Biographien Veronika Bennholdt-Thomsen
(Prof. Dr. Veronika Bennholdt-Thomsen)
geboren am 12. Sptember 1944 in Seefeld, Tirol
deutsche Ethnologin und Soziologin
Biografie
Vorbemerkung der Redaktion: Der folgende Text informiert aus erster Hand über Veronika Bennholdt-Thomsens Leben, ihre Anliegen und ihre Leistung. Nicht zuletzt auch darüber, wie die deutsche Männer-Universität ihre Arbeit immer wieder behinderte. Bennholdt-Thomsens Bericht dürfte daher in mancher Hinsicht sogar aufschlussreicher als eine “reguläre” Biographie sein.
Der feministische Bielefelder Subsistenzansatz, kurz „Bielefelder Ansatz“ genannt.
Ein Beitrag zum 50 Jahre Jubiläum der Universität Bielefeld
von Veronika Bennholdt-Thomsen
»Ob ich wohl einen Beitrag zum 50jährigen Jubiläum der Uni Bielefeld schreiben würde? Etwas zur Entwicklung und zum Aufbau der Frauenforschung«, wurde ich von Jutta Grau und Lydia Ploeger im Auftrag des Prorektors für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs und Gleichstellung gefragt. »Nein, will ich nicht. In dem Zusammenhang gibt es für mich nichts zu jubeln. Schließlich bin ich gerade wegen meines Beitrags zu eben diesem Aufbau aus der Uni Bielefeld und letztlich aus der deutschen Hochschullehrerschaft vertrieben worden«. In einem Gespräch aber wurde mir vermittelt, ich solle etwas zur Entwicklung des Bielefelder Ansatzes schreiben, da er eine wichtige Rolle in der Debatte gespielt habe, auch über den deutschsprachigen Raum hinaus. Nach wie vor würde die feministische Subsistenztheorie mit der Bielefelder Universität in Verbindung gebracht, obwohl keine der Schöpferinnen langfristig hier gelehrt habe ... nur ich bis 1988 mit einer Professur auf Zeit. »Ok, das ist etwas anderes«. Denn der Bielefelder feministische Subsistenzansatz ist eine Erfolgsgeschichte und ich selbst arbeite bis heute an der weiteren Ausformulierung der Theorie und ihrer Lehre (im ‚Exil‘ in Wien). Sie ist mein Lebenswerk. Es begann an der Universität Bielefeld und bekanntlich sind Biografie und Theorie eng miteinander verbunden. Bei mir sogar so weit, dass ich nach wie vor in Bielefeld wohne. (1)
Es war im Februar 1975 als ich als dreißigjährige promovierte Sozialanthropologin mit dem Schwerpunkt Lateinamerikaforschung nach Bielefeld kam, knapp sechs Jahre, nachdem die Fakultät für Soziologie gegründet worden war. Beides, Soziologie und die besondere Bedeutung der Lateinamerikaforschung, verdankte die junge Reformuni dem Gründungsauftrag an Professor Helmut Schelsky, 10 Jahre vor meiner Ankunft. Zu dem Zeitpunkt hatte er Bielefeld allerdings bereits verlassen. Der Lateinamerikaschwerpunkt blieb, zumindest eine Weile noch, bis anders orientierten professoralen Begehrlichkeiten Zugriff auf die Ressourcen gelang. Ich war so etwas wie eine ‚geborene‘ Lateinamerikaforscherin. Zweiundzwanzigjährig war ich 1966 zum Studium nach Mexiko gegangen und meine gesamte Forschungserfahrung stammte von dort, auch die empirische Basis meiner Doktorarbeit. (2) Die Erlebnisse jener Jahre prägten mein Denken und sollten zum Bielefelder Subsistenzansatz führen. Auch das Jahr 1968 habe ich in Mexiko verbracht, mit seiner gewaltigen und so gewaltsam unterdrückten Studentenbewegung. Ja, ich bin eine Achtundsechzigerin, allerdings einer anderen Prägung als die der berühmten deutschen oder französischen europäischen, metropolitanen studentischen Sozialrebellion. In Mexiko spielte die Lage der mehrheitlich bäuerlichen Bevölkerung und der Migranten in den ‚barrios populares‘, sowie deren Kultur eine zentrale Rolle in der Bewegung.
