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(Samiya Yuusf Omar (1); Saamiya Yusuf Omar (2))
geboren am 25. März 1991 (oder am 30. April 1991) in Mogadischu, Somalia
gestorben am 2. April 2012 im Mittelmeer, 87 Meilen südlich von Lampedusa
somalische Leichtathletin und Olympionikin
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Samia Yusuf Omar war eine somalische Leichtathletin, genauer gesagt Sprinterin, die 2008 für ihr Land bei den Olympischen Sommerspielen in Peking im 200-Meter-Lauf antrat. Die politischen Umstände in ihrer Heimat Somalia machten es der jungen Samia unmöglich, ihren Lebenstraum zu verwirklichen: Profi-Leichtathletin zu werden. Dennoch gab sie die Hoffnung nicht auf, trainierte unter widrigsten Umständen und verließ schließlich ihre Heimat. Auf dem Weg nach Europa bezahlte sie ihren Traum mit dem Leben.
Gefragt nach den Widerständen, die ihr in ihrer Heimat entgegenschlugen, sagte sie 2012 in einem Interview: „We Somalis don’t look back at those things. We just keep going.“
Samia Yusuf Omar kam am 25. März 1991 als jüngstes Kind ihrer Eltern, die bereits drei Söhne und drei Töchter hatten, auf die Welt. Ihr Leben begann in Mogadischu, der Hauptstadt Somalias, in der kurz zuvor der langjährige Diktator Siad Barre gestürzt worden war. Dieses Ereignis entfesselte in ihrem Heimatland einen Konflikt, der viele Jahre anhalten sollte, es herrschte Chaos. Auch Samias Familie wurde stark von dieser politischen Lage beeinträchtigt. Zunächst verlor ihr Vater bei einem Granateneinschlag auf der Straße beide Beine; Jahre später war es erneut eine Granate, die den Vater im eigenen Haus tötete. Samias Mutter Dahabu Ali Igalle war als Obst- und Gemüseverkäuferin tätig; zusammen mit der Arbeit der Kinder konnte die Familie gerade so überleben. Ihre Schwester Hodan wurde später Sängerin und trug Volkslieder bei Hochzeiten vor, was durchaus gefährlich war. Als Samia 12 Jahre alt war, begann sich ihr Traum, professionelle Läuferin zu werden, zu manifestieren. Angetrieben von ihrer Bewunderung für Läuferinnen aus Jamaika, trainierte Samia wann immer sie konnte. Neben den Straßen ihres Viertels diente ihr das Coni-Stadion in Mogadischu als Trainingsstätte. Bald schon machte Samia Eindruck in den somalischen Leichtathletik-Kreisen. Ihr hartes Training zahlte sich aus, sie trat bei immer größeren Wettbewerben an und reiste dafür nach Hardscheisa (Somalia), Addis Abeba (Äthiopien) und Dschibuti. Schließlich wurde sie von Somalias Olympischem Komitee in die somalische Delegation aufgenommen, um als Athletin bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking für ihr Land an den Start zu gehen.
Im August 2008 reiste die 17-Jährige mit einem weiteren Athleten und acht Begleiter*innen nach China. Bei der Eröffnungsfeier wehte der weiße Stern auf blauem Grund über ihrem Kopf; sie war zur Fahnenträgerin auserkoren worden. Samia trat in der Disziplin 200-Meter-Lauf an; der 19. August 2008 war ihr Wettkampfstag. Mit einer Zeit von 32,16 Sekunden wurde sie zwar an diesem Tag nur letzte, lief aber eine persönliche Bestzeit und gewann einen Platz im Herzen der Zuschauer*innen.
Vor allem in der Hauptstadt hatte sich das politische Klima nochmals verschärft, wie Samia nach der Rückkehr aus China feststellte. Die islamistische Al-Shabaab-Miliz wurde immer mächtiger und kämpfte um die letzten Gebiete, die die Regierung noch hielt. Die Milizionäre erschwerten mit ihrer Präsenz das Leben aller Frauen erheblich, und das Training der jungen Frau blieb nicht mehr unbehelligt. Samia sollte keinen Sport treiben – die dazugehörige Kleidung galt als unmoralisch. Nicht nur die Milizionäre bedrohten sie, auch die Regierungssoldaten versperrten ihr die Wege zum und vom Training.
