(Myra Ellen Amos)
geboren am 22. August 1963 in Newton, North Carolina
US-amerikanische Komponistin, Pianistin und Sängerin
60. Geburtstag am 22. August 2023
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Am 22. August 1963 wurde in der Kleinstadt Newton (North Carolina) die als Tori Amos bekannte amerikanische Komponistin, Pianistin und Sängerin unter dem Namen Myra Ellen Amos geboren. In den Jahren 1991 und 1992 trat sie als Solistin auf dem Montreux Jazz Festival auf. Galt die bis dato weithin Unbekannte zur Zeit des ersten Konzertes noch als Geheimtipp, so hatte sich das im Folgejahr bereits grundlegend geändert. Denn zwischenzeitlich war Amos mit ihrer CD Little Earthquakes der Durchbruch gelungen, der ihren bis heute anhaltenden Erfolg sicherte.
Erstaunen kann dies allerdings nicht, wurde ihr musikalisches Ausnahmetalent doch schon in frühen Jahren von ihren Eltern entdeckt und gefördert. Bereits im Alter von nur zweieinhalb Jahren begann sie Klavier zu spielen und mit fünf wurde das als Wunderkind geltende Mädchen am renommierten Peabody Conservatory of Music, der heutigen Johns Hopkins School of Music, aufgenommen, die sie allerdings sechs Jahre später wieder verlassen musste, da sich der Lehrkörper daran störte, dass sie inzwischen die Rockmusik der Klassik vorzog.
Im Alter von 13 Jahren bekam sie ihr erstes festes Engagement in einer Schwulenbar. Nirgends sei ein Mädchen ihres Alters sicherer als dort, befand ihr Vater damals. Ein Jahr später gewann Amos einen Song Contest und konnte ihre erste Single veröffentlichen. Zu dieser Zeit verbrachte sie bereits täglich mehrere Stunden mit Komponieren. Größere Erfolge blieben vorerst jedoch noch aus. So musste sich Amos in den folgenden Jahren damit begnügen, gegen geringes Entgelt in diversen Piano-Bars aufzutreten. Anfang der 1980er -Jahre bekam sie immerhin ein festes Engagement in einer Bar der gehobeneren Klasse nahe dem Weißen Haus in Washington. Eines Abends trat der damalige Sprecher des Repräsentantenhauses Tip O’Neill zu Amos ans Klavier und sang gemeinsam mit ihr Bye Bye Blackbird, ohne dass sie gewusst hätte, wen sie da vor sich hatte. Denn damals sei sie eben noch „jung und naiv“ (2020, 29) gewesen, wie sie in einem ihrer Bücher sagt.
Mit 21 zog Amos nach Los Angeles, da sie hoffte, dort mehr für die von ihr angestrebte Karriere tun zu können. Doch auch hier musste sie sich darauf beschränken, die Gäste in verschiedenen Bars musikalisch zu unterhalten.
Bald darauf formierte sie eine der Musikindustrie gefällige Band mit dem Namen Y Kant Tori Read, von der 1988 ein – allerdings wenig erfolgreiches – Album gleichen Titels erschien. Amos selbst erklärt den Fehlschlag der kurzlebigen Band damit, dass sie damals versuchte, den Wünschen der Musikindustrie gerecht zu werden. Ein Fehler, den sie allerdings schnell erkannt und nie wiederholt hat.
Nachdem 1992 ihr erstes Solo-Album Little Earthquakes erschienen war, begann ein geradezu kometenhafter Aufstieg der Musikerin, die schon bald in Europa ebenso erfolgreich war (und noch immer ist) wie in den USA. Dabei war das Album zunächst von ihrem damaligen Plattenlabel Atlantic Records abgelehnt worden, weil sie Klavier und nicht Gitarre spielte. „In der Musikindustrie unterzeichnest du einen Pakt mit deinem eigenen Blut wie Dr. Faustus“ (2008, 219), erklärte sie später, doch widerstand sie schon damals dem Ansinnen der Plattenfirma, ihr Instrument zu wechseln.
