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geboren am 30. Januar 1937 in London
britische Schauspielerin und politische Aktivistin
85. Geburtstag am 30. Januar 2022
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Vanessa Redgrave entstammt einer berühmten englischen SchauspielerInnendynastie, die von ihrer Urgroßmutter Zoe Beatrice Elsworth Pym und deren Sohn, dem Stummfilmstar Roy Redgrave, ausging und über die Großmutter Margaret „Daisy“ Scudamore und Vanessas Eltern Michael Redgrave – einen 1959 von der Queen geadelten Darsteller großer Shakespeare-Rollen – und Rachel Kempson (Der kleine Lord, Jenseits von Afrika) zu Vanessa selbst und ihren Geschwistern Corin und Lynn führt. Auch Vanessas Kinder, ihre Nichte Jemma Redgrave sowie ihre Enkelin Daisy Bevan sind SchauspielerInnen. Liam Neeson (Schindlers Liste) ist ihr Schwiegersohn.
Laut Legende stand Michael Redgrave gerade als Laertes in Hamlet auf der Bühne des Old Vic Theatre, als Vanessa geboren wurde. Nach der Vorstellung, noch unter den Verbeugungen, habe sich „Hamlet“ Laurence Olivier ans Publikum gewandt: „Ladies and Gentlemen, eine große Schauspielerin hat heute Abend das Licht der Welt erblickt, Laertes hat eine Tochter.“
Doch Vanessas erste Erinnerungen gelten nicht einer besuchten Theatervorstellung, sondern dem Krieg. Die Dreijährige und ihr zwei Jahre jüngerer Bruder Corin werden aus dem von den Deutschen bombardierten London zu Verwandten aufs Land geschickt, wo sie aus einer Dachkammer den roten Lichtschein über dem brennenden Coventry sieht. Ihre Eltern bemühen sich, Verfolgten aus Deutschland und Österreich ein Visum für Großbritannien zu verschaffen. Gelegentlich, wie z.B. bei Oskar Kokoschka, gelingt es – doch in den meisten Fällen nicht.
Während des Grundschulalters erhalten Vanessa und Corin zusammen mit einigen anderen Kindern Privatunterricht. Ab dem zehnten Lebensjahr besucht Vanessa die Mädchenschule Queen’s Gate, wo sie sich u.a. auch an Theateraufführungen beteiligt. Nach dem Unterricht ist oft nur die Nanny Ansprechpartnerin, die sich auch um die 1943 geborene Lynn kümmert, da die Eltern oft in anderen Städten auf der Bühne stehen oder bei Dreharbeiten sind. Die Ferien verbringen die Kinder häufig in Stratford-upon-Avon, wo sie den Vater als Mitglied der Royal Shakespeare Company auf der Bühne erleben. Das Theater ist trotzdem zunächst nicht Vanessas erstes Berufsziel. Sie liebt das Ballett und besucht jahrelang viermal wöchentlich die Rambert Ballettschule, bis es offensichtlich ist, dass aus einer professionellen Tanzkarriere nichts wird: Mit ihren 1,80 m ist sie für das Ballett viel zu groß.
Nach ihrem Schulabschluss hält sich Vanessa zwei Monate bei einer italienischen Familie in der Toscana auf, um dort die Sprache zu lernen. Über die ausgewählte Lektüre – Klassiker von Dante, Machiavelli, Fogazzaro und Carlo Levi – bekommt Vanessa einen Einblick in die italienische Geschichte und die gesellschaftlichen Verwerfungen einer revolutionären Epoche. Auf bemerkenswerte Weise verbindet sich diese mit ihrer Gegenwart: In Vietnam geht der Erste Indochinakrieg zu Ende, und Vanessa beginnt sich für die Welt außerhalb ihres eigenen Lebens zu interessieren. Meist bezieht sie ihre Informationen aus der (konservativen) Daily Mail, bis ihr eines Tages der Vater – ein überzeugter Sozialist und Labour-Wähler – den Guardian auf den Tisch legt, mit der Bemerkung, die Dinge könne man auch anders sehen.
