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(Geburtsname: Johanna Bleschke, Pseudonyme auch: Rahel Sansara, Rahel Zansara, Johanna Sanzara, Ehename: Johanna Davidsohn)
geboren am 9. Februar 1894 in Jena
gestorben am 8. Februar 1936 in Berlin
deutsche Tänzerin, Schauspielerin und Schriftstellerin
130. Geburtstag am 9. Februar 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Wie ihre Biografin Diana Orendi-Hinze schreibt, war Rahel Sanzara „besessen vom Gedanken des Weiterkommens, der Entwicklung des Lernens“. So ist es kein Wunder, dass sie sich in zahlreichen künstlerischen Metiers ausprobierte, aber nur als Schriftstellerin ist sie bis heute bekannt.
Johanna Bleschke, so ihr eigentliche Name, wurde 1894 als als ältestes von vier Kindern in Jena geboren. Als Kind wurde sie Hanny oder auch Hans genannt, später auch Hannes bzw. von ihrem Ehemann Klaus. Ihr Vater war Stadtmusiker, sie selber spielte Klavier. Ihre Mutter war eine starke Persönlichkeit und hatte bis zu ihrem Tod 1918 einen großen Einfluss auf die Tochter.
Sie war musisch hochtalentiert und zeigte bereits früh eine Begabung für Tanz, aber zunächst einmal sang sie im Jenaer Kinderchor unter der Leitung von Max Reger und durchlief die für ihr Geschlecht vorgesehene Erziehung. Nach der Grundschule besuchte sie eine Höhere Töchterschule mit angeschlossenem Handelsschuljahr.
Ihr Vater wollte, dass seine Tochter einen bürgerlichen Beruf erlernen sollte und schickte sie 1912 nach Blankenburg im Harz für eine Ausbildung zur Buchbinderin. Nach einem Jahr war ihr jedoch klar, dass sie sich nicht an das Kleinbürgertum anpassen könnte.
Sie fühlte sich zur Künstlerin berufen und ging nach Berlin, wo sie erst einmal beim gerade gegründeten Loesdau Verlag arbeitete. Dort lernte sie den jüdischen Arzt Ernst Weiß aus Prag kennen, einen Studienfreund Kafkas, mit dem sie über zwanzig Jahre eine Liebesbeziehung hatte, allerdings mit Unterbrechungen.
Während des 1. Weltkrieges machte sie eine Schnellausbildung zur Krankenschwester und war bis Ende 1915 in Lazaretten tätig.
Ernst Weiß finanzierte ihre Ausbildung zur Tänzerin bei Rita Sacchetto. Andere bekannte Schülerinnen Sacchettos waren z. B. Anita Berber, Valeska Gert und Dinah Nelken. Sacchetto sah Musik als Anregung zur Darstellung lebender Gemälde und dramatischer Szenenfolgen durch das Ausdrucksmittel des Solotanzes. Ihr Debüt als Tänzerin machte Bleschke 1916 bereits unter dem Namen Rahel Sansara mit dem Stück „Der Gorilla. Phantastisches Märchen aus dem Orient. Sketch in einem Akt“. Von Berlin aus ging sie mit ihrer Tanzpantomime nach Prag, Wien und Budapest. Als sie merkte, dass dies nicht war, was sie sich erhofft hatte, wandte sich dem Ausdruckstanz zu.
Den Namen Rahel Sansara, später Sanzara wählte sie bewusst: Auf Rahel war sie im Loesdau Verlag gekommen, wo sie jüdische Autoren kennengelernt hatte. Ihrer Schwester erklärte sie, man könne nur noch mit Juden verkehren, alles andere sei geistiger Sumpf. Der Nachname ist möglicherweise an Samsara, das Wort im Sanskrit für Wiedergeburt, angelehnt.
Immer wieder probierte sie sich in anderen Metiers aus. So erhielt sie 1917 die Möglichkeit in dem Detektivfilm Der Fall Rout …! von William Kahn mitzuwirken. Sie selber bezeichnete ihn als „Kitsch-Film“ – anscheinend lag ihr die Filmwelt aber auch nicht, denn es sollte ihr einziger Film bleiben.
