„Andrea Ypsilanti tritt zurück!“
Gästinglosse von Ursula Müller
„Andrea Ypsilanti tritt zurück!“ - Wie gerne hätte ich diese Schlagzeile gelesen! So viele Tritte, so viele davon unter die Gürtellinie, hat Frau Ypsilanti einstecken müssen. Meine Wut darüber schwoll täglich an und ist noch lange nicht verebbt. Natürlich ist es sehr ehrenwert, dass Andrea Ypsilanti nicht Gleiches mit Gleichem vergilt und nun ihrerseits zum Tritt ausholt. Und klug ist es vielleicht auch, so kann sie eventuell noch eine andere Karriere machen. Das halten Sie für ausgeschlossen? Kann sein. Ich setze aber durchaus Hoffnung darauf, dass Andrea Ypsilantis Partei, die sich ja dem Gender Mainstreaming verschrieben hat, die Parteipolitik des letzten Jahres in Hessen unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten aufarbeiten wird.
Das möchte ich aber nicht einfach dem Lauf der Geschichte überlassen, sondern biete hier meine Hilfe an.
Vor Jahren haben Feministinnen einmal durchgespielt, wie es einer Schwester von William Shakespeare ergangen wäre. - Sie wäre in der Gosse gelandet. Ich möchte nun den Spieß umdrehen und phantasieren, wie es einem Andreas Ypsilanti ergangen wäre:
• Zuerst wäre man und frau innerhalb der SPD des Lobes über ihn voll gewesen, war es ihm doch – wider alle Erwartungen – gelungen, für seine Partei so viele Stimmen zu holen, dass erstmals nach Jahren eine SPD-geführte hessische Landesregierung möglich erschien. Jubel allerorten! Glückwünsche aus der Parteispitze. Man drängt sich danach, neben Andreas Ypsilanti abgelichtet zu werden und in die Presse zu kommen. „Der Sieger von Hessen!“ verkünden die Medien.
• Seine Bemühungen um eine Ampelkoalition wären sehr gewürdigt worden. Dagegen hätte man die FDP dafür gescholten, dass sie nicht bereit war, ihr Wahlversprechen zu brechen und mit SPD und Grünen zu koalieren. Vasallen von Roland Koch hätte man die Liberalen genannt, ihnen Nibelungentreue vorgeworfen, bis diese keine Schnitte mehr hätten machen können. Guido Westerwelle wäre angesichts von so viel Empörung kleinlaut geworden.
• Wenn das alles nichts genutzt hätte und die FDP bei ihrem Nein geblieben wäre, hätte die Partei umgesteuert. Klaus Wowereit hätte man nach vorne geschickt. Er hätte seine Erfahrungen mit den Linken positiv dargestellt, andere Genossinnen und Genossen aus dem Osten wären gefolgt. Man hätte groß in der Presse zusammengetragen, wo die CDU (!) im Osten mit der Linkspartei koaliert. Kurz, man hätte die Linken hoffähig geredet.
• Daneben hätte man lautstark betont, dass es schließlich um die Sache ginge und darum, den Wählerwillen umzusetzen. „Die Wählerinnen und Wähler haben Roland Koch abgewählt!“ hätte es geheißen. „Wir hören die Signale. Uns geht es um die Sache. Wir werden prüfen, welche Schnittmengen es für eine Rot-Rot-Grüne Koalition geben könnte.“
• Begleitet hätte man diese Kehrtwendung mit einer Unterstützung des Kandidaten Andreas Ypsilanti. „Vorwärts, Andreas!“ hätte es geheißen. „AY, AY, AY“-Rufe wären ertönt. Lauthals hätte man die Schandtaten und Lügen von Roland Koch in den Vordergrund gestellt, hätte den brutalstmöglichen Aufklärer an die Parteispendenaffäre erinnert, an das „jüdische Erbe“. Hätte sich der so Angegriffene dann doch noch getraut, den Schritt von Andreas Ypsilanti hin zur Linkspartei als Wortbruch zu kritisieren, hätte es geheißen: „Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!“
• Und falls sich auch gegen Herrn Ypsilanti vier Abtrünnige gefunden hätten, hätte die Partei dem Genossen Andreas einen Sitz im Bundestag in Aussicht gestellt, wenn nicht gar eine noch höhere Position in der Partei: „Andreas hat uns gezeigt, in welche Richtung wir gehen müssen! Männer wie ihn braucht die SPD.“
Aber so? Ich muss an Al Gore denken, den Beinahe-US-Präsidenten, der seine Anliegen so konsequent in die Öffentlichkeit trägt und nun sogar einen Oscar in seinem Regal stehen hat. Andrea Ypsilanti, die Beinahe-Ministerpräsidentin von Hessen, als mutige Kämpferin für eine alternative Wirtschaft, so wie sie sie in Hessen hat realisieren wollen? Nicht nur, dass ihr dafür sicher das Geld fehlt. Auch als Umweltkämpferin und ökologische Wirtschaftstheoretikerin hat sie das falsche Geschlecht. Ich überlasse es Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, durchzuspielen, wie es einer Schwester von Al Gore, Ann Gore, ergangen wäre.
7.2.09 ••••••••••••••••••• Dr. Ursula G.T. Müller, Jahrgang 44, Soziologin und Frauenpolitikerin, kam Ende der 1960er/Anfang der 1970er in die US-amerikanische Frauenbewegung und hörte mit Feminismus nicht mehr auf. Von 1986 bis 1996 war sie Frauenbeauftragte der Stadt Hannover, von 1996 bis 1998 Staatssekretärin im Frauen-, Jugend-, Wohnungs- und Städtebauministerium von Schleswig-Holstein. Ihre Erfahrungen hat sie aufgezeichnet in dem Buch "Die Wahrheit über die Lila Latzhosen: Höhen und Tiefen in 15 Jahren Frauenbewegung", Gießen: Psychosozial-Verlag 2004, 390 S.