Meinen Theorieansatz in der feministischen Forschung verdanke ich Rosa Luxemburg. Freilich in Verbindung mit meinem eigenen Bewusstwerdungsprozess im Zuge der beginnenden Frauenbewegung. Die Dissertation war fertig, nun stand die erste Beschäftigung als Forschungsassistentin in Mexiko an und die erneute Beschäftigung mit der Lage der Landbevölkerung. Die war in den Augen der Vertreter der internationalen Entwicklungspolitik dem Fortschritt im Weg. Aber auch in den Augen marxistischer(!) Agrarsoziologen. Laut Weltbank mussten die Bauern und Bäuerinnen weg von der Subsistenz hin zur kommerziellen Produktion geführt werden. Durch die empirische Forschung erlebte ich, wie das Vehikel der Kommerzialisierung, die so genannte Grüne Revolution, den weltmarktkapitalistischen Zugriff auf die bäuerlichen Ressourcen vorantrieb und die Menschen vom Land vertrieb. Mexiko war ein Pilotland für die Agrarprojekte. Später sollten die Weiße (Milch) und die Blaue Revolution (Aquakultur) folgen, die den weiteren Weg in die transnationale Industrialisierung des Agrarsektors ebneten.
Ich begann den Fehler in der marxistischen Analyse zu suchen, die für mich doch eigentlich für das Aufdecken von Ausbeutung und Unterdrückung in der kapitalistischen Ökonomie stand. Bei Rosa Luxemburg „Die Akkumulation des Kapitals“ wurde ich fündig. Sie erklärte, dass und inwiefern das System des Akkumulationswachstums zu seiner Existenz der Plünderung der „Naturalwirtschaften“ bedarf. Innerhalb des kapitalistischen Marktsystems könne der Mehrwert, der den Lohnarbeitenden abgepresst würde, nicht gleichzeitig wiederum als Profit erlöst werden. Vielmehr realisiere sich der Mehrwert als Profit anhand des räuberischen Tausches mit den naturalwirtschaftlich Produzierenden. Rosa Luxemburg meinte damit in erster Linie die Beziehungen zu den Kolonien. Aber für mich war ihre scharfsichtige Kritik ein Eye Opener über die unmittelbar kolonialen Zusammenhänge hinaus. Ihre Kritik betraf einen der Pfeiler der sozialistischen Politikausrichtung, nämlich die Fixierung auf die Lohnarbeiterschaft und die Blindheit gegenüber unentlohnter Arbeit. Tätigkeiten und Produkte jenseits des Lohngeldsystems erscheinen als wertlos. Der Erkenntnisschritt hin zur Analyse der unsichtbaren Hausarbeit und der Hausfrauenstellung der Frauen in unserer Gesellschaft war nicht weit. Ich erkannte, dass diese Frauenarbeit zugleich Subsistenzarbeit ist, genauso wie die der ‚rückständigen‘ Bauern und Bäuerinnen.
