Biographien Eleanor Roosevelt Eine First Lady wie keine zuvor: Eleanor Roosevelt. Biographischer Essay von Renate Kraft
Eine First Lady wie keine zuvor: Eleanor Roosevelt. Biographischer Essay von Renate Kraft
Am 7. November 2012 jährt sich der Todestag der berühmten US-Amerikanerin zum 50. Mal - ein Anlass, auch diesseits des Atlantik eine streitbare Feministin und Sozialreformerin kennenzulernen.
Sie war die wohl mächtigste Politikerin des 20. Jahrhunderts, obwohl sie kein Amt innehatte, und ihre Gegner fanden das skandalös. 1884 geboren, war sie in einer Welt aufgewachsen, in der Frauen in der Politik nichts zu suchen hatten, und es gelang ihr im Laufe ihres Lebens, dieses Vorurteil nachdrücklich zu verändern. Als Ehefrau des US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt verfolgte sie eigene politische Ziele, die sie teils mit, teils ohne ihren Mann und dessen politische Berater durchsetzte. Zwischen 1933 und 1945 hielt sie jede Woche eine eigene Pressekonferenz ab und erzielte mit ihren Veröffentlichungen ein höheres Einkommen als ihr Mann mit seiner politischen Tätigkeit. Sie tanzte auf den offiziellen Bällen der Washingtoner Gesellschaft ebenso wie auf den Gemeinschaftsfesten der Modellsiedlung Arthurdale, eines Projekts für arbeitslose Bergleute, das sie in Gang gebracht hatte. Sie hatte dezidierte Meinungen und betrieb Politik mit Leidenschaft.
In der Tradition der ersten Frauenbewegung, die 1920 das Frauenwahlrecht erkämpfte, setzte sie sich für soziale Reformen ein, gegen die Diskriminierung der Frauen und der Afroamerikaner, für Friedenspolitik, Arbeitsschutzmaßnahmen und Bildungsprogramme. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg leitete Eleanor Roosevelt den UN-Ausschuss, der die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ formulierte. Vor allem aber galt sie als treibende Kraft hinter den sozialen Maßnahmen des „New Deal“, jenes Bündels von sozialen Maßnahmen, Konjunkturprogrammen und Regulierungsgesetzen für den Finanzsektor, mit dem Franklin Roosevelt in den dreißiger Jahren die Große Depression zu überwinden suchte. Und während über den Erfolg des New Deal als wirtschaftspolitisches Programm bis heute gestritten wird, ist unzweifelhaft, dass die damit verbundenen Hilfsprogramme und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zahlreiche US-AmerikanerInnen aus Verelendung und Hoffnungslosigkeit gerettet haben. Als „Herz“ oder auch „soziales Gewissen“ dieser Politik wurde die Frau des Präsidenten wahrgenommen: Sie reiste an Stelle ihres gelähmten Ehemannes durch die USA und sprach mit verarmten, arbeits- und obdachlosen Menschen, denen sie das Gefühl gab, dass die Regierung sich tatsächlich für ihr Schicksal interessierte und um sie besorgt war. Sie selbst initiierte und überwachte zahlreiche Hilfsprogramme und sorgte dafür, dass die Regierung ihres Mannes die finanziellen Mittel dafür bewilligte. Die Modellsiedlung Arthurdale finanzierte sie zu großen Teilen selbst.
