(Séraphine de Senlis; Séraphine)
geboren am 2. September 1864 in Arsy (Oise)
gestorben am 11. Dezember 1942 in Clermont-de-1'Oise
französische Malerin
160. Geburtstag am 2. September 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen • Bildquellen
Biografie
Es ist dem mäzenatischen Eifer eines Kunsthändlers zu verdanken, dass die Malerin Séraphine Louis entdeckt und bekannt wurde. Wilhelm Uhde (vgl. auch die FemBiographie zu Sonia Delaunay) bereiste 1912 Frankreich und verbrachte längere Zeit in dem kleinen Ort Senlis. Séraphine Louis war seine Zugehfrau. Dass sie auch malte, erfuhr Uhde durch andere Dorfbewohnerinnen. Ein Stillleben mit Äpfeln erregte seine Aufmerksamkeit: »Cezanne wäre glücklich gewesen, sie zu sehen.« Ein großes Lob für die Autodidaktin Séraphine, denn das war und blieb sie zeit ihres Lebens. Nie hatte sie maltechnische Unterweisung oder gar akademische Schulung bekommen – und sie wollte auch keine.
Ihre Bilder – üppige pflanzliche Formen und Figurationen in leuchtenden Farben – sollen in einer Art Trancezustand entstanden sein. Niemand durfte ihr beim Malen zusehen; die Tür zu ihrem bescheidenen Atelier blieb immer verschlossen. Séraphine lehnte alle Angebote Uhdes ab, ihre Bilder auszustellen oder zu verkaufen. Auch als er sie nach Kriegsende (1924) nochmals besuchte, sie mit Leinwand und Farben versorgte, ihr Kontakte nach Paris anbot, weigerte sie sich, Senlis zu verlassen.
Séraphine Louis ist niemals aus ihrer ärmlichen Existenz herausgekommen. Als Kind hütete sie das Vieh ihres Dorfes und verdiente sich später ihren Lebensunterhalt als Aufwartefrau. Einmal wurden ihre Bilder im Rathaus von Senlis ausgestellt; diese Öffentlichkeit reichte ihr.
Als Séraphine Louis ihrem Dorf den Weltuntergang verkündete, brachte man sie in die Irrenanstalt von Clermont, wo sie 1942 starb. Den Zeitgenossinnen blieb Séraphine Louis unverständlich und geheimnisvoll; nach ihrem Tode wurde sie vom Kunstpublikum gefeiert. Ihr Werk wurde erstmals umfassend als französischer Beitrag auf der zweiten Biennale in São Paulo (1951) gezeigt und einige Jahre später auf der ersten Documenta in Kassel (1955).
(Text von 1988)
Verfasserin: Doris Krininger
Zitate
Séraphine Louis, genannt Séraphine * 2.9.1864 in Assy (Oise) † 11.12.1942 in Clermont (Oise)
Nach Henri Rousseau war Séraphine wahrscheinlich die berühmteste Persönlichkeit unter den sogenannten »Primitiven« der Moderne; doch wie bei Rousseau erscheint auch hier der Begriff »primitiv« fragwürdig. Ihr Ruhm, wie auch jene allgemeine Zustimmung, die den primitiven Malern heute zuteil wird, ist zum Großteil den Bemühungen Wilhelm Uhdes zuzuschreiben. Obwohl Séraphines Kunst thematisch sehr begrenzt ist, da sie sich im wesentlichen auf ein einziges Motiv beschränkte, wurde sie doch durchaus ernst genommen. Wilhelm Uhdes Begegnung mit Séraphine vollzog sich folgendermaßen: Er war 1912 nach Senlis gezogen, wo er für seine Wohnung eine Putzfrau anstellte. Eines Tages stieß er auf ein kleines Bild, das ihm künstlerisch bedeutend erschien. Auf seine Frage erfuhr er, daß es seine Bedienerin gemalt hatte. Er überredete sie, ihm weitere Bilder zu zeigen, die ihn alle tief beeindruckten. