Biographien Raissa Orlowa-Kopelew
Foto: Petra Kammann
geboren am 23. Juli 1918 in Moskau
gestorben am 31. Mai 1989 in Köln
russische Schriftstellerin, Literaturwissenschaftlerin und Bürgerrechtlerin
35. Todestag am 31. Mai 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Raissa Orlowa wurde in Moskau ein Jahr nach der Oktoberrevolution geboren und wuchs auf in einem Klima der Umwälzung, der Hoffnungen. In der Schule lernte sie Werkzeug handhaben und politisch denken. Ihre Kinderträume handelten vom Fallschirmspringen und von einer Jugendstadt im wilden Sibirien, die sie gründen würde. Diese Träume waren bald beendet…
Sie hat die Stalinzeit relativ gut überlebt. Sie war Lektorin im Verlag für auswärtige Literatur, durfte Verbotenes lesen, war privilegiert. Und hat gewusst. Sie kannte Menschen, die in Lagern waren. Sie hat niemanden verraten, sie hat geholfen, wo sie helfen konnte. Aber sie hat auch niemals protestiert. Später rechnete sie über diese Zeit unerbittlich mit sich ab, in einer über Jahrzehnte hinweg entstandenen Autobiographie (Eine Vergangenheit, die nicht vergeht), über die sie sagte: “Dieses Buch ist eine einzige Wunde.”
Eine neue Ära begann 1956 - im Jahr der berühmten Rede Chruschtschows, in der dieser mit dem Stalinismus abrechnete. Im selben Jahr heiratete sie Lew Kopelew, der zehn Jahre in Lagern und Gefängnissen verbracht hatte. Die Tauwetterperiode war eine Zeit neuer Hoffnungen, eines neuen Aufbruchs, wo bisher unveröffentlichte Literatur gedruckt wurde, bisher verbotene Themen behandelt, über eine bisher tabuisierte Vergangenheit gesprochen werden durfte. Auch über die eigene.
Auch dieser Aufbruch war bald beendet, unter Breschnew begann eine neue Vereisung. Wieder verschwanden FreundInnen in Haft, in Verbannung, im Exil. Aber diesmal meldeten die Kopelews Protest an. 1981 wurden beide ausgebürgert, lebten seitdem im deutschen Exil in Köln. Orlowa-Kopelew musste mit 63 eine neue Sprache lernen, als Literatin sich überhaupt ihr Handwerkszeug erst wieder schaffen.
Sie schrieb auch über die Sowjetunion, warb für ihr eigenes Land, trotz allem, was sie dort erlebt hatte. Sie war undogmatisch, hasste Denken in Schwarz-Weiß, wollte nicht zulassen, daß man die Sowjetunion einteilte in “gute DissidentInnen” und “böse Systemtreue”, erklärte, wie viel komplizierter und widersprüchlicher die Wirklichkeit ist.
Als mit Gorbatschow zum dritten Mal eine Zeit der Hoffnung anbrach, da war sie zum dritten Mal dabei, mit Skepsis, aber mit mehr Begeisterung. Sie fuhr von Versammlung zu Versammlung, sprach im Radio und zu Zeitungen, um für Glasnost und Perestroika zu werben. Ihre Jugendträume ließ sie sich nicht nehmen.
Sie starb im Mai 1989 in Köln.
Verfasserin: Anna Dünnebier
Zitate
In Deutschland nimmt der Terminkalender einen immer wichtigeren Platz ein. Ich hörte von folgenden Eintragungen: “Mutter anrufen”, “Vater gratulieren”, “die Eltern besuchen”. Möchte ich, daß meine Töchter sich mit Hilfe einer solchen Notiz an mich erinnern?
(Aus: Die Türen öffnen sich langsam, Raissa Orlowa-Kopelews 1984 erschienenem Buch über ihre Erfahrungen im Exilland).
Literatur & Quellen
Orlowa–Kopelew, Raissa & Lew Kopelew. 1987. Wir lebten in Moskau. Aus d. Russ. von Marianne Wiebe. München. Knaus.
Orlowa–Kopelew, Raissa. 1984. Die Türen öffnen sich langsam. Aus d. Russ. von Heddy Pross–Weerth. München. Knaus.
Orlowa–Kopelew, Raissa. 1985. Eine Vergangenheit, die nicht vergeht: Rückblicke aus fünf Jahrzehnten. Aus d. Russ. von Elisabeth Markstein. München. Knaus.
Warum ich lebe: Texte von und über Orlowa. Aus d. Russ. von Eva Rönnau. Göttingen. Steidl. 1990.
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