(Vivian Dorothy Maier)
geboren am 1. Februar 1926 in der Bronx - New York City
gestorben am 21. April 2009 in Chicago
US-amerikanische Fotografin
15. Todestag am 21. April 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Vivian Maier starb im Frühjahr 2009 im Alter von 83 Jahren alleinstehend und mittellos, aber sie hinterließ einen Schatz: ihr Archiv von ungefähr 150.000 Fotografien – Negative, unentwickelte Filmrollen, Farbdias, Abzüge. Damals war sie noch völlig unbekannt. Der junge Immobilienmakler und Hobbyhistoriker John Maloof ersteigerte für 380 US-Dollar eine Blechkiste mit mehr als dreißigtausend Negativen von Vivian Maier und machte sie über einen Blog und auf Flickr bekannt.
120 Schwarzweißfotos, einige Farbfotos und Filme in Super-8 von Vivian Maier waren im Frühjahr 2017 im Museo di Roma in Trastevere zu sehen. Die Bilder sind von höchster Qualität, bestechend in Ausschnitt und Blickwinkel und vergleichbar mit den Arbeiten der Großen der Straßenfotografie, Diane Arbus, Helen Levitt, Lisette Model, Robert Frank oder Walker Evans. Oder mit Masha Ivashintsova (1942-2000), die erst kürzlich entdeckt wurde und als russische Vivian Maier bezeichnet wird.
Vivian Maier fotografierte das Straßenleben in New York und Chicago und erzählt in ihren Bildern ein kontinuierliches Drama, das starke Gefühle auslöst: fünf Frauen auf einer Treppe in gemusterten Kleidern, ein Händchen haltendes Paar in Großaufnahme, eine einsame Frau auf einer Parkbank am Flussufer, ein Collie mit Blumenhütchen. Schlafende Frau im Gras mit Buch und Sandale neben sich liegend, Fensterauslage mit Taschenspiegeln. Immer wieder Kinder und Details von Straßenszenen. Stadtlandschaften: Straßenzüge, Industrieanlagen, Hochbahnen, hetzende Stadtmenschen, Schaufensterpuppen, Sperrmüll, Märkte, eine fensterputzende Frau, Treppen, Aussichtsplattformen. Manchmal surreal und hässlich, manchmal schön skurril, immer realistisch und nahe. Die Porträtiertengehören nicht zu den Privilegierten, sind keine Berühmtheiten; es sind eher randständige Menschen.
Wer war die talentierte Fotografin, die mit ihren vielen Selbstporträts die Zeit der Selfies vorwegnahm? Sie hatte viele Namen – ließ sich Viv, Vivian, Vivianne, Kiki nennen, auch Miss Maier oder Miss Smith, und verwendete unterschiedliche Pseudonyme bei der Arbeit, in Geschäften oder für ihre Korrespondenz. Sie hatte einen festen, militärischen Gang, eine Kamera um den Hals, wann immer sie das Haus verließ, trug ein Herrenjackett und Herrenschuhe, dazu einen großen Hut oder ein langes Kleid und einen Wollmantel.
Vivian Maier wurde am 1. Februar 1926 in der Bronx in eine zerrüttete Emigrantenfamilie hineingeboren. Der österreichische Vater Charles war Trinker, aggressiv und ein verschuldeter Spieler, der die Familie bald verließ. Die französische Mutter Maria arbeitete als Hausangestellte; die kluge Großmutter mütterlicherseits, Eugenie Jaussaud, war eine wichtige Stütze für die Familie, ebenso wie die Bildhauerin und Porträtfotografin Jeanne Bertrand, bei der sie zeitweise lebten.
1932 ging die sechsjährige Vivian mit ihrer Mutter in deren Geburtsort Saint-Julien, einem kleinen Dorf in den südfranzösischen Alpen und lernte Französisch. Mit zwölf kehrte sie nach New York zurück, besuchte in Queens ein Mädcheninternat, ging gerne ins Theater, ins Kino und verschlang Zeitungen, Zeitschriften sowie Bücher über Kunst, Fotografie und Film. Aufgrund ihrer unterprivilegierten Lebensumstände konnte sie keinen High-School-Abschluss machen. Von 1951 bis 1955 arbeitete sie in New York in einem Süßwarengeschäft für wenig Lohn. 40 Jahre war sie als Kinderfrau in gutsituierten Familien in Los Angeles (1955) und seit 1956 in Chicago tätig und lebte als unabhängige Frau und Fotografin. Manche erinnern sich an sie als die liebevolle und fantasiebegabte Nanny, andere beschreiben sie als furchteinflößend und grausam. Vivian Maier war sicher außergewöhnlich; sie führte die Kinder in den Schlachthof, half ihnen beim Gestalten von Plakaten zum Limonadenverkauf am Straßenrand, organisierte Ausflüge in Parks oder an den Strand und nahm an politischen Veranstaltungen teil.
Immer wieder reiste sie; nach dem Zweiten Weltkrieg alleine durch Frankreich; 1951 nach Kuba, Kanada und Kalifornien, 1957 nach Südamerika, 1959/60 machte sie eine Weltreise. Ihre große Leidenschaft aber war das Fotografieren. Ihre erste Kamera war eine billige Kodak „Brownie“; 1952 kaufte sie sich eine teure zweiäugige Rolleiflex (eine Mittelformatkamera, die in Brusthöhe zu halten ist), mit der sie von oben in den sog. Sucher blickte. Der Blickkontakt mit den Porträtierten war also für Vivian Maier jederzeit möglich; durch das geräuschlose Fotografieren war die Fotografin unauffällig und konnte den magischen Moment der Begegnung gut festhalten oder eine interessante Szene visuell schnell erfassen.