Weitere – für sich gesehen:– Details sorgen dafür, dass Vanessa Redgrave die politische Person wird, die sie ihr ganzes Leben lang ist: Eine Porzellanfigur von Garibaldi auf dem heimischen Kaminsims, die Memoiren des zarenkritischen russischen Schriftstellers Alexander Herzen, die Schallplatten des schwarzen Sängers Paul Robeson, der während der McCarthy-Ära auf der Schwarzen Liste landet, sowie mehrere Dutzend Schwarzweißfotos von Menschen, Dörfern und Reisfeldern, die Michael Redgrave 1957 von Dreharbeiten in Vietnam mitbringt – alles Mosaiksteinchen, die Vanessas Haltung in politischen Kämpfen und Bürgerrechtsbewegungen beeinflussen.
Zu dieser Zeit (1954–58) besucht sie die Londoner Central School of Speech and Drama, um sich zur Schauspielerin ausbilden zu lassen. Während eines Engagements ihres Vaters am Broadway besucht sie ihn in New York, nimmt dort an Lee Strasbergs Unterricht teil und lernt durch diesen die Methoden des russischen Theaterreformers Stanislawski kennen, von dem sie forthin eine große Anhängerin ist. 1956 unterbricht sie die Schauspielschule, um ehrenamtlich mehrere Monate in der Flüchtlingshilfe zugunsten der Geflohenen des ungarischen Volksaufstandes mitzuhelfen.
1957 debütiert Vanessa Redgrave in The Reluctant Debutante am Provinztheater in Frinton-on-Sea. Nach etlichen kleineren Rollen an verschiedenen Londoner Bühnen gehört sie bereits ab 1961 zur Royal Shakespeare Company. Ihren großen Durchbruch feiert sie im selben Jahr am Aldwych Theatre als Rosalind in Shakespeares Wie es euch gefällt, kurz darauf brilliert sie als Katharina in Der Widerspenstigen Zähmung, für die sie den Großen Britischen Schauspielpreis erhält. Bis 1966 spielt sie ausschließlich Theater, u.a. in Stratford in Othello, Coriolanus und Der Sommernachtstraum. Sie wird mit zahlreichen Preisen geehrt und von Arthur Miller und Tennessee Williams als die bedeutendste zeitgenössische Schauspielerin des englischsprachigen Theaters gerühmt.
1962 heiratet sie den Regisseur Tony Richardson; die Töchter Natasha und Joely – später ebenfalls Schauspielerinnen – werden 1963 und 1965 geboren. Doch die Ehe wird bereits 1967 geschieden, und die Mädchen pendeln zwischen ihrer Mutter und dem Vater, der zumeist in den USA arbeitet. Vanessa Redgraves neue Liebe wird der italienische Schauspieler Franco Nero (Django), von dem sie 1969 den Sohn Carlo zur Welt bringt. Auch dieser wird später Schauspieler und Regisseur. Doch die Beziehung zu Nero ist eine flüchtige; sie hat diverse Liebschaften – u.a. mit dem neun Jahre jüngeren Schauspieler Timothy Dalton (James Bond 007 – Der Hauch des Todes), der ihr das Motorradfahren und Angeln beibringt – „wegen des Gefühls der Eroberung, wegen des Spaßes, zu sehen, wie weit ich gehen kann, um der Aufregung willen, und wieder aus Spaß.“ Letztlich (2006) heiratet sie Franco Nero doch, wohnt aber weiterhin in England und besucht ihn häufig in Italien, ihrer zweiten Heimat.