„Frauen, die letzte Kolonie“ (3), betitelten wir unseren ersten gemeinsamen Artikelband, Maria Mies, Claudia von Werlhof und ich, die wir als die Begründerinnen des Bielefelder Ansatzes in die Annalen der Frauenforschung eingegangen sind. Tatsächlich hat Maria Mies nie an der Universität Bielefeld gearbeitet, während Claudia von Werlhof und ich seit 1975 unmittelbare Kolleginnen im Arbeitsschwerpunkt Entwicklungssoziologie und in der Lateinamerikaforschung waren, bis zu Claudias Ausscheiden in 1986. (4) Mit Bielefeld wird Maria Mies allerdings insofern zutreffend verbunden, als sie maßgeblich an der Serie von internationalen Konferenzen 1978, 1979 und 1982 im ZIF beteiligt war, auf der die gemeinsame feministische Ausrichtung von uns Dreien klar zutage trat. Der Konferenztitel „Underdevelopment and Subsistence Reproduction“ war das Ergebnis der spannenden Debatten um die Verflechtung von Produktionsweisen innerhalb der Bielefelder Entwicklungssoziologie, zwischen den drei weiblichen und zwei männlichen wissenschaftlichen Mitarbeitern, sowie dem Lehrstuhlinhaber. Mit dem Verflechtungsansatz sollte das Nebeneinander von ‚entwickelten‘ und ‚unterentwickelten‘ Formen des Arbeitens und Produzierens in der ‚Dritten Welt‘ erfasst werden. »Aber es handelt sich doch um ein einziges Ganzes«, argumentierten unisono die drei Frauen des Arbeitsschwerpunktes – neben Claudia und mir auch noch Renate Otto-Walter, die der Universität später den Rücken kehrte, explizit »um den sexistischen Angriffen zu entkommen«. Wir wandten uns gegen den Odeur von Rückständigkeit der der nicht industriellen, nicht entlohnten Arbeit anhaftete. »Verflechtung ja, aber nicht in Kombination mit dem Produktionsweisen Begriff, der an ein Denken in Stadien von vormodern und modern gebunden ist», so unser Argument. Wir dachten dabei an die sehr ähnliche Sicht auf die Hausfrauenarbeit. Die „Re- Produktion“ im Titel konnten wir erst einmal nicht umgehen, obwohl wir das Thema dadurch mit dem Vorurteil belastet sahen, dass die Subsistenzarbeit keine produktive Arbeit sei. Anhand unserer Konferenzbeiträge jedoch wurde die produktive Notwendigkeit der sorgenden, vorsorgenden und versorgenden Arbeit deutlich, was in dem Begriff „Subsistenz“ eigentlich sowieso schon gesagt wird. „Subsistenz“ df: „das was notwendig ist zum Leben“. (5)
Die bäuerliche Wirtschaftsweise in der ‚Dritten Welt‘ und die Hausarbeit in der ‚Ersten Welt‘ zusammen zu denken – das was den Bielefelder Ansatz ausmacht -, sollte sich in der Folge als außerordentlich fruchtbar erweisen. Der Theorieansatz machte die Runde in der akademischen Welt. So entstand 1982 die dritte ZIF- Konferenz unter dem Titel „Households and the World-Economy“ zusammen mit dem Fernand Braudel-Center der State University of New York (SUNY) at Binghamton bzw. mit dessen Leiter Immanuel Wallerstein, dem Theoretiker der „World Economy“ und Joan Smith, der Leiterin des Women’s Studies Program und anderen namhaften Mitgliedern des SUNY. (6 )Welch ein Erfolg für die Bielefelder Entwicklungssoziologie! Und dennoch zugleich der Einstieg in den Ausstieg des gemeinsamen Nachdenkens der Bielefelder Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im Sinne des Subsistenzansatzes. Zum einen weil die Diskussion um Subsistenz immer deutlicher und immer konsistenter Bestandteil unseres feministischen Theoriebemühens wurde. Zum anderen weil „Subsistenz“, aller Schriften und Tagungen zum Trotz, ein Synonym für Rückständigkeit blieb, sei es in den entwicklungspolitischen oder forschungspolitischen Institutionen, die dem ökonomischen Wachstum verschrieben waren/ sind (und die die Projektgelder vergeben), sei es im ungebrochen fortschrittsgläubigen metropolitanen Diskurs (»zurück in die Steinzeit«). Und last but not least zielte unser Subsistenzansatz in eine andere Richtung als die akzeptiertere, dominierende Frauenpolitik für ökonomische Gleichberechtigung, sowie – und das gewiss nicht zu allerletzt – in eine andere Richtung als der Genderdiskurs, der sich im Zuge der fortschreitenden Globalisierung ausbreitete.