Wie war diese Frau dazu gekommen, so viel politische Bedeutung zu gewinnen? In ihrer wohlhabenden großbürgerlichen Familie fiel den Frauen außerhalb des Hauses allenfalls die Rolle der gesellschaftlichen Repräsentation zu, keinesfalls die der politischen Gestaltung. Darüber hinaus galt Eleanor Roosevelt seit ihrer Kindheit als extrem schüchtern und wenig selbstbewusst. Ihre Eltern hatten sich nur wenig um sie gekümmert und starben beide früh, die Mutter an Diphtherie und psychischer Erschöpfung, der Vater an Alkoholismus und Verwahrlosung. Schon als Kleinkind erhielt Eleanor von ihrer Mutter den durchaus verletzend gemeinten Spitznamen “Omi” - weil sie so düster und ernst aussah. Sie hatte vorstehende Zähne, war sehr groß gewachsen und bewegte sich linkisch. Wenn Fremde oder gar ein Fotoapparat in der Nähe waren, wandte sie sich ab. Ihre Stimme war brüchig und kippte leicht. Sie war definitiv keine Frau für öffentliche Auftritte. Als junge Frau gab sie eine Zeitlang unentgeltlich Unterricht in einem Armenviertel von New York, das schickte sich für eine Tochter aus gutem Hause. Wie es in ihren Kreisen üblich war, endete die Zeit eigener Interessen und Vorhaben jedoch mit der Hochzeit. Und der junge Franklin Roosevelt, der schon als Schüler den Plan gefasst hatte, amerikanischer Präsident zu werden, wies seiner Frau ganz selbstverständlich die Aufgabe zu, viele Kinder zu bekommen, ein gastliches Haus zu führen und ihm den Rücken freizuhalten. In den ersten zwölf Jahren ihrer Ehe brachte Eleanor Roosevelt sechs Kinder zur Welt.
Es war ihr, wie sie sagte, ein Anliegen, die Erwartungen anderer zu erfüllen, und das blieb auch so, bis sie 1918 im Reisegepäck ihres Mannes einen Stapel Liebesbriefe ihrer Sekretärin Lucy Mercer fand und sich unversehens in die Rolle der betrogenen Ehefrau verwiesen sah. Sie bot Franklin die Scheidung an – was angesichts seiner politischen Karrierewünsche eher eine Drohung war – und fand sich schließlich zu einem Arrangement bereit, das die Ehe lediglich formal aufrecht erhielt. Was zunächst aussah wie die erneute Unterordnung einer verratenen Frau unter die Interessen ihres Mannes, eröffnete Eleanor Roosevelt die Möglichkeit zu einer für ihre Zeit beispiellosen politischen Karriere. Sie nutzte dabei - ähnlich wie später Danielle Mitterand und Hillary Clinton - die Möglichkeiten, die ihr die Rolle der Frau an der Seite eines bekannten Politikers bot, um die Grenzen dieser Rolle zu überschreiten. Hilfreich war, dass Franklins Berater Louis Howe ihre politische Begabung erkannte und förderte. Aber es scheint, dass der politische Aufbruch Eleanor Roosevelts vor allem in ihren Freundschaften zu Frauen gründete und dort auch die entscheidende Unterstützung fand.
Schon als junges Mädchen im englischen Internat Allenswood hatte Eleanor das Interesse und die Zuneigung der Schulleiterin Marie Souvestre genossen, die ihre Schülerinnen, junge Frauen aus der Oberschicht, dazu anhielt, über den Tellerrand der eigenen Gesellschaftsschicht und der eigenen Geschlechterrolle zu schauen, Anteil zu nehmen, eine eigene Meinung zu entwickeln, tätig zu werden. Sie selbst hatte das Beste aus den Bedingungen ihrer Zeit gemacht: Als Lehrerin zu arbeiten und nicht zu heiraten war ein neue Möglicheit, die den Mittelschichtsfrauen im England der Zwischenkriegszeit zufiel, auch wenn sie dann gerne als geschlechtslose alte Jungfern verunglimpft wurden. Marie Souvestre, eine elegante, gebildete und streitbare Feministin, mochte die schüchterne junge Frau aus den Staaten und ermutigte sie nicht nur, ihre intellektuellen Fähigkeiten zu entwickeln, sondern nahm sie auch auf Reisen mit, half ihr, sich vorteilhaft zu kleiden, und zog sie ins Vertrauen.
An diese Erfahrung knüpfte die verratene Ehefrau an, als sie sich auf der Suche nach Anregung und Kontakt den politisch aktiven Frauen in ihrem Umfeld anschloss. Enge Freundschaften schloss sie mit zwei lesbischen Frauenpaaren, mit Elisabeth Read und Esther Lape und später mit Nancy Cook und Marion Dickerman. Erstaunlicherweise konnten zu Beginn des 20. Jahrhunderts Frauen an der amerikanischen Ostküste offen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben, vorausgesetzt, der sexuelle Charakter ihrer Verbindung war nicht offenkundig. Die so genannte “Boston Marriage” war eine gesellschaftlich akzeptierte Form des Zusammenlebens gebildeter berufstätiger Frauen aus der gehobenen Mittelschicht, und diese Frauen waren die wichtigsten Trägerinnen der ersten Frauenbewegung.
