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geboren am 22. März 1929 in Matsumoto, Präfektur Nagano, Japan
japanische Künstlerin, ihr Markenzeichen sind Polka Dots, farbige Punkte, die sie auf Leinwände, Skulpturen und Menschen malt. Am 27. September 2017 eröffnete die Künstlerin in Tokio ihr eigenes Museum.
95. Geburtstag am 22. März 2024
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Die Krone nach Hause tragen oder Weltkarriere aus glücklich sublimierter Wut
Ein Porträt als Erfolgsgeschichte.
Die japanische Künstlerin Yayoi Kusama, 91 Jahre, ist eine moderne Alice im Wunderland und eine selbsternannte Revolutionärin der Welt der Kunst. Sie hat seit vierzig Jahren ihr Bett und ihr Atelier in der Psychiatrie in Tokio, um von dort aus produktiv und furchtlos ihre psychischen Probleme in atemberaubende Kunst umzusetzen.
Bald mit drei großen Ausstellungen in Berlin, Köln und Paris zu bewundern.
Im Absurden vermag der Geist einen Ausweg aus allen beliebigen Schwierigkeiten zu finden. Die Neigung zum Absurden öffnet dem Menschen aufs neue das geheimnisvolle Königreich der Kinder.
André Breton, Surrealist, über 'Alice im Wunderland'
„O du Feuerlilie“, sagte Alice, denn eine solche wuchs da und schaukelte anmutig im Wind, „wenn du doch nur reden könntest!“
„Wir können schon“, sagte die Feuerlilie, „solange jemand da ist, mit dem es sich lohnt.“
Lewis Carroll, „Alice hinter den Spiegeln“, 1872, Kapitel: 'Im Garten der sprechenden Blumen'
Unter dem Titel „Garten der irdischen Freuden“, eine Hommage an Hieronymus Bosch, soll im Berliner Gropius Bau im September 2020 die erste große Yayoi Kusama-Retrospektive in Deutschland gezeigt werden, ab 2021 auch in Köln und Paris. Es geht um das Motiv des Gartens in der zeitgenössischen Kunst, und die Kunstwerke sind - wie immer bei Yayoi Kusama - Teil ihrer angestrebten „Punktisierung der Welt“, mit der sie seit Jahrzehnten ihre betörenden Fantasiewelten ausstattet und die Welt für sich ordnet. Oft gefährdet in Zuständen innerer Ekstase bis zum Kollaps, frei von Einflüssen und ohne Vorbild, schuf sie ein Werk, das mittlerweile als ikonisch gilt. Kusama wird als die Königin der Punkte, der sogenannten Polka Dots, gefeiert, mit denen sie seit Jahrzehnten in ihren spektakulären Ausstellungen und Happenings überall auf der Welt Bäume, Häuser und Menschen überzieht. Nicht von ungefähr ließ das französische Luxuswaren-Unternehmen Louis Vuitton seine weltweiten Flagship-Stores von Kusama knallbunt „punktieren“, und es unterstützt seit der Jahrtausendwende auch einige ihrer internationalen Ausstellungen. Auch im Pariser Museum Fondation Louis Vuitton ist ihr ein Raum gewidmet.
Ihre 'Infinity Rooms'/Räume der Unendlichkeit und ihre Spiegelkabinette gelten mittlerweile rund um den Globus als Kunstwerke der Extraklasse und sind Entstehungsorte zahlreicher Profilbilder und Selfies. In diesen Kunsträumen lösen sich scheinbar die Grenzen auf, die Illusion einer unfasslichen Weite entsteht, kaleidoskopische Bilder und Gemälde dehnen sich variationsreich über zehn Meter in winzigen Netz- und Punktestrukturen. Spiegelinstallationen evozieren mit Glühbirnen wie leuchtende Galaxien Gefühle von Unendlichkeit. Und so entsteht in den Betrachterinnen* vielleicht so etwas wie das Gefühl der Teilhabe an einer seltsamen, nicht ganz fassbaren Form der „Heiligkeit“, die schamanenhaft aus der Ferne kommt.
Doch Corona wird wohl auch dieses einzigartige Medienspektakel für Jung und Alt und für Menschen mit und ohne Abitur im Würgegriff haben. Mit stundenlangem Schlangestehen für Eintrittskarten, mit den eingeplanten 200.000 Besucherinnen* ist nicht zu rechnen. Uns wird - voraussichtlich – das Virus die Freude vergällen, im wunderbaren Gropius Bau zu Berlin mit Lust und Laune in die fantasievollen Werke der Künstlerin und Grenzgängerin Yayoi Kusama einzutauchen.