1966 entdeckt Vanessa Redgrave den Film – wohl nicht umgekehrt – und gleich für ihre erste Hauptrolle in Morgan – A Suitable Case for Treatment (dt.: Protest) wird sie für den Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert und erhält den DarstellerInnenpreis der Filmfestspiele von Cannes. Nach Ein Mann zu jeder Jahreszeit, in dem sie zusammen mit ihrem Bruder Corin vor der Kamera steht, gelangt sie im selben Jahr mit Michelangelo Antonionis Kultfilm Blow-Up endgültig zu Weltruhm. Den Skandal um ihre Nacktszenen kann sie nicht nachvollziehen: „Es fehlt mir jedes Verständnis dafür, gegen Nacktheit zu sein: Nacktheit ist weder mutig noch banal, es ist überhaupt nichts […] warum soll man es dann so außerordentlich finden, kurze Zeit in einem Film nackt zu verbringen?“ Weitere Preise heimst sie 1968 für ihre Rolle als die Tänzerin Isadora Duncan in Isadora ein.
Auch sonst scheut sie keine Kontroversen. Sie demonstriert gegen den Vietnamkrieg und gegen Atomkraft, für die Unabhängigkeit der Kolonien und für eine britisch-chinesische Verständigung (z.B. um Hongkong) und verfasst Lieder gegen die Apartheid in Südafrika. Als überzeugte Pazifistin schließt sie sich 1961 dem Komitee der Einhundert um den Philosophen und Mathematiker Bertrand Russell an, die für atomare Abrüstung und die Schließung eines US-Luftwaffenstützpunktes in Essex eintreten und dabei auch „zivilen Ungehorsam“ als Protestmethode einsetzen. Einmal verbringt sie eine Nacht im Gefängnis und wird zu einer Geldstrafe verurteilt. Später wendet sie sich vom Pazifismus ab, da sie mittlerweile überzeugt ist, es gebe Situationen, in denen man sich nur mit Waffengewalt von kolonialen oder imperialistischen Strukturen befreien kann. Demnach ergreift sie im Nordirlandkonflikt die Partei der IRA und in Israel/Palästina die der PLO. Letzteres trägt ihr immer wieder den Vorwurf des Antisemitismus ein, was sie empört von sich weist. Ihrer Auffassung nach müsse es möglich sein, Israel als sicheren Staat für Juden zu akzeptieren und gleichzeitig die israelische Regierung für ihre Siedlungs- und Palästinenserpolitik zu kritisieren.
Aber auch in ihrer Heimat mischt sie sich ein: Sie engagiert sich in der SchauspielerInnen-Gewerkschaft Equity und unterstützt den Bergarbeiterstreik in Nordengland. Sie wirft der Labour Party vor, sich von den Lebensrealitäten der Menschen entfernt zu haben, und löst sich von der Partei. In ihrer politischen Haltung beschreibt sie einen Wandel von der eher konservativen Jugendlichen über die Sozialistin und Marxistin zur Trotzkistin in der Workers‘ Revolutionary Party, was ihr – die Jahre zuvor Mary, Queen of Scots gespielt hatte – die augenzwinkernde Bemerkung einträgt, nun sei die schottische Königin wohl Trotzkistin geworden. Nach dem Tod des Vorsitzenden übernimmt sie 1973 zusammen mit Corin den Vorsitz dieser Splitterpartei. Zweimal – 1974 und 1979 – kandidiert sie bei den Unterhauswahlen, kann aber nicht mehr als um die tausend Stimmen für sich verbuchen. Schließlich gründet sie 2004 mit ihrem Bruder die Peace and Progress Party als Reaktion auf die britische Beteiligung am Irakkrieg, die Rückkehr britischer Inhaftierter aus Guantánamo und die Weigerung der Industrienationen, den ärmsten Staaten ihre Schulden zu erlassen. Sie selbst spendet einen Großteil ihrer Gagen für humanitäre Zwecke, für die von ihr gegründete Tagesstätte für Kinder aus armen oder anderweitig schwierigen Verhältnissen sowie für die Einrichtung einer Parteischule, einem College für Marxismus, in einer renovierungsbedürftigen ehemaligen Jugendherberge in Derbyshire.
