Biographien Luise Büchner Luise Büchner, von Siegfried Carl
Luise Büchner, von Siegfried Carl
Man darf sie nicht nur als Schwester von Georg Büchner betrachten, dafür ist sie zu unabhängig, ihre Leistung zu eigenständig. Als Werke der Schriftstellerin im engeren Sinn sind ihre Lyrik und Romane sowie ihre Reisebeschreibungen, Erzählungen und Märchen zu nennen. Ihre nachhaltige Bekanntheit basiert allerdings auf ihrem Wirken für die Entwicklungsmöglichkeiten von Mädchen und Frauen sowie die daraus resultierenden Publikationen zur Mädchen- und Frauenbildung, zu Berufsausbildung und Erwerbsmöglichkeiten für Frauen sowie für den Krankenpflegeberuf im Besonderen.
Mit der fast gleich alten revolutionären Frauenrechtlerin Louise Otto hat die feinsinnige, hochgebildete Luise Büchner nicht viel gemeinsam, auch wenn sie sich auf Versammlungen begegnen; ihre Ziele, die Befreiung der Frau aus Unwissenheit und Unmündigkeit, mögen die gleichen sein, die Wege sind grundverschieden.
Ernst Karl Büchner, Distriktarzt in Goddelau, wird vom Großherzog als Obermedizinalrat nach Darmstadt berufen. Seine Ehefrau Caroline Louise gebiert acht Kinder, zwei davon sterben im Kindesalter. Georg – durch sein revolutionäres, kurzes Wirken und sein literarisches Werk der bekannteste Büchner – wird in Goddelau geboren. Mathilde – die später mit Luise, beide unverheiratet, im Haus des Arztbruders Louis in Darmstadt lebt – und Wilhelm – der als Farben-Fabrikant und Politiker einige Bekanntheit erlangt – kommen in Stockstadt zur Welt. Luise sowie ihre jüngeren Brüder Ludwig (Louis) – als Arzt und vor allem materialistischer Naturwissenschaftler und Philosoph bedeutend – und Alexander – der als Lehrer und Literaturprofessor in Caen/Frankreich wirkt und auch als Schriftsteller von Erzählprosa bekannt ist – sind im großherzoglichen Darmstadt geboren. Dass in dieser naturwissenschaftlichen und musischen Familie Bildung groß geschrieben wird und Luise von den vielfältigen Anregungen profitiert, ist eine gute Voraussetzung für ihr späteres Leben und Wirken.
Die kurze Schulbildung spornt ihr späteres Bemühen um anständige Bildungsmöglichkeiten für Mädchen an. Ihre umfangreiche Bildung in fremden Sprachen, medizinischen Grundfragen, Literatur, Mythologie und Geschichte bringt sie sich selbst bei. Durch einen schweren Unfall in der Kindheit leidet sie lebenslang an einer Rückenverkrümmung, die sie in ihrer Bewegung stark einschränkt.
Das Schicksal ihres ältesten und Lieblings-Bruders Georg, seine revolutionären Ideen und Aktionen und sein damit verbundenes literarisches Schaffen bewundert sie sehr. Sein früher, unvermittelter Tod erschüttert sie. Nie wird sie im großherzoglichen Umfeld in Darmstadt ihre Bewunderung und Unterstützung der Ideen Georgs, der offiziell als Revolutionär und Terrorist gilt, offen zeigen können.
1855 erscheint bei Meidinger in Frankfurt – noch anonym, allerdings mit einem L.B. unter der Vorrede: „Die Frauen und ihr Beruf: Ein Buch der weiblichen Erziehung. In zusammenhängenden Aufsätzen niedergeschrieben von Frauenhand.“ Das Buch trifft den Nerv der Zeit und macht sie mit einem Schlag deutschlandweit bekannt. Weitere Auflagen unter Nennung ihres vollständigen Namens 1856, 1860 und 1872 in einer erweiterten Fassung, sowie 1884, nach ihrem Tod. Es ist das früheste Werk der Frauenbewegung zum Thema Bildung und Erziehung von Mädchen und jungen Frauen sowie zum Status verheirateter und unverheirateter Frauen.
Die frisch vermählte, junge Großherzogin Alice von Hessen und bei Rhein, Tochter der britischen Königin Victoria, findet 1866 Gefallen an Luise und ihren Ideen. Luise Büchner wird fortan der Motor und das bürgerliche Aushängeschild der von Alice unterstützten Reformbemühungen im Frauen-Bildungswesen, im Heimarbeiterinnen-Stand und im Krankenpflegeberuf, einem der wichtigsten, völlig ungeregelten und meist unentgeltlichen Einsatzfelder von Frauen. Luise vertritt den „Alice Frauen-Verein für Krankenpflege“, den „Alice-Verein für Frauenbildung und -Erwerb“, der auch eine Berufsfachschule für Mädchen und den „Alice-Basar“, eine Art Kaufhaus für von Frauen hergestellte Waren, unterhält, und leitet das „Alice-Lyceum“, eine Weiterbildungsstätte für Frauen, an der sie selbst auch unterrichtet. Die Deutschen Frauenbildungs- und Erwerbsvereine treffen sich 1872 auf Einladung von Großherzogin Alice und Luise Büchner zu ihrer ersten Generalversammlung in Darmstatt. Als Höhepunkt ihrer frauenpolitischen Arbeit ist sie die erste Frau, die vom preußischen Kultusminister 1873 gebeten wird, für eine nationale Konferenz zu Bildungsfragen eine Stellungnahme zur Mädchenbildung und den wichtigsten Erziehungsfragen und Unterrichtsmöglichkeiten abzugeben.
Wichtige Ziele der Aktivitäten Luise Büchners sind eine breite Mädchenbildung, die nicht durch Pastoren, sondern ausgebildete Lehrerinnen erfolgt; eine gerechte Bezahlung der von Frauen geleisteten Arbeit; eine Professionalisierung der Krankenpflege in Krankenhäusern und im Militär, unabhängig von kirchlichen Einrichtungen und nicht als karitative Tätigkeit, sondern als bezahlte Arbeit; und ein Nachholen von Bildung der im Kinder- und Jugendalter vernachlässigten Frauen.
Die in den 1870ern vor dem Tod neu erscheinenden Veröffentlichungen, zeigen exemplarisch die Bereiche ihres publizistischen und gesellschaftlichen Wirkens:
• 5 Essays in: Der Frauen Anwalt. Hg. v. Jenny Hirsch. 1. Jahrgang, Berlin 1870/71.
• „Über weibliche Berufsarten“, Darmstadt 1871.
• Alice Maud Mary, Prinzessin von Großbritannien und Irland, Herzogin zu Sachsen. In: Der Salon für Literatur, Kunst und Gesellschaft, 2. Band, Leipzig 1873, S. 934–944.
• „Clara Dettin“. Erzählendes Gedicht, Leipzig 1874.
• „Deutsche Geschichte von 1815–1870:“ Zwanzig Vorträge gehalten im Alice-Lyceum zu Darmstadt, Leipzig 1875.
(Text von 2024 aus dem Buch “...immer Luise” von Siegfried Carl; mit freundlicher Genehmigung des Verfassers).
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