Biographien Regine Hildebrandt
geboren am 26. April 1941 in Berlin
gestorben am 26. November 2001 in Berlin
deutsche Politikerin (SPD) und Biologin
20. Todestag am 26. November 2021
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
An den Politikerinnen und Politikern der Bundesrepublik Deutschland fällt in erster Linie auf, daß sie seltsam farblos und austauschbar erscheinen. Identifikationsfiguren, Vorbilder gibt es kaum unter ihnen.
Regine Hildebrandt war eine Frau, die sich aus dieser Masse wohltuend hervorhob, die schnörkellos redete, sich bis zum Letzten für ihre Ziele einsetzte und konsequent ihre Anschauungen vertrat, ohne sich nach dem Wind zu drehen. Dafür wurde sie, besonders in den neuen Bundesländern, hoch geschätzt und verehrt: Kosenamen wie “Mutter Courage des Ostens”, “Stimme des Ostens” und “Rächerin der Enterbten” sind ein beredtes Zeugnis dafür. Ihr unangepaßtes Auftreten wurde häufig zur Zielscheibe ihrer politischen Gegner, vor allem da, wo ihr sachlich nicht beizukommen war (z. B. Der Spiegel, 1. Juni 1998; Die Welt, 26. April 2001).
Regine Radischewski wurde am 26. April 1941 in Berlin geboren. Ihr Vater war Pianist und Korrepetitor an der Staatlichen Ballettschule, ihre Mutter Hausfrau, später Inhaberin eines kleinen Tabakladens. Zur Familie gehörte außerdem ein vier Jahre älterer Bruder.
Nach dem Abitur 1958 studierte sie von 1959 bis 1964 Biologie an der Berliner Humboldtuniversität. 1966 heiratete sie Jörg Hildebrandt, 1968 folgte ihre Promotion, 1969 wurde das erste von drei Kindern geboren. Von 1964-1978 war Regine Hildebrandt stellvertretende Leiterin der Pharmakologischen Abteilung im VEB Berlin-Chemie, anschließend bis 1990 Bereichsleiterin in der Zentralstelle für Diabetes und Stoffwechselkrankheiten Berlin (Schwerpunkt Diabetesforschung). Als “Säulen ihres Lebens” bezeichnete sie einmal “Beruf, Familie, Freunde, Domkantorei”.
Mit der Wende 1989 kam die Erkenntnis, daß es an der Zeit sei, sich politisch zu engagieren – nachdem Regine Hildebrandt zu DDR-Zeiten in Opposition zum System gestanden hatte. Zuerst beteiligt bei der Bürgerbewegung “Demokratie Jetzt”, trat sie später der neugegründeten SPD bei und kam ins erste frei gewählte Parlament der DDR: von April bis August 1990 war sie Ministerin für Arbeit und Soziales im Kabinett de Mazière.
Vom November 1990 an war Hildebrandt Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen des Landes Brandenburg. Im Juli 1996 wurde ihre Brustkrebserkrankung publik. Trotz Chemotherapie und Bestrahlungen arbeitete sie bereits kurz nach der Operation im Ministerium weiter. Ihr offensiver Umgang mit der Krankheit und der ungebremste Einsatz für die ihr wichtigen Anliegen machte vielen ebenfalls von Brustkrebs betroffenen Frauen Mut.
Bei den Landtagswahlen 1999 errang Regine Hildebrand unangefochten wieder ihr Direktmandat, die SPD verlor jedoch die absolute Mehrheit. Hildebrandt sprach sich für eine Koalition mit der PDS aus, Ministerpräsident Stolpe entschied sich jedoch für die CDU, die Hildebrandt stets als kontraproduktiv erlebt hatte. Für Regine Hildebrandts geradlinigen Charakter gab es nur eine mögliche Konsequenz: sie legte im Oktober 1999 ihr Mandat nieder und schied aus dem Kabinett aus. Die Hochachtung, die ihr besonders in den neuen Bundesländern entgegengebracht wurde, wuchs dadurch noch mehr – zu viele Politiker hatte man erlebt, die sich jedem Kurswechsel ungeniert anpassen konnten.
