Biographien Theresia Sauter-Bailliet
(Dr. Theresia Sauter-Bailliet, geb. Sauter)
geboren am 19. Juni 1932 in Weingarten
Amerikanistin, Germanistin, Romanistin, vor allem Feministin
90. Geburtstag am 19. Juni 2022
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Kindheit, Lehr- und Wanderjahre
Theresia Sauter ist in den Kriegsjahren in Deutschland aufgewachsen. Nach den Erfahrungen dieser Zeit war es für sie selbstverständlich, dass sie ihr Leben selbst gestalten würde. Als sie mit 20 Jahren den Entschluss fasste, nach England zu gehen, verweigerten die Eltern ihr jede Unterstützung. Sprachdiplom und Lebensunterhalt musste sie sich als Haushaltshilfe verdienen; im Grunde war sie Dienstmagd. Wieder zurück in Deutschland sprang sie 1953 auf einen Flüchtlingszug aus dem Osten und kam auf diese Weise kostenlos nach Paris. Wieder musste sie sich das Sprachdiplom – Französisch – mit schwerer Hausarbeit verdienen. Das noch fehlende Spanischdiplom erwarb sie mit dem angesparten Geld – diesmal war noch größere Armut der Preis.
In der Oberschule war ihr Traum ein Chemiestudium gewesen. Die unausgesprochene Suggestion, Sprachen seien passender für eine Frau, hatte bei ihr jedoch gewirkt. So geriet sie beinahe unmerklich in traditionell weibliches Gebiet: sie wurde Dolmetscherin. Nie hielt sie es lange an einem Ort aus; die Abenteuerlust trieb sie in die USA, die sie 1958 per Schiff, dem damals üblichen Transportmittel, erreichte. Mit dem Bus fuhr sie quer über den Kontinent von New York nach Seattle. Zwei Tage später hatte sie bereits eine Arbeitsstelle, was mit nurmehr zwanzig Dollar in der Tasche auch bitter nötig war. 1960 begann sie mit dem Literaturstudium an der University of Washington/Seattle, wo sie 1969 promovierte. Sie studierte mit Begeisterung. Dass die literarische Tradition fast ausschließlich eine männliche war, erkannte sie noch nicht als Ergebnis patriarchaler Einflussnahme. Es mussten andere Erfahrungen hinzukommen. 1968 heiratete sie den Franzosen Claude Bailliet. Dass man(n) von ihr erwarten würde, dem Ehemann ohne Rücksicht auf die eigene Arbeit zu folgen und damit auf Studium und Karriere zu verzichten, hatte sie nicht erwartet. Der eigentliche Bewusstseinsschock und das feministische Erwachen kamen erst jetzt.
Handelt es sich nicht um eine typische Frauenbiographie? Frauen glauben, sich selbst zu verwirklichen und bleiben doch im patriarchalen Netz gefangen. Doch für Theresia Sauter-Bailliet gab es nach ihrem schockartigen Erwachen kein Zurück mehr. Es war die Zeit des Aufbruchs der Neuen Frauenbewegung. Als Professorin am Allegheny College in Pennsylvania traf sie sich mit den am Herd gebliebenen hochbegabten Ehefrauen von erfolgreichen jungen Professoren zum Consciousness-Raising. Auch die Women's Studies entstanden in jener Zeit. Politisches Engagement und akademisches Studium gingen noch Hand in Hand. Ein Höhepunkt war 1970 der Besuch von Gloria Steinem, Herausgeberin der damals tonangebenden feministischen Zeitschrift MS, die mit rhetorischer Brillanz emanzipatorische Aufbruchstimmung verbreitete. “Noch hatten wir den aufklärerischen Glauben, wie im 18. Jahrhundert Mary Wollstonecraft, die Welt mit eindeutigen Beweisen von der Unterdrückung des Frauengeschlechts überzeugen zu können. Dies spornte uns an. Kein Lebensbereich, keine Disziplin, blieb undurchforscht. Es fehlt heute nicht an Beweisen, doch der patriarchale Mythos lässt sich nicht von Fakten beeindrucken”, so Theresia Sauter-Bailliet.