Ihr Riesenoeuvre wird wohl eher als Exploration und kommerzielle Exploitation im Internet stattfinden und nicht als sinnliches Museumskunstevent. Letzteres hätte eher den ihrem Schaffen zugrundeliegenden Impetus entsprochen: „Ich brenne mit unsterblicher Faszination für die Welt der Kunst, der einzige Platz, der mir Hoffnung gibt und mein Leben lebenswert macht. Und sollte ich auch für meine Kunst gelitten haben, ich bereue nichts.“
Seit 1940 erschuf Kusama besessen und manisch ihr vielseitiges Werk, bestehend aus Malerei, Skulptur, Druckkunst, Fotografie, Zeichnungen und Kollagen, Film und Video, Performance und großflächigen Installationen sowie Produktdesign, Gedichten und Romanen. Es scheint auf Adornos Satz zugeschnitten zu sein, dass Kreativität respektive Kunst glücklich sublimierte Wut sei.
In Interviews, aber auch ungefragt, bekennt die Künstlerin gerne freimütig, geisteskrank zu sein, um hinzuzufügen, dass ihre Kunst sie vorübergehend heile.
Die Künstlerin kam 1929 als viertes Kind in einer konservativen, wohlhabenden, aber dysfunktionalen Unternehmerfamilie zur Welt. Ihr Geburtsort Matsumoto City liegt in den japanischen Alpen, in der Präfektur Nagano. Der Vater, ein notorischer Womanizer, hatte in den Saatgutgroßbetrieb eingeheiratet. Die frustrierte Mutter zwang ihre jüngste Tochter, den Vater immer wieder in kompromittierenden Situationen auszuspionieren. Sie boykottierte massiv und mit Gewalt Kusamas frühe Malversuche, da sie für ihre Tochter eine traditionelle Karriere mit standesgemäßer Heirat vorgesehen hatte. Yayoi Kusama, traumatisiert durch sie beängstigende Naturerlebnisse auf den Blumenfeldern der elterlichen Farm, fühlte sich von ihren Visionen und immer wiederkehrenden Halluzinationen mit Punkt- und Netzmustern schon früh überwältigt: „Ich sah auf das rote Muster der Tischdecke, als ich aufblickte, bedeckte dasselbe rote Muster die Decke, die Fenster und die Wände, und schließlich den ganzen Raum, meinen Körper und das Universum. Ich beginne mich selbst aufzulösen, und fand mich in der Unbegrenztheit von nicht endender Zeit und in der Absolutheit der Fläche wieder. Ich reduzierte mich auf ein absolutes Nichts.“ Über diese psychischen Phänomene, in denen auch Pflanzen und Tiere sprechen konnten, führte bereits das zehnjährige Mädchen zwanghaft Buch, zahlreiche Notizblöcke füllend.
Die 19-Jährige durfte zwar in Kyoto eine Werkkunstschule besuchen, sollte aber parallel dazu zur Vorbereitung auf ihre spätere Rolle als Ehefrau und Mutter bei Verwandten japanische Etikette lernen. Doch statt sich den Zwängen des Elternhauses zu unterwerfen, versuchte Kusama mit großem Ehrgeiz, die japanische Kunstwelt auf sich aufmerksam zu machen. Bald konnte sie neun Ausstellungen durchsetzen, darunter sechs Einzelausstellungen. Die traditionellen Kunstauffassungen in Japan lehnte sie jedoch ab - ihr Blick richtete sich in Richtung USA, wo gerade eine neue Welt der Kunst im Entstehen war. „Für meine Art von Kunst – Kunst, die an den Grenzen von Leben und Tod kämpft und infrage stellt, was wir sind und was es bedeutet, zu leben und zu sterben – war Japan zu klein, zu unterwürfig, zu feudalistisch und zu verächtlich Frauen gegenüber. Meine Kunst brauchte eine weniger eingeschränkte Freiheit und eine offenere Welt.“
Wie unbeirrbar und zielstrebig sie von Anfang an war, zeigt ihr Schreiben von 1955 an die berühmte amerikanische Malerin Georgia O'Keeffe, deren Bilder sie in einem Kunstkatalog in Matsumoto entdeckt und bewundert und deren Adresse sie sich unter großen Mühen beim „Who's Who“ in Tokio besorgt hatte. Sie bittet O'Keeffe um Hilfe, schickt ihr auch einige ihrer Aquarelle, denn sie will unbedingt in den USA als Malerin Fuß fassen. Und tatsächlich erhält sie eine ermunternde Antwort, es entsteht ein Kontakt.