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13 Kommentare
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20.02.2009 um 10:59 Uhr Monika
Im Archiv des ‘Lebendigen virtuellen Museum Online’ (LeMO) habe ich sehr wohl einiges zur Frauenbewegung seit 1900 finden können. (Suchbergriff “Frauenbewegung” auf http://www.dhm.de/lemo/suche/index.html)
Im Text “Schöner und freier” steht zur Latzhose:
“Der Mitte der 60er Jahre in England erfundene “Minirock” ruft zunächst zahlreiche moralische Proteste hervor. Noch 1970 gilt das Erscheinen einer weiblichen Abgeordneten mit Hosenanzug im Deutschen Bundestag als Provokation. Doch bald übernimmt die Modeindustrie die neuen Symbole der Emanzipation. Miniröcke und Hosen in grellen Farben und synthetische Stoffe halten Einzug in weibliche Kleiderschränke. Die Neue Frauenbewegung geht auf Distanz zum herrschenden Modetrend, der ihrer Ansicht nach Frauen zu Sexualobjekten macht. Eine einfache Malerlatzhose, lila eingefärbt, wird zum Erkennungszeichen der feministischen Bewegung.”
18.02.2009 um 21:26 Uhr Anne
“Die Frauenbewegung finden sie nicht der Rede wert”
Diese Feststellung hatte ich vor einiger Zeit anläßl. einer Feminismus-Debatte (Welt) im Internet machen müssen. Nachdem in diesem Forum in gehässiger Weise gelästert wurde, hatte ich dort einen ausführlichen Bericht bzw. eine Zusammenfassung zur neuen Frauenbewegung mit Quellenangaben abgegeben.
Erstaunt war ich jedoch darüber, daß dieser umfangreiche Kommentar von der Redaktion später einfach gelöscht wurde.
Dafür waren Kommentare von Mitforisten scheinbar willkommener, die ihr Wissen über die Frauenbewegung mit den übl. KlischeeVorstellungen zum Besten gaben und verhöhnten (Feministinnen in Latzhosen, männerhassend, frustriert, EMMA ....)
Sicherlich schmeckte den Herren auch das Zitat zur dt. Frauenbewegung so gar nicht:
“Veränderungen für Frauen wurden nur durch Frauen gemacht” (frauennews).
Na, ja, der wieder aufgewärmte Hinweis eines Foristen, daß meine Defizite darin lägen, daß mir `keiner` (gemeint natürlich ein männl. Geschlechtsteil) gewachsen ist, durfte sichtbar bleiben - das darf frau sich halt gefallen lassen, wenn sie einigen Herren auf ihre Defizite bzw. dummen Bemerkungen in Sachen Frauenbewegung aufmerksam macht und kritisiert. Um noch nachzuTreten wurde ich von einem Foristen auch als `Neutrum/Es` tituliert, da er einer Emanze das Frausein absprach.
Dafür wird den historischen `HeldenKriegsTaten` des Patriarchats ab 1871 im Haus der Geschichte viel Platz eingeräumt, für die `Frauenbewegung` bleibt wohl nur die `Schublade` ...?
17.02.2009 um 16:35 Uhr lfp
@ lukrezia: In den Augen der Medien und der männlich-bundesdeutschen Geschichtsschreibung ist die Frauenbewegung anscheinend zu einer lila Latzhose geschrumpft. So berichtet Helke Sander in ihrem Film “Mitten im Malestream”, dass das Bonner “Haus der Geschichte” die Frauenbewegung in einem Schaukasten versinnbildlicht mit einem Exemplar der “Emma” und einer Lila Latzhose. Vgl. auch http://www.freitag.de/2006/06/06061301.php
LeMo ist die Online-Präsenz des Hauses der Geschichte. Dort habe ich über die Frauenbewegung nichts gefunden. Die Macher sind fast ausschließlich Männer. Die Frauenbewegung finden sie nicht der Rede wert.
17.02.2009 um 16:15 Uhr lukrezia
Ich sehe am Fuße Ihres Bietrages eine Buchempfehlung zu dem Buch “Die Wahrheit über die lila Latzhosen”. Wie kommt man eigentlich auf die Assoziation Feminismus—>Lila Latzhosen?
Ich habe im Internet gesucht aber nichts gefunden!
lg
16.02.2009 um 18:49 Uhr Anne
Danke für die interessante Gästinglosse!
Ich wünsche mir ein ganz starkes, radikales feminist. Gegengewicht, das der Männer-Macho-Mono-Kultur und den Antifeministen in Politik und Medien endlich Paroli bietet. Statt Anpassung mehr Solidarität, starke feminist. Frauennetzwerke und die Sichtbarmachung einer anderen, d.h. einer feministischen polit. Kultur/Bewegung. Nur bloss nicht im `Wellness-Verfahren`und auf `Schmusekurs` mit den Antifeministen.
Diese `Tritte` - ganz oben angesiedelt wie gewohnt sichtbar i.d. Springer-Presse - gegen Andrea Ypsilanti waren gespickt mit Hetze, Diffamierungen und Schuldzuweisungen.
Immerhin hatte Andrea Ypsilanti a.d. SPD-Parteitag die Mehrheit (98 %) hinter sich für ihr Konzept “Soziale Moderne”.
Dafür darf jetzt Roland Koch nach männl. Definitionsmuster und männl. Spielregeln (Schmiergeldaffäre) seine zweite, ehrliche Chance nutzen - im Machtbündnis als Steigbügelhalter brav die FDP.
Wahrhaft - mannhaft! Zum K ...!