(Violette Paule Emilie Marie Morris, Ehename: Violette Gouraud Morris)
geboren am 18. April 1893 in Paris
ermordet am 26. April 1944 in der Nähe von Paris
französische Profisportlerin und Spionin
80. Todestag am 26. April 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
„Alles, was ein Mann kann, kann Violette auch.“ Diesem Motto hatte sich Violette Morris bereits in ihrer Schulzeit verschrieben und befolgte es auch seit dieser Zeit, vor allem in zahlreichen sportlichen Disziplinen. Geboren 1893 als jüngste von sechs Schwestern in Paris, besuchte sie während ihrer Jugend die Schule des Klosters L´Assomption de Huy. 1914 heiratete sie Cyprien Gouraud - vermutlich war es eine arrangierte Ehe - von dem sie 1923 wieder geschieden wurde.
Nachdem der Boxclub, in dem sie trainierte, während des Ersten Weltkrieges in ein Zentrum für das Rote Kreuz umgewandelt wurde, arbeitete sie als Rettungssanitäterin und Kurierin an den Fronten der Somme und Verduns. Nach dem Krieg trennte sie sich von ihrem Ehemann, aber die Hosen des Roten Kreuzes behielt sie, obwohl Hosentragen in Frankreich seit der Französischen Revolution verboten war – und dies auch 214 Jahre (bis 2013!) blieb.
Dass Morris in dem lesbischen Nachtclub „Le Monocle“ verkehrte, ist zumindest durch ein Foto des französisch-ungarischen Fotografen Brassaï belegt. Es war für Francine Prose der Ausgangspunkt für ihre Romanbiografie „Die Liebenden im Chamäleon Club“, in der sie das Leben der Lou Villars beschreibt, das auf dem von Violette Morris basiert. Morris ignorierte die weiblichen Rollenvorschriften, trug Männerkleider, fuhr Motorrad, war Kettenraucherin und lebte offen lesbisch. Um besser hinter den Lenker ihres Rennautos zu passen, ließ sie sich sogar beide Brüste amputieren.
Sport stand im Mittelpunkt ihres Lebens, und sie übte ihn in zahlreichen Disziplinen aus, egal, ob es für diese Disziplinen bereits Frauenteams gab oder nicht. Nicht nur war sie u. a. Diskuswerferin und Kugelstoßerin, sie spielte auch Wasserpolo in der Nationalmannschaft, als es noch kein Frauenteam gab, boxte – oft gegen Männer, gegen die sie häufig auch gewann -, sie spielte auch in zwei Pariser Fußballmannschaften: von 1917 bis 1919 für Fémina Sports, für Olympique de Paris von 1920 bis 1926 und für die französische Nationalmannschaft. Sie fuhr Straßenrennen mit dem Fahrrad wie auch Autorennen, ritt, spielte Tennis und schwamm. Und all dies keineswegs nur als Hobby; sie war in dem, was sie tat, ehrgeizig und sehr erfolgreich.
So gewann sie 1921 und 1922 bei den Women’s World Games (einer Ersatzveranstaltung für die Olympischen Spiele, da Frauen damals noch nicht an diesen teilnehmen durften) Goldmedaillen im Speerwurf und Kugelstoßen und bei der 1924 Women’s Olympiad in London sowohl Gold im Kugelstoßen als auch im Diskuswurf. Anschließend wandte sie sich dem Autorennen zu und siegte drei Jahre später im französischen 24-Stunden-Rennen Bol d’Or, bei dem sie 1922 erstmals angetreten und gleich einen vierten Platz belegt hatte. Weitere Rennerfolge schlossen sich in den kommenden Jahren u. a. bei den Rennen Paris-Pyrenäen-Paris (1922) und Paris-Nizza (1923) an.
Morris war eine bekannte Persönlichkeit in Paris und trat z. B. zusammen mit Josephine Baker auf, Baker spielte Klavier und Morris sang Fleur d’amour, ein bekanntes Lied von Mistinguett.
Abrupt wurde ihrer erfolgreichen Karriere jedoch ein Ende gesetzt: Der neugegründete französische Frauen-Athletik-Verband verweigerte ihr für die Olympischen Sommerspiele 1928 in Amsterdam die Teilnahme aufgrund ihres „Lebensstils“. Es mangle ihr an Moral, so die Begründung, auch wurde ihr das Tragen von Männerkleidung vorgeworfen. Sport als Vorbereitung junger Frauen auf ihr späteres Muttersein, wie es der Verband sah, war nicht in Morris´ Sinn. Sie klagte daher gegen den Verband, war Sport doch nicht nur ihr Leben, sondern sie verdiente damit auch ihren Lebensunterhalt. Aber ihre Klage wurde abgewiesen – kein Wunder, dass Morris nicht sonderlich gut auf ihr Land zu sprechen war.
So musste sie sich 1928 einer anderen Arbeit zuwenden: Sie widmete sich ganz den Autos und machte sich mit einem Autoteile-Handel selbstständig. Mit Angestellten zusammen baute sie auch Rennwagen.