Weiterer Werdegang, Publikationen und Interventionen
1973 gab sie ihre Professur an der Loyola University in Chicago auf und kehrte zurück nach Deutschland an die Technische Hochschule Aachen. Zum Thema “Modern Trends in America: Black Studies and Women Studies” hat sie das erste Frauenseminar in Literatur an dieser Universität gehalten. Die feministische Pionierinnenarbeit führte sie mit einem breiten Spektrum von Themen bis 1997 kontinuierlich weiter. Die Vorträge auf der ersten Berliner Frauenuniversität 1976 waren der Auftakt zu weiteren Veröffentlichungen und Interventionen. Sie trat auf vielen Jahrestagungen der Modern Language Association in den USA auf, veröffentlichte sowohl in den USA als auch in Frankreich. 1974 gründete sie in Paris mit anderen Französinnen die kurzlebige Parti Féministe, die auch zu Wahlen antrat. Die Abtreibungsdebatte war damals auf dem Höhepunkt. Gemeinsam mit der Rechtsanwältin Gisèle Halimi engagierte sie sich in der Organisation CHOISIR für die Entkriminalisierung der Abtreibung (wie bereits bei NARAL in den USA). Der internationale Kongress Choisir de Donner la Vie 1979, auf dem sie Deutschland vertrat, gab eine Bilanz der Liberalisierung dieses frauenverachtenden Gesetzes.
Seit 1982 begeistert sie sich für die feministische Science Fiction US-amerikanischer Schriftstellerinnen. Ausgehend von der Frage “was wäre wenn . . .”, kann feministische Science Fiction Zukunftsszenarien entwerfen, die Frauen über eine entmutigende Realität hinweghelfen. Es begann eine produktive Schaffensperiode mit Seminaren, zahlreichen Vorträgen und Veröffentlichungen zu diesem Thema. Wegweisend waren SF-Autorinnen wie Marge Piercy, Joanna Russ, Ursula LeGuin, und viele andere.
In realistischer Einschätzung der Zählebigkeit des Patriarchats und auf der Suche nach positiven Erfahrungen wandte sich Theresia Sauter-Bailliet der Matriarchatsforschung zu. Mit der Entdeckung des Labyrinths im Jahr 2000 auf dem Fest der 2000 Frauen in Frankfurt, wo sie ihre Lieblingsschriftstellerin James Tiptree vorstellte, öffnete sich ihr ein weiteres Feld persönlicher Erfahrung und historischer Erforschung. Am Labyrinth kann sie beispielhaft den historischen Wandel vom Matriarchat zum Patriarchat in all seinen Facetten bis in die Neuzeit ablesen. In der Begehung des Labyrinths – was ihr schon an vielen verschiedenen Orten möglich war – findet sie innere Ruhe. Noch immer durchreist sie alleine ferne Länder und Kontinente, um sich mit dem Leben der Frauen dort und der indigenen Kultur zu beschäftigen; Reiseberichte und Buchveröffentlichungen halten dieses Interesse fest.
Auf ihren drei Reisen nach China besuchte sie 2007 und 2009 in der Provinz Yunnan die Mosuo, eine Ethnie, die noch starke matriarchale Wurzeln aufweist. Überall in China wird Kuan Yin verehrt, der die Insel Putuoshan geweiht ist. Dort drängte sich ihr der Gedanke auf, dass Kuan Yin eine ehemalige indigene chinesische Göttin gewesen sein muss, die später vom Buddhismus vereinnahmt wurde. Diesem Thema ist ihre Veröffentlichung Wie Kuan Yin, die chinesische Göttin der Barmherzigkeit, auf die Insel Putuoshan kam gewidmet. – Myanmar erlebte Theresia Sauter-Bailliet 2010 noch vor dem Ansturm des Tourismus. 2011 unternahm sie in Nepal eine Trekkingtour im Annapurna Gebiet. – Ihre matriarchale Spurensuche führte sie 2013 zu den Minangkabau auf Sumatra und weiter in die Scharia Provinz Aceh zu Interviews mit der Friedens- und Frauenaktivistin Surayia Kamaruzzaman. Die dort gewonnenen Erkenntnisse hat sie ebenfalls veröffentlicht. – Auch aus ihrer Reise nach Kolumbien 2014 wurde ein Buch. Es befasst sich mit den Wiwa, einem der indigenen Tairona Stämme in Kolumbien, zu denen die bekannteren Kogi gehören. Wie die Wayuu auf der Halbinsel Guajira kämpfen diese ums Überleben. Dabei hilft ihnen ihr noch spärlich vorhandenes matriarchales Kulturgut, das das Frauendorf Nashira im Süden Kolumbiens neu zu beleben sucht.
Angeregt durch einen Film, der die weit im pazifischen Ozean abgelegenen Palau Inseln als Insel der Frauen bezeichnet, unternahm sie 2016 die strapaziöse Reise dorthin. Von Matriarchat ist in dieser ehemals deutschen Kolonie heute wenig zu spüren. Doch die Palauerinnen legen ein gewisses Selbstbewusstsein an den Tag und bemühen sich, ihre geschichtliche Vergangenheit zu dokumentieren. Kompensiert hat Theresia Sauter-Bailliet ihre spärlichen Erkenntnisse auf Palau dadurch, dass sie, fast 84jährig, tauchen lernte, ein Sport, von dem der dortige Tourismus lebt.