Die Bedingungen in Mogadischu wurden so bedrohlich, dass die gesamte Familie zum Jahresende 2009 in ein Flüchtlingslager außerhalb von Mogadischu zog. Samia allerdings ging nicht mit, sie wollte ihren Traum von der Lauf-Karriere nicht aufgeben und machte sich auf den Weg nach Addis Abeba im Nachbarland Äthiopien. Dort lebten ihre Tante Mariam und einige Cousins, bei denen Samia Unterschlupf fand. Sie wollte sich dem äthiopischen Laufteam anschließen, um sich für die nächsten Olympischen Spiele 2012 in London vorzubereiten. Ihr festes Ziel war es, auch dort wieder für ihr Land anzutreten und dieses Mal besser abzuschneiden. Doch in Äthiopien wurde ihr das Training verwehrt, da sie keine gültigen Papiere vorlegen konnte. Die somalische Botschaft stellte ihr keine aus, in Äthiopien konnte sie so keine Aufenthaltsgenehmigung bekommen. Damit brach Samia auch diese Chance weg.
Im September 2011 machte sich Samia Yusuf Omar schließlich auf den einzigen Weg, der ihr offenblieb: Sie brach nach Europa auf, die Olympische Flagge und London vor Augen. Es sollte über den Sudan nach Libyen gehen, von dort übers Mittelmeer auf den europäischen Kontinent. Teilweise legte sie die Reise mit ihrer Tante Mariam zurück, die ebenfalls floh. Mit dem Auto oder im Bus fuhren sie durch Wüste, bis Samia endlich in Tripolis (Libyen) ankam. Ihre Tante hatte sie zwischenzeitlich aus den Augen verloren, aber während der Zeit ihrer Flucht unterhielt Samia regen Kontakt mit Freund*innen und Familie, telefonisch und über Facebook. Mit der Journalistin Teresa Krug verband sie eine Freundschaft, auch diese hörte hin und wieder von Samia und ihren Fortschritten.
Für das Übertreten der Grenze nach Libyen verlangten die Grenzsoldaten 300 Dollar, für die Überfahrt übers Mittelmeer mit einem Schlauchboot zusätzlich 900 Dollar. Einmal versuchte die Sportlerin die Überfahrt im Februar 2012, aber sie wurde zuvor von der libyschen Polizei verhaftet und verbrachte einige Zeit im Gefängnis. Nach ihrer Freilassung versuchte sie es im Frühjahr 2012 – wieder zusammen mit ihrer Tante - erneut. Das Schlauchboot war zu voll, das Benzin ging irgendwann aus. Nachdem ein italienisches Schiff am 2. April 2012 die Schiffbrüchigen entdeckt hatte, begann eine Rettungsaktion; mit Tauen versuchte die Besatzung die Geflüchteten auf das Schiff zu holen. In diesem Gemenge fiel Samia ins Wasser und ertrank, ihre Tante Mariam, die 61 anderen Geflüchteten und die italienische Besatzung wurden Zeug*innen ihres Todes - eine von vielen Geflüchteten, die ihr Leben im Mittelmeer verloren.
Erst acht Monate später, als in London das Olympische Feuer brannte, wurde das Schicksal von Samia Yusuf Omar auch der Welt bekannt. Der somalische Weltmeister im 1500-Meter-Lauf von 1987, Abdi Bile, verkündete ihren tragischen Tod in einer Rede.
Ihre Tante Mariam überlebte die Flucht und kam in ein Geflüchteten-Camp auf Malta, sie berichtete später von Samias letzten Lebensmonaten. Auch Samias ältere Schwester Hodan, die ihr Heimatland verlassen hatte, da sie dort bedroht worden war und die heute in Finnland unweit der Hauptstadt Helsinki lebt, erzählte über Samias kurzes Leben; sie gab beispielsweise dem italienischen Journalisten Giuseppe Catozzella ein Interview, der einen Roman über Samias Leben schrieb und Samias Schicksal so vor dem Vergessen bewahrte.