So umstritten und teils angefeindet ihre politischen Aktivitäten auch sind, ihre schauspielerischen Leistungen sind es niemals. Sie spielt weiterhin Theater, dreht einen Film nach dem anderen. Insgesamt steht sie in ungezählten Theaterproduktionen auf der Bühne – unter anderem in verschiedenen Shakespeare-Rollen, darunter ihrem Lieblingsstück Antonius und Cleopatra, als Mary Tyrone in Eugene O’Neills Long Day’s Journey into Night, für die sie den Tony Award als beste Schauspielerin erhält, oder mit dem Stück The Year of Magical Thinking von Joan Didion, das sie im Londoner National Theatre, am New Yorker Broadway und bei den Salzburger Festspielen präsentiert. TheaterkritikerInnen bedauern nur, dass sie nie die großen Brechtschen Frauenrollen spielte: Mutter Courage, die Pelagea Wlassowa in Die Mutter oder Shen Te in Der gute Mensch von Sezuan. Ein Highlight für sie selbst ist, als sie 1990 in Tschechows Drei Schwestern mit ihrer jüngeren Schwester Lynn und ihrer Nichte Jemma zusammen spielen kann.
Schließlich wirkt Vanessa Redgrave auch hinter den Kulissen: 1987 begleitet sie die Theaterproduzentin Thelma Holt in die Sowjetunion, um in Moskau, Riga und Armenien nach einer Produktion Ausschau zu halten, die für das London International Festival of Theatre geeignet ist. Diese Reise, die nicht die letzte bleibt, begründet ihre große Verbundenheit mit dem sowjetischen Theater. 1989 holt sie das „Moskauer Jüdische Theater: Shalom“ nach London, wo es einen Riesenerfolg feiert. Dass ihre Reisen in die Sowjetunion nicht nur vom KGB, sondern auch von der CIA beobachtet werden, bleibt ihr nicht verborgen.
In rund 130 Film- und Fernsehproduktionen steht Vanessa Redgrave vor der Kamera. Vor allem verkörpert sie selbstbewusste und eigenständige Frauen, häufig in historischen oder biographischen Rollen, aber auch in Theater- und Literaturverfilmungen, Märchen, Kostümfilmen oder Krimis. Nur komisch sieht frau/man sie selten. Etliche Rollen in Hollywood-Filmen bleiben ihr versagt, da ihre Beteiligung entweder wegen ihres „falschen“ politischen Engagements als zu heikel und als Kassengift gilt oder sie schlicht kein Arbeitsvisum bekommt. Zu ihrem Glück wird sie bekannt und berühmt zu einer Zeit, als das europäische Kino in seiner Blüte steht. Trotzdem wagen es immer wieder RegisseurInnen, ihre Besetzung durchzudrücken. So feiert Vanessa Redgrave 1978 ihren größten Erfolg als Julia im gleichnamigen Film, in dem sie an der Seite von Jane Fonda eine Jüdin und Nazi-Widerstandskämpferin spielt: Redgrave erhält den Oscar für die beste Nebenrolle. Ihr Auftritt bei der Oscar-Verleihung ist von Tumulten begleitet. Die Jewish Defense League protestiert gegen sie, denn kurz zuvor ist der von ihr produzierte Dokumentarfilm The Palestinians zur Lage der Palästinenser im Nahen Osten herausgekommen, in dem u.a. Yassir Arafat ein Interview gibt.
Erneut erheben sich Proteste, sie sei eine absolute Fehlbesetzung, als bekannt wird, dass sie in dem Drama Spiel um Zeit – Das Mädchenorchester in Auschwitz (1980) die Rolle der Fania Fénelon übernimmt. Doch als der Film im Fernsehen ausgestrahlt wird, verstummen die KritikerInnen ob Vanessa Redgraves herausragender, einfühlsamer Darstellung. Auf eine Beteiligung an der Broadway-Produktion Skirmishes einige Jahre später muss sie allerdings verzichten, weil die Jewish Defense League mit Boykott des Stückes droht. In weiteren Fernsehproduktionen spielt sie u.a. die Cosima in der zehnteiligen Serie Wagner (1982) sowie eine vereinsamte Lehrerin in Wetherby (1985) an der Seite ihrer Tochter Joely und ihrer ehemaligen Schauspielschulkollegin Judi Dench.