Fast neun Jahre dauert es, bis sie endlich von ihren Eltern die notwendige Zustimmung und finanzielle Unterstützung erhält, um 1957 mit 28 Jahren in ihr gelobtes Land fliegen zu können. Die eingetauschten Dollarnoten hat sie in ihren Kimono eingenäht.
Die ersten Jahre in New York sind hart. Aber schon in dieser Zeit malt sie mit weißer Farbe auf teils riesengroße Leinwände kleine Bögen, die aussehen wie die Maschen eines Netzes. Damals lernt sie auch den erfolgreichen, aber eigenbrötlerischen amerikanischen Surrealisten Joseph Cornell kennen und lieben. Er ist 25 Jahre älter als sie und die Beziehung funktioniert mehrere Jahre, weil beide Liebe nur ohne Sex ertragen.
Die New Yorker Kunstszene zu dieser Zeit war kein Eldorado für Frauen und erst recht nicht für Asiatinnen mit schlechten Englischkenntnissen. Kusama fällt zwar auf, doch der kommerzielle Erfolg bleibt zunächst aus. Immerhin erhält sie 1963 die Green Card. Sie malt wie besessen weiter an ihren oft die Wände bedeckenden monochromatischen Netzmalereien, die sie später 'Infinity Nets' nennt. Danach fabrizierte sie 'accumulations'/Anhäufungen, weiche Stoffskulpturen, deren Elemente und Formen ihrer Phallophobie und Angst vor Sex Ausdruck verleihen. („Indem ich fortlaufend die Formen der Dinge reproduziere, die mich beängstigen, kann ich meine Angst in den Griff bekommen und mich sogar dazwischenlegen. Das macht aus dem Angsteinflößenden etwas Lustiges, Amüsantes.“)
Kusama wurde Teil der New Yorker Künstler-Avantgarde, heutige Größen der Kunstgeschichte wie Andy Warhol, Claes Oldenburg, Donald Judd und Frank Stella gehörten zu ihren Kumpanen. Stella kaufte ihr ein Bild für 75 Dollar ab, das heute 750.000 Dollar wert ist. Die meisten ihrer Werke kosten heute mehr als eine Million Dollar, ihre Sammler und Galeristen sind über die ganze Welt verteilt.
Agentin für sozialen Wandel zu sein war in jenen Jahren ihr Ehrgeiz. Sie trat ein gegen den Vietnam-Krieg, für Pazifismus, Nudismus, für die Anarchie der Hippiekultur und für Schwulenrechte. Sie inszenierte 1967 spektakuläre homosexuelle Hochzeiten, organisierte Happenings und Straßenperformances mit nackten Tänzern und Tänzerinnen, die sie mit Polka Dots übermalte, frei nach dem Motto: „Unsere Erde ist in Bezug auf den Kosmos lediglich ein einziger Polka Dot unter einer Million Sterne.“
1973 kehrt Kusama nach 16 Jahren Abwesenheit mit einer Art Burn-out nach Japan zurück, mehrere psychiatrische Krisen erfordern Klinikaufenthalte. Also entscheidet sie sich mit 52 Jahren freiwillig, in der vertrauten und schützenden Psychiatrie in Tokio wohnen zu bleiben, da sie sich dort wertgeschätzt und unterstützt fühlt. Sie bekommt vor den Klinikmauern ihr eigenes Studio und mehrere Assistenten, und hat wieder Muße, Gedichte und Geschichten zu schreiben und zu veröffentlichen. Sie kann - oft in Begleitung einer ihrer Ärztinnen* – rund um die Welt reisen, beispielsweise zur Biennale nach Venedig und mithilfe der psychiatrischen Assistenz ihren Welterfolg pflegen.
Wann immer sie öffentlich auftrat, war sie umringt von internationaler Prominenz. In Venedig sieht man sie auf Fotos mit ihrer Landsfrau Yoko Ono, der Künstlerin, Filmemacherin, Experimentalkomponistin und Sängerin, nur vier Jahre jünger als sie und bereits seit 1952 in den USA lebend. Mit Yoko Ono wurde Kusama manchmal verwechselt, was sie hasste. Als Yoko Ono durch die Hochzeit mit John Lennon 1969 weltberühmt wurde, überlegte das Marketinggenie Kusama ernsthaft, Mick Jagger zu heiraten, was ihr kluge Freundinnen jedoch ausreden konnten.
