avenidas y flores y mujeres - Alleen und Blumen und Frauen
Eine Leserin informierte mich gestern über den Protest der Studierenden (überwiegend Frauen) der Alice-Salomon-Hochschule Berlin gegen ein Gedicht von Eugen Gomringer, das die Fassade der Hochschule ziert:
avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y
un admirador
(avenidas = Alleen/Straßen, flores = Blumen, mujeres = Frauen, admirador = Bewunderer, y = und)
In einem offenen Brief an das Rektorat vom 12.4.2016 kritisierte der AStA der Hochschule, dass Gomringers Gedicht
nicht viel anderes in den Fokus [stelle], als den omnipräsenten objektivierenden Blick auf Weiblichkeit […]
erinnert es unangenehm daran, dass wir uns als Frauen* nicht in die Öffentlichkeit begeben können, ohne für unser körperliches „Frau*-Sein“ bewundert zu werden. Eine Bewunderung, die häufig unangenehm ist, die zu Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führt.
Die U-Bahn-Station Hellersdorf und der Alice-Salomon-Platz sind vor allem zu späterer Stunde sehr männlich dominierte Orte, an denen Frauen* sich nicht immer wohl fühlen können. Dieses Gedicht dabei anzuschauen wirkt wie eine Farce und eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können.
Eine Entfernung oder Ersetzung des Gedichtes wird an unserem Sicherheitsgefühl nichts ändern. Dennoch wäre es ein Fortschritt in die Richtung, dass es unsere Degradierung zu bewunderungswürdigen Objekten im öffentlichen Raum, die uns Angst macht, nicht auch noch in exakt solchen Momenten poetisch würdigen würde.
Seitdem „ringt die Hochschule um den richtigen Umgang mit dem Gedicht“, schreibt Spiegel online. Der Senat möchte es entfernen, der Rektor will es beibehalten.
Mich erinnert der Fall an eine ähnliche Auseinandersetzung am Wellesley College zwischen Studentinnen, die sich durch das Kunstwerk "The Sleepwalker" unangenehm berührt fühlten, und der College-Verwaltung. Auch thematisch ging es um dasselbe: Der männliche Künstler wollte eine Aussage über die conditio humana, wenn nicht gar die Hilflosigkeit des Menschen machen, die Betrachterinnen fühlten sich an Traumata ihrer Jugend durch männlichen Sexualterror erinnert.
Gomringers Tochter, die Lyrikerin Nora-Eugenie Gomringer, „erklärte auf Facebook und in der 'Welt', dass die Sexismusvorwürfe albern seien, und versuchte eine Rettung per Gedichtanalyse: Der 'Bewunderer' sei kein Macho oder Beherrscher, sondern einfach Teil einer Szene. Es bedürfe nur des Wortes 'und', um Menschen zu verbinden, und dieses 'und' wünsche sie auch allen Beteiligten.“ (Margarete Stokowski)
Ich stimme Stokowski zu, dass der Tochter die „Rettung“ nicht gelungen ist. Vielmehr empfinde ich die Kritik der Studierenden als zutreffend, präzise und nachvollziehbar. Einen Punkt allerdings übergehen sie, der für mich als Linguistin das hervorstechende sexistische Merkmal des Gedichtes ist. Gemeint ist das von der Tochter seltsamerweise so gelobte y "und".
Was ein Dichter mit so einem „und“ alles anstellen kann, führt besonders Heinrich Heine uns gern vor: Die Stadt Göttingen sei „berühmt durch ihre Würste und Universität“, und ihre Bewohner würden „eingeteilt in Studenten, Professoren, Philister und Vieh“, behauptet er frech in seiner Harzreise - und die Universität war wohl wenig begeistert, sich mit Würsten in eine Schublade geworfen zu finden. Den Professoren wird es nicht gefallen haben, mit dem Vieh auf ein und dieselbe Stufe gestellt zu werden.
Wir sehen, das Wörtchen „und“ hat es in sich! Es kann zusammenzwingen, was überhaupt nicht zusammengehört. Oder nur in den Augen des "Betrachters" bzw. Bewunderers - nicht aber in den Augen der Betrachteten bzw. Objekte der Bewunderung.