Wir Subsistenztheoretikerinnen hingegen waren dabei einen Paradigmenwechsel zu vollziehen, gegenüber der abendländischen, von der humanistischen Aufklärung und den Naturwissenschaften geprägten Geringschätzung des Bäuerlichen, des weiblich Mütterlichen und der Natur, solange sie keine verwertbare Ressource darstellt. Wir zeigten, dass nicht die Überwindung der Rückständigkeit, noch der gleichberechtigte Anteil von Frauen am Wert-Wachstums-Kuchen, noch die Leugnung des Geschlechtsleibes, insbesondere des weiblichen, jeweils ein Ziel oder vielmehr das große eine Ziel sein können, sondern dass umgekehrt das Ziel selbst das Problem ist. „Lohn hat einen ‚Wert‘, Leben nicht?“ fragte Claudia von Werlhof (CvW) 1983 (7). Im gleichen Jahr veröffentlichte Maria Mies (MM) den Artikel „Subsistenzproduktion, Hausfrauisierung, Kolonisierung“ in Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis (8), jener Zeitschrift, die sie selbst 1978 maßgeblich mit gegründet hatte, damit wir Feministinnen eine eigenständige Plattform zur Entwicklung eigenständiger Theorie hätten durch die Publikation von Beiträgen, die in den etablierten Zeitschriften nicht veröffentlicht würden. „Der Proletarier ist tot. Es lebe die Hausfrau?“ schrieb CvW in „Frauen, die letzte Kolonie“(1983). (9) Ich war damit beschäftigt, den Kongress „Zukunft der Frauenarbeit“ zu organisieren, der mit tausend Teilnehmerinnen im November 1983 in der Uni Bielefeld stattfand. „Teile und herrsche – Zusammenhang, nicht Trennung von Haus- und Erwerbsarbeit (wider die Dualwirtschaft)“ lautet mein Beitrag. (10)
„Hausfrauisierung“ ist parallel zu „Proletarisierung“ gemeint. Damit zeigen wir, dass die Geringschätzung der subsistenzorientierten Haushaltsarbeit und stattdessen das Streben nach einem Lohnarbeiterstatus – sprich, der Entwicklung der Frau - mitnichten die Befreiung der Frau von der Geringschätzung mit sich brachte. Vielmehr haftet diese im produktivistischen Patriarchat (Kapitalismus und Sozialismus) der Weiblichkeit selbst an und nicht der Hausarbeit. Die Frau wird wegen ihres Leibes, aus dem neues Leben geboren werden kann und nicht produziert wird, gering geachtet. Deshalb erhält sie in der Lohnarbeit für die gleiche Arbeit wie der Mann, weniger Lohn und die weniger angesehenen und schlechter dotierten Posten. Ihre Lohnarbeit wird „hausfrauisiert“. Wie sähe unsere Welt aus, wenn Frauen die Subsistenzarbeit wertschätzten, wenn sie eine entsprechende eigenständige Wirtschaftsweise einklagen würden, die auf der Differenz des weiblichen zum männlichen Leib beruht? Beispiele, wie solch eine Gesellschaft funktioniert, sind in vielen ethnologischen Studien zu finden. Ich selbst habe mit der Forschung in Juchitan, der Stadt der Frauen im Süden Mexikos, Anregungen gegeben. (11)