2017 eröffnete die Künstlerin ihr eigenes fünfstöckiges Museum in Tokio in der Nähe ihrer Klinik. Dass Kinder in ihr Museum kommen und dort lernen können, dass Malen eine Existenz sein kann, freut sie besonders. Kusama, die in ihren jungen und mittleren Jahren von Japan erniedrigt, abgewertet, beleidigt und zur Schande erklärt wurde, (sie wurde in ihrer Geburtsstadt Matsumoto sogar aus der Liste der Ex-Schülerinnen* gestrichen!), rührt heute ihre Landsleute zu Tränen, wenn sie auf Ausstellungseröffnungen sagt, sie sei glücklich, denn sie habe endlich die Krone nach Hause gebracht. Niemand versteht es so faszinierend mit seinen psychischen Störungen, Ängsten, Phobien und Halluzinationen zu wuchern und sich dabei immer wieder neu zu erfinden wie Yayoi Kusama. Und das ist gut so.
Die britische Psychiaterin Juliet Mitchell spielt in ihrem Essay von 2012 für den Londoner Tate-Katalog: „Portrait of the Artist as a Young Flower“ (Ein Porträt der Künstlerin als junge Blume) intelligent mit der halluzinatorischen Perspektive von Kusamas Werken und dem Bild der Künstlerin als gefangener Blume. Dazu benutzt sie paraphrasierend den 1916 erschienenen James-Joyce-Roman: „Ein Porträt des Künstlers als junger Mann“ über den eigensinnigen und eigenwilligen jungen Künstler Stephen Dedalus, der wie Kusama radikal seinen Weg geht. Mitchell suggeriert, dass viele der selbstkreierten 'Infinity Nets' die Fähigkeit der Distanzierung ausdrücken und Kusama dadurch Schutz geben können. Entsprechend erhalte Kusama ihre Stärke aus dem Wissen um diese doppelte Dynamik in der dauernden Wiederholung der Motive. Die Anhäufung sei keine Darstellung der Wiederholung, sondern des inneren Reichtums. Kusamas Arbeiten kennen auch keine Hervorhebung (Interpunktion), keinen Verlust und keinen Wiedererhalt, Leben und Tod seien ein derartiges Kontinuum, dass es keine wirkliche Unterscheidung zwischen beiden gebe. Die 'Infinity Nets' seien auch dazu da, nicht am Ende der Welt hinunterzufallen. Die absolute Überflutung werde bei Kusama eingesetzt gegen die Angst vor dem Verschwinden. Suizid könne gemalt werden, Auslöschung inszeniert, so dass die künstlerische Repräsentation zu dem Symbol dessen werden kann, was es abbildet. Auch Sexualität könne bei Kusama zu einem Platz des Wachstums werden, an dem sich Energie zusammenballt, ansammelt oder verbindet, was bei den Zuschauern Angst und Vergnügen auslöse. Spielerisches trete in die Zerstörung des Ichs ein, um daraus die Abwesenheit zu machen, aus der eine Präsenz, das Kunstwerk, geboren werden kann.
Kritiker werfen Kusama vor, seit Jahren denselben Pop-Art-Unsinn „herauszuwürgen“, und ihr Trauma käme als narzisstische Inszenierung daher, wie ein Glas Sekt, spritzig, amüsant, oberflächlich. Doch was spricht dagegen, dass sie den Markt ähnlich wie Andy Warhol begriffen hat, dass sie zielstrebig, innovativ und unaufhaltsam erfolgreich ist und als Visionärin, Einzelgängerin und Unternehmerin kulturelle Barrieren transzendiert? Gibt es ein besseres Vorbild für Menschen mit psychischen Handicaps, das zeigt, wie - jenseits der üblichen ehrenamtlichen Partizipation – auch kommerzieller Erfolg anzustreben und möglich ist?
