(Sevgi Soysal, geb Yenen. Sie veröffentlichte auch unter ihren früheren Ehenamen Sevgi Nutku und Sevgi Sabuncu.)
geboren am 30. September 1936 in Istanbul
gestorben am 22. November 1976 in Istanbul
türkische Schriftstellerin
45. Todestag am 22. November 2021
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Die türkisch-deutsche Autorin Sevgi Soysal zeichnete sich in ihrer allzu kurzen Karriere als einfühlsame Kritikerin von sozialer Ungerechtigkeit, Militarismus und Geschlechterungleichheit aus. Sie begann in den 1960er Jahren zu schreiben und war in den 1970er Jahren am produktivsten. In ihrem Schreiben verband sie Humor und Kritik und schilderte den Alltag und die Innenwelten ihrer Figuren. In einer Zeit, in der die Zahl der Schriftstellerinnen zunahm, führte Sevgi Soysal weibliche Charaktere mit neuen psychologischen Eigenschaften und Weltanschauungen in die türkische Literatur ein: Weit davon entfernt, hoffnungslos oder verzweifelt zu sein, waren sie Frauen, die über ihr eigenes Leben, ihre Konflikte und Wünsche nachdachten und versuchten, die Dinge zum Besseren zu verändern. So sind ihre Werke zugleich von psychologischer Tiefe und einer feministischen Perspektive geprägt.
Geboren 1936 als Tochter des thessalonischen Architekten und Bürokraten Mithat Yenen und der Deutschen Anneliese (später Aliye) Rupp, war Sevgi Yenen das dritte Kind der Familie. Nach dem Abschluss des Mädchengymnasiums in Ankara schrieb sie sich 1952 an der Universität Ankara, Abteilung für Archäologie, ein. Mit ihrem Mann, dem Dichter und Übersetzer Özdemir Nutku, zog sie 1956 nach Göttingen und belegte an der Universität Göttingen Kurse in Archäologie und Theaterwissenschaften. Einige Jahre später kehrte sie in die Türkei zurück, um ihr erstes Kind zu bekommen, und arbeitete bis 1961 im Deutschen Kulturzentrum und beim Rundfunk in Ankara. Ihre ersten Schriften und Erzählungen erschienen (unter Sevgi Nutku, ihrem damaligen Ehenamen) in den Literaturzeitschriften Ataç, Dost, Yelken, Yeditepe und Değişim. Sie übersetzte auch Andorra von Max Frisch und Kafkas Der Gruftwächter ins Türkische. Ihre erste Sammlung von Kurzgeschichten Tutkulu Perçem (Leidenschaftliches Pony/Haarlocken) wurde 1962 veröffentlicht.
Etwa zu dieser Zeit trennte sie sich von Özdemir Nutku; 1964 heiratete sie den Filmregisseur, Drehbuchautor und Kameramann Başar Sabuncu, den sie kennengelernt hatte, als sie mit ihm in dem Stück Zafer Madalyası (Siegesmedaille) spielte.
Von 1965 bis 1971 arbeitete sie bei TRT (Türkische Radio- und Fernsehgesellschaft) als Leiterin des zentralen Programmbüros. Unter dem Namen Sevgi Sabuncu veröffentlichte sie zwischen 1965 und 1969 weitere Geschichten in Zeitschriften wie Papirüs und Yeni Dergi. Ihr Ansehen stieg mit ihren Romanen Tante Rosa (1969), die auf Geschichten über ihre Tante Rosel beruhen, und Yürümek (1970), in dem es um die Probleme von Ehe und Mann-Frau-Beziehungen geht. Yürümek wurde von der TRT mit dem Achievement Award ausgezeichnet.
Doch kurz nach dem Militärputsch 1971 wurde der Roman als obszön beschlagnahmt und die Autorin aus politischen Gründen für acht Monate inhaftiert. 1971 heiratete sie in einem Militärgefängnis in Mamak ihren dritten Mann, den ebenfalls inhaftierten Verfassungsrechtsprofessor und Menschenrechtsaktivisten Mümtaz Soysal. Während der Haftzeit schrieb sie den Roman Yenişehir'de Bir Öğle Vakti (Mittagszeit in Yenişehir, 1973). Sie wurde für zwei Monate ins Zentralgefängnis verlegt und dann zunächst nach Nevşehir und später nach Adana verbannt.
Soysal hat die Nachrichtenagentur ANKA mitbegründet, in der sich die nach der Militärintervention arbeitslos gewordenen Journalisten zusammengeschlossen haben. Sie verfasste Kolumnen für die Zeitschrift Politika und kritisierte in ihrem Roman Şafak (Morgenröte, 1975) die Militärintervention vom 12. März aus der Sicht einer Exilantin. Im Jahr 1975 erhielt sie eine Krebsdiagnose und ließ sich in London behandeln. Am 22. November 1976, einen Tag nach ihrer Rückkehr nach Istanbul, verstarb sie.
