(Margaret Susan Cheshire, Baroness Ryder of Warsaw and Baroness Cheshire [eigentlicher Name])
geboren am 3. Juli 1924 in Leeds, Yorkshire
gestorben am 2. November 2000 in Bury St Edmunds, Suffolk
britische Philanthropin
100. Geburtstag am 3. Juli 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Sue Ryder war 15 Jahre alt, als im September 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach. Dieses einschneidende Ereignis sollte auch ihr Leben total verändern. Sie verließ die sichere, exklusive Benenden-Privatschule und meldete sich freiwillig zum Sanitätsdienst in die britische Armee. Ihre Selbständigkeit muss schon sehr ausgeprägt gewesen sein, denn die Eltern fragte sie erst gar nicht. Sue Ryder sollte sie vier Jahre nicht mehr sehen. Um bei der Army angenommen zu werden, gab sie an, ein Jahr älter zu sein. Konsequent wie sie war, beließ sie es Zeit ihres Lebens dabei. Ihre Autobiographie »Child of My Love« beginnt sie mit: »Ich wurde am 3. Juli 1923 geboren«. In der Geburts- und Sterbeurkunde ist das richtige Jahr 1924 eingetragen.
Doch statt Verwundete zu versorgen, wurde sie der Einheit SOE (Special Operations Executive) zugeteilt. In dieser sehr geheimen Sondereinsatztruppe zur subversiven Kriegführung dienten auch viele Polen. Sue Ryder hatte dort administrative Aufgaben. Sie fuhr die Agenten mit einem Lastwagen zu kleinen Flugplätzen, von wo aus diese in von Deutschland besetzte Gebiete starteten, um dort Sabotage zu verüben. Viele Frauen und Männer kehrten von ihrem Einsatz nie wieder zurück. Sue Ryder imponierten der ungebrochene Freiheitswille und die große Gläubigkeit der Polen.
18jährig heiratete sie einen britischen Marineoffizier, der jedoch schon nach wenigen Wochen im Kriegseinsatz fiel. Danach wurde sie von der SOE in Nordafrika und in Italien eingesetzt.
Der Krieg war zu Ende, aber Sue Ryder blieb auf dem Kontinent und schloss sich verschiedenen Hilfsorganisationen an. Anderen Menschen zu helfen, sollte zu ihrer Lebensaufgabe werden. Sie begann, in Frankreich Gefängnisse zu besuchen. Bald aber dehnte sie ihre Aktivitäten nach Deutschland aus. Sie zog von einer Haftanstalt zur nächsten und recherchierte dort alle nichtdeutschen Gefangenen. In ihrer Autobiografie schildert sie, wie ergreifend es für sie war, als sie in den Akten unter »vorherige Haftanstalten« Namen wie Bergen-Belsen, Auschwitz, Ravensbrück, Stutthof und Theresienstadt las. Die meisten der Häftlinge waren jung, krank und kamen aus Osteuropa. Sie beschloss, diesen Menschen zu helfen. Mit Hilfe skandinavischer Freunde richtete Sue Ryder in Dänemark ein erstes provisorisches Erholungsheim für KZ-Überlebende und traumatisierte Langzeitkranke ein.
Die Alliierten nannten diese Menschen Displaced Persons, DPs (In den Kriegszeiten verschleppte, zur Zwangsarbeit deportierte Menschen, die nicht mehr repatriierbar waren, weil sie in ihre Heimatländer nicht zurückkehren konnten oder wollten).
Anfang der 1950er Jahre begann sie mit dem Aufbau einer eigenen Organisation, und lernte dabei Leonard Cheshire kennen. Der in seiner Heimat als Fliegerheld verehrte Cheshire hatte auf Grund seiner Kriegserfahrungen eine eigene Hilfsorganisation gegründet (Group Captain Leonard Cheshire war offizieller britischer Beobachter des Atombombenabwurfs auf die japanische Stadt Nagasaki durch die amerikanische Luftwaffe). So war es fast zwangsläufig, dass die beiden sich irgendwann trafen. Sie wurden ein Paar und heirateten am 5. April 1959. Zuvor konvertierten beide zum römisch-katholischen Glauben. Ein Jahr später wurde ein Sohn geboren und 1962 eine Tochter.
Etwa in dieser Zeit zogen in Großburgwedel, Region Hannover, die ersten kinderreichen Familien aus DP-Lagern in speziell für sie gebaute Siedlungshäuser ein. Vor diesem großartigen Ereignis scheiterte Sue Ryder mit zwei Versuchen zu Heimgründungen im Raum Frankfurt/Main.