Eleanor Roosevelt lernte Elisabeth Read 1919 bei der League of Women Voters kennen. Die bekannte Rechtsanwältin bot der noch unerfahrenen Eleanor an, ihr bei der Planung politischer Aktivitäten zu helfen. “Ich mochte sie sofort, und sie gab mir ein Gefühl von Selbstvertrauen”, schrieb Eleanor später in ihren Erinnerungen. Bald war Eleanor regelmäßig zu Gast bei Elisabeth Read und ihrer Lebenspartnerin, der Literaturwissenschaftlerin Esther Lape. In ihrem Wohnhaus in Greenwich Village gaben die beiden Frauen elegante Essenseinladungen, bei denen Gedichte vorgelesen und politische Fragen debattiert wurden. Sie waren leidenschaftlich an Musik und Theater interessiert, liebten kontroverse Debatten und gaben gemeinsam ein Wochenblatt heraus, für das bald auch Eleanor schrieb. Als “New Women” der zwanziger Jahre erprobten sie eine neue Lebensform, die persönliche Freiheit mit politischem Engagement verbinden sollte. Im Kontakt mit diesen neuen Freundinnen blühte Eleanor Roosevelt auf, gewann Selbstvertrauen und genoss die vielfältigen Anregungen in ihrem Umkreis.
Noch enger gestaltete sich ihre Beziehung zu Nancy Cook und Marion Dickerman, zwei feministischen Aktivistinnen in der Demokratischen Partei. Nancy Cook lud Eleanor Roosevelt ein, bei einer Parteiveranstaltung zu sprechen, und Eleanor war sofort fasziniert von ihrem temperamentvollen, etwas burschikosen Auftreten. Die Freundschaft mit Nancy Cook schloss bald auch deren Lebensgefährtin Marion Dickerman ein, mit der zusammen Eleanor später die Todhunter School für Mädchenerziehung in New York gründete. Und obwohl Eleanor sich zu Nancy Cook besonders hingezogen fühlte - so sah es jedenfalls Marion Dickerman - bildeten die drei Frauen in den nächsten fünfzehn Jahren einen engen Freundinnenbund. Gemeinsam gründeten sie eine Manufaktur für Möbel im traditionellen Stil und errichteten ein Wohnhaus, Val-Kill, wo - wie alle Biographien nachdrücklich vermerken - Möbel, Geschirr und Wäsche mit den Initialen “EMN” für “Eleanor, Marion and Nancy” verziert waren. Legendär wurde auch der Einfall Eleanors, für sich und Nancy Cook Knickerbocker-Hosen maßschneidern zu lassen, um mit der Freundin im Partnerlook aufzutreten. Marion Dickerman muss eine sehr geduldige Dritte im Bunde gewesen sein!
Warum sollten es Liebes-Freundschaften gewesen sein, die Eleanor Roosevelt zu mehr Selbständigkeit, Initiative und Durchsetzungsvermögen verhalfen? Warum nicht Gesellschaftstheorie und politische Programmatik, eine starke, gut organisierte Partei? Es scheint, dass die Beziehungen zu ihren Freundinnen Eleanor Erfahrungen ermöglichten, die sie in ihrer - vorsichtig ausgedrückt - dysfunktionalen Herkunftsfamilie nicht hatte machen können: Austausch von Gefühlen, Zusammengehörigkeit, Angenommensein. Und dass diese Erfahrungen eine Lücke in ihrem Selbstgefühl schließen und die Wunden aus ihrer Kindheit heilen konnten. In ihrer Ehe mit dem eitlen Muttersohn Franklin Roosevelt waren solche Erfahrungen nicht möglich. Franklin tat mit seiner Frau das, was er mit allen Menschen tat: Er spannte sie für eigene Zwecke ein. Dazu gehörte auch, dass Eleanor ein Leben quasi unter schwiegermütterlichem Kuratel führte: Sara Delano Roosevelt erzwang gemeinschaftliches Wohnen und bestimmte die Einrichtung der Zimmer, den Tagesablauf der Familie und die Erziehung der Kinder. Erst im Kreis ihrer Freundinnen konnte Eleanor sich aus dieser Bevormundung befreien und ihrem Leben auch räumlich ein eigenes Zentrum geben.