Auffallend ist ihr weicher Blick auf Frauen, oft in der Halbtotale, vielfach auch in direkten Aufnahmen. Präzise und achtsam nähert sie sich ihren Motiven. „Wir müssen anderen Menschen Platz machen“, sagt Vivian Maier auf einer Tonbandaufnahme aus ihrem Nachlass, das Leben sei „ein Rad. Du springst auf und fährst bis zum Ende. (…) Es gibt nichts Neues unter der Sonne.“
Vivian Maier war eine große Fotografin, eine
obsessiv Sehende, die selbst so gern ungesehen bleiben wollte“
(Julia Dettke in Die Zeit).
Seit ihrer Entdeckung gab es mehrere Ausstellungen in Chicago, Hamburg, München, Berlin, Mailand, Zürich und Rom.
Text von 2018
Verfasserin: Heidi Hintner und Ingrid Windisch
Links
Vivian Maier. 2019. Maloof Collection, Ltd. Link aufrufen.
Trailer: Finding Vivian Maier. 2014. Englisch mit dt. Untertiteln. 3:46 min.
Dettke, Julia. 25.06.2014. „Finding Vivian Maier“: Die Ungesehene. Zeit Online. Link aufrufen.
Meinke, Anne. 29.08.2014. Vivian Maier: Ein Kindermädchen zwischen Genie und Wahnsinn. SRF Kultur. Link aufrufen.
Mayer, Susanne. 10.07.2014. Vivian Maier: Hochbegabt und gut versteckt. Die Zeit Nr. 27/2014. Link aufrufen.
Hepper, Eva. 05.12.2014. Das Werk der Vivian Maier. Howard Greenberg: Vivian Maier - Das Meisterwerk der unbekannten Fotografin 1926-2009. Deutschlandfunk Kultur. Link aufrufen.
Hepper, Eva. 18.12.2018. Ein ganzer Band voller Kostbarkeiten. Vivian Maier: „Die Farbphotographien“. Deutschlandfunk Kultur - Lesart. Podcast. Link aufrufen.
Pressespiegel Vivian Maier. Berichte aus Tagespresse, Magazinen, TV und Radio (Stand August 2015). The Global Fine Art GmbH. Link aufrufen.
Vivian Maier. Howard Greenberg Gallery, New York. Link aufrufen.
L'histoire de Vivian Maier. Association Vivian Maier et le Champsaur. Link aufrufen.
MacDonald, Kerri. 13.01.2016. A Peek Into Vivian Maier’s Family Album. Lens - Potography, Video and Visual Journalism. The New York Times. Link aufrufen.
MacDonald, Kerri. 12.02.2016. Digging Deeper Into Vivian Maier's Past. Lens - Potography, Video and Visual Journalism. The New York Times. Link aufrufen.
Links geprüft und korrigiert am 13. April 2024 (AN)
Vivian Maier, 1926 - 2009, photographer. Von Josefina Severino. 16:01 min.
Literatur & Quellen
Bannos, Pamela. 2017. Vivian Maier: A photographer’s life and afterlife. Chicago; London. The University of Chicago Press.
Comotti, Naima. 2014. La bambinaia fotografa. Milano. Feltrinelli.
Greenberg, Howard (Hg.). Helferman, Marvin. Lippman, Laura. 2014. Vivian Maier: das Meisterwerk der unbekannten Photographin, 1926 - 2009. München. Schirmer Mosel.
Hesselholdt, Christina. 2016. Vivian. Kopenhagen. Rosinante.
John, Silvia. 2018. Über das Surrealistische und Unbewusste in Vivian Maiers Selbstportraits. München. Grin.
Köffler, Nadja. 2019. Vivian Maier und der gespiegelte Blick: Fotografische Positionen zu Frauenbildern im Selbstportät. Bielefeld. Transcript.
Maier, Vivian. 2011. Street Photographer. München. Schirmer.
Maier, Vivian. Meyerowitz, Joel. Westerbeck, Colin. Vivian Maier. 2018. Die Farbphotographien. München. Schirmer Mosel.
Maloof, John. 2013. Vivian Maier: Self-Portraits. New York. powerHouse Books.
Maloof, John & Charlie Siskel. 2014. Alla ricerca di Vivian Maier. La tata con la Rolleiflex. (Finding Vivian Maier, 2013). Film. USA.
Maloof, John. 2015. Vivian Maier. Una fotografa ritrovata. Ausstellungskatalog. Hg. Howard Greenberg. Text: Marvin Heiferman. Vorwort: Laura Lippmann. Roma. Contrasto.
Marks, Ann. 2019. Vivian Maier Developed: The Real Story of the Photographer Nanny. New York. powerHouse Books.
Sontag, Susan. 2006. Über Fotografie. Frankfurt a.M. Fischer.
Bildquellen
Maloof Collection, New York. URL: http://www.vivianmaier.com/
Howard Greenberg Gallery, New York. URL: http://www.howardgreenberg.com/artists/vivian-maier
Foejetong.com, Berlin. URL: https://foejetong.com/auf-den-spuren-einer-unbekannten-vivian-maier-in-her-own-hands
Women In The World Media, New York. URL: https://womenintheworld.com/?s=vivian+maier
Artsy.net, New York. URL: https://www.artsy.net/artist/vivian-maier
(Letzte Linkprüfung am 10.05.2019 - ef)
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.