Und was verrührt nun Gomringer damit alles zu einem Einheitsbrei? Avenidas y flores y mujeres.
Straßen, Blumen und Frauen. Was ist der gemeinsame Nenner von Blumen und Frauen? Na, ihre Schönheit natürlich. Blumen sind zu nichts nütze, aber schön sind sie - Zierpflanzen eben, keine Nutzpflanzen! Dito die Frauen, wenn wir den vielen männlichen Dichtern glauben sollen, die die Frauen und ihre Schönheit besungen und sie dabei vorzugsweise mit Blumen verglichen haben.
Aber nun kommen noch die Straßen hinzu. Was verbindet diese mit den Blumen und den Frauen? Der „admirador“ - ein Mann, der diese Straßen, Frauen und Blumen bewundert.
Weshalb er sie bewundert, wird nicht verraten. Bei „Blumen und Frauen“ wird der Grund wie gewohnt ihre Schönheit sein. Und so können wir vermuten, dass auch die Straßen (oder Alleen) schön sind. Der „admirador“ wird ein Flaneur sein, der die Straßen zum Flanieren braucht, um die Objekte seiner Bewunderung (Blumen) und Begierde (Frauen) zu finden.
Gomringers Gedicht aus dem Jahre 1952 stammt aus einer Zeit, da wir in den Illustrierten noch Sätze wir den folgenden lesen konnten: „Er (irgendein Playboy, Filmstar oder Prinz) liebt rassige Pferde, schnelle Autos und schöne Frauen“. Nach Jahrzehnten genervter Kritik von Feministinnen sind solche Sätze, die uns auf derselben Ebene wie Pferde und Autos ansiedeln, seltener geworden. Es sei denn, sie werden auf Hausfassaden auch noch verewigt.
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Hier ein lesenswerter Kommentar von Esther Dischereit zum Thema (24.1.2018)
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9 Kommentare
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29.09.2017 um 13:03 Uhr Anne
Da es um frauen und ihr wirken geht, ein hinweis zum phänomen `glass cliff` ; Frauen immer dann großzügig nach oben durchzuwinken, wenn alles zu spät ist, ist tatsächlich so geläufig, dass es seit einigen Jahren sogar einen eigenen Namen hat: Die Wissenschaftler Michelle Ryan und Alex Haslam von der britischen Universität Exeter haben nachgewiesen, dass Frauen überproportional häufig auf schwierige Posten gesetzt werden, bei denen die Gefahr des Scheiterns viel höher ist. Sie haben für das Phänomen den Namen „glass cliff“, also gläsernes Kliff, geprägt. Nach dieser Erkenntnis kommen Frauen vor allem dann in Führungspositionen, wenn die klassische männliche „Elite“ nicht mehr weiter weiß und die Gefahr eines Scheiterns einer Führungsfigur am größten ist. http://www.jetzt.de/politik/in-der-krise-wird-andrea-nahles-maechtigste-frau-der-spd
22.09.2017 um 12:21 Uhr Lena Vandrey
Brava für Elisabeth !
Du hast auf einem seichten Machwerk durch Deine Idee ein wirkliches Gedicht geschaffen, das kundgibt von der beängstigenden Realität, in der wir leben müssen ... Männer, Hunde und Straßen, das knallt ! Wenn an der Fassade noch Platz wäre, müsste dort Deine Version angebracht werden ! Nochmals besten Dank für Deine prima Idee !
Ansonsten gäbe es Verse von Nelly Sachs, Rose Ausländer und Ingeborg Bachmann : “Mit meinem Mörder Zeit bin ich allein”. Das wäre doch anregend für junge Gemüter ...