Der Anspruch, den wir an unseren Beitrag zur feministischen Gesellschaftswissenschaft stellten, war hoch. Es war unser Anliegen, dem Geschlechterverhältnis den Platz in der allumfassenden Gesellschaftsanalyse zukommen zu lassen, den es in Wirklichkeit auch einnimmt. Mit dem Subsistenzansatz ging es nicht darum eine Soziologie der Frau zu schaffen, sondern einen ganzheitlichen, alle Geschlechter umfassenden Zugang zur Gesellschaftsanalyse zu schaffen. Man(n) verstand die Absicht und war verstimmt. Das sollte ich bald zu spüren bekommen. „Die gesellschaftliche Arbeitsteilung ist geschlechtlich“, lautete die zentrale These meines Habilvortrags (1982). Genau das aber wollte man an der Bielefelder Uni nicht hören, denn darin sah man - zu Recht - einen Angriff auf die etablierte Soziologie. Eine Stimme weniger aus dem ausschließlich männ*lichen Professorengremium (12) und ich hätte die Prozedur wiederholen und einen zweiten Vortrag ausarbeiten müssen. Linke Kollegen, vorgebliche Freunde, blieben dem Habilkolloquium gezielt fern, um so das Quorum zu meinen Ungunsten zu beeinflussen. Der Lehrstuhlvertreter für Allgemeine Soziologie sagte in der Aussprache „Ich bezweifle, dass Gebärfähigkeit theorieträchtig ist“. Als ich ob des gelungenen, von mir als ironisch aufgefassten Wortspiels laut auflachte, blickte ich in verständnislose Gesichter - ohne Ausnahme(!). Niemand sonst hatte das ideologische Eigentor des Herrn Kollegen bemerkt. Aber immerhin hatte ich es geschafft. Ich war habilitiert und meines Wissens war ich die erste Frau, der das an der als fortschrittlich und besonders aufgeschlossen geltenden Bielefelder soziologischen Fakultät gelang. Denn Christiane Schmerl, die ein paar Jahre vorher aus der Fakultät heraus an derselben auch habilitieren wollte, war aus äußerst durchsichtigen, allen bekannten Gründen, dennoch abgelehnt worden. An der Fakultät für Pädagogik hingegen wusste man ihre Fähigkeiten zu schätzen.
Trotz der schlechten Erfahrung kehrte ich später an die Uni Bielefeld zurück. Auch weil ich wusste, dass die Verhältnisse woanders nicht viel anders waren und auch, weil ich an die Zeitenwende glaubte, die sehr viel langsamer und sehr viel später kam. Und kam sie wirklich? Zu dem Zeitpunkt meines Habilvortrags in Bielefeld besetzte ich die Senior Lecturer Position „Women in Development“ am ISS in Den Haag, eine der ersten unbefristeten Hochschulstellen für Frauenforschung in Europa, die von den niederländischen Feministinnen in jahrelangen Auseinandersetzungen errungen worden war. Die Herr*en in den Haag, eine international besetzte Forschergemeinschaft, empfanden die Stellenentwicklung weitgehend als Niederlage und behinderten die Arbeit der Womens Studies Abteilung wo sie nur konnten. Maria Mies, die die Stelle als Erste innehatte, zog sich nach zwei Jahren lieber auf ihre Fachhochschulprofessur in Köln zurück. Ich forderte nach über einem Jahr entnervt einen Unterstützungsbeschluss ein – und verlor. Erschöpft blieb mir nur die Kündigung. So kehrte ich an meinen vorherigen Wohnort Bielefeld und zur Lebensgemeinschaft rund um meinen inzwischen dreijährigen Sohn zurück. Die nun folgende, auf fünf Jahre begrenzte Zeitprofessur „Entwicklungssoziologie, mit Schwerpunkt Lateinamerika/ Frauenforschung“, die mir als akzeptabler Ausgleich erschien, sollte sich für meinen weiteren Berufsweg als Hochschullehrerin allerdings als Sackgasse erweisen.