Im Dezember 1999 wurde Hildebrandt erneut in den SPD-Parteivorstand gewählt.
Nach dem Ausscheiden aus dem Brandenburger Kabinett war sie als Mitglied des SPD-Bundesvorstandes und des Forums Ostdeutschland in den neuen und alten Bundesländern unterwegs, um Politik zu vermitteln, Brücken zu schlagen und Verständnis füreinander zu fördern.
Im April 2001 konnte sie zu ihrem 60. Geburtstag noch einmal Glückwünsche aus aller Welt entgegennehmen. Die Krebserkrankung war zu dieser Zeit bereits weit fortgeschritten. Wie in ihrem ganzen Leben ging sie auch dann in die Offensive: anstatt sich in ihrem Mehr-Generationen-Haus in Woltersdorf bei Berlin zu verstecken, gab sie Interview auf Interview. Sie setzte sich dabei stark für die Hospizbewegung und für die Möglichkeit aktiver Sterbehilfe in Deutschland ein.
Im November 2001, eine Woche vor ihrem Tod, wurde sie auf dem SPD-Parteitag in Nürnberg mit dem besten Ergebnis aller KandidatInnen wieder in den Vorstand gewählt.
Regine Hildebrand verstarb am 26. November 2001 im Kreis ihrer Familie in Berlin-Woltersdorf. Zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen zeigen, wie beliebt und geachtet Regine Hildebrandt war (z. B. Gustav-Heinemann-Bürgerpreis 1993, Hamm-Brücher-Medaille 1993, Förderpreis der Solidarität 1997, Fritz-Bauer-Preis 2000, Großes Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland 2001). Jahrelang führte Deutschlands “Frau des Jahres 1991” die Meinungsumfragen in Brandenburg als populärste Politikerin an.
Dr. Regine Hildebrandt hat zahlreiche wissenschaftliche Werke, aber auch politische Aufsätze und Abhandlungen veröffentlicht.
(Text von 2005)
Verfasserin: Almut Nitzsche
Zitate
Zitate von Regine Hildebrandt
Ich habe mich eigentlich nie für Politik interessiert. Das kam nur durch die Wende. Das war die Einsicht in die Notwendigkeit: Wenn nun etwas anders werden soll, müssen das auch andere Leute machen.
Wissen Sie, warum die Schüler im Westen ein Jahr mehr zum Abitur brauchen als im Osten? Nein? Bitte nicht böse sein: Weil im Westen ein Jahr Schauspielerei dabei ist!
So wie es dazu gehört, sich zu freuen, wenn ein Kind geboren wird, so selbstverständlich muß auch der Tod am Ende eines erfüllten Lebens für die Menschen stehen. Daß dies sowohl in den Familien mit ambulanter Unterstützung oder eben in den entsprechenden Hospizen möglich ist, ist mir ein ganz großes Anliegen.
Auf bundespolitischer Ebene ist es wichtig, die rechtlichen Voraussetzungen zu verbessern, daß man eben nicht an Maschinen angeschlossen wird, wenn man dies nicht mehr will. Dazu gehört auch das Recht, sein Leben durch Selbsttötung zu beenden, wenn es denn gar nicht mehr geht.
Mir waren immer die gleichen Sachen wichtig. Zu DDR-Zeiten habe ich versucht, so zu leben, wie ich es für richtig hielt: mit den Säulen Beruf, Familie, Freunde, Domkantorei. (...) Mir war immer Mitmenschlichkeit wichtig. Das hat sich nach der Wende sogar verstärkt, weil Massenarbeitslosigkeit und die Veränderung der sozialen Verhältnisse die Menschen extrem verunsichert haben. Mein Leben ist eng verbunden mit dem Beruf, mit dem Zusammensein mit der Familie, auch mit dem Versuch, etwas auszustrahlen und etwas zu bewegen. Das lasse ich mir auch jetzt nicht abschneiden. Entscheidend ist nicht die Länge des Lebens, sondern daß man sein Leben weiterführen kann, so wie man es für richtig hält.