Während der zwanziger Jahre führten die drei Freundinnen zusammen mit Caroline O'Day und Elinor Morgenthau die vier Organisationen an, in denen sich die neu errungene Macht der US-amerikanischen Frauenbewegung konzentrierte: die League of Women Voters, die Women's Trade Union League, die Women's Division of the New York State Democratic Committee und den Women's City Club. Eleanors Biographin Blanche Wiesen Cook betont, dass Eleanor innerhalb dieser Führungsgruppe die informelle Leitung innehatte. Sie gab Zeitungen heraus, moderierte Podiumsdiskussionen, sammelte Spenden, warb auf der Straße für ihre politischen Ziele und vertrat New York bei überregionalen Frauenkongressen. Die New York Times berichtete nahezu wöchentlich über sie und ihre Arbeit. Sie hatte im Laufe der Jahre gelernt aufzutreten, und ihre Reden und Diskussionsbeiträge wurden von der Presse oft in voller Länge abgedruckt. Als Franklin Roosevelt 1928 die Wahl zum Gouverneur des Staates New York gewann, reduzierte Eleanor zwar die Zahl ihrer öffentlichen Auftritte, blieb aber die einflussreichste Politikerin innerhalb der Demokratischen Partei.
Dann aber bewarb sich Franklin 1932 um die Präsidentschaft und Eleanor fürchtete, dass die Rolle, die sie als First Lady zu übernehmen hätte, sie zwingen würde, ihre eigenen politischen Aktivitäten aufzugeben. Sie vertraute ihre Befürchtungen der Journalistin an, die für die Nachrichtenagentur Associated Press den Wahlkampf der Roosevelts begleitete. Lorena Hickok, eine bekannte Reporterin, hatte zunächst über die Auftritte des Präsidenten berichtet und dann immer öfter über die seiner Frau. Als Franklin Roosevelt vereidigt wurde, trug Eleanor einen Ring, den Lorena ihr geschenkt hatte. Im Weißen Haus bezog Lorena Hickok ein Zimmer, das mit Eleanors Schlafzimmer durch eine Tür verbunden war. Das Vertrauen, das Eleanor ihr schenkte, hat sie nie missbraucht. Keine der Informationen, die sie durch ihre persönliche Nähe zu Eleanor erhielt, verriet sie der interessierten Öffentlichkeit.
In großer Zahl haben sich Historiker und Historikerinnen seitdem gestritten, ob die beiden Frauen eine lesbische Beziehung hatten. Die Auseinandersetzung darüber trägt teilweise Züge eines Geschlechterkampfes, und sie dauert bis heute an. Der Briefwechsel zwischen Eleanor Roosevelt und Lorena Hickok erfreut sich einer interpretatorischen Artistik, wie sie nur wenigen historischen Dokumenten zuteil wird. Unstrittig ist, dass die beiden Frauen ein großes Maß an Zärtlichkeit und Liebe füreinander in Worte fassten: “Ich liebe dich über alle Worte hinaus ...” (Eleanor), “Dir gehört meine Dankbarkeit und all meine Liebe ...” (Lorena), “Ich wünschte, ich könnte mich heute Abend neben dich legen & dich in meine Arme nehmen…” (Eleanor), “Am deutlichsten erinnere ich mich an deine Augen ... und daran, wie sich die weiche Stelle eben nordöstlich von deinem Mundwinkel an meinen Lippen anfühlt ...” (Lorena), “Es wird immer schwieriger, dich gehen zu lassen ...” (Eleanor). Dass Lorena Hickok in späteren Jahren große Teile des Briefwechsels verbrannte, hat die Spekulationen angeheizt. Letztlich ist es wohl nicht entscheidend, ob die beiden Frauen eine sexuell definierte Beziehung hatten. Sie liebten einander mit großer Intensität und Zärtlichkeit, und sie blieben einander lebenslang verbunden.