Die fünf Jahre nutzte ich, um für die Institutionalisierung der Frauenforschung zu powern - so wie ich sie verstand: Nicht „add women and stir“, sondern Frauenforschung als Gesellschaftsanalyse; Gleichstellung ja, aber nicht als Angleichung an den vorherrschenden, profitorientierten, möglichst viele Waren konsumierenden männlichen Lebensentwurf, sondern im Sinne eines Frauen gerechten, der Geschlechterdifferenz gemäßen, eigenständigen weiblichen Lebensentwurf. Ergebnis: Besser ich verließ die Kommission zur Erstellung eines Curriculums für Frauenforschung in der Soziologie, sonst wäre das ganze Vorhaben geplatzt. Immerhin konnte mit vereinten Kräften von Studierenden und wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen auch anderer Fakultäten die Einrichtung einer C3 Professur Sozialwissenschaftliche Frauenforschung erreicht werden, die 1988 mit Ursula Müller besetzt wurde. Mir gelang mit der Zeitprofessur der Aufbau eines lebendigen und nachgefragten Lehr- und Forschungsbereichs, den ich „Frauen und Dritte Welt“ zu nennen pflegte. Als der Wissenschaftsausschuss des Landtags NRW mir und dem Rektorat signalisierte, dass man an der Fortführung des Bereichs interessiert sei und mittels einer zeitlich nicht begrenzten Fiebigerprofessur die Fortführung durch mich begrüßen würde, rührten sich die Haifische im Bielefelder Soziologiebecken. Die Stelle müsse ausgeschrieben werden, obwohl Fiebigerprofessuren gerade dafür geschaffen worden waren, bewährtes Können zu nutzen und Zeitstellen in Dauerprofessuren zu verwandeln, sprich, für Hausberufungen. Dabei gab es durchaus einige Hausberufungen von männlichen Wissenschaftlern an der Soziologie in Bielefeld, aber nicht für mich, oder, vermutlich weniger Person bezogen, nicht für eine feministische Frau. Dennoch bewarb ich mich auf die Ausschreibung, denn eigentlich gab es keinen Weg an mir vorbei, eine der bekanntesten und qualifiziertesten Wissenschaftlerinnen in dem Bereich. Die Manöver mich zu umgehen dauerten dann auch 4 Jahre. Schließlich wurde Gudrun Lachenmann auf die Professur „Soziologie, insbesondere Frauen in Entwicklungsländern“ berufen. Mit ihrer Emeritierung 2006 wurde die Professur gestrichen. Der erfolgreiche Bielefelder Ansatz der Erforschung von geschlechtsspezfischen Zusammenhängen in einer sich globalisierenden Welt hingegen war aus der Bielefelder Soziologie verbannt worden.
Erst trafen wir uns im FRAZE (Frauenkulturzentrum), dann retteten wir den Feministischen Bielefelder Subsistenzansatz in einen Verein „Institut für Theorie und Praxis der Subsistenz“ (1994), mieteten ein Büro im Umweltzentrum und setzten die inhaltliche Zusammenarbeit fort. „Wir“, das waren schon lange nicht mehr nur CvW, MM und VB-Th, sondern frühere Projektmitarbeiterinnen, längst diplomierte ehemalige Studentinnen und einige der Theorie verbundene Männer. Aus dem ITPS. e.V. erschienen zahlreiche Arbeitspapiere, wir veröffentlichten Bücher (13), und in dem Kontext entstandendrei sehr erfolgreiche Promotionen. (14) Dafür mussten wir Verbindungen in die Uni Bielefeld wiederbeleben, ebenso wie für das große DFG–Projekt zu Juchitán, das einzuwerben mir in der unklaren Phase zwischen Zeitprofessur und ITPS–Gründung gelungen war. Später konnten wir das Aktionsforschungsprojekt in der Warburger Börde beim BMBF einwerben 1999 -2002. (15) Auch dafür bedurfte es einer Kooperation mit der Universität, die wir durch Unterstützung von Uli Mai auch erhielten. Dennoch konnte und kann ich die Universität Bielefeld bis heute nur mit physischem Unwohlsein betreten, kurz, ich vermeide es.