Vom Frühjahr 1918 bis September 1919 lebte Sanzara in München, wo sie bei Otto Falckenberg, dem Intendanten der Kammerspiele, Schauspiel-Unterricht nahm. Während dieser Zeit lernte sie die Schauspielerin Annemarie Loose-Leyhausen kennen, mit der sie bis zu ihrem Lebensende befreundet war. Laut ihrer Biografin Diana Orendi-Hinze neigte Sanzara zur „Frauenliebe” – mehr dazu wird jedoch nicht mitgeteilt.
Im Oktober 1919 fand die Uraufführung des Dramas Tanja von Ernst Weiß in den Deutschen Kammerspielen in Prag statt. Für ihn war die Voraussetzung für dieses Stück, dass Sanzara die Hauptrolle spielen sollte, obwohl dies ihr Debüt war. Die Prager Aufführung wurde ein sensationeller Erfolg für die Hauptdarstellerin. Anschließend trat sie in mehreren Stücken von Wedekind in Prag auf. Es waren allerdings Gastrollen, ein festes Engagement hatte sie dort nicht.
Leonore, ein Stück von Weiß, das auf seiner Erzählung Die Verdorrten beruht und das er wie auch bereits Tanja Sanzara widmete, hatte 1923 ebenfalls in Prag Uraufführung. Auch hierin übernahm sie wiederum die Hauptrolle.
Von 1921 bis 1923 wurde Sanzara von Gustav Hartung, einem der bedeutendsten Regisseure der 1920er Jahre, an das Hessische Landestheater Darmstadt geholt, das durch ihn bald internationales Renommée bekam, den DarmstädterInnen jedoch zu revolutionär war. Sanzara spielte dort weibliche Hauptrollen in den neuen expressionistischen Stücken, wie z. B. Lulu und Salome. Die Rolle der Teresita Ostermann in Knut Hamsuns Spiel des Lebens wurde ihr Durchbruch; sie galt seitdem als die „kommende Tragödin des modernen Nerventheaters“.
1923 bis 1924 führte sie ein Gastspiel ans Züricher Schauspielhaus, aber die dortigen klassischen Ideale im traditionellen Verständnis der schauspielerischen Darstellungen lagen ihr nicht und sie ging nach Berlin zurück. Dort spielte sie 1924 nochmals die Hauptrolle in Tanja, diesmal unter der Regie von Theodor Tagger. Das Stück wurde von ihm stark mit Musik und Tanz erweitert und die Aufführung wurde ein großer Reinfall.
Anschließend zog sich Rahel Sanzara völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Was nur wenige wussten: Sie hatte diese Zeit genutzt, um ein Buch zu schreiben: Das verlorene Kind. Ein Vorabdruck erschien 1926 in der Vossischen Zeitung, kurz danach kam es in Buchform bei Ullstein heraus und wurde gleich ein Bestseller. Der Roman behandelt einen Sexualmord an einer Vierjährigen und die Auswirkungen dieser Tat auf die Betroffenen. Er basiert auf einem authentischen Fall aus dem 19. Jahrhundert, einer Geschichte aus dem Neuen Pitaval, einer Sammlung der interessantesten Kriminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit, die von 1842 bis 1890 in Buchform erschienen war. In kürzester Zeit wurde das Buch in elf Sprachen übersetzt und erlebte in Deutschland bis zu seinem Verbot 1933 mehrere Neuauflagen.
Die Reaktionen waren sehr gemischt und reichten von Lob, wie z. B. von Gabriele Reuter, Vicki Baum, Gottfried Benn und Carl Zuckmayer bis hin zur Entrüstung über die freimütige Behandlung dieses Themas, aber natürlich auch der Einschätzung, dies sei doch kein Thema für eine Frau. Es wurde auch gemutmaßt, dass Ernst Weiß den Roman geschrieben haben könne. In einem Brief, in dem Sanzara Benn für seine Verteidigungsrede dankt, schreibt sie, was sie mit dem Roman beabsichtigte: Sie wollte versuchen, den Stoff „zu erhellen, ihn zu ordnen, dem Bösen das gleiche Maß an Gutem gegenzusetzen“.