Sevgi Soysals Werke wurden sowohl in der Türkei als auch in Deutschland von vielen studiert. Sie wurde einerseits zu einer Schriftstellerin, die Liebes- und Beziehungsthemen aus der Sicht von Frauen analysierte, andererseits zu einer prominenten Verfasserin von politischer Literatur, die sich mit dem Putsch vom 12. März auseinandersetzte. Ihre frühen psychologischen Werke schildern die Gefühlswelten von Menschen, die von Verzweiflung, Einsamkeit und Sprachlosigkeit geprägt sind. Ihre Frauenfiguren spiegeln ihr eigenes Leben wider und zeigen die Frauen in ihrer Familie, die dem Glück hinterherlaufen und oft viel aufgeben, aber keine Angst davor haben, alles hinter sich zu lassen, wie in Tante Rosa. Ihre späteren Werke, die sich mit sozialen und politischen Fragen befassen, thematisieren die psychologischen Probleme der Zeit ebenso wie Jugend- und Studentenbewegungen, revolutionäre Träume, Erfahrungen von linken Intellektuellen im Gefängnis und im Exil. Ihr Stil, der sich in ihrem kurzen Leben als Schriftstellerin eindrucksvoll verbesserte, erlaubte genaue Beobachtungen und einen gekonnten Einsatz von Ironie und Sarkasmus. Ihre Werke kritisieren soziale Fragen anhand des Innenlebens ihrer Figuren; sie geben nicht dem Individuum die Schuld, sondern den ungleichen Umständen, in denen diese sich befinden. Bücher wie Yürümek und Tante Rosa hinterfragen Sexualität und Geschlechterverhältnisse offen und mutig.
Übersetzung ins Deutsche: Almut Nitzsche, 2021
Verfasserin: Çiçek Uygun
Zitate
„Das Kind, das eine Weile neben seiner Mutter auf der Bank sitzt, wird vom soldatischen Marschieren der Mädchen beeindruckt. Zuerst schaut es ihnen begeistert zu, dann kann es sich nicht mehr zurückhalten, läuft hinter ihnen her. Es spielt Militär, trapp, trapp! Aber seine kleinen Schritte können die Gefangenen nicht einholen, die inzwischen zu Meistern im Rundgehen geworden sind. Es läuft ihnen nach, um sie einzuholen. Gerade da rennt es gegen ein Mädchen, das sich plötzlich nach hinten umdreht, und es fällt hin.
‚Barış! Barış, mein Sohn, laß die Tanten in Ruhe.‘
Das ist doch die Höhe.
‚Von Anarchistinnen sind wir zu Tanten degradiert‘, grinst Güler.
‚Terrortanten‘, juxt Gülay.
‚Das Kind heißt Barış (Frieden). Ein Bullenkind, das Frieden heißt!‘ murmelt Nina.“
From “Ein Kind namens Frieden,” Geschichten aus der Geschichte der Türkei,Güney Dal (eds.) Frankfurt am Main: Luchterhand-Literaturverl., 1990: 207-2017.
Literatur & Quellen
Werke von Sevgi Soysal
Tutkulu Perçem (Passionate Bangs/Locks of Hair), 1962.
Tante Rosa (Aunt Rosa),1968.
Yürümek (Walking),1970.
Yenişehir’de Bir Öğle Vakti,1973(Noontime in Yenisehir, Amy Spangler, trans., Milet Publishing House, 2016).
Şafak (Dawn),1975.
Barış Adlı Çocuk (The Boy Named Barış),1976.
Yıldırım Bölge Kadınlar Koğuşu (Yıldırım Area Women’s Ward), 1976.
Bakmak, 1977.
Hoş Geldin Ölüm (Unfinished novel, Welcome Death), 1980.
Literatur & Quelllen
http://www.biyografya.com/biyografi/14517
http://en.writersofturkey.net/index.php?title=Sevgi_Soysal
Uyguner, Muzaffer. Sevgi Soysal: yaşamı, sanatı, yapıtlarından seçmeler. Ankara: Bilgi, 2002.
“Soysal, Sevgi”. Tanzimat’tan Bugüne Edebiyatçılar Ansiklopedisi. İstanbul: Yapı Kredi Yayınları, 2001. Volume 2: 743-45.
Somuncuoğlu, Gamze. Sevgi Soysal’ın Yapıtlarında Kadın Kimliği (Tutkulu Perçem, Tante Rosa, Yürümek). Masters Thesis. Ankara: Bilkent University, 2002.
Turgan, Merve. “Sevgi Soysal’ın Kadınları” (23 Mart 2018) http://www.mevzuedebiyat.com/sevgi-soysalin-kadinlari/
Furrer, Priska. Das erzählerische Werk der türkischen Autorin Sevgi Soysal(1936-1976).Berlin: Klaus Schwarz, 1992.
Ağaoğlu, Adalet. “Sevgi ile Sevgi Soysal”. Karşılaşmalar. İstanbul: Yapı Kredi Yayınları, 1997.
Özkırımlı, Atilla. “‘Tutkulu Perçem’den ‘Şafak’a, Sevgi Soysal’ın Yazarlık Çizgisi”. Tante Rosa. İstanbul: Bilgi Yayınevi, 1985.
İleri, Selim. “Sevgi Soysal Üzerine.” Ankara: Türk Dili, 1977.
“Sevgi Soysal Yapıtı-Kişiliği-Erken Ölümü”. [Interview]. Politika (2 Aralık 1976)
İdil, Mümtaz. Bir Sevgi’nin Öyküsü.Tarsus: Kültür Bakanlığı Yayınları, 1998.
https://de.wikipedia.org/wiki/Sevgi_Soysal
http://www.tuerkischdeutsche-literatur.de/autoren_details/items/272.html
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.