Von der Bielefelder Soziologie ausgehend wurde ich innerhalb bestimmter linker Kreise der Scientific Community so diffamiert, dass zweimal meine Berufung vom ersten Platz der Berufungsliste verhindert wurde, in Kassel und in Gießen. Als aus Gießen stammend rufmörderische Artikel zu meiner Person in der Frankfurter Rundschau erschienen, weilte ich fernab vom Geschehen ein Jahr lang in Juchitán und zwar vor der Zeit von Email und Co. Vieles ging an mir vorbei, so der positive Bericht in der TAZ, die Protestbriefe von anderen Frauenforscherinnen und leider auch der öffentlichkeitswirksame Protest der Studierenden gegen meine Nicht-Berufung.16 So viel war aber schließlich klar, an einer deutschen Hochschule brauchte ich mir, zumal als über Fünfzigjährige, kein Berufungsverfahren mehr anzutun. Meine Arbeit an der feministischen Subsistenztheorie setzte ich freilich nichtsdestotrotz weiter fort. Und weil ich gerne Hochschullehrerin bin, halte ich jedes Jahr weiterhin eine Vorlesung und ein Blockseminar an der Universität für Bodenkultur in Wien, wo mir als Honorarprofessorin ein Fach eingerichtet wurde: „Subsistenzkultur“.
Die Begründerinnen des Bielefelder Ansatzes sind inzwischen alt. Maria Mies ist 87 Jahre alt, Claudia von Werlhof 75, ich 74. Nach wie vor tragen wir zur Debatte bei, aber was weit wichtiger ist, die Theorie wird von anderen, Jüngeren weitergetragen, weiter formuliert und entfaltet Wirkung in zahlreichen Praxisprojekten. „Keine Theorie ohne Praxis“ pflegte MM stets zu sagen. Die feministische Subsistenztheorie spielt eine Rolle in der Degrowth-, Commons- und Gift Economy - Diskussion, beim Urban Gardening, bei Via Campesina und in alternativen Landwirtschaftsprojekten. Auch in der feministischen Wissenschaft nimmt die Aufmerksamkeit für diese Theorierichtung im Zuge des ‚material turn‘ erneut zu. Nach wie vor wird sie Bielefelder Ansatz genannt. Das freut mich! Aber niemand wird mir wohl verübeln können, dass ich das auch als Ironie empfinde.
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1 Nach dem „OK“ entstand eine neue Hürde: Wie erkläre ich eine komplexe Theorie und deren Geschichte auf drei Seiten? Wie sich herausstellte, geht das nicht. Der Text ist zwar kurz, aber dennoch länger als gewünscht. Dabei gäbe es noch so viel mehr zu erzählen ...
2 Abschluss 1972, Veröffentlichung: Zur Bestimmung des Indio, Indiana, Beiheft 6, Gebr. Mann Verlag, Berlin 1976
3 Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1983, 2. Auflage 1988, 3. Auflage 16. – 17. Tausend bei Rotpunktverlag Zürich 1992; auf Englisch bei Zed Press, London 1988, Kali for Women, Neu Delhi 1988; auf Koreanisch 1987; auf Japanisch, Tokio 1994
4 Seit 1988 ist sie Professorin für Politikwissenschft und Frauenforschung an der Universität Innsbruck.
5 Maria Mies, Consequences of Capitalist Penetration for Women’s Subsistence Reproduction in India (1978); Renate Otto-Walter, Subsistence Reproduction and Modes of Production: the Indian Contribution (1978); V. Bennholdt-Thomsen, Investment in the Poor. Critical Analysis of the New World Bank Policy (1979); Subsistence Reproduction and Extended Reproduction. A Contribution to the Discussion about Modes of Production (1979); M. Mies, The Social Origin of the Sexual Division of Labour (1979); Claudia von Werlhof, Women’s Work: The Blind Spot in the Critique of Political Economy (1979)
6 Das Ergebnis ist nachzulesen in: Joan Smith, Immanuel Wallerstein, Hans-Dieter Evers, Households and the World Economy, Sage, Bevely Hills usw. 1984
7 Claudia von Werlhof, Lohn hat einen „Wert“, Leben nicht? in: PROKLA, Nr. 50: Marx und der Marxismus, Berlin 1983, S. 38- 58
8 Heft 9/10, 1983, S. 115-124
9 S.113-136, s. Fußnote 3
10 in: Zukunft der Frauenarbeit, Dokumentation, AJZ Druck&Verlag, Bielefeld 1985, S. 35-41
11 Veronika Bennholdt-Thomsen, Hg., Juchitán - Stadt der Frauen. Vom Leben im Matriarchat, Rowohlt, Reinbek 1994 (mit Beiträgen von Cornelia Giebeler, Brigitte Holzer, Marina Meneses, Christa Müller), 3. Auflage 9. -10. Tausend, Zürich 1997. Übersetzung ins Japanische, Tokio 1996 und ins Spanische. Oaxaca 1997