Die Kontroverse um diesen Roman dauert bis heute an, was sich daran zeigt, dass der Roman immer wieder neu aufgelegt wird, gleichzeitig aber - z. B. von Volker Weidermann - äußerst negativ beurteilt wird.
Im Dezember 1925 hatte Sanzara einen Autounfall mit Ernst Weiß, bei dem sie schwere Verletzungen erlitt. Fünf Wochen musste sie im Krankenhaus verbringen, ganz erholte sich nie wieder davon.
1927 heiratete Rahel Sanzara den jüdischen Börsenmakler Walter Davidsohn, der bereits lange um sie geworben hatte. Ganz überzeugt war sie von dieser Verbindung nicht; sie stimmte nur unter der Bedingung zu, dass sie immer getrennt leben würden, was auch für Reisen galt, bei denen sie häufig in getrennten Hotels abstiegen. Davidsohn war oft auf Reisen, während sie durchaus zeitweise in Berlin blieb. Aus der erhaltenen Korrespondenz geht hervor, dass er ihr von 1926 bis 1928 an verschiedene Hotels schrieb, ab 1929 jedoch nach Berlin, während er in Italien, der Schweiz, Frankreich und England herumreiste.
Für zwei weitere Bücher erhielt Sanzara noch einen Vertrag bei Ullstein: 1931 für den Roman Hochzeit der Armen, von dem erst 1934 die Druckfahnen vorlagen, sowie 1933 für die Erzählung Die glückliche Hand. Diese handelt von einer unverheirateten Mutter, deren Kind bei den Großeltern aufwachsen muss. Auch hiervon gab es wiederum einen Vorabdruck in der Vossischen Zeitung sowie Druckfahnen, aber beide Bücher wurden nicht mehr gedruckt.
Das Manuskript von Hochzeit der Armen wurde zahlreichen Verlagen angeboten und gilt inzwischen als verschollen, ebenso wie ein Hörspiel, das sie 1932 schrieb und ein weiteres, das nur als das „dicke MS mit dem düsteren Thema“ bekannt ist. Dieses wurde 1934/35 bei mehreren Verlagen eingereicht, aber ohne Erfolg. Es ist wenig erstaunlich, dass sich kein Verlag mehr an die Veröffentlichung ihrer Werke traute, stand ihr Name, aufgrund dessen die gerade an die Macht gekommenen Nazis dachten, dass sie eine Jüdin war, doch bereits auf der ersten Schwarzen Liste der Bücher, die die aus Buchhandel und Büchereien zu entfernen wären und die im Mai 1933 in mehreren Zeitungen und Zeitschriften publik gemacht worden war.
„Was aus mir, durch meine Ehe zur Jüdin geworden (nach A. H.), werden mag, ist noch ganz ungewiß, ich lebe hier wie ein Eremit in der Steinwüste,“ schrieb sie an ihre Schwester.
Sie war desillusioniert über weitere Veröffentlichungsmöglichkeiten: „(…) mein Fall liegt besonders ungünstig, da nach wie vor als Morgenländerin angesehen und außerdem als destruktiv. Bei meiner ausgesprochen philosemitischen Einstellung vermag ich auch nicht die Schritte zu unternehmen, die zu einer Richtigstellung führen könnten. Das kommt mir gar zu lächerlich vor.“ Einen Antrag auf Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer, die die Voraussetzung für Veröffentlichungen gewesen wäre, hat sie nie gestellt. Stattdessen bat Sanzara Ullstein im Sommer 1934 um die Rückgabe aller Rechte an den drei dort vorliegenden Werken, wozu der Verlag sich aufgrund ihrer fehlenden „Ariererklärung“ umgehend bereit erklärte. Wie Sanzara bemerkte: „Als Nariern (i.e. Nichtarierin, DH) bin ich auf allen möglichen List- und Nachschlagewerken geführt, das schreckt die Verleger, und Gegenbeweise mit langen Urkunden anzubringen, finde ich doch zu schäbig.“
Ernst Weiß ging 1933 nach dem Reichtagsbrand ins Exil, erst nach Prag, später nach Paris. Mit Sanzara blieb er für den Rest ihres Lebens weiterhin in Kontakt. Walter Davidsohns ging 1935 von Frankreich aus ins Exil in die USA. Sanzara hingegen konnte sich nicht vorstellen, Berlin zu verlassen.