1987 wird Vanessa Redgrave für ihre Rolle als transsexuelle Tennisspielerin Renée Richards in Zweiter Aufschlag für den Golden Globe als beste Hauptdarstellerin nominiert. Eine Rolle, die ihr auch persönlich einiges abverlangt: „Wenn ich schon, die sich selbst für einen vorurteilsfreien Menschen gehalten hatte, solcher stereotyper Gedanken [von „Normalität“] für schuldig befunden werden konnte, wie stand es dann erst um diejenigen, deren Ignoranz regelmäßig von Politikern, Richtern und der Presse ausgenutzt wurde?“ Große Erfolge werden auch Die Ballade vom traurigen Café (1991) nach der Novelle von Carson McCullers, ihre viktorianische „Mrs. Wilcox“ in Howard’s End (1992) und Das Geisterhaus (1993) nach dem Roman von Isabel Allende mit Meryl Streep, Glenn Close und Jeremy Irons.
In Mission: Impossible (1996, mit Tom Cruise) ist sie eine skrupellose Waffenhändlerin, in Oscar Wilde (1997) dessen Mutter sowie im selben Jahr eine grandiose Mrs. Dalloway nach dem Roman von Virginia Woolf. Den Golden Globe als beste Nebendarstellerin erhält Vanessa Redgrave 2001 für ihre Rolle der Edith in der Episode 1961 von If These Walls Could Talk 2, in der ihre Lebensgefährtin bei einem Unfall stirbt und sie nicht nur mit deren Tod zurechtkommen muss, sondern auch mit den kühlen Reaktionen ihrer Umwelt, da sie niemandem erzählen kann, dass sie ein Liebespaar waren.
Spätere Werke sind u.a. ihre Rolle der älteren Briony in Abbitte (2007, nach Ian McEwan) und als Königin Elisabeth I. in Anonymus (2011) über den angeblichen Ghostwriter von William Shakespeare. In Ein verborgenes Leben (2016) spielt sie eine Patientin, die seit fast einem halben Jahrhundert in einer Nervenheilanstalt einsitzt und erstmals seit Langem von einem Psychiater begutachtet werden soll. Er findet ihre Aufzeichnungen über ihr Leben, das stark von der offiziellen Krankenakte abweicht. In ihrem vorerst letzten Film spielt Vanessa Redgrave zusammen mit Joely in The Aspern Papers (2018) nach dem gleichnamigen Roman von Henry James.
Neben zahllosen anderen Ehrungen, u.a. dem Preis der amerikanischen und der britischen Filmkritik, den Emmy und Tony Awards sowie bei den Filmfestspielen von Cannes und von Venedig, wird Vanessa Redgrave insgesamt sechsmal für den Oscar nominiert (mit einem Gewinn 1978 für Julia) sowie 13-mal für den Golden Globe Award, den sie zweimal gewinnt. Aber den wohl ungewöhnlichsten „Preis“ erhält sie von Jane Fonda, die 1968 aus Bewunderung für Vanessa Redgrave ihre Tochter „Vanessa“ nennt, weil „sie die einzige Schauspielerin ist, die ich kenne, die auch politische Aktivistin ist“ – und der sie schließlich nacheifert. Einer Ehrung verweigert sie sich jedoch: Als sie 1999 von der Queen zur „Dame“ geadelt werden soll, lehnt sie ab.