2001 erschien mit Strange Little Girls ihr letztes Album bei Atlantic Records. Die Stücke des Albums wurden ausschließlich von Männern wie John Lennon, Tom Waits oder Eminem komponiert, die in ihnen auch schon einmal ihre sexuellen Gewaltphantasien ausdrücken. Amos aber interpretiert sie sozusagen gegen den Strich. Ein Rezensent spricht nicht unzutreffend davon, sie habe mit dieser „Appropriation männlicher Songs“ (Seiler, 54) die „Bruchstellen bei der Romantisierung männlicher Gewalt“ (ebd., 55) aufgezeigt.
Nach Strange Little Girls wechselte Amos zu Sony. Seither erscheinen ihre Alben zusätzlich in einer limitierten Special Edition, die oft eine DVD enthält und stets in kürzester Zeit ausverkauft ist.
Zwar tritt Amos inzwischen meist nicht mehr wie noch in Montreux nur von sich selbst am Piano begleitet auf, gelegentlich aber pflegt sie diese Vorliebe noch immer, wie etwa während einer Konzertreise im Jahre 2005, in deren Verlauf sie unter anderem in London und Chicago auftrat, oder Ende 2009 bei einem privaten Konzert vor nur 100 Gästen im Veterans Room of New York City’s Park Avenue Armory. Gerade diese Solo-Konzerte haben einen ganz besonderen Reiz und Flair.
Ende der Nuller-Jahre trat die Deutsche Grammophon an Amos heran und schlug ihr vor, einen auf klassischen Werken basierend Songzyklus zu schreiben. Amos nahm das Angebot an und veröffentlichte 2011 bei dem Label das Konzeptalbum Night of the Hunters. Für seine vierzehn Stücke ließ sie sich unter anderem von Kompositionen Bachs, Chopins, Debussys, Mendelssohns und Schuberts inspirieren. Es handelt sich um Amos erstes Studioalbum, das ausschließlich mit akustischen Instrumenten eingespielt wurde. Auch ist ihre damals elf-jährige Tochter Natashya auf ihm zu hören. Im darauffolgenden Jahr arrangierte sie vierzehn ihrer Songs neu für ein großes Orchester und nahm sie unter Begleitung des niederländischen Metropole Orkest auf. Unter dem Titel Gold Dust erschienen sie 2012 ebenfalls bei der Deutschen Grammophon.
Bis heute hat die Musikerin nicht weniger als sechzehn Studioalben und zahlreiche Live-Mitschnitte veröffentlicht. Zuletzt erschien im Herbst 2021 Ocean to Ocean. Auch liegen etliche ihrer künstlerisch meist anspruchsvollen Videoclips auf einer von ihr selbst kommentierten DVD vor. In dem 2003 gedrehten Film Mona Lisa Smile (Mona Lisas Lächeln) mit Julia Roberts in der Hauptrolle hat sie außerdem einen kurzen Gastauftritt als Sängerin einer Big-Band und interpretiert das von Jimmy McHugh und Frank Loesser komponierte Lied Murder He Says. Neben ihren zahlreichen musikalischen Veröffentlichungen hat sie zwei autobiographische Bücher – Seelentanz (2008) und widerstand (2020) – geschrieben.
Amos hat seit jeher ein sehr spirituelles Verhältnis zu ihrer Musik und empfindet ihre Lieder als „lebende und atmende Wesen“ (2020, 42) weiblichen Geschlechts. Auch spricht sie von ihren Songs gerne als „Klanggemälden“ (2008, 54). Im Grunde sei sie jedoch nur die „Ko-Komponistin“ (2020, 90) ihrer Lieder, erklärt sie, denn „die Musen und Songs selbst bieten mir Melodien an, Akkorde und Stimmungen, die zu einem Sound verführen, ihn schemenhaft andeuten“ (ebd.). Auch betont sie, dass sie mit ihrer Musik „alle […] Sinne“ ansprechen will, „nicht nur das Hören“ (2008, 78). Das Publikum müsse „das Lavendel riechen“, „das Pieken der Stricknadeln in der Handtasche der Oma“ und „dass das Holz im Ofen brennt“ spüren (ebd.).