Lorena hatte Ideen, wie Eleanor Roosevelt die zeremonielle Rolle der First Lady politisch gestalten konnte. Als besonders wirkungsvoll erwies sich ihr Vorschlag, Eleanor solle jede Woche eine eigene Pressekonferenz geben, zu der sie nur Frauen zuließ. Weil Eleanor auf diese Weise die Arbeitsplätze der beteiligten Journalistinnen während der anhaltenden Wirtschaftskrise sicherte, wuchs ihr in dieser Pressekonferenz eine loyale Gefolgschaft von Berichterstatterinnen zu, die es sich zur Aufgabe machten, die Themen und Ansichten der First Lady publizistisch zu unterstützen. Bald schrieb die First Lady auch eine tägliche Zeitungskolumne, die von zahlreichen Zeitungen gedruckt wurde. Im Weißen Haus baute Eleanor einen eigenen Kreis von Beratern und Beraterinnen auf, mit deren Hilfe sie entweder Einfluss auf die Politik ihres Mannes nahm oder eigene politische Projekte in Gang setzte. Ihr wohl wichtigster personalpolitischer Schachzug war die Installation einer Feministin, Frances Perkins, als Arbeitsministerin: In ihr fanden diejenigen Regierungsmitglieder, die in der fortdauernden Wirtschaftskrise die Frauen aus dem Erwerbsleben am liebsten wieder ausgeschlossen hätten, eine entschiedene Widersacherin.
Während es Eleanor also mit Lorenas Hilfe gelang, ihre Wünsche zu verwirklichen, zerbrach Lorenas berufliche Karriere an den neuen Gegebenheiten. Denn sie konnte in einer Liebesbeziehung nicht länger tun, was eine gute Reporterin ausmacht: dem Gegenstand der Berichterstattung seine großen und kleinen Geheimnisse entlocken; Neuigkeiten weitergeben, die nur durch die Nähe zur Macht zugänglich sind. Als Lorena sich eingestand, dass ihre Liebe zu Eleanor Roosevelt sie als Journalistin unbrauchbar machten, kündigte sie ihre Stelle bei Associated Press. Zwar fand sie auf Vermittlung Eleanors eine Anstellung bei einer sozialen Organisation, für die sie Berichte über die Lebensbedingungen der Armen und die Wirksamkeit der Hilfsprogramme schrieb, später arbeitete sie für die Weltausstellung in New York und das Nationale Komitee der Demokratischen Partei. Sie konnte sich jedoch für ihre neuen Tätigkeiten nicht annähernd so begeistern wie für ihren verlorenen journalistischen Beruf. Ohne Übertreibung lässt sich feststellen, dass Lorena einen wichtigen Teil ihres Lebens der Liebe zu Eleanor Roosevelt geopfert hat.
Unter diesen Umständen war es fatal, dass die Beziehung der beiden Frauen scheiterte. Sie waren sehr unterschiedliche Menschen - großbürgerlich, gebildet und diszipliniert die eine, die andere aus einfachen Verhältnissen aufgestiegen und dabei immer ein bisschen über die Stränge schlagend: Lorena trank zu viel Whisky und rauchte zu viele Zigarren, und wenn das Leben ihr zusetzte, entluden sich ihre inneren Spannungen in lauten Wutausbrüchen. Wenn Eleanor und sie getrennt waren, und das waren sie oft, fühlte sie sich hilflos und abhängig. Immer wieder sagte Eleanor Verabredungen mit Lorena ab - und Lorena tobte. Zu Beginn der dritten Amtszeit Franklin Roosevelts 1940 schlief Lorena im Weißen Haus nicht mehr in dem Zimmer neben Eleanors Schlafzimmer, sondern auf der anderen Seite des Flurs. 1942 verbrachte sie den Sommerurlaub mit ihrer neuen Partnerin, Marion Harron.