Ihr humanitäres Engagement – seit 1995 ist Vanessa Redgrave UNESCO-Botschafterin und setzt sich für Programme für Kinder in Brasilien, im Kosovo und in Mazedonien ein; ferner ist sie Präsidentin der Organisation „International Artists Against Racism“ und unterstützt Amnesty International – hat sie auch wieder hinter die Kamera geführt: Im Alter von 80 Jahren feiert sie in Cannes ihr Debüt als Regisseurin mit dem Dokumentarfilm Sea Sorrow (2017) über die Lage der minderjährigen Flüchtlinge, die nach Europa kommen. „Das Bild von dem kleinen Alan Kurdi, der tot am Strand von Bodrum lag, hat mir den Antrieb gegeben, diesen Film zu machen.“
Auch von eigenen Schicksalsschlägen bleibt sie nicht verschont: 2009 stirbt ihre Tochter Natasha nach einem Skiunfall, im darauf folgenden Jahr innerhalb eines Monats ihre Geschwister Corin und Lynn, beide an Krebs. 2015 erleidet sie selbst einen Herzinfarkt und hört – endlich – mit dem Rauchen auf. „Ich vermisse die Zigaretten definitiv. […] Ich habe damit aufgehört, weil ich beschlossen habe weiterzuleben.“
Wahrscheinlich wird sie auch einfach noch gebraucht. Ihre aktuelle Sorge gilt dem Brexit.
(Text von 2018)
Verfasserin: Christine Schmidt
Zitate
Ich bin ein Kriegskind. Ich war wie besessen von der Frage: Wie können wir einen weiteren Holocaust verhindern, wie können wir Faschismus verhindern und noch mehr grausame Verbrechen, die einem die Haare zu Berge stehen lassen?
Das Spielen von Rollen bedeutet, lebendig und lebhaft auf das Ereignis und den Augenblick zu reagieren […]. Was hart ist und man sich wirklich erarbeiten muss, ist die Fähigkeit, sich auf alles, was von den anderen Schauspielern oder dem Regisseur kommt, einzustellen, mitzugehen und während der ganzen Vorstellung nur nicht zu versuchen, das, was gestern Abend so gut ging, heute genauso zu wiederholen.
Ich liebe es, um eine Rolle herum zu lesen – etwas herauszufinden über die Zeiten, in denen ein Dichter ein Schauspiel geschrieben hat, die gesellschaftlichen Zustände, die Literatur, die Kultur. Ich finde es aufregend, durch Lesen Entdeckungen zu machen, auch wenn dies viel Zeit kostet.
Das einzige, was wir für die Zukunft tun können, ist, dafür zu sorgen, dass es eine Zukunft gibt.
Jeder Rückzieher kostet seinen Preis, auch wenn einem die Rechnung erst später präsentiert wird.
Ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich von der Notwendigkeit des Marxismus bis heute absolut überzeugt bin und dass ich auch nicht einen einzigen Tag in meiner Überzeugung geschwankt habe.
Wenn du nicht in der Lage bist, Widersprüche bereitwillig zu akzeptieren, bist du nicht sehr weit damit gekommen, überhaupt irgendwas zu verstehen.
Es ist eben das Natürlichste auf der Welt, mich für andere Menschen zu engagieren.
Kinder würden zweifellos viel früher lesen lernen, viel schneller und mit echter Freude, wenn der Lesestoff nicht auf Lämmer, böse Wölfe oder drei trostlose kleine Schweine beschränkt wäre.
Routine [kann] manchmal tröstlich sein; aber öfter bedeutet Routine das morgendliche Aufwachen mit einer furchtbaren Vorahnung, dass sich niemals etwas ändern wird.
Bis 1967 war es illegal schwul zu sein, daher frage ich mich, wie wir es damals wagen konnten, uns „Demokratie“ zu nennen.
Ich habe immer versucht, für andere Menschen offen zu sein und ihnen zuzuhören. Das prägt einen natürlich. Vielleicht denke ich intensiver über Dinge nach, nehme mir auch die Zeit dafür, anstatt durch den Tag zu hetzen.
Die UN haben die Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet, und nun müssen wir Anwälte beschäftigen, die die Regierung gerichtlich dazu zwingen, dem Gesetz zu folgen. Wenn ich darüber nachdenke, könnte ich durchdrehen.
