(Winifred Marjorie Wagner, geb. Williams)
geboren am 23. Juni 1897 in Hastings
gestorben am 5. März 1980 in Überlingen
englisch-deutsche Regisseurin; Schwiegertochter Richard und Cosima Wagners; Leiterin der Bayreuther Festspiele 1930-1944
125. Geburtstag am 23. Juni 2022
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Die streitbare Witwe des Richard-Wagner-Sohns und -Erben Siegfried, die die Bayreuther Festspiele während des “Dritten Reichs” leitete, wurde im Nachkriegsdeutschland wegen ihrer langjährigen, auch später nie geleugneten oder bereuten Freundschaft mit Hitler zu einer berüchtigten Figur. Aber obwohl sie lebenslang dem Mann Hitler und den völkischen “Ideen” seiner Bewegung die Treue hielt, hatte sie ihren beträchtlichen Einfluss trotzdem wiederholt eingesetzt, um Nazi-Verfolgten zu helfen, oft mit Erfolg — und schließlich mit dem Resultat, dass Hitler sie 1940 fallen ließ. Nach dem Krieg wurde die ehemalige “Herrin von Wahnfried” ihres Amtes als Festspielchefin enthoben und galt lange — eine Art Sündenbock für den ganzen Wagner-Clan — als einzige Nazi der Familie. Erst 2002 brachte das Buch von Brigitte Hamann ans Licht, wie sehr auch andere Familienmitglieder, vor allem Siegfried und sein Sohn Wieland, vom Antisemitismus und Nationalsozialismus infiziert waren.
Winifred Marjorie Williams war die Tochter von John Williams, einem englischer Schriftsteller und Theaterkritiker, und der Schauspielerin und Malerin Emily Florence (Karop) Williams. Beide Eltern starben sehr früh, und Winifred kam zuerst zu Verwandten, dann in ein Waisenhaus. Mit neun Jahren wurde sie von der 70jährigen entfernten Verwandten Henriette (Karop) Klindworth und deren Mann Karl Klindworth (77), Pianist und ehemaliger Meisterschüler Franz Liszts, zur Erholung nach Berlin gebracht und ein Jahr später adoptiert. Klindworth, ein Verehrer von Richard und Cosima Wagner, gab dem Mädchen Klavierunterricht und eine musikalische Grundausbildung und weihte sie in die Wagnerschen Werke ein. Das junge Mädchen schwärmte vor allem für die Figur der Senta aus dem Fliegenden Holländer, die sich in das Bild eines fremden Mannes verliebt und sich aufopfert, um ihn zu erlösen (Hamann 12).
Mit 17 lernte sie in Bayreuth Siegfried Wagner, den einzigen Sohn Cosima Wagners und “des Meisters” kennen, der seiner Mutter als Leiter der Festspiele gefolgt war. Die alte Cosima war darauf bedacht, ihrem bisexuellen Sohn eine Gattin zu verschaffen, um das Erbe zu sichern und die Familie vor öffentlichen Skandalgeschichten zu schützen. Die junge, hochgewachsene Winifred war von dem 28 Jahre älteren Komponisten beeindruckt und heiratete ihn ein Jahr später, am 22. September 1915. Die ersten Jahre im Haus Wahnfried waren schwierig für die junge Ehefrau, nicht nur wegen der Entbehrungen der Kriegs- und Nachkriegszeit: im Haushalt walteten nicht nur die Herrin Cosima, sondern auch ihre beiden Töchter Daniela Thode und Eva Chamberlain, letzere die Frau des antisemitischen Rassentheoretikers Houston Stewart Chamberlain. Trotzdem erwies sich Winifred als tatkräftig und loyal, sie bewältigte Siegfrieds Alltagsarbeit und übernahm seine Korrespondenz, als er auf Konzertreisen versuchte, Geld für die wachsende Familie zu verdienen. Denn zwischen 1917 und 1920 gebar Winifred vier Kinder: Wieland, Friedelind, Wolfgang und Verena. Winifred stand zu ihrem Mann, immerhin dem Sohn des “Meisters”, und verschwieg lebenslang seine homosexuellen Affären, auch ihren Kindern gegenüber.