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges brach seine Verbindung mit Séraphine ab. Als er sie schließlich wiedertraf, lebte sie immer noch in Senlis. Uhde wurde ihr Mäzen, der ihr Leinwand und Farben kaufte. Oft malte Séraphine wie in Trance; doch nie durfte ihr Uhde bei der Arbeit zusehen. Offensichtlich gestaltete sie auch die fast zwei Quadratmeter großen Leinwandbilder mit schwerem Impasto ganz allein. Séraphine malte wie eine Besessene. Sie pflegte von Engeln zu sprechen, die ihre Hand führen. Ihr OEuvre ähnelt einer triumphierenden exaltierten Hymne an Gott, in der die Frömmigkeit durch eine Art Hedonismus ersetzt ist. Ein Baum scheint das große, allumfassende Motiv gewesen zu sein; er soll offenbar eine Synthese des gesamten Pflanzenlebens darstellen und weist außerdem Tiermerkmale auf, wie beispielsweise Augen, die vielleicht von einem Pfauenschweif stammen und in dem üppigen Blattwerk aufleuchten. Séraphines Farben sind sehr kräftig, pastos aufgetragen und sinnlich gebraucht; das Motiv ist flächig, dekorativ ausgebreitet wie auf orientalischen Wandteppichen. Ihre Kunst verzehrte sie, warf sie aus dem geistigen und seelischen Gleichgewicht: Sie starb in einer Irrenanstalt. Jahre später vertraten Bilder Séraphines die französische Kunst auf der Biennale in São Paulo – ein außergewöhnliches, doch auch gerechtes Schicksal für dieses einfache Arbeitermädchen aus Senlis, das malte, ohne von den Kämpfen, die in den Pariser Ateliers ausgetragen wurden, etwas zu ahnen.
(H. Read, In: Kindlers Malereilexikon, Bd. 5, S. 303 ff.)
Séraphine de Senlis [sera'fin], Séraphine Louis, französische naive Malerin, * 2.9.1864 Assy (Oise), † 11.12.1942 Senlis (in geistiger Umnachtung); seit 1930 Clermont (Oise). S. hat neben H. Rousseau die größte Nachwirkung unter den sog. naiven Malern erlangt, entdeckt wurde sie 1911 durch W. Uhde, dem ersten Förderer der Naiven (sie wurde nach 1912 in Senlis seine Putzfrau). Ihr naives Kunstwollen wurzelte in einer myst. Religiosität, die ekstat. Ausdruck verlangte. Oft malte sie in Trance, glaubte, daß Engel ihre Hand dabei führten. S.s immer wiederkehrendes Motiv war der Baum, bukettartig und dekorativ sich über die Bildfläche ausbreitend. Die buntgefiederten Blätter in Gelb, Smaragdgrün und dem Rot herbstl. Laubes auf türkisblauem Grund bilden dichte Wirbel, dazwischen finden sich oft Früchte, Tiermerkmale und umwimperte Augen, Unbewußtes symbolisierend (Paradiesbaum, 1928; Lebensbaum, 1928; Baum, 1930). Diese mag., mehr der Phantasie als der Botanik entstammenden Bäume muten wie Synthesen des ganzen Pflanzenlebens an, sollen offenbar das Leben überhaupt versinnbildlichen. Unter dem Titel »Maler des hl. Herzens« zeigte Uhde 1928 in einer Ausst. in Paris ihre Bilder zusammen mit denen von H. Rousseau, L. Vivin, C. Bombois und A. Bauchant.
(Lexikon der Kunst, E. A. Seemann, Bd. 6, S. 613 ff.)
Links
Musée Maillol – primitifs modernes, art moderne art contemporain l'abstraction.
Online verfügbar unter http://www.museemaillol.com/, zuletzt geprüft am 28.08.2019.
Museum Charlotte Zander auf Schloss Bönnigheim. In der Dauerausstellung werden auch Werke von Séraphine Louis gezeigt.
Online verfügbar unter http://sammlung-zander.de/, zuletzt geprüft am 28.08.2019.
Internet Movie Database: Séraphine (2008). Seite zum Spielfilm mit Fotos und Trailern.
Online verfügbar unter http://www.imdb.com/title/tt1048171/, zuletzt geprüft am 28.08.2019.