(Text von 2024)
Namensansetzungen:
1 http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/7492967.stm
2 https://www.ibtimes.co.uk/somali-olympic-arhlete-saamiya-died-sea-london-376605 2
Verfasserin: Lea Janßen
Links
Samia Yusuf Omar existiert noch als Athletinnen-Profil auf verschiedenen Olympia- und Sport-Seiten: https://olympics.com/de/athleten/samia-yusuf-omar.
Athletin-Profil auf der offiziellen Seite der Olympischen Spiele in Peking: https://web.archive.org/web/20080910082547/http://results.beijing2008.cn/WRM/ENG/BIO/Athlete /7/232927.shtml.
Athletin-Profil in der Olympedia-Datenbank: https://www.olympedia.org/athletes/115200.
Athletin-Profil auf der World Athletics-Website: https://worldathletics.org/athletes/_/14941299.
Literatur & Quellen
Zeitungsartikel:
Olad Hassan, Mohamed: Against the Odds: Samiya Yuusf Omar, in: BBC News Africa, URL: http://news.bbc.co.uk/2/hi/africa/7492967.stm (21. Juli 2008).
Bremer, Catherine: Olympics. From weeds to world-class tracks for Somalia runner, in: Reuters, URL: https://www.reuters.com/article/topNews/idUSPEK21495420080808/ (8. August 2008).
21-jährige Fahnenträgerin starb bei Olympia-Anreise, in: Welt, URL: https://www.welt.de/sport/article108698291/21-jaehrige-Fahnentraegerin-starb-bei-OlympiaAnreise.html (20. August 2012).
Somalische Sprinterin bei Seeüberfahrt gestorben, in: ZEIT ONLINE, URL: https://www.zeit.de/news/2012-08/20/leichtathletik-somalische-sprinterin-bei-seeueberfahrtgestorben-20123010 (20. August 2012).
Bacchi, Umberto: London 2012 Olympics: Somali Athlete Saamiya Yusuf Omar drowned on way to Games, in: International Business Times, URL: https://www.ibtimes.co.uk/somali-olympic-arhletesaamiya-died-sea-london-376605 (23. August 2012).
Geiger, Raphael: Sie lief ihrem Traum nach…, in: Stern-Magazin 45 (2012), S. 60-69.
Krug, Teresa: The story of Samia Omar, the Olympic runner who drowned in the Med, in: The Guardian, URL: https://www.theguardian.com/world/2016/aug/03/the-story-of-samia-omar-theolympic-runner-who-drowned-in-the-med (03. August 2016).
Dal-Bianco, Claudia: Acht Sekunden. Flucht und Olympia, in: Frauensolidarität 2 (2016), S. 18.
Literatur & audiovisuelle Quellen:
Krug, Teresa: Grieving for Somali Olympian Samia Omar, in: Al Jazeera, URL: https://www.aljazeera.com/sports/2012/8/27/grieving-for-somali-olympian-samia-omar (27. August 2012).
Stande, Linda: Für den Olympischen Traum mit dem Leben bezahlt, in: Deutschlandfunk, URL: https://www.deutschlandfunk.de/fuer-den-olympischen-traum-mit-dem-leben-bezahlt-100.html (21. August 2012).
Kleist, Reinhard: Der Traum von Olympia. Die Geschichte von Samia Yusuf Omar, Hamburg 2017. (Graphic Novel, digital auch in: FAZ, URL: https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/cartoons/comicreinhard-kleist-der-traum-von-olympia-13034792.html (13. November 2014).
Schweizer, Marina: Ein Leben für Olympia, in: Deutschlandfunk, URL: https://www.deutschlandfunk.de/fluechtlinge-ein-leben-fuer-olympia-100.html (06. April 2015)
Catozzella, Giuseppe: Sag nicht, dass du Angst hast, München 2014. (Roman, ital. Originaltitel „Non dirmi che hai paura“); als Hörbuch: „Sag nicht, dass du Angst hast“ von Giuseppe Catozzella, in: SRF, URL: https://www.srf.ch/audio/hoerspiel/sag-nicht-dass-du-angst-hast-von-giuseppecatozzella?id=11381471 (15. Oktober 2018).
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