Ich bin praktisch am Ende meines Lebens, und es ist eine gute Sache, dass mich alles noch so umtreibt und ich nicht einfach in meinen Sessel falle, wo mich die Altersschwermut erwischt. Ich kann immer noch helfen, wie klein mein Beitrag auch sein mag. Ich halte es mit dem alten Hebräer, der sagte: „Wer ein einziges Leben rettet, rettet die ganze Welt“, weil es einfach schrecklich ist, an die Menschen zu denken, die wir nicht gerettet haben.
Ob Jude oder Araber, Schwarzer, Lateinamerikaner oder Weißer, wir haben alle eines gemeinsam: allesamt werden wir ausgebeutet. Aber „weiße“ Künstler im besonderen haben die Pflicht, die demokratischen Grundrechte der Afro-Asiaten, der Lateinamerikaner, der jüdischen oder arabischen Künstler und Arbeiter gegen Rassismus und Diskriminierung jeglicher Art zu verteidigen – ob aus Gründen der Rasse, der Politik oder der Religion.
Eine echte Einheit kann nicht entstehen, wenn wir nur so tun, als säßen wir alle in einem Boot, und wenn wir nicht zugeben, dass einige Künstler mehr leiden als andere, und zwar wegen ihrer politischen Einstellung, ihrer Religion oder einfach, weil sie schwul sind.
Die Auswirkungen des Brexit werden sein, als würde ein Tsunami über Großbritannien hereinbrechen. Die meisten haben keine Ahnung, was alles betroffen sein wird, weil niemand es ihnen gesagt hat; sie wurden aktiv belogen.
In vergangenen Zeiten inspizierten gottesfürchtige Briten immer mal wieder den Platz unter ihrem Bett – in der Erwartung, dort Vanessa Redgrave zu finden: mit einem Hammer, einer scharfen Sichel und Revolution in den Augen. (The Times)
Links
http://www.munzinger.de/document/00000012021
https://www.fernsehserien.de/vanessa-redgrave/filmografie
http://www.zeit.de/1992/41/immer-auf-den-barrikaden/komplettansicht
http://www.tagesspiegel.de/kultur/vanessa-redgrave-zum-80-koenigin-kaempferin-dame/19318896.html
http://www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/190962/index.html
https://www.theguardian.com/stage/2016/jun/13/vanessa-redgrave-interview-simon-hattenstone
https://www.zeit.de/1997/37/dalloway.txt.19970905.xml/komplettansicht
https://www.youtube.com/watch?v=u-zA7TWm9SA
https://www.youtube.com/watch?v=ysXdIRhiTUE
https://www.youtube.com/watch?v=gGqyy-V1id8
https://www.youtube.com/watch?v=yBpROxokGRw
Literatur & Quellen
Adler, Tim: The House of Redgrave. The Lives of a Theatrical Dynasty. London 2012 (Aurum)
Callahan, Dan: Vanessa. The Life of Vanessa Redgrave. New York / London 2014 (Pegasus)
Davis, Nick: Julie Christie and Vanessa Redgrave. Performance and the Politics of Singularity. In: Morrison, James (Hg.): Hollywood Reborn. Movie Stars of the 1970s. New Brunswick, NJ 2010, S. 182–201 (Rutgers University Press)
Deeney, John F.: Vanessa Redgrave. In: Brown, John Russell (Hg.): The Routledge Companion to Actor’s Shakespeare. London / New York 2012, S. 187–200 (Routledge)
Redgrave, Vanessa: Autobiographie. Weinheim / Berlin 1992 (Beltz Quadriga)
Redgrave, Vanessa: Actors on Shakespeare: Antony and Cleopatra. London 2002 (Faber & Faber)
Wolf, Edmund: Die Präsidentin von Amerika. Genossin Vanessa Redgrave, Schauspielerin und Tochter aus guter Familie, predigt die Revolution. In: Seeber, Ursula & Weidle, Barbara (Hg.): Edmund Wolf: „Ich spreche hier nicht von mir“. Bonn 2010, S. 160–165 (Weidle)
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