12 Man beachte bitte die Ironie hinter dem Stern.
13 Maria Mies:Frauen, Nahrung und globaler Handel. Eine ökofeministische Analyse zum Welternährungsgipfel im November 1996 in Rom, ITPS e.V., Bielefeld 1996;
• Andrea Baier: Vom lesbischen Umgang mit der Zweigeschlechtlichkeit, ITPS e.V., Bielefeld 1997;
• Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies: Eine Kuh für Hillary. Die Subsistenzperspektive, Verlag Frauenoffensive, München 1997; The Subsistence Perspective. Beyond the Globalised Economy, Zed Books, London 1999 und Spinifex Press, Victoria 1999;
• Veronika Bennholdt-Thomsen, Holzer, Brigitte und Müller, Christa (Hg.): Das Subsistenzhandbuch, promedia Verlag, Wien 1999;
• Veronika Bennholdt-Thomsen, Mechtild Müser; Fotografie: Cornelia Suhan: FrauenWirtschaft. Juchitán – Mexikos Stadt der Frauen, Frederking & Thaler, Bertelsmanngruppe, München 2000;
• Veronika Bennholdt-Thomsen, Nicholas Faraclas und Claudia von Werlhof: There is an Alternative. Subsistence and Worldwide Resistence to Corporate Globalization, Zed Books, London und Spinifex Press, Victoria 2001; auf Deutsch: Subsistenz und Widerstand. Alternativen zur Globalisierung, Wien: Promedia, 2003;
• Andrea Baier, Veronika Bennholdt-Thomsen, Brigitte Holzer: Ohne Menschen keine Wirtschaft. Oder: Wie gesellschaftlicher Reichtum entsteht. Berichte aus einer ländlichen Region in Ostwestfalen, oekom, München 2005;
• Veronika Bennholdt-Thomsen, Geld oder Leben. Was uns wirklich reich macht, München: oekom 2010, - Money or Life: What makes us really rich, available as free downlaod since 2011 (www.wloe.org/English.en.0.html;)
14 Christa Müller erhielt für ihre Arbeit „Von der lokalen Ökonomie zum globalen Dorf“ (1997) sogar den Schweisfurth-Forschungspreis für Ökologische Ökonomie und wurde zur Geschäftsführerin der Münchner ‚anstiftung‘ berufen. Brigitte Holzer wurde Lehrerin am Oberstufenkolleg, Cornelia Giebeler Professorin an der Fachhochschule. Ihnen, wie auch uns anderen blieb immer weniger Zeit für unser außeruniversitäres Institut. Schließlich blieb uns nichts anderes übrig, als das ITPS e.V. nach 20 Jahren aufzulösen.
15 Andrea Baier, Veronika Bennholdt-Thomsen, Brigitte Holzer: Ohne Menschen keine Wirtschaft. Oder: Wie gesellschaftlicher Reichtum entsteht. Berichte aus einer ländlichen Region in Ostwestfalen, oekom, München 2005
16 Als mich kurz nach meiner Rückkehr die Gleichstellungsbeauftragte zu einem Seminar einlud, stand ich plötzlich vor einem Saal mit 200 Menschen. Darauf war ich nicht vorbereitet.
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