Wie alle im Haus Wahnfried war auch Winifred Wagner eifrige Unterstützerin der antisemitischen völkischen Bewegung, die die linke Weimarer Regierung hasste und eine “Erneuerung” deutscher Größe nach den Demütigungen des Versailler Vertrages ersehnte. Obgleich sie den Stil und die Taktiken der frühen Nationalsozialisten ablehnten, waren die Wagners, wie viele “gute” BürgerInnen Bayreuths (und Deutschlands), von der Person Hitler als möglichem Retter der Nation begeistert. Der wiederum brauchte die Unterstützung angesehener Familien wie der Wagners, um seine Bewegung “salonfähig” zu machen und zu Geld zu kommen. 1923 besuchte der Wagner-Bewunderer auf Einladung von Winifred Haus Wahnfried und Wagners Grab zum ersten Mal zur gegenseitigen Begeisterung. Beim verfehlten Putsch im November waren dann Siegfried und Winifred wegen eines geplannten Konzerts in München und erlebten die turbulenten Massen um die Feldherrnhalle. Winifred war elektrisiert: “Für mich hat der 9. November ein vollständig neues Tätigkeitsfeld eröffnet, nämlich das leidenschaftliche Eintreten für Hitler und seine Ideen”, schrieb sie an die Freundin Lene Roesener (Zit. in Hamann 91)
Während seiner Festungshaft in Landsberg bekam Hitler von Winifred regelmässig Lebensmittelpakete und auch Papier für das Manuskript zu Mein Kampf. Aus Landsberg dankte Hitler den Wagners in einem Brief an Siegfried: der Wahlerfolg vom Mai 1924 sei “in erster Linie Ihnen und Ihrer Frau Gemahlin zuzuschreiben”, da “Sie, Herr Wagner und besonders Ihre so sehr verehrte Frau Gemahlin . . . Ihren Namen der völkischen Bewegung schenkten.” (zit. in Hamann 119-20) 1925 besuchte Hitler erstmals die Festspiele in Bayreuth, die Siegfried ein Jahr zuvor wieder eröffnet hatte, und es begann die enge Freundschaft zwischen “Winnie” und “Wolf”, die sich bald duzten. Man versuchte, Hitlers Beziehung zum Haus Wahnfried zuerst geheimzuhalten, um diejenigen FestspielbesucherInnen und UnterstützerInnen (vor allem jüdische), die vom Nationalsozialismus abgestoßen waren, nicht zu befremden und dem Kartenverkauf zu schaden. Winifred, die als erste Frau in Bayreuth den Führerschein gemacht hatte, fuhr den geschätzen Gast oft nachts unerkannt von seinem Hotel zu einem Besuch bei der Familie am Kamin. Zu den Kindern, besonders dem erstgeborenen Wieland, hatte “Onkel Wolf” ein herzliches Verhältnis, das sogar seine Freundschaft zu Winifred überdauerte.
1930 starben sowohl Cosima als auch Siegfried, und Winifred übernahm mit 33 Jahren nach dem Testament ihres Mannes die Rolle der Festspielchefin. Dies tat sie mit der für sie typischen Energie und Bestimmtheit, wie ihre Vertraute und Assistentin Lieselotte Schmidt schrieb: “Alle Einladungen und Verhandlungen wegen Mitwirkung von den Solisten bis zum letzten Ballettzögling, alles geht von Frau Wini aus . . . ohne sie geschieht einfach nichts” (zit. in Hamann 191). Winifred erstrebte eine grundlegende Qualitätsverbesserung und eine Modernisierung der Festspiele und brachte den renommierten Regisseur und Intendanten Heinz Tietjen aus Berlin als künstlerischen Leiter nach Bayreuth, außerdem Dirigenten wie Toscanini und Furtwängler und den Bühnenbildner Emil Preetorius. Bald verliebte sich “die Chefin” in den urbanen, 16 Jahre älteren Tietjen und hoffte auf eine Heirat, die aber nie zustandekam.
Als Hitler an die Macht kam, wurde er Winifred und den Festspielen ein mächtiger Beschützer und finanzieller Förderer, denn er sah Wagners Bayreuth als Kultstätte nationalsozialistischer Werte und germanischer Kultur. Winifred nützte ihre Favoritinnenrolle, um gegenüber Nazi-Funktionären wie traditionsgebundenen Altwagnerianern ihre freie Entscheidungskraft als Leiterin der Festspiele zu behaupten. Sie weigerte sich erfolgreich, in die für Theaterleiter obligatorische Reichstheaterkammer einzutreten, und konnte rassisch oder politisch verfemte MitarbeiterInnen lange bei den Festspielen halten. Sie setzte sich aber auch unermüdlich und immer wieder für Menschen ein, die ihrer Meinung nach von der Regierung ungerecht behandelt wurden. “Sie setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um mich zu befreien”, konstatierte eine dankbare Gerettete. Winifred: “Wo ich jemals eine Gewalttat der Partei verhindern kann, wird meine leidenschaftliche Opposition einsetzen, und wo ich einem anständigen Menschen helfen kann, werde ich es tun, um meines Gewissens willen” (zit. in Hamann 266).