Nach langem Suchen wurde Sue Ryder in Großburgwedel eine große Villa angeboten. Das um 1900 als Sanatorium gebaute große Haus mit über 50 Räumen war für ihre Zwecke bestens geeignet. Dort begann sie, aus Lagern, Gefängnissen und Krankenhäusern entlassenen DPs eine Wohnmöglichkeit einzurichten. Unter ihnen waren viele an Tuberkulose erkrankt. Mit Hilfe der United Nations Association-UK und eines eigens dafür gegründeten Vereins konnte die Sue Ryder Foundation ab 1957 acht kleine Häuser auf dem weitläufigen Grundstück der Villa von freiwilligen Helfern bauen lassen. Über mehrere Jahre kamen Studenten und Schüler aus insgesamt 16 Ländern nach Großburgwedel. Unter Anleitung eines Baumeisters erbauten sie ohne maschinelle Hilfen »St. Christopher Settlement«. So nannte die gläubige Christin und Philanthropin Sue Ryder die Siedlung. Im Ort war es die Polensiedlung. Es sollte die einzige neugebaute Siedlung für DPs in Deutschland bleiben.
Nach 1962 entstand in Großbritannien und in Osteuropa ein Heim nach dem anderen. Ein Netz von Sue Ryder Charity-Shops in Britannien und Irland sorgte und sorgt bis zum heutigen Tag für regelmäßige Geldeinnahmen.
Sue Ryder erhielt im Laufe ihres Lebens zahlreiche Auszeichnungen und Würdigungen, sowohl in ihrer Heimat als auch in Polen. Für ihre karitative Arbeit in Deutschland wurde sie bereits 1957 mit dem Order of the British Empire ausgezeichnet. Als sie 1979 aufgrund ihrer weltweiten Verdienste von Königin Elizabeth II geadelt wurde, nahm sie den Titel Baroness Ryder of Warsaw an, weil sie damit ihren großen Respekt und tiefe Bewunderung für das polnische Volk ausdrücken wollte. Mit der Erhebung in den Adelsstand erhielt sie auch einen Sitz im Oberhaus des britischen Parlaments. Sie zögerte lange, diesen anzunehmen, sah aber die große Möglichkeit, dort für die Schwachen der Gesellschaft einzutreten. Ein Dutzend Ehrendoktorwürden und weitere Orden und Ritterernennungen folgten. 1992, im Todesjahr ihres Mannes Leonhard, wurde sie zur Kommandeurin des Ordens Polonia Restituta ernannt. Dieser Orden der Widergeburt Polens ist die zweithöchste zivile Auszeichnung der Dritten polnischen Republik.
Dieser Lebensweg war Margret Susan Ryder nicht in die Wiege gelegt worden. Sie wurde in eine wohlhabende Großfamilie hineingeboren. Ihr Vater Charles Foster Ryder war bereits Witwer mit fünf Kindern, als er 1911 Mabel Elizabeth Sims heiratete. Das Paar bekam weitere vier Kinder. Sue war die Jüngste. Sie beschreibt ihren Vater als stillen, belesenen und reservierten Mann. Die Verwaltung des Grundbesitzes mit Ländereien in Yorkshire und East Anglia nahm seine ganze Zeit in Anspruch. Sue liebte ihren Vater sehr, doch es war die Mutter, die den größeren Einfluss auf sie hatte und ihr Vorbild für ihr späteres Leben war. Ihre Mutter habe viele Talente gehabt und sei sehr vielseitig interessiert gewesen, schreibt sie in ihren Autobiographien. Malerei und Architektur waren ihre Hobbys, doch es war die Warmherzigkeit und Hilfsbereitschaft, die sie bewunderte. Die Familie lebte abwechselnd in ihren Häusern in Great Thurlow und Scarcroft. Dort, nur wenige Gehminuten von ihrem schönen und großzügigen Wohnhaus entfernt, lernte Sue auch große Armut kennen. Ihre Mutter kümmerte sich auch um Kinder, die in diesen Slums oder in Armenhäusern lebten. Oft begleitete die kleine Sue ihre Mutter zu den Visiten und auch in die Kirche, denn Mabel Ryder war sehr gläubig.
Sue Ryder blieb sich immer treu. Mit großer Energie, einem unbändigen Willen und im Vertrauen auf Gott half sie unzähligen Menschen. »Wenn das Ziel klar ist, bleibe stark, gib nicht auf und bleibe ruhig«. Diesen Rat gab sie 1957 einer jungen Frau, die nach Großburgwedel kam, um am St. Christopher Settlement mitzubauen.