Das Scheitern der Beziehung hatte viel mit dem fortbestehenden politischen Engagement Eleanors zu tun. Sie war Politikerin und wollte Politikerin bleiben, und so verbrachte sie einen Großteil ihrer Zeit damit, auf Versammlungen zu sprechen, Interviews zu geben, in Komitees mitzuarbeiten und Gastgeberin im Weißen Haus zu sein. Während Lorena von einem Leben zu zweit abseits des politischen Trubels träumte, genoss Eleanor just diesen Trubel. Sie liebte Geselligkeit und vielfältige Kontakte. Ihr Tag begann morgens um sechs und endete weit nach Mitternacht. Ihr Arbeitspensum nötigte allen, die sie kannten, Respekt ab. Nicht selten vermitteln ihre Berichte vom Tage auch den Eindruck zwanghafter Geschäftigkeit. Und mit zunehmendem Alter scheint Eleanor Roosevelt die Zahl und das Tempo ihrer politischen Aktivitäten noch weiter gesteigert zu haben.
Es besteht kein Mangel an unschmeichelhaften Deutungen für diese Lebensweise. Da sind die Beschwerden von Eleanors Kindern, die, wie es im amerikanischen Großbürgertum üblich war, von Dienstboten betreut und in Internaten erzogen wurden und die als Erwachsene gerne anmerkten, ihre Mutter habe mehr Empathie für die Armen und Entrechteten empfunden als für ihre eigene Familie. Und nicht nur ihre politischen Gegner haben Eleanor Roosevelt als eine Frau porträtiert, die in der politischen Sphäre ein exzessives Geltungsbedürfnis zu befriedigen versuchte. Dass diese Diagnose eigentlich auf alle Politiker zutrifft, hat die Heftigkeit der Kritik nicht gemildert.
Dennoch bleibt ein Unbehagen. Eleanor Roosevelts autobiographische Berichte vermitteln streckenweise den Eindruck, sie habe eine gute Tat an die andere gereiht. Gab es sonst keine Themen und Interessen, die ihrem Leben Farbe geben konnten? Und warum war diese Frau immerzu beschäftigt und immerzu unterwegs? Solche Fragen, so berechtigt sie sind, weisen uns als Zeitgenossen des späten 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts aus. Wir denken psychologisch. Und wir sind in hohem Maße misstrauisch gegenüber Versuchen, die Welt zu bessern. Wir haben viele solcher Versuche scheitern sehen, und die Verwirklichung des Guten scheint uns eher im persönlichen als im gesellschaftlichen Bereich möglich. Wir pflegen eine Haltung, die der amerikanische Philosoph Jedediah Purdy “Das Elend der Ironie” genannt hat. Wir können uns diese Haltung leisten, weil wir mehrheitlich angenehm leben.
Was also bleibt von Eleanor Roosevelt? Der selbstverständliche Anspruch, dass das Wohl aller Menschen in der politischen Sphäre eine normative Kraft entfalten soll. Und die naive Überzeugung, dass die politische Arena der geeignete Ort für die Selbstentfaltung der Frau ist. Der Impuls, zu helfen und Leid zu verringern, eine Haltung des Engagements gegenüber der Welt. Und die “Allgemeine Erklärung der Menschenrechte”, jenes den widerstreitenden Interessen innerhalb der Vereinten Nationen abgetrotzte Dokument, auf das sich bis heute MenschenrechtsaktivistInnen in der ganzen Welt berufen und das die Grundlage bildet auch für die aktuelle Forderung, homosexuellen Lebensgemeinschaften endlich gleiche Rechte einzuräumen. Es scheint, als habe hier eine Politikerin, was immer wir ihr am Zeuge flicken mögen, viel Gutes in die Welt gebracht.
Literatur
- Cook, Blanche Wiesen (1992): Eleanor Roosevelt. Volume One 1884-1933. New York u.a.: Viking Penguin
- ——(1999): Eleanor Roosevelt. Volume Two 1933-1938. New York u.a.: Viking Penguin
- Streitmatter, Rodger (Hrsg.) (1998): Empty Without you. The Intimate Letters of Eleanor Roosevelt and Lorena Hickok. New York u.a.: The Free Press
- Black, Allida M. (Hrsg.) (1999): Courage in a Dangerous World. The Political Writings of Eleanor Roosevelt. New York u.a.: Columbia University Press
- Faderman, Lillian (1991): Odd Girls and Twilight Lovers. A History of Lesbian Life in Twentieth-Century America. New York u.a.: Columbia University Press
- Purdy, Jedediah (dt. 2002): Das Elend der Ironie. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt
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