Aufräumen nach dem Shitstorm, 1. Teil
Am 30. März bekam ich von einem Herrn D.D. folgende Mail:
Was fällt dir alten Schlampe eigentlich ein so eine SCHEISSE zu schreiben???????????????? Du dreckige Fotze hast noch weniger Gehirn als der Dreck unterm Fingernagel… Wenn ich dich sehen sollte würde ich dir sofort in deine hässliche Fresse treten und dich mit dem Kopf auf den Bordstein schlagen du Missgeburt. Hoffe du krepierst elendig vor dich hin oder wirst von einem LKW überfahren du Arschgeburt. Du bist es nicht wert in unserer Gesellschaft zu leben.
Meine Glosse „Frauenquote fürs Cockpit“ hat im Internet einen Shitstorm ausgelöst, der mich völlig unvorbereitet traf. Er begann am Samstag, 28. März, gegen Mittag und dauerte etwa 10 Tage. Nachrichten wie die von D.D. kamen im Sekundentakt herangeflutet, über Twitter, Facebook, Emails, Kommentare unter der Glosse und Zeitungsartikel in Online- und Printausgaben. Die Zeitungsartikel waren allerdings nicht so krude wie D.D. Auf Twitter hieß es dagegen gern "Wann stirbst du endlich?", "Bitte geh sterben!" oder auch "Die ist schon alt, das Problem wird sich bald auf biologischem Wege lösen." Viele Männer meinten auch, ich wäre "untervögelt" und gehörte mal ordentlich durchgevögelt.
Mir wurden verschiedene Vorwürfe gemacht, die frei erfunden waren. Z.B. dass ich „mediengeil“ sei und hier eine Katastrophe schlimmsten Ausmaßes für meine eigenen, egoistischen Zwecke missbrauchen würde. Tatsache ist, dass ich einen Beitrag zur Verhinderung des nächsten Amokfluges leisten wollte und - wie die Airlines - fand, Eile sei geboten.
Mein Bekanntheitsgrad ist mir egal bis lästig. Ich bin eher medienscheu und arbeite schon immer lieber an meinem Schreibtisch als in der Öffentlichkeit oder im TV aufzutreten. Deshalb ist diese Unterstellung besonders grotesk, genau wie viele andere, die in der Debatte vorgebracht wurden. Um mich nicht dauernd selbst zu erklären und zu entschuldigen, zitiere ich Anja Krüger. Sie schrieb in der taz online einen der beiden fairen Kommentare der deutschen Presselandschaft, die restlichen 49, die mir zu Gesicht kamen, sind hämisch, verzerrend und bösartig. Sie sagt: „Luise F. Pusch hat es gewagt, angesichts der vom Kopiloten zum Absturz gebrachten Germanwings-Maschine die Geschlechterfrage zu stellen“. Privat äußerten sich viele weit deutlicher. Die Leiterin einer Frauenberatungsstelle und ihre Kolleginnen fassten es so zusammen: „Halte durch - es ist doch wie immer, wenn es die Chance gibt, gegen Frauen vorzugehen!“ Die Chance ergab sich diesmal dadurch, dass der immer sprungbereite und inzwischen gut organisierte Hass auf Feministinnen unter dem Vorwand der moralischen Entrüstung über „mediengeile und menschenverachtende Ausschlachtung einer Katastrophe“ und „fanatischen Männerhass“ zur Hetzjagd blasen konnte und viele sonst neutrale Gemüter sich zum Mithetzen anstacheln ließen. Deren Wut und Schmerz über das unfassbare Verbrechen brauchten ein Ziel, und da der eigentlich Schuldige tot war, stellte ich wohl einen willkommenen Ersatz dar.
Bekannt wurde meine Glosse vor allem durch die Übernahme in die Emma-Online. Alice Schwarzer verfasste zu meinem Text folgenden Vorspann:
Amoktrips sind Männersache. Und die Lufthansa hat 94 Prozent männliche Piloten. Das sollte sie ändern, meint Luise Pusch. 14 der 16 im Airbus zerschellten "Schüler" sind Schülerinnen und die zwei "Lehrer" sind Lehrerinnen. Die Opfer sind überwiegend Frauen, die Täter sind männlich. - (Ursprünglicher Vorspann von Alice Schwarzer)
Auf Emma.de wurde dieser Vorspann inzwischen abgeändert, auf der Facebook-Seite von Emma steht noch die Urfassung.
