Auf den Spuren Fontanes und Tucholskys im Ruppiner Land
Vom 24. bis 28. April verbrachten wir ein verlängertes Wochenende im Ruppiner Land und in Berlin. Freitag bis Sonntag wohnten wir in einem Hotel am Beetzer See in der Nähe von Kremmen. Kremmen erinnerte mich an Hohen Kremmen aus Fontanes “Effi Briest”, auch sah ich auf der Karte, dass es nicht weit von Fontanes Geburtsort Neuruppin entfernt liegt. Also packte ich eine handliche Auswahl von Fontanes “Wanderungen durch die Mark Brandenburg” ein. Darin fand ich folgende Ausführungen über Mathilde von Rohrs literarischen Salon:
So waren die Abende bei Fräulein von Rohr, deren ich … zahllose verlebte. Der Charakter war immer derselbe, immer sechs, acht Personen, immer Mustertee, immer “Götterspeise”, immer Dichtungen vor einem Publikum, das durch deren Vortrag grenzenlos gelangweilt wurde. Nur Fräulein von Rohr strahlte.
Nach diesem liebevollen Spott kommt aber des Dichters echte Begeisterung für das adelige “Fräulein” (sie ist 9 Jahre älter als er) zum Ausdruck:
Sie war … ein wahres Anekdotenbuch und eine brillante Erzählerin alter Geschichten aus Mark Brandenburg, besonders in Bezug auf adlige Familien aus Havelland, Prignitz und Ruppin. Den Stoff zu meinem kleinen Roman “Schach von Wuthenow” habe ich mit allen Details von ihr erhalten. Die mit ihr … verplauderten Stunden zählen zu meinen glücklichsten.
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Auch Rheinsberg war ganz in der Nähe. Auf diesen geschichts- und literaturträchtigen Ort hatten wir uns mit Hilfe des gleichnamigen Films von Kurt Hoffmann aus den 60er Jahren einstimmen wollen, in den Hauptrollen Cornelia Froboess und Christian Wolff.
Der Film war so unsäglich, dass Joey vorzeitig entfloh. Ich entschuldigte mich: “Kurt Hoffmann hat sonst ganz nette Filme gemacht, er galt als einer der besten deutschen Lustspielregisseure, armes Deutschland. Naja - Lubitsch haben die Nazis eben aus dem Land geekelt.”
Ebenfalls aus dem Land geekelt, und in den Tod getrieben, haben sie Tucholsky. Sicher war doch seine Erzählung besser als der Film? Leider fast gar nicht, musste ich nachts im Hotel feststellen, als ich sie wegen Schlaflosigkeit komplett per Ipod hörte, schön gelesen von Helene Grass, aber das machte das angestrengt humorvolle Buch nicht besser. Es handelt von einem verliebten Pärchen aus Berlin, sie studiert Medizin, er arbeitet in einem Verlag oder bei einer Zeitung. Sie blödeln die ganze Zeit herum - nein, die Claire blödelt, und Wolf oder Wölfchen, wie sie ihn nennt, macht brav alle ihre Eskapaden mit, um sie baldmöglichst ins Bett zu kriegen. Kapriziös und kess sei sie, voller Übermut und Esprit, heißt es. Bei Wikipedia lese ich dazu:
Mit "Rheinsberg – ein Bilderbuch für Verliebte" veröffentlichte Tucholsky 1912 eine Erzählung, in der er einen für die damalige Zeit ungewohnt frischen, verspielt-erotischen Ton anschlug.
Die frische Verspieltheit hört sich ungefähr so an:
»Wölfchen, eß man Suppens mitm Messer?« »Wa –?« »Na, ich hab mal einen gesehen, der hat mitm Messer geessen.« »Suppe?« »Neieinn ... « Aber da kam eine alte Dame an ihrem Tisch vorübergeschlurcht, schielte krumm und murmelte etwas von »unerhört« und »Person« und so. »Wölfchen, die meint mir. Konnste ihr nicht gefordert gehabt habs? – Söh mal, ich bin doch 'ne Feine, nich wahr? oder glaubsu, ich bin eine Prostitierte? Nei–n. Ich ja nich. Ich nich. Hä?«
Für eine heutige Leserin ist das alles unerträglich maniriert und verstaubt. Die “verspielte” Claire ist einfach eine alberne Turteltaube.
