Biographien Pauline Viardot-Garcia
Viardot-Garcia um 1844, von Pjotr Fjodorowitsch Sokolow (wikimedia commons)
geboren am 18. Juli 1821 in Paris
gestorben am 18. Mai 1910 in Paris
französische Sängerin (Mezzo), Komponistin, Bearbeiterin, Pianistin, Gesangslehrerin, Organistin, Kulturvermittlerin, Veranstalterin, Herausgeberin, Volksliedsammlerin
200. Geburtstag am 18. Juli 2021
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
In der Erscheinung der Sängerin, Komponistin, Sammlerin, Herausgeberin Pauline Viardot-Garcia bündelt sich, wie in einem Brennglas, die europäische Kultur des 19. Jahrhunderts. Geboren neun Jahre vor der französischen Julirevolution, gestorben vier Jahre vor dem 1. Weltkrieg, erlebte die Musikerin den Wechsel von Aufbruchs- und Restaurationszeiten. Ihre Muttersprache war Spanisch, aber als Kind einer reisenden Sängerfamilie war Vielsprachigkeit für sie selbstverständlich. In kürzester Zeit beherrschte sie Französisch, Italienisch, Englisch, Deutsch. Später sang sie nicht nur auf Russisch, sondern vertonte sogar russische Lyrik. Ihr geistiger Kosmos wurde durch heftige Debatten über einschneidende politische, technische und kulturelle Veränderungen bestimmt. Besonders betrafen sie Fragen nach der gesellschaftlichen Verantwortung von KünstlerInnen in einer Welt, in der auch Musik immer mehr zur Ware wurde, sowie der Kampf von Frauen um die ihnen trotz der »Grande Révolution« weiterhin verweigerten Bürgerrechte.
Geboren am 18. Juli 1821 in Paris war sie mit großem Altersabstand das jüngste von drei Kindern von Manuel García (1775–1832), später zur Unterscheidung von seinem gleichnamigen Sohn, père genannt, und Maria-Joaquina García-Sitchez (1780–1854). Der Gesangspädagoge Manuel Patricio Rodriguez García, geb. 1805 und Maria Felicitá García, spätere Maria Malibran, geb. 1807, waren ihre Geschwister. Die prägenden Kinderjahre verbrachte Pauline Garcia ›unterwegs‹ und außerhalb bürgerlicher Verhältnisse. Für ein Mädchen bedeutet dies vor allem Spielraum jenseits geschlechtsspezifischer Polarisierungen. Nach der Rückkehr der Familie von einer ausgedehnten USA und Mexiko-Tournee nach Paris – sie war sieben – wurde sie Schülerin von Franz Liszt und begleitete den Unterricht ihres Vaters am Klavier. Als dieser 1832 starb, zog die Mutter mit ihr nach Brüssel zu ihrer Tochter Maria, die inzwischen mit dem belgischen Geiger Charles de Bériot zusammenlebte. Maria Malibran verunglückte mit nur 28 Jahren. Nun musste Pauline die sängerische Familientradition fortführen, so die Entscheidung der Mutter. In einem Brief spricht Viardot davon, dass es ihr das Herz gebrochen habe, auf das Klavier verzichten zu müssen. Auf welchem Niveau sie als Pianistin auch noch in späteren Jahren spielte, kann man allein daran ablesen, dass sie gelegentlich mit Clara Schumann als Duo auftrat, auch öffentlich Klavierkammermusik aufführte.
Kaum ein Jahr nach dem Tod der Schwester debütierte sie in einem Konzert ihres Schwagers in Brüssel am 13. Dezember 1837. Eine von der Mutter begleitete gemeinsame Konzertreise durch Deutschland schloss sich an, auf der sie sich nicht nur als Nachfolgerin ihrer Schwester, sondern auch als Pianistin und Komponistin präsentierte. Ihr Operndebüt fand am 9. Mai 1839 am Londoner Her Majesty’s Theatre in der Rolle der Desdemona in Rossinis Otello statt.
Die Freundschaft mit der Schriftstellerin George Sand prägte ihr Selbstverständnis als Künstlerin. Laut Sand sei es ihre Aufgabe zu beweisen, dass Frauen sich nicht nur als ausübende Künstlerinnen auf dem Niveau ihrer männlichen Kollegen bewegen könnten, sondern auch als Komponistinnen.
Familie und Karriere
Mit 19 entschied sich Pauline Garcia, einen 21 Jahre älteren Mann zu heiraten, Louis Viardot, Kunstkritiker, Hispanist, zu dieser Zeit Direktor des Théâtre-Italien. Er gab seine Stellung auf und wurde ihr Manager. 1842 kam die erste Tochter Louise, spätere Héritte-Viardot, zur Welt. Das Kind blieb in der Obhut von Großmutter und Amme. Es folgten 23 Jahre einer internationalen Karriere in London, Berlin, Dresden, Hamburg, Wien, Prag, Budapest, Moskau und vor allem St. Petersburg. Ihr Stimmumfang von dreieinhalb Oktaven erlaubte es ihr, Partien zunächst vom Mezzo bis zum hohen Sopran zu singen, später mit Meyerbeers Valentine (Les Huguenots) und Fidès (Le Prophète) in den tiefen Mezzo und in das tragische Charakterfach zu gehen. Zwei Verdi-Charakterpartien folgten: Azucena (Il Trovatore) und Lady Macbeth (Macbeth). Nach mehr als zehn Jahren Kinderpause folgten die beiden Töchter Claudine und Maria-Anne, drei Jahre später der Sohn Paul. Mit allen Kindern führte sie die Familientradition fort, komponierte für sie, band sie in ihre vielfältigen Tätigkeiten ein. Louise und Paul, die Älteste und der Jüngste, wurden BerufsmusikerInnen, die beiden jüngeren Töchter traten bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich im privaten Rahmen auf.