Dabei sind viele dieser Lieder hochpolitisch, mögen sie auch nicht immer auf den ersten Blick als solche erkannt werden. Denn nur selten einmal ist ihre politische Aussage so offensichtlich wie im Falle von Yo George. Doch schon Silent All These Years, das 1992 auf Little Earthquakes enthalten ist, wurde von ihr „als politischer Aufruf verfasst“ (2020, 113). Ebenso Cornflake Girl, mit dem Amos „an der Diskussion darüber teilnehmen [wollte], wie sich Frauen gegen andere Frauen im Rahmen der globalen Kultur des Patriarchats verhalten“ (2020, 91). Wie diese sind auch viele andere ihrer Songs keineswegs einfach zu entschlüsseln, sondern lassen vielfältige Deutungen zu.
Doch nicht nur ihre Songs sind politisch. Amos, die von sich sagt, sie sei „als Feministin geboren“ (2008, 16) worden und „schon in jungem Alter“ als „feministische Soldatin“ in den Kampf gegen die „männliche Autorität“ (2020, 51) gezogen, gründete 1994 mit anderen zusammen das Netzwerk RAINN (Rape, Abuse and Incest National Network), dessen erste Sprecherin sie war. Inzwischen ist RAINN zur größten US-amerikanische Hilfsorganisation gegen sexuelle Angriffe herangewachsen. Während des zweiten Irakkrieges nahm Amos zudem an Protesten teil und erklärte sich insbesondere mit der ausschließlich weiblich besetzten Country-Band Dixie Chicks solidarisch, die wegen ihrer Kritik an George W. Bush heftigen Angriffen von konservativer Seite ausgesetzt war, die bis hin zu schriftlichen Morddrohungen gegen die Sängerin Natalie Maines gingen.
Heute klagt Tori Amos darüber „wie schrecklich alles geworden ist“ (2020, 7) in dieser „schwierigsten aller Zeiten“ (2020, 8), in der „Diktatoren oder solche die Diktatoren werden wollen, den Kampf gewinnen“ (2020, 154). Es gelte daher weiterhin den „Pfad des Widerstands“ (2020, 8) zu beschreiten. Es sei dies der „Pfad der Kunst, die uns befreien wird“ (ebd).
(Text von 2022)
STUDIOALBEN:
Little Earthquakes (1992)
Under the Pink (1994)
Boys for Pele (1996)
From the Choirgirl Hotel (1998)
To Venus and Back (1999)
Strange Little Girls (2001)
Starlet‘s Walk (2002)
The Beekeeper (2005)
american doll posse (2007)
Abnormaly Attracted To Sin (2009)
Midwinter Graces (2009)
Night Of Hunters (2011)
Gold Dust (2012)
Unrepentant Geraldines (2014)
Native Invader (2017)
Ocen to Ocean (2021)
LIVE-ALBEN (AUSWAHL)
Live at Montreux 1991/1992 (2008)
To Venus and Back (1999, neben der Studio-CD enthält das Album eine weitere CD mit Aufnahmen der Plugged Tour von 1998)
The Original Bootlegs (sechs separate Alben, Konzertmitschnitte aus dem Jahr 2005 enthalten)
DVDS (AUSWAHL)
Welcome To Sunny Florida (2004)
Tori Amos Video Collection (2006)
Live At Montreux 1991 1992 (2008)
Live form the artists den (2010)
Verfasserin: Rolf Löchel
Links
Literatur & Quellen
Tori Amos: widerstand hoffnung wandlung und mut. Die Geschichte einer Songwriterin. Höfen (Österreich) 2020.
Tori Amos & Ann Powers: Seelentanz. Berlin. 2008.
Rolf Löchel: Eine geborene Feministin. Die Ausnahmekünstlerin Tori Amos erzählt in „Seelentanz“ über ihr Leben, ihre Spiritualität und ihre Musik. In: literaturkritik.de, Jg. 11, Heft 3. (2009) S. 159-161.
Sascha Seiler: Die Appropriation der Männlichkeit. Die Singer-Songwriterin Tori Amos veröffentlicht mit „Widerstand“ ein Buch mit Anekdoten, Gedanken und Songtexten. In: literaturkritik.de, Jg. 23, Heft 2. (2021) S. 54-56.
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