Musée d'Art et d'Archéologie: Séraphine LOUIS dite Séraphine de Senlis | Dossiers thématiques.
Online verfügbar unter http://musees.ville-senlis.fr/Collections/Explorer-les-collections/Dossiers-thematiques/Seraphine-Louis-dite-Seraphine-de-Senlis, zuletzt geprüft am 28.08.2019.
Literatur & Quellen
Quellen
Greer, Germaine (1980): Das unterdrückte Talent. Die Rolle der Frauen in der bildenden Kunst. Berlin. Ullstein. ISBN 3-550-07688-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Krichbaum, Jörg (1979): Künstlerinnen. Von der Antike bis zur Gegenwart. Unter Mitarbeit von Rein A. Zondergeld. Köln. DuMont. (DuMont-Taschenbücher, 82) ISBN 3-7701-1110-9. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Meyers enzyklopädisches Lexikon. (1971-79) In 25 Bänden. Mit 100 signierten Sonderbeiträgen. Mannheim, Wien, Zürich. Bibliographisches Institut. (WorldCat-Suche)
Petersen, Karen; Wilson, J. J. (1978): Women artists. Recognition and reappraisal from the early Middle Ages to the twentieth century. London. Women's Press. ISBN 0-7043-3826-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Uhde, Wilhelm (1947): Fünf primitive Meister. Rousseau, Vivin, Bombois, Bauchant, Seraphine. Zürich. Atlantis. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur
Cloarec, Françoise (2008): Séraphine. La vie rêvée de Séraphine de Senlis. Paris. Phébus. ISBN 2752903642. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Desplechin, Marie (2005): Séraphine. Paris. l'École des loisirs. (Médium) ISBN 2211079342. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Fondation Dina Vierny – Musée Maillol (Hg.) (2008): Séraphine de Senlis. Ausstellungskatalog Paris. Editions Gallimard. ISBN 2070122379. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Karcher, Eva (Hg.) (1997): Die Maler des heiligen Herzens. André Bauchant, 24.04.1873 - 12.08.1958 ; Camille Bombois, 03.02.1883 - 11.06.1970 ; Henri Rousseau, 01.05.1844 - 02.09.1910 ; Séraphine Louis, 03.09.1864 - 11.12.1942 ; Louis Vivin, 27.07.1861 - 28.05.1936. Bönnigheim. Wachter. (Edition Charlotte Zander) ISBN 3-926318-23-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Körner, Hans; Wilkens, Manja (2009): Séraphine Louis. Biographie, Werkverzeichnis. Übersetzt von Annette Gautherie-Kampka Berlin, Zürich. Reimer, Benteli. ISBN 978-3-496-01405-8 und ISBN 978-3-7165-1562-4. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Provost, Martin (2008): Séraphine. Spielfilm mit Yolande Moreau und Ulrich Tukur. DVD-Video (französisch!) (Amazon-Suche)
Romero, Denzil: Belated declaration of love to Séraphine Louis. A bilingual, critical ed. of Denzil Romero's short stories. (=Tardía declaración de amor a Séraphine Louis) Edited and translated by Stephen J. Clark. Critical introduction by Antonio M. Isea Lanham, New York, Oxford. University Press of America. ISBN 0761817565. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Schweers, Andrea (1996): Séraphine Louis (1864-1942). Malerin von Marias Gnaden. In: Duda, Sibylle; Pusch, Luise F. (Hg.): Wahnsinns-Frauen. Frankfurt am Main. Suhrkamp (Suhrkamp-Taschenbuch, 2493). ISBN 3-518-38993-9. S. 39–70. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Vircondelet, Alain (2008): Séraphine. De la peinture à la folie. Paris. Michel. ISBN 978-2-226-18982-0. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bildquellen
- ArtyficiElles
- Interencheres.com
- Artnet
- Livejournal
- Flickr
- Blog LeMonde.fr
- Musée d'Art Senlis
- La Voix du Léman
- Stolen & Wanted
- 그녀의 뜰
- La Memoire qui Flanche
- The blue lantern
- Wikipedia
- Lucarne
- le blog de marie madeleine
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