Kusama muss schon sehr früh begriffen haben, dass man mithilfe von Träumen und Bildern einen ganzen Kosmos erschaffen kann. Ihr ist es gelungen, mit ihrem Pathos jung zu bleiben - vergleichbar den Dichtern und Dichterinnen, die es furchtlos in die Poesie bringen. In ihrer Exaltiertheit und dem immer präsenten großen Gefühl ähnelt sie Else Lasker-Schüler. Kusama ist jedoch eine Unverwechselbare, die unangefochten ihr Königreich an Poesie und Kreativität, ihren ungewöhnlichen fremden Kosmos, bewohnt. Im April 2020 ruft die 91-Jährige noch im britischen „Guardian“ mit einem Gedicht zum Kampf gegen das Coronavirus auf. Und erinnert dabei in ihrer Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit auch an die 102 Jahre alt gewordene Bildhauerin und Psychiatrie-Aktivistin Dorothea Buck, die noch als Hundertjährige für eine menschlichere Psychiatrie eintrat.
1969 fanden im New Yorker Central Park viele provokative Happenings statt. Bei einem dieser Events feierte Kusama Alice im Wunderland als ihre Seelenverwandte. Alice ist für sie die Großmutter aller Hippies: „Ich, Kusama, bin die moderne Alice im Wunderland. Wie Alice, die durch Spiegel gehen konnte, habe ich, Kusama (die ich seit Jahren in meinem berühmten Spezialshowraum lebe, der einzig aus Spiegeln besteht) eine Welt aus Fantasie und Freiheit eröffnet. Auch du kannst dich meinem unerschrockenen Tanz des Lebens hinzugesellen.“
Warum gerade Alice im Wunderland? Die Lektüre muss eine Initialzündung für die junge Yayoi Kusama gewesen sein. Beide Bücher über Alice im Wunderland von Lewis Carroll sind als Gegenentwurf zur viktorianischen Gesellschaft mit ihren rigiden Konventionen zu verstehen. Wie Alice musste sich Kusama als Kind allein ihren Weg bahnen, weit weg von allen erzieherischen Normen. Und dann stellt Alice im zweiten Band auch noch fest, dass der Spiegel über dem Kamin zu einer Parallelwelt führt, in der sie einen sonnigen Garten mit sprechenden Blumen findet. Was muss das für eine buchstäblich wahnsinnige Entdeckung für die einsame, hochbegabte Yayoi gewesen sein! Diese Wunderlandwelt wird die Sehnsucht in ihr mit ausgelöst haben, eine ähnliche Welt zu erschaffen- eine Welt, die sie in sich trug. Ich bin sicher, dass Yayoi Kusama heute noch hinter ihren sicheren Psychiatriemauern in Tokio geheimnisvoll grinsen kann wie die Grinsekatze aus Alices Wunderland.
(Text VON 2020)
Verfasserin: Brigitte Siebrasse
Literatur & Quellen
Yayoi Kusama: Infinity Net. Meine Autobiografie. Piet Meyer Verlag, Bern/Wien 2017, ISBN 978-3-905799-40-9.
Midori Yoshimoto: Into Performance, Japanese Women Artists in New York New Brunswick, New Jersey and London 2005 ISBN 0-8135-3521-2.
Kunstverein Braunschweig, Karola Grässlin, Jan Verwoert: Yayoi Kusama, Verlag der Buchhandlung Walther könig, Köln 2004 ISBN 3-88375-829-9.
monopol, Magazin für Kunst und Leben, Silke Hohmann: Auf den Punkt, DIE KUSAMA-STORY, März 2020
Yayoi Kusama Infinity Mirrors, Editor Mika Yoshitake, Hirschhorn Museum and Sculpture Garden, Washington, D.C., DelMonicoBooks, Munich, London, New York
Yayoi Kusama, Edited by Frances Morris, With contributions by Jo Applin, Juliet Mitchell, Frances Morris, Mignon Nixon, Rachel Taylor, Midori Yamamura, Tate Publishing, Millbank, London SW1P4RG, 2012
HEATHER LENZ 84: KUSAMA: INFINITY, Dokumentarfilm, (dvd),
77 Minuten, Sprachen: Englisch/teilweise Japanisch, Deutsche Untertitel, Eine Produktion von DOGWOOF, Zweitausendeins Edition, 2018.
YAYOI KUSAMA Museum, ein fünfstöckiges Gebäude im Stadtviertel Shinjuku in Tokio, mit halbjährlich wechselnden Ausstellungen, in der Nähe der psychiatrischen Klinik, in der Yayoi Kusama seit 1977 freiwillig lebt. Die Eröffnung war September 2017, betrieben wird es von der Yayoi Kusama-Stiftung, die sie gegründet hat, um für die Ausstellung ihrer Bilder und Installationen nach ihrem Tod zu sorgen.
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