20.09.2017 um 12:41 Uhr Anne
Dem KalenderBlatt 28.2.1900:`Frauen dürfen studieren` ist folgendes zitat von Alice Salomon zu entnehmen: “Das Verlangen der Frauen nach wissenschaftlicher Bildung ist in keinem anderen Land der Welt auf so heftigen Widerstand gestoßen wie in Deutschland”. Das waren damals keine schönen aussichten für frauen, wenn zu diesem denkwürdigen ereignis an den damaligen männlichen zeitGeist wie folgt erinnert wird: „Nur bei dem seltensten persönlichen Genie wird (…) die Frau mit der Arbeit des Mannes wetteifern können und auch bei jedem solchen Versuche Gefahr laufen, den unbewussten Takt und das sichere Gefühl abzustumpfen, aus dem zugleich die Anmuth und Kraft ihres Geschlechtes entspringt. Sie wird kein ganzer Mann und ist keine rechte Frau.“ Auch insofern wird das gedicht von E.G. der diskriminierenden situation von aufstrebenden frauen überhaupt nicht gerecht ..
.....https://www.swr.de/.../wl0jw/swr2-zeitwort-20120228.pdf
19.09.2017 um 22:38 Uhr Gisela Lässig
Ich freue mich gleichermaßen über die gemeinsame Aktion der Studierenden wie über die gewohnt kenntnisreichen, mit Genuß zu lesenden, lehrreichen Glossen von Luise Pusch.
Wie wär’s, wenn statt des Gomringer Gedichtes eine künstlerische, treffende Aussage von Alice Salomon auf der Fassade zu lesen wäre? Sie ließe sich sicher auch ins Spanische übersetzen ..... Aber warum eigentlich?
Gisela Lässig
PS: Ich kenne auch schöne, nicht sexistische Sätze von Alexandra Kollontai auf russisch oder von Rosa Luxemburg ....
19.09.2017 um 14:37 Uhr Anne
Klasse hinweise i.d. glosse von Luise - in vielen sog. männerbroschüren und nicht nur dort wie den playboy zeigt sich, wie mann sich das bild der frau wünscht `als schmuckvolles und sexy beiwerk`, das den herrn der schöpfung wie ein satellit zu umkreisen hat. Besonders auffällig , wenn frau sich z.b. automobilausstellungen zumutet .. auch dort dürfen sexy getunte frauen als anhängselchen von schnellen, sportlichen männern in deren sportlichen outfit glänzen. Manche junge (sportliche) frauen tun aber auch einiges dafür, dass es so bleibt , indem sie sich im playboy ganz im sinne der herrenmanier neben pferden, schnellen autos und muskelbepackten adonis/sen in sexy posen einnissen bzw. verhübschen und somit nützlich machen .. irgendwann in ihrer realität merken sie plötzlich, dass sie als schön getuntes anhängsel eigentlich nur - wenn überhaupt - die hälfte wert sind ... der playboy-managEr ` tunte ` frauen als Bunnys , als häschen , verniedlichte sie sogar in s/eine schöne tierwelt hinein .. je älter ich werde und noch erfahre, umso mehr wird mir angesichts dieser bestehenden realität unangenehm übel.. schön wie eine blume, die mann einfach pflücken kann und sei es mit gewalt ..
18.09.2017 um 21:06 Uhr Elisabeth Schrattenholzer
Mein Spanisch ist vermutlich fehlerhaft. Aber die Idee kommt wohl trotzdem hinüber:
avenidas
avenidas y perros
perros
perros y hombres
avenidas
avenidas y hombres
avenidas y perros y hombres y
ninguna admiradora
(perros = Hunde, hombres = Männer, ninguna admiradora = keine Bewunderin)
18.09.2017 um 20:47 Uhr Anita M. Dürr
...liebt rassige Pferde, schnelle Autos und schöne Frauen. Jede 2.-Semester-Psychologie-Studentin weiss, was bei Aufzählungen die Reihenfolge bedeutet! Prioritäten. Und genauso ist es beim Spruch des Playboys: Er wagt sich erst an schöne Frauen, wenn er rassige Pferde und schnelle Autos hat. Weil er ja sonst nichts zu bieten hätte…
Die lieben Männer sagen uns alles. Wir müssen nur zuhören - und dann die Konsequenzen ziehen. Welche auch immer - und vor allem - jene, die für UNS richtig sind.
17.09.2017 um 20:35 Uhr Konsulentin2009
Gibt es gar kein Zitat von Alice Salomon, welche besser die Fassade des nach ihr genannten Schule hätte zieren sollen?