1935 nahm die deutsche Journalistin Gertrude Hannecker für den deutschen Sicherheitsdienst Kontakt mit Morris auf, man wollte sie als Spionin anwerben. Man wusste, dass sie durch ihren Autoteilehandel nicht nur Zugang zu Fahrzeugen und Benzin hatte, sondern durch ihre Sportkarriere auch Menschen in ganz Frankreich kannte. Außerdem hatte sie als Rettungssanitäterin an der Front einige Erfahrung im Krieg gesammelt. Der Sicherheitsdienst ging davon aus, dass sie an Informationen kommen konnte, die ihnen bei der Besatzung Frankreichs von Bedeutung sein könnten. So wurde sie erst einmal zu den Olympischen Sommerspielen 1936 in Berlin eingeladen – von Adolf Hitler persönlich. Mit großen Ehren wurde sie dort empfangen und erhielt zu ihrer Freude sogar eine Medaille für ihre sportlichen Erfolge.
Anschließend blieb Morris in Kontakt mit den Nazis. Sie fuhr durch ganz Frankreich und sammelte Informationen über die Standorte der französischen Armee, vor allem über die Maginot-Linie, das Verteidigungssystem entlang der französischen Grenze. Die von ihr weitergeleiteten Informationen spielten eine wichtige Rolle bei der Invasion von Paris 1940.
Sie lebte inzwischen etwas zurückgezogener auf einem Hausboot auf der Seine und bestritt ihren Lebensunterhalt mit Tennis- und Fahrstunden.
Auch nach der Besatzung Frankreichs durch die Nazis blieb sie in engem Kontakt mit ihnen und arbeitete weiterhin mit ihnen zusammen. Ob sie jedoch an Folterungen von WiderstandskämpferInnen, die von der Gestapo verhaftet wurden, beteiligt war, ist umstritten. Sicher ist, dass sie vor allem die Arbeit der Special Operations Executive, einer britischen Organisation, die dem Widerstand half, mit vereiteln sollte. Hierfür wurde sie vom Maquis, der französischen Widerstandbewegung, zum Tode verurteilt. Das Urteil sollte noch vor dem D-Day (6. Juni 1944) ausgeführt werden. Am 26. April 1944 wurde sie während einer Autofahrt in der Nähe von Paris zusammen mit Freunden, die ebenfalls Kollaborateure waren, erschossen.
(Text von 2018)
Verfasserin: Doris Hermanns
Links
Bouzanquet, Jean-François (2009): Fast ladies. Female racing drivers, 1888-1970. Dorchester.
Online verfügbar unter https://books.google.it/books?id=TH41bjMO1esC, zuletzt geprüft am 13.04.2024.
Gallica (2023): Morris Violette 1893 1944 Portraits.
Online verfügbar unter https://gallica.bnf.fr/services/https://gallica.bnf.fr/services/engine/search/sru?query=dc.subject%20adj%20%22Morris%20%20Violette%20%201893%201944%20%20%20%20%20Portraits%22/search/sru?query=dc.subject%20adj%20%22Morris%20%20Violette%20%201893%201944%20%20%20%20%20Portraits%22, zuletzt geprüft am 12.04.2023.
Leduc, Dennis (2014): Violette Gouraud-Morris.
Online verfügbar unter http://www.laberezina.com/pilotes/Femmes/gouraud_violette.htm, zuletzt geprüft am 13.04.2024.
Timeline | Facebook (2023): Meet the Notorious Violette Morris | Violette Morris was a cross-dressing lesbian who went from celebrity athlete to “Hyena of the Gestapo.”.
Online verfügbar unter https://de-de.facebook.com/timelinenews/videos/meet-the-notorious-violette-morris/1922949434395178/, zuletzt geprüft am 13.04.2024.
Literatur & Quellen
Bonnet, Marie-Jo. 2011. Violette Morris. Histoire d'une scandaleuse. Paris. Perrin.
Bouzanquet, Jean Francois. 2009. Fast Ladies: Female Racing Drivers 1888 to 1970. Dorchester. Veloce.
Driel, Mels van. 2011. Sport en seks: het spel en de knikkers. Amsterdam. Arbeiderspers.
Galic, Bertrand. Kris. Rey, Javi. Bonnet, Marie-Jo. 2018. Violette Morris. À Abattre Par Tous Moyens. Paris. Futuropolis.
Gury, Christian. L'honneur ratatiné d'une athlète lesbienne en 1930. In: Gury, Christian. 1999. Le déshonneur des homosexuels. Histoire d'une répression. Paris. Èd. Kimé.
Gury, Christian. 2011. La péniche sanglante: Violette Morris, Cocteau, Modiano. Paris. Non Lieu Editions.
Neaumet, Jean-Emilie. 1994. Violette Morris: La Gestapiste. Crime Story. Paris. Fleuve Noir.
Prose, Francine. 2014. Die Liebenden im Chamäleon Club. München. Bertelsmann Verlag.
Ruffin, Raymond. 1997. La Diablesse. La véritable histoire de Violette Morris (Documents et Te). Paris. Pygmalion Editions.
Ruffin, Raymond. 2004. Violette Morris: La hyéne de la Gestapo. Paris. Le Cherche Midi.
Sebba, Anne. 2016. Les Parisiennes: How the Women of Paris Lived, Loved and Died in the 1940s. London. Weidenfels & Nicolson.
Williams, Jean. 2014. Contemporary History of Women´s Sport. Part One: Sporting Women, 1850-1960. New York. Routledge.
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