1859 feierte sie noch einmal Triumphe im Théâtre lyrique in der Rolle des Orphée in einer gemeinsam mit Hector Berlioz erarbeiteten Fassung der Gluckschen Oper (18. November 1859). MusikerInnen, MalerInnen, SchriftstellerInnen aus aller Welt reisten nach Paris, um sie zu hören. Ihr Spiel, ihr Gesang, vor allem ihre an antiken Darstellungen orientierte Trauerdarstellung galten als prägend für ein zeitgemäßes Verständnis des Orpheus-Stoffes. Dann zog sie sich mit 42 Jahren von der Bühne zurück, um eine zweite Karriere als Komponistin zu starten.
Baden-Baden
Im Sommer 1863 ließ sie sich mit ihrer Familie in Baden-Baden nieder. In nuce konzentrierte sich dort Sommer für Sommer die ‚große Gesellschaft‘. Anziehungspunkt war das Kasino. In einer Schaffensgemeinschaft mit dem russischen Schriftsteller Ivan Turgenev entstanden in den nächsten Jahren mindestens vier Bühnenwerke. Diese Aufführungen, ihre Matineen und Soireen zunächst in der benachbarten Villa von Ivan Turgenev, dann in ihrem kleinen Privattheater, das sie im Garten ihrer Villa erbauen ließ, lockten das internationale Baden-Badener Publikum an. Sie, Kind einer fahrenden Künstlertruppe und überzeugte Republikanerin, war es nun, die in ihren eigenen Konzertsaal und ihr Théâtre du Thiergarten einlud. Unter den zumeist adeligen Gästen: das preußische Königspaar. Das war nicht selbstverständlich, denn zu ihrer Zeit galten Sängerinnen noch als potentielle Kurtisanen, wurden als automatische Singvögel oder Verführerinnen karikiert. Als Musikerinnen wurden sie selten ernst genommen. Anders Pauline Viardot. Der deutsch-französische Krieg 1870/71 zerstörte ihre Baden-Badener Existenz. Sie kehrte mit ihrer Familie nach Paris zurück.
Als Pauline Viardot 1910 starb, bestand über ihre Bedeutung für das europäische Musikleben kein Zweifel, obwohl das Ende ihrer Bühnenlaufbahn über 40 Jahre zurücklag. Als professionelle Komponistin jedoch hatte sie nur wenig Anerkennung gefunden. Ihr Werkverzeichnis belegt, dass sie sich ein Leben lang mit kompositorischen Fragen auseinandergesetzt hat und eine musikalische Vielsprachigkeit entwickelte, die für ihre künstlerische Physiognomie bestimmend wurde. Aber die Inter-Nationalität Pauline Viardots wandelte sich aufgrund der Nationalisierungsentwicklungen des 19. Jahrhunderts vom Segen zum Fluch: Sie stand zwischen den Welten – eine Französin, die Puschkin-Gedichte vertont, galt als nicht ›authentisch‹, eine Französin, die Schubert singt, bringe in diese Lieder einen ›fremdländischen‹ Zug, eine Spanierin, die in Frankreich aufgewachsen ist, sei keine ›echte‹ Französin, zumal nicht, wenn sie dann auch noch zeitweise in Deutschland lebte etc. Kulturelle Differenzen komponieren, Verzicht auf einen einheitlichen Personalstil als Absage an ein männlich konnotiertes Geniekonzept, Ausdruck eines als multipel begriffenen Ichs vergleichbar mit George Sands literarischen Konzepten? Das war damals – anders als heute – noch kein Thema!
(Text von 2020)
Verfasserin: Beatrix Borchard
Zitate
»Sagen Sie mir alles, was Sie vorhaben, denn ich zähle auf Sie, daß Sie in der Kunst die Revolution machen, die das Volk gerade in der Politik macht.«
(George Sand an Pauline Viardot, 17.3.1848. (Marix-Spire S. 247))
Literatur & Quellen
Beatrix Borchard: Fülle des Lebens: Pauline Viardot-Garcia, (Europäische Komponistinnen, Bd. 9), Köln Weimar Wien: Böhlau 2016.
Christin Heitmann, Pauline Viardot. Systematisch-bibliographisches Werkverzeichnis (VWV) mit Einführung und Essay, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, seit 2012, Online-Datenbank http://www.pauline-viardot.de/Werkverzeichnis.htm (9.2.2018).
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