Fünf Sätze, die nicht von mir sind, mir aber im Shitstorm und in den Medien dauernd vorgeworfen wurden. Ich vermute, dass die meisten Shitstürmer nicht mehr als diesen Vorspann oder ein Zitat daraus gelesen haben. Das Wort „Amoktrips“ wäre mir angesichts der Katastrophe nicht eingefallen, es ist zu flapsig. Das sagen viele, und Antonia Baum von der FAZ stützt ihre Anklage besonders auf dieses Wort - nach 10 Tagen Shitstorm war sie eine der letzten, die sich von dem Empörungstrip noch mitreißen ließen. Warum hat sie nicht besser recherchiert, bevor sie loslegte?
Mir wurde schon einmal etwas vorgeworfen, was die Schweizer Boulevardzeitung Blick einfach erfunden hatte. Sie empörte sich, ich hätte die Abschaffung der Wörter „Vater“ und „Mutter“ verlangt und gefordert, dass in Zukunft nur noch „das Elter“ gesagt würde. Wie es zu dieser Lüge kam, habe ich hier nachgezeichnet. Das Traurige an der Geschichte ist nur, dass unzählige Zeitungen, ohne jemals bei mir anzufragen, diese freie Erfindung einfach nachgebetet haben und nun glaubten, mich wegen dieser „abartigen Idee“ der Öffentlichkeit zum Fraß vorwerfen zu müssen.
Der Satz „Die Opfer sind überwiegend Frauen, die Täter sind männlich“ ist, bezogen auf die Flugzeugkatastrophe, einfach Blödsinn. Hier hat ein Mann 149 Frauen, Männer und Kinder umgebracht, die ihm, einschließlich ihres Geschlechts, völlig egal waren. Alice Schwarzer hat diesen Satz aus anderen Diskussionszusammenhängen (bes. Amokläufe) genommen und in den falschen Kontext verpflanzt. Das geschah sicher nicht aus bösem Willen, sondern aus Eile. Die Konsequenzen aber muss hauptsächlich ich tragen, für etwas, das ich nicht gesagt habe und nicht gesagt hätte.
Der Shitstorm ist für mich vor allem ein Anlass, über ihn nachzudenken. In der nächsten Woche widme ich mich der Frage, welche Opfer in der Berichterstattung spezifiziert werden dürfen und welche nicht. Wir wurden fortlaufend über die Anzahl der deutschen Opfer informiert. Aber mein Interesse an der Anzahl der weiblichen Opfer unter den "16 Schülern" aus Haltern empfanden viele als unerträglich. Warum?
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Anmerkung der Redaktion zu den Kommentaren: Hetze gegen Luise F. Pusch oder Alice Schwarzer wird hier nicht freigeschaltet. •••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••
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65 Kommentare
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14.04.2015 um 17:38 Uhr Amy
Thomas Elbert (Neuropsychologe) von der Uni Konstanz spricht auch von einer anderen Form der Aggression bei Männern . Er nennt das appetitive Aggression, die Lust der Tyrannei. Sie wohne nur dem Manne inne . Frauen verstehen das nicht. Männer mit Appetit auf Gewalt.
Das haben diese doch seit Jahrhunderten ausprobiert und uns mit Gewalt, Mord und Totschlag , Vergewaltigung nur so überschüttet. Auch heute besteht unsere Medien-Kulturlandschaft aus extremer visueller Gewaltverherrlichung , sei es in Form von Bildern, von Filmen zur lustvollen Unterhaltung . Schlechte Vorbilder , wenn es dutzende Computerspiele und Pornofilme gibt, wo die Jungs zugedröhnt werden mit Gewalthandlungen.
Ich schalte das FS meistens ab, wenn ich diese Horrorszenarien sehe, daran kann ich keinen Spaß empfinden. Und habe festgestellt, dass wir eine äußerst negative Kulturlandschaft haben.
Es gibt Morde, Kriege und Folter, weil es Männer gibt, die lustvoll töten. 2011 hat T. Elbert sein Konzept der appetitiven Aggression vorgestellt und mit Befragungen an 1632 Kindersoldaten, Kriegsveteranen und Armeeangehörigen unterfüttert. Jungs prügeln sich häufiger als Mädchen. Körperliche Gewalt wenden Frauen seltener an. Wie lässt sich dieses kulturübergreifend gut belegte Ungleichgewicht erklären? Nachzulesen im Internet.
Zitiert: Statistiken belegen, dass weit mehr Männer wegen Gewaltdelikten verurteilt werden als Frauen. Forscher rätseln, welche Grunde dies haben könnte. Sowohl kulturelle als auch biologische Ursachen kommen in Betracht.
