeit, das desinteresse an unserer frauengeschichte, das desinteresse an feminismus, aufklärung und gerechtigkeit - lieber hören zu und beklatschen etliche dem altbackenen gesang eines heimatliedlers mit dem text `heimat bist du großer söhne`..
das ist in etwa so , als würde die bundesrepublik heute noch an dem `poetischen` text und der skulptur ... festhalten `deutschland, deutschland, über alles, über alles in der welt`....
27.07.2014 um 11:22 Uhr Lena Vandrey
Interessant ist die Reflexion über das Wort Stamm.
Hatte ich doch vor einiger Zeit etwas mit Stamm gesagt, vielleicht etwas über meine hugenottische Abstammung. Eine Korrespondentin war darüber erbost, das sei Nazi-Sprache und ich dementsprechend eine Faschistin. Verlegen stammelte ich:...Aber die zwölf Stämme Israels? Ich fügte hinzu, dass sich kein Wort mit Stamm im “Wörterbuch des Unmenschen” befindet und fragte harmlos, wie ich denn ein gewisses Sprichwort jetzt noch benutzen könne: Der Apfel fällt nicht weit vom…Von was? Im Wörterbuch gibt es allerhand, was nicht von Nazi ist, beispielsweise Anliegen, das steht schon bei Kleist. Die Analytikerin Luce Irigaray behauptete, dass für Frauen alles rund sei, Frauen müssten liegen, denn Stehen ist phallisch, und dürften sich keine Bäume anschauen!
Im Französischen ist ein Stamm ein Tronc, der aber ist ein abgehackter Stamm. Der richtige Stamm also ist ein Baumstamm. Wenn es aber heißt: Sie setzte sich auf einen Baumstamm, dann kann das praktisch gar nicht sein. Und der Stamm-Tisch? Und die Stämmigkeit mancher gut gewachsener Feministin? Ich sehe mit Freuden, dass ich Wörter mit Stamm wohl benutzen darf, und bin lfp dafür dankbar.
Etwas anderes ist mir aufgefallen, aber das betrifft die Welt der Bilder: Jede Darstellung von Lebendigem ist im Islam verboten, inbegriffen die eines Blattes, einer Pflaume, einer Laus. Im Jüdischen, heißt es, sei nur die Skulptur verboten, nicht die Malerei, aber auch dieser Standpunkt ist diskutabel. Wie steht es also mit den “Kinderzeichnungen” im Jüdisch/Arabischen? Ist da nicht eine unerhörte Verdrängung am Platze? Der Zugang zur bildenden Kunst wird von Anfang an verwehrt, also der Stamm des bildlichen Ausdrucks? Was machen jüdisch/arabische Kinder während der Zeichenstunde? Das fragt sich, wer sonst? Eine Malerin!...
27.07.2014 um 10:19 Uhr Monica Weispfennig Buchfeld
Liebe Luise,
ob das klappt?
Vor mehr als 20 Jahren warst Du bei uns in Gummersbach, in unserem kleinen Kulturzentrum. Eingeladen hatte die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt, Susanne Voigt. Sehr zu meinem Erstaunen war der Saal voll, besetzt von zumeist männlichen Stadtverordneten und Politikern. Da fielen die wenigen Frauen schon sehr ins Gewicht. Den Herren der Schöpfung(Anwesenheit befohlen ?) könnte Frau im Laufe Deines interessanten Vortrages die Langeweile und das Desinteresse förmlich ansehen, aber uns Frauen hat’s sehr gefallen. Wir zwei haben nach der Veranstaltung noch beim nahen ( nicht unbedingt guten) Italiener zusammengesessen.
Du hast mich sicher weiter darin bestärkt, meinen eingeschlagenen “go feminin” Weg weiter zu beschreiten. Von Herzen Dank dafür!
Ohne Bedauern stelle ich immer wieder fest, dass dies ein einsamer Weg ist, denn den meisten Frauen wie Männern ist der berühmte Sack Reis in China anscheinend näher als unsere Sprache. Seit langem wird mir in Freundinnenkreisen eine übertriebene linguistische Spitzfindigkeit nachgesagt , die letztendlich dazu führt, dass ich zu den Frauenfrühstücken nicht mehr eingeladen werde. Denn wenn ich dabei sei, müsse Frau ja vorher überlegen was sie sagt. :)) und das “nur” weil ich beim Thema “Frauenarzt und gynäkologischer Untersuchungsstuhl, ob ja oder besser Ärztin” bei dem Satz:” das könne doch jeder machen wie er wolle!” In lautes Gelächter ausbrach.
Ob Dich dies Schreiben jetzt aus Good Old Germany erreicht? Bin gespannt, weil nicht so Internet erfahren.
Herzliche Grüße monica