Sue Ryder starb nach langer Krankheit am 2. November 2000 in Bury St Edmunds, Suffolk. Sie hinterließ ein Lebenswerk von mehr als 80 Heimen in 14 Ländern. Die erste Siedlung jedoch entstand in Großburgwedel. 2013 feierte die Sue Ryder Foundation in Großbritannien ihr 60-jähriges Jubiläum.
(Text von 2015)
Verfasserin: Jürgen Zimmer
Zitate
Sue Ryders Biograf Mark Pottle hielt fest: »Nach ihrer Rückkehr aus Großburgwedel nach Großbritannien lebten sie in einer kleinen Wohnung in Cavendish. Ein Sohn und eine Tochter wurden 1960 und 1962 geboren, aber Sue Ryder unterbrach ihre Arbeit während der Schwangerschaft kaum. Sie leitete Maßnahmen zur Delegation ein und war am glücklichsten, wenn sie durch die Nacht fahren konnte, um eine neues Heim zu eröffnen. Klein, dünn und ordentlich gekleidet, mit charakteristischen Kopftüchern, schien sie kein Interesse an Essen zu haben ... Ihr familiärer Hintergrund verlieh ihr Größe, ihre Art und Weise machten, dass sie sich nie verlor, trotz der Einfachheit ihres Geschmacks und der Sparsamkeit ihres Lebensstils. Und hinter der Frömmigkeit gab es einen lebendigen Charakter mit einem Hauch von Koketterie.«
»Ich gebe zu, dass mein Beispiel andere Menschen beeinflusst haben könnte, aber ich wiederum habe von den anderen gelernt, die mir ein Beispiel gaben. Meine andere Kraftquelle ist meine Religion. Sie ist alles für mich. Ich glaube, dass alles, was ich mache, von Gott geführt wird«, sagte Sue Ryder in einem der vielen Interviews, die sie gab.
Kurz nachdem sie 1979 zu Lady Ryder wurde, antwortete sie auf die Frage eines Reporters, ob sie die Erhebung in den Adelsstand als Belohnung betrachten würde. »Belohnung? Ich suche nicht nach Belohnung. Sicherlich, nach Gottes Urteil ist unsere Belohnung, wenn wir sterben. Wir sind alle Pilger auf dieser Erde.« (The Telegraph, 3. November 2000, Nachruf auf Lady Ryder.)
Links
Sue Ryder Foundation.
Online verfügbar unter http://www.sueryder.org/, zuletzt geprüft am 26.06.2019.
Am Leben Hin - Bürgerinitiative Sue Ryder Großburgwedel (2016).
Online verfügbar unter https://de-de.facebook.com/amlebenhin, zuletzt geprüft am 26.06.2019.
Facebook: Sue Ryder Foundation.
Online verfügbar unter https://www.facebook.com/SueRyderNational, zuletzt geprüft am 26.06.2019.
Wikipedia: Margaret Susan Ryder, Baroness Ryder.
Online verfügbar unter http://de.wikipedia.org/wiki/Margaret_Susan_Ryder,_Baroness_Ryder, zuletzt geprüft am 26.06.2019.
Literatur & Quellen
Quellen
Daily Telegraph, 3. Nov. 2000.
The Guardian, 3. Nov. 2000.
The Independent, 4. Nov. 2000.
The Times, 3. Nov. 2000.
Pottle, Mark (2004): Oxford dictionary of national biography. Oxford. Oxford Univ. Press.
Ryder, Sue (1975): And the morrow is theirs. The autobiography of Sue Ryder. Bristol. Burleigh Press. ISBN 0903173018. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ryder, Sue (1986): Child of my love. An Autobiography. Rev. ed. London. Harvill Press. 1997. ISBN 1860463789. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Forrest, Alec John (1957): But some there be. The story of the forgotten allies and of Sue Ryder's relief work. London. Robert Hale. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Hilton, Matthew (2012): A historical guide to NGOs in Britain. Charities, civil society and the voluntary sector since 1945. Basingstoke. Palgrave Macmillan. ISBN 9780230304444. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Lee, Celia und Strong, Paul (Hg.) (2012): Women in War. From Home Front to Front Line. Havertown. Pen and Sword. ISBN 9781848846692. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ryder, Sue; Cheshire, Leonard (1983): The hope of the disabled person. London. Royal Society of Medicine. (The Stevens lectures for the laity, 1982) ISBN 0905958071. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
(Ursprungs-URLs, unabhängig vom heutigen Inhalt)
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.