Nach diversen Krankheiten ab 1931 musste Sanzara sich 1934 einer Unterleibsoperation unterziehen. Möglicherweise war ihr Tod die Folge eines ärztlichen Fehlers, der bei dieser Operation unterlief. Rahel Sanzara starb am 8. Februar 1936, einen Tag vor ihrem 42. Geburtstag in ihrer selbstgewählten Einsamkeit in der Berliner Klinik in der Derfflingerstraße. Auf ihren Wunsch hin wurde sie eingeäschert. Ihr Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof Stahnsdorf in Berlin-Wilmersdorf.
(Text von 2018)
Verfasserin: Doris Hermanns
Zitate
Politisch sieht es leider bedrückend und ziemlich hoffnungslos aus. Der Mob, die neidischen Nichtskönner regieren. Gewalt geht vor Recht und der Cynismus der Führer ist haarsträubend. Aber man muß mit einer jahrelangen Dauer dieses Regimes rechnen, eine Änderung kann nur allmählich kommen, wenn es sich herausstellt, daß die vielen und ganz gegensätzlichen Interessen auch mit noch so viel Gewalt und schönen Reden nicht mehr unter ein Hakenkreuz zu bringen sind und alle die Futterkrippen, von denen man jetzt alles verjagt, besetzt sind von der Partei und die eigentliche Arbeit losgeht. Man wird da noch mancherlei erleben, aber Schönes nicht, damit muß man sich abfinden. Und wer zahlt die Rechnung? Immer wieder das Volk, das nur gar zu gerne gegen seinesgleichen vorgeht, und die Freude, mit der der Prolet den Proleten umbringt, ist grauenvoll traurig. Aber nach und nach muß doch die Ratio, Vernunft und das Recht der Sache sich wieder durchsetzen … Ich bleibe vorläufig noch hier, obwohl eine übermenschliche Kraft dazu gehört, sich das anzusehen, wie Kunst und Geistesleben systematisch zerstört und zertrampelt wird.
(Rahel Sanzara an ihre Schwester Katja Simons am 18.3.1933)
Literatur & Quellen
Literatur über Rahel Sanzara
Brinker-Gabler, Gisela, Karola Ludwig und Angela Wöffen: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800 – 1945. München, dtv, 1986
Budke, Petra und Jutta Schulze: Schriftstellerinnen in Berlin 1871 bis 1945. Ein Lexikon zu Leben und Werk. Berlin, Orlanda, 1995. Reihe: Der andere Blick. Frauenstudien in Wissenschaft und Kultur
Davidsohn, Walter: Seine Briefe an Rahel Sanzara befinden sich im Leo Baeck Institut in New York: http://digifindingaids.cjh.org/?pID=476087
Engel, Peter: Nachwort, in: Rahel Sanzara: Das verlorene Kind. Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1983
Engel, Peter: Nachwort, in: Rahel Sanzara: Die glückliche Hand. Frankfurt a.M., Suhrkamp, 1985
Orendi-Hinze, Diana: Rahel Sanzara. Eine Biografie. Reihe: Die Frau in der Gesellschaft – Lebensgeschichten. Frankfurt a.M., Fischer Taschenbuch Verlag,1981
Schmid-Bortenschlager, Sigrid: Besinnung auf Traditionen. Heimat und Geschichte im Roman des frühen 20. Jahrhunderts, in: Deutsche Literatur von Frauen. Zweiter Band: 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von Gisela Brinker-Gabler. München, C.H. Beck, 1988
Wall, Renate: Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933 bis 1945. Band 2. Freiburg i. Br., Kore, 1995
Weidermann, Volker: Das Buch der verbrannten Bücher. Köln, Kiepenheuer & Witsch, 2008
Rahel Sanzara in der Deutschen Nationalbibliothek
Werke von Rahel Sanzara
Das verlorene Kind. Berlin, Ullstein, 1926
Die glückliche Hand. Zürich, Humanitas, 1936 (unter dem Namen Johanna Sanzara)
Hochzeit der Armen (unveröffentlichter Roman, verschollen)
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