Zitate über Regine Hildebrandt
Wer je mit ihr zu tun hat, erfährt, mit welcher Vehemenz sie für die Sache der Frauen streiten kann. Probleme und Bedürfnisse von Frauen sind ihr Herzensangelegenheit. Ihr Eintreten für das Thema Kinderbetreuung, um die berufliche Unabhängigkeit von Frauen zu ermöglichen, war ein besonders schwerer Kampf, weil sie gegen einen gesellschaftlichen Trend arbeiten mußte. Ein Trend, der von Frauen aus dem Osten nicht akzeptiert wird. Im direkten Gespräch ist Regine Hildebrandt am überzeugendsten: sie verblüfft durch ihre entwaffnende Ehrlichkeit, besticht mit der Unkonventionalität ihrer Ideen, überzeugt durch die Schärfe des Arguments. Regine Hildebrandt reißt mit durch ihren Optimismus, durch die Kraft und Zuversicht, die sie ausstrahlt. Trotz ihrer schweren Krankheit ist sie von dieser Haltung kein Jota abgewichen.
(Manfred Stolpe bei Verleihung des Großen Verdienstkreuzes 1. Klasse am 29. März 2001)
Ich glaube nicht, daß sie zu ersetzen ist. Wer hat schon ihre Überzeugungskraft, ihr Mundwerk, ihre Ausdauer, ihre Fähigkeit zu lauten und leisen Tönen, wie soll man das ersetzen.
(Wolfgang Thierse)
Also, sie hat natürlich ein unerhörtes, ein wunderbares Mundwerk gehabt. Sie konnte witzig sein, schlagfertig, laut und leise und sie hat eben ein ganz, ganz starkes Gefühl verbreitet, das sehr ansteckend war. Das Gefühl, sich nicht unterkriegen zu lassen. Sie hat auch ostdeutsches Selbstbewußtsein dargestellt, was für viele Menschen wichtig war, die unter Benachteiligungsgefühlen und Zurücksetzungsgefühlen gelitten haben und leiden. Da war sie eine wirkliche Sprecherin. Und deswegen war sie so beliebt. Und sie war ja fast wie ein Naturereignis, wenn sie auftrat und in Fahrt geriet, dann hingen Menschen und vor allem Frauen an ihren Lippen und waren schlicht begeistert und glücklich.
(Wolfgang Thierse)
Literatur & Quellen
Interviews mit Regine Hildebrandt:
- Der Kleine Advokat online, Ausgabe Febr./März 2000: Der Pfahl im Fleisch der SPD
- Ärzte Zeitung, 2. Okt. 2000: Ich bin ganz stolz darauf, wie wir das durchgezogen haben
- Chrismon, 19. Okt. 2001: Begegnungen - Regine Hildebrandt und Jörg Zink. Wie viel Hoffnung bleibt uns?
- Tagesspiegel, 22. Okt. 2001: Wenn einer eine Pfeife ist, eignet er sich nicht, daß sie ihn verehren
- ZDF heute, 26. Okt. 2001: Sterben paßt nicht ins Bild. Regine Hildebrandt engagierte sich für Krebskranke
Weitere Dokumente:
- Rede des Ministerpräsidenten Manfred Stolpe anläßlich der Verleihung des Großen Verdienstkreuzes 1. Klasse am 29. März 2001 (nicht mehr online)
- Website über Regine Hildebrandt
Nachrufe (Auswahl, leider nicht mehr online abrufbar)
- Berliner Zeitung, 27. Nov. 2001
- Berliner Zeitung, 5. Dez. 2001
- NDR4, Interview mit Wolfgang Thierse
Links geprüft und korrigiert am 22. April 2021 (AN)
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