Und der junge Tucholsky, der dieses Zerrbild holder Weiblichkeit in die Welt gesetzt hat, nervt uns obendrein mit folgender Erkenntnis über den Zusammenhang zwischen Dichtung und Liebe:
Was war, von oben betrachtet, ein Liebender? – Ein Narr. Wenn sich ihm das geliebte Herz eröffnete, schwieg er, satt und zufrieden. Ganze Literaturen wären nicht, riegelten die Mädchen ihre Türen auf ... Ein Amoroso war zu befriedigen, gebt ihm das Weib, das er begehrt, und der tönende Mund schweigt.
Wir lernen nebenbei, dass “ganze Literaturen” nur von (brünftigen) Heteromännern produziert werden, denn es ist ja nicht anzunehmen, dass Tucho auch an Lesben gedacht hat, die sich frustriert in Literatur ergießen, wann immer “die Mädchen ihnen ihre Türen” nicht aufriegeln.
Da war der alte Fontane mit seinem Loblied auf Mathilde von Rohr schon ein gutes Stück weiter als Tucholsky. Wir ließen Rheinsberg links liegen und fuhren stattdessen nach Neuruppin…
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Unser Mietauto war am Berliner Hauptbahnhof wieder abzuliefern, und wir hatten große Mühe, den Eingang zur Tiefgarage zu finden. Die nervenzerrende Suche wurde aber gemildert durch die schönen Namen der Straßen, durch die wir kurvten: “Ella-Trebe-Straße, Rahel-Hirsch-Straße, Clara-Jaschke-Straße” las ich Joey begeistert vor, die davon im Verkehrsgetümmel durchaus nichts hören wollte.
Zu Hause studierten wir dann in Ruhe die Straßennamen der wundersamen Gegend um den Berliner Hauptbahnhof und konnten es nicht glauben:
Adele Schreiber-Krieger-Straße
Alice-Berend-Straße
Berta Benz-Straße
Clara Jaschke-Straße
Claire-Waldoff-Promenade
Ella Trebe-Straße
Elisabeth-Abegg-Straße
Emma-Herwegh-Straße
Ingeborg-Drewitz-Allee
Käthe-Paulus-Straße
Margarete Steffin-Straße
Marie-Elisabeth-Lüders-Steg
Minna-Cauer-Straße
Rahel Hirsch-Straße
Die Geschichte und auch diese kleine Geschichte bewegt sich in Wellen. Erst der nette Fontane, dann abwärts mit Tucholsky, dann wieder aufwärts mit - dem Berliner Hauptbahnhof, wer hätte das gedacht.
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3 Kommentare
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26.06.2011 um 02:53 Uhr www.fembio.org
Auf den spuren fontanes und tucholskys im ruppiner land2.. WTF? :)
05.05.2009 um 16:24 Uhr Ann
Doris Tucholsky hatte das gleiche schreckliche schicksal wie Else Tucholsky-Weil - beide wurden im Konzentrationslager ermordet (wenn ich richtig recherchiert habe).
Else T.-Weil, die 1. Ehefrau von K.T., war der vielen eskapaden ihres mannes überdrüssig und liess sich scheiden - sie schrieb: “Als ich über die damen wegsteigen musste, um in mein bett zu kommen, ließ ich mich scheiden.Tucholsky war ein scharfer gänger.” Else Weil war eine der ersten frauen, die in preußen medizin studierten; sie war klug, schön und selbstbewusst.
Nun ja, der arme K.T. ist nicht der einzige mann/künstler, der - wie oben zitiert - ein scharfer gänger bzw. ein brünftiger heteromann war ....
05.05.2009 um 14:20 Uhr Sabine
Zum Verständnis von Kurt T. lohnt es sich, das frauenbiographische Buch “Sie lebten wie sie wollten” v. Rosemarie Köhler (Orlanda) anzusehen od. zu kaufen. Da gibt es u.a. zwei Seiten zu seiner Mutter Doris Tucholsky!