Es hat also nichts mit Sexismus zu tun, wenn die Frage nach einer kulturellen und biologischen Ursache gestellt wird.
Außerdem wurde im FS vor vielen Jahren über gewalthaltige Computerspiele diskutiert und die Frage aufgeworfen, ob es hinsichtlich der Aggressionsbereitschaft einen Zusammenhang geben kann . Mit dem Endeffekt, dass die Moderation dieser FS-Sendung nach der Sendung mit einer Flut von e-mails bombardiert und aufs übelste beschimpft wurde. Für den Moderator ein Beleg dafür, dass seine These gerechtfertigt war.
Es ist doch merkwürdig, immer wieder muss ich feststellen, dass ausgerechnet männliche Menschen sich für gewalthaltige Filme oder Computerspiele interessieren. Die Lust an der Gewalt, am Zuschauen ist also Fakt . Vor allem die Pornoindustrie mit ihren üblen Darstellungen von Frauen, Mädchen, Kindern, die ja überwiegend von Männern als Zuschauende belegt wird, darf sich zusätzlich über extrem hohe Gewinnspannen erfreuen.
http://www.aktuelles.uni-konstanz.de/presseinformationen/2010/82/
@ Mycroft - Hunderte Klicks für Luises Glosse bestätigen, dass das hiesige Publikum feministisch gut informiert ist . Ich würde mir an Ihrer Stelle auch sämtliche Glossenbücher und Werke von Frau Pusch besorgen.
14.04.2015 um 14:15 Uhr Jutta Kühnel
Liebe Luise Pusch, bitte sich nicht gesundheitlich beeinträchtigen zu lassen und bitte weiter machen wie gehabt! Wir brauchen mutige, kluge, streitbare Frauen so nötig.
14.04.2015 um 12:53 Uhr Mycroft
Sehr geehrte Frau Pusch,
wenn Sie für ein feministisch gebildetes Publikum schreiben, dürfen feministisch nicht so gebildete Menschen dann hier nicht lesen?
Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass ausgerechnet Feministinnen und Feministen ihre Zielgruppe sind, wenn sie eine Frauenquote fürs Cockpit vorschlagen, die sind vermutlich selbst auf die Idee gekommen.
Bzw., wäre es nicht sinnvoll, irgendwo in der Glosse einen Link zu setzen, wo ein interessierter Mensch sich schlau manchen könnte, wie Sie sich die Umsetzung besagter Frauenquote vorstellen (im Unterschied zu dem, was die Lufthansa tut)? Die Glosse wäre kurz, niemand könnte ehrlicherweise behauptet, er oder sie hätte nicht gewusst, was Sie meinten (unehrlicherweise schon, aber das ist ein anderes Problem) und Sie hätten auch was für die feministische Bildung interessierter Dritter getan. Ist Ihre Glosse und Ihr Blog, bitte nur als Vorschlag verstehen.
Nebenbei, ich würde auch gerne wissen, ob wirklich _alle_ Feministinnen denken, dass “das unterschiedliche Gewaltverhalten vermutlich kulturell, teils aber auch hormonell determiniert” ist. Erstens stoße ich mich am Begriff “determiniert”, zweitens stellt sich dann die Frage, ob es nicht sexistisch ist, irgendein Verhalten pauschal auf die Hormone zu schieben. Drittens halte ich den Feminismus nicht für so “gleichgeschaltet”, dass dort alle identische Ansichten haben. Und viertens, wenn wir erstmal eine gleichberechtigte Kultur haben, sind dann die Männer weniger gewalttätig, oder die Frauen mehr als sie es jeweils heute sind?
OffT: wenn beim Fliegen der hohe Männeranteil zu Massenmord führt und in der (kath.) Kirche zu Kindesmissbrauch, warum gilt das nicht umgekehrt? Über pädophile Piloten und Priester, die Kirchen voller Menschen (sich eingeschlossen) in Brand setzen, wird irgendwie nie berichtet.
mit verwunderten Grüßen,
14.04.2015 um 10:52 Uhr Fembio-Redaktion
@ash:
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14.04.2015 um 10:04 Uhr solimava
Liebe Luise,
ich fand deinen Beitrag “Frauenquote fürs Cockpit” so gut, dass ich ihn sofort auf der Facebook-Seite einer Organisation, die ich betreue, verlinkt habe. Es gab auf dieser Seite keine negativen Kommentare dazu. Ich finde den shitstorm gegen dich völlig unverständlich - du hast nur gesagt, was für alle offensichtlich sein muss. Frauen begehen solche Massenmorde nicht, zumindest ist mir keiner bekannt. Ich wünsche dir die Kraft, diese Angriffe auszuhalten.