Nach dem Krieg wurde sie vor eine Spruchkammer geladen, und es wurde ihr unter anderem verboten, die Festspiele weiter zu leiten. Sie übergab diese Aufgabe an ihre beiden Söhne. Die Töchter kamen als Leiterinnen für sie nie in Frage, obwohl Siegfried in seinem Testament alle vier Kinder als gleichberechtigt eingesetzt hatte.
Im Alter verfestigten sich Winifreds Ansichten über die Vergangenheit: “Für mich bleibt die Zeit von 33-39 immer noch die Beste!!!!!!” (zit. in Hamann 605). Sie sorgte immer noch für Skandale, indem sie ihre Meinung frei heraus sagte, wie 1975 in Hans Jürgen Syberbergs Film Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914-75. Allerdings, so Winifred, nahm Syberberg Teile des Interviews auf, die sie als rein privat intendiert hatte: “Der Schurke hat aber, ohne mein Wissen, das Tonband derweil laufen lassen und ohne Bedenken auch diese Teile der Öffentlichkeit preisgegeben” (zit. in Hamann 624).
(Text von 2004)
Verfasserin: Joey Horsley
Links
Der Spiegel (1975): Winifred Wagner: »Unser seliger Adolf«. In: Der Spiegel, 27.07.1975.
Online verfügbar unter https://www.spiegel.de/kultur/winifred-wagner-unser-seliger-adolf-a-30fe0e3a-0002-0001-0000-000041458186?context=issue, zuletzt geprüft am 25.06.2022.
Deutsche Digitale Bibliothek (2022): Winifred Wagner.
Online verfügbar unter https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/person/gnd/118805932, zuletzt geprüft am 25.06.2022.
Deutschlandfunk.de (2002): Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth. Günter Kaindlstorfer | 31.07.2002.
Online verfügbar unter https://www.deutschlandfunk.de/winifred-wagner-oder-hitlers-bayreuth-100.html, zuletzt geprüft am 25.06.2022.
DNB, Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (2022): Wagner, Winifred. Publikationen.
Online verfügbar unter https://d-nb.info/gnd/118805932, zuletzt geprüft am 25.06.2022.
Peter P. Pachl erinnert sich an Winifred Wagner (2012).
Online verfügbar unter https://www.siegfried-wagner.org/html/ellermutter.html, zuletzt geprüft am 25.06.2022.
ZBW Pressearchive (2022): Wagner, Winifred.
Online verfügbar unter https://pm20.zbw.eu/folder/pe/0179xx/017955/about, zuletzt geprüft am 25.06.2022.
Literatur & Quellen
Busch-Frank, Sabine; Strauss, Helmut (2013): Die Bayreuther Festspiele im Dritten Reich. Hitler und die Familie Wagner. 1. Auflage. München. ScienceFactory. ISBN 9783956870170.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Hamann, Brigitte (2002): Winifred Wagner oder Hitlers Bayreuth. Ungekürzte Taschenbuchausgabe. München, Zürich. Piper. 2003 (Piper, 3976) ISBN 9783492239769.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Knopp, Guido, Berkel, Alexander und Brauburger, Stefan (Hg.) (2003): Hitlers Frauen und Marlene. München. Goldmann. (Goldmann, 15212) ISBN 9783442152124.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Schertz-Parey, Walter (1999): Winifred Wagner. Ein Leben für Bayreuth. Graz, Stuttgart. Stocker. ISBN 9783702008581.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Syberberg, Hans Jürgen (1975): Winifred Wagner und die Geschichte des Hauses Wahnfried 1914 - 1975. VHS-Video. Berlin. Alexander Verlag.
Wagner, Winifred (1977): Über einen Freund. Zum 77. Geburtstag von Arno Breker am 19. Juli 1977. Unter Mitarbeit von Arno Breker. Paris. Edition Marco.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wagner, Wolf Siegfried (1978): Die Geschichte unserer Familie in Bildern. Bayreuth 1876-1976. Mit Beiträgen von Winifred Wagner, Gertrud Wagner, Nike Wagner. Reinbek bei Hamburg. Rowohlt. (rororo, 4223) ISBN 3499142236.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wagner, Nike (1998): Wagner-Theater. (=Wagner Theater) Frankfurt/M. Insel. ISBN 9783458168980.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wagner, Gottfried (1999): Wer nicht mit dem Wolf heult. Autobiographische Aufzeichnungen eines Wagner-Urenkels. Ungekürzte, durchges. Taschenbuchausgabe. München, Zürich. Piper. (Piper, 2683) ISBN 9783492226837.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wagner, Friedelind (2010): Nacht über Bayreuth. Die Geschichte der Enkelin Richard Wagners. (=Heritage of fire
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Wilson, A. N. (2007): Winnie and Wolf. London. Hutchinson. ISBN 9780091796761.
(Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.