Matriarchales Gedankengut geht uns auch heute noch an! Das ist das Fazit ihres bewegten Lebens, gezogen aus vielen persönlichen Erfahrungen mit - und den Forschungen über - Kulturen, die noch matriarchale Spuren aufweisen. Denn, so Theresia Sauter-Bailliet: „Für ein gelungenes menschliches Zusammenleben braucht es Grenzen: geografische und technologische. Die Globalisierungsideologie beraubt, wie früher der Kolonialismus, tief in ihrer Geschichte verwurzelte Kulturen ihrer Eigenständigkeit und Einmaligkeit. Während der Machbarkeitswahn Natur und Kosmos als manipulierbaren Rohstoff behandelt, lebten matriarchale Gesellschaften in einer Symbiose mit der Natur, in der das Göttliche, geprägt vom weiblichen Prinzip, verwurzelt war. Matriarchale Gesellschaften gingen davon aus, dass das aggressive Potential, das in der männlichen Konstitution schlummert, seine zerstörerische Kraft entfaltet, wenn es nicht in gesellschaftstragende Bahnen gelenkt wird. Diese Einsicht zu beherzigen, täte unserer von Psychopathen regierten Welt gut, die Männlichkeit verherrlicht und Weiblichkeit, auch den weiblichen Anteil im Mann, ab- und entwertet.“
Verfasserin: Bettina Schmitz
Literatur & Quellen
Schriften von Theresia Sauter-Bailliet:
A. Bücher:
Die Frauen im Werk Eichendorffs: Verkörperungen heidnischen und christlichen Geistes. Bonn 1972.
Frauen in Bewegung. Zur Geschichte, Bedeutung und Aktualität der Frauenemanzipation in den USA und Frankreich. Wiesbaden 1982.
Wie Kuan Yin, die chinesische Göttin der Barmherzigkeit, auf die Insel Putuoshan kam. Euskirchen, 2012.
Matriarchats-Nostalgie: Ein Besuch bei den Minangkabau auf Sumatra. Euskirchen, 2013.
Matriarchale Spuren in Kolumbien. Meine Reise zu den Tairona, den Wayuu und dem Frauendorf Nashira. Rüsselsheim, 2015.
B. Aufsätze (Auswahl):
“Die Gretchen-Episode in Goethes Faust.” In: Frauen und Wissenschaft. Berlin, 1977.
Féminisme – Féministe: une Définition.” In: Bulletin de Liaison du Parti Féministe, Nr. 3 (1977).
“Macht und Ohnmacht im häuslichen Bereich. Eine sozio- und psycholinguistische Literaturanalyse von Sue Kaufmans Diary of a Mad Housewife.” In: Frauen als bezahlte und unbezahlte Arbeitskräfte. Hg. Dokumentationsgruppe der Sommeruniversität. Berlin, 1978. Ebf. in: Wissenschaft und Zärtlichkeit, Nr. 2, (1978).
“Sexismus in der Sprache: Am Beispiel des Englisch-Amerikanischen.” In: Vorgänge, Nr. 32 (1978).
“Donner la vie: Législation à travers le monde: R.F.A.” In: Choisir de donner la vie. Paris, 1979.
“Vom Studium für Frauen zu Frauenstudien: Women's Studies in den USA.” In: Englisch-Amerikanische Studien, Nr. 2 (1980).
“The Feminist Movement in France.” In: Women's Studies International Quarterly, 4, Nr. 4 (1981). Ebf. in: The Women's Liberation Movement: Europe and North America. Hg. Jan Bradshaw. Oxford: 1982.
“Marge Piercy: Woman on the Edge of Time.” In: Die Utopie in der angloamerikanischen Literatur. Hg. Hartmut Heuermann et al. Düsseldorf, 1984.
“Kämpfende Frauen in der Literatur. Am Beispiel Kamilla und Brünhild.” In: Feministische Studien, 3, Nr. 2 (1984).
'Remember the Ladies.' Emancipation Efforts of American Women from Independence to Seneca Falls.” In: The Early Republic. The Making of a Nation, the making of a Culture. Hg. Steve Ickringill. Amsterdam: 1988.
“Hat die Raumfahrt ein Geschlecht?” Hg. Anne Schlüter et al. In: Was eine Frau umtreibt. Pfaffenweiler, 1990.
“Tiptree immortalized in Germany's Frauen-Gedenk-Labyrinth.” In: Extrapolation, 44, Nr. 1 (2003).
Biografischer Eintrag in Who’s Who in the World, 10. Auflage, 1989.
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