14.04.2015 um 09:46 Uhr anne
sogar bei der BVG (Berliner Nahverkehr) wird beanstandet, daß die frauenquote bei den busfahrenden nur 6 % beträgt. frauen sind die besseren `fahrerinnen` , wird sogar behauptet. weitere gründe werden genannt, z.b. zur deeskalation, so der sprecher Falkner: „Es hat sich gezeigt, dass es in heiklen Situationen eine positive Wirkung hat, wenn eine Frau am Steuer sitzt.“ Viele Beispiele gebe es dafür aus anderen Städten wie Zürich. eine gute gelegenheit, die quote zu erhöhen.” (zit. tagesspiegel)
zum amok-piloten erklärte ein psychater , diese tat ist mit einem terroristischen anschlag vergleichbar. eine depression allein kann es nicht sein; für wahrscheinlicher hält er eine narzisstische persönlichkeitsstörung. die `grandiose zerstörung` macht das verbrechen von A.L. einem terroristischen anschlag vergleichbar. der kalte hass könne so stark werden, dass ohne rücksicht auf individuelles leiden von hunderten der eigene narzissmus exekutiert werden könne. der experte ist sich sicher: kein gen hat A.L. für diese tat vorbestimmt und keine störung der hirnfunktion hat ihn dazu gebracht, ein flugzeug mit 150 menschen gelassen und gezielt in eine felswand zu steuern.
und wenn ich als lesende von überall her diese vielen widerlichen hass-kommentare etlicher männl. shitstürmer vor augen habe, kann einer angst und bange werden über die hohe anzahl von männl. narzissten, die da draußen herumlaufen, durch`s internet huschen immer auf der suche, ihren hass auf feministinnen und auf frauen zum ausdruck zu bringen.
ulkig, ich lese hier `ich bin ein befürworter vollkommener gleichberechtigung von männern und frauen. ich bin allerdings ein gegner der gerechten sprache. die sprache ist über hundert jahre so gewachsen wie sie ist `(zitatende) .
sinngemäß , eine gerechte sprache würde diese alt/eingefahrene entstellen. es scheint ihm nicht aufgefallen zu sein, dass sprache sich immmer im wandel befindet. wir sehen das an der sog. `jugendsprache`. und sprache verändert sich, wächst weiter , bleibt nicht auf dem stand des vorletzten jahrhunderts stehen. zur feminisierung der gesellschaft, wogegen der masku mit allen mitteln ankämpft, gehört nun einmal ebenso eine sprachveränderung und die bedeutet: frauen
sichtbar machen; mitmeinen reicht nicht, wenn alle angesprochen werden sollen. ist natürlich eine prüfung, eingefahrene wege aus bequemlichkeit zu verlassen .. http://www.gsb.hmtm-hannover.de/uploads/media/Leitfaden_TU_Braunschweig.pdf
“Einen Vorsprung hat, wer anfängt, wenn andere noch darüber reden.“
(John F. Kennedy)
http://www.uni-potsdam.de/fileadmin/projects/gleichstellung/assets/OEffentlichkeitsarbeit/Publikationen/Leitfaden_2013.pdf
14.04.2015 um 08:17 Uhr Klaus
Die Reaktionen sind irgendwie nicht nachvollziehbar.
Was ist an Brainstorming so schwer zu verstehen?
Ich zitiere lfp:
“Ich möchte einen Vorschlag machen”
“Die Lufthansa sucht verzweifelt nach Massnahmen, ...”
Ein Vorschlag ist in meiner Welt ein Diskussionsthema.
14.04.2015 um 07:57 Uhr Maria
Auch ich vermag die vermeintliche “Medienscheuheit” nicht ganz abkaufen. Wie oben bereits jemand schrieb, war vorhersehbar, dass der Artikel Wellen schlagen würde.
Probleme habe ich damit, den Artikel als “Glosse” zu bezeichnen und empfehle, sich damit zu beschäftigen, was eine Glosse überhaupt ist und welche Stilmittel in Glossen verwendet werden.
Einige der im Artikel genannten Reaktionen sind abstoßend und sind aber auch völlig vorhersehbar gewesen. Nicht, dass ich das gut finden würde - im Gegenteil.