Biographien Paulina Kuczalska-Reinschmit
geboren am 15. Januar 1859 in Warschau
gestorben am 13. September 1921 in Warschau
polnische Publizistin und Kämpferin für Frauenrechte
165. Geburtstag am 15. Januar 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Heerführerin, Kämpferin, Steuerfrau der Frauenbewegung, Schwester, Päpstin des Feminismus: ihre Zeitgenossinnen und -genossen hatten viele Zuschreibungen für Paulina Kuczalska-Reinschmit parat. Eines aber ist unzweifelhaft: sie gehörte zu den prägendsten Frauen der Frauenbewegung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert in Polen.
Wie viele andere Gestalterinnen der polnischen Frauenbewegung des 19. Jahrhunderts entstammte auch Paulina Kuczalska dem polnischen Kleinadel, der Szlachta. Ihr Vater, Leon Kuczalski, besaß ein Landgut in Wolhynien und ebenso in der Ukraine. Zum Gutsbesitzer eignete er sich wohl wenig, er galt als Geck und Verschwender. Prägender für Paulina und ihre Schwester war das geistige mütterliche Erbe.
Ewelina z Jastrzębiec-Porczyńska hatte als junge Frau Mitte des 19. Jahrhunderts dem Kreis der „Enthusiastinnen“ um die in Polen sehr bekannte Schriftstellerin Narcyza Żmichowska angehört und so vielfältige Beziehungen zu einer Gruppe von Streiterinnen für Frauenbildung und Frauenrechte geknüpft. Das hatte aber auch sie nicht vor einer Konvenienzehe bewahrt – ebenso wenig wie später Paulina Kuczalska selbst. Nach dem frühen Tod von Leon Kuczalski zogen Paulina und ihre Mutter nach Warschau. Paulinas Schwester heiratete und blieb in der Ukraine. Paulina Kuczalska hatte bis dahin den für eine Szlachta-Tocher üblichen, eher musisch-literarisch ausgerichteten Hausunterricht erhalten. Höhere oder gar berufsqualifizierende Bildung gehörte nicht dazu. Die eignete sich Paulina später selbst im Ausland an. Neben Polnisch und Ukrainisch sprach sie auch Französisch, Deutsch, Italienisch und Englisch.
Mit 20 Jahren heiratete sie 1879 in Warschau Stanisław Reinschmit, einen höheren Beamten einer Kreditgesellschaft. Sechs Jahre später folgte die Trennung: Reinschmit hatte seine Ehefrau mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt, als Folge der Infektion verlor sie die Sehkraft auf einem Auge. Bereits als Kind hatte sie an Asthma und an einem Herzleiden gelitten, doch die zusätzliche gesundheitliche Beeinträchtigung durch die Infektion hielt Paulina nicht davon ab, endlich ihre eigenen Pläne zu verfolgen. Der gemeinsame Sohn blieb beim Vater, während Paulina Kuczalska mit familiärer Unterstützung 1885 nach Genf und zwei Jahre später nach Brüssel zog, um Naturwissenschaften zu studieren.
In der Schweiz und in Belgien kam sie in Kontakt mit polnischen Emigrantengruppen und mit den Ideen der jungen Frauenbewegung. So nahm sie zusammen mit einer anderen Polin, Maria Szeliga, 1889 am zweiten internationalen Frauenkongress in Paris teil.
Paulina Kuczalska machte sich als Feministin schnell einen Namen, mit zahlreichen dauerhaften Kontakten zu führenden Vertreterinnen der Frauenbewegung in Westeuropa. (Sie schrieb den Beitrag über den Stand der Frauenbildung in Polen für das von Gertrud Bäumer und Helene Lange herausgegebene Handbuch der Frauenbewegung; mit Anita Augspurg und anderen korrespondierte sie.)
Nach ihrer Rückkehr nach Warschau setzte Paulina Kuczalska viele ihrer frauenpolitischen Ideen in die Tat um. Zunächst gründete sie mit einigen Mitstreiterinnen die Unia Kobiet (Frauenunion), den polnischen Zweigverein der 1889 von Maria Szeliga gegründeten Alliance universelle des femmes, es folgten eine Schule zur Ausbildung von Frauen im Handwerk und 1894 die Gründung der Delegacja Pracy Kobiet (Delegation für Frauenarbeit), um mehr Einfluss zu nehmen auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen für Frauen im russischen Teil Polens.
Bereits 1881 hatte Paulina Kuczalska erste Beiträge für die in Warschau erscheinende Zeitschrift Echo geschrieben und in den folgenden Jahren auch für viele andere Zeitschriften und Zeitungen in Polen gearbeitet. Mit der alle zwei Wochen erscheinenden Zeitschrift „Ster“ (auf Deutsch so viel wie Steuer, Ruder), schuf sie sich 1895 in Lwów, im österreichischen Teilungsgebiet, ihre erste eigene publizistische Plattform für feministische Ideen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Polinnen und Polen ihrer Zeit wollte sie mit der Verwirklichung von Frauenrechten nicht bis zur polnischen Unabhängigkeit warten, sondern betrachtete sie als unabdingbare Voraussetzung dafür. Während etwa die populäre Schriftstellerin Eliza Orzeszkowa den Kampf für ein freies Polen an die erste Stelle setzte, wollte Paulina Kuczalska die Gleichberechtigung nicht in eine ferne Zukunft verschieben. So forderte sie konsequent das allgemeine, gleiche und geheime Wahlrecht für Frauen - auch unter den politischen Bedingungen des geteilten Polens.
„Ster“ erschien zunächst zwei Jahre bis 1897 in Lwów, nach mehreren Jahren Unterbrechung dann zwischen 1907 und 1914 in Warschau. Als Herausgeberin und Autorin prägte Paulina Kuczalska die Richtung der Zeitschrift, und sie bot vielen der Frauenbewegung nahestehende Autorinnen und Autoren ein Forum. Wirtschaftlich gesehen, war die Herausgabe ein Wagnis. Mit ihrer Mischung aus frauenbewegten Informationen, theoretischen Beiträgen und literarischen Arbeiten wurde „Ster“ aber schnell zu einer wichtigen Zeitschrift.
Lebensmittelpunkt von Paulina Kuczalska blieb Warschau. Dort gründete sie zusammen mit ihrer Lebens- und Arbeitspartnerin Józefa Bojanowska verschiedene Frauenorganisationen, dort machten sie ihre Wohnung in der ulica Marszałkowskiego zum Mittelpunkt der Diskussion und des Kampfes um elementare politische und gesellschaftliche Rechte für Frauen.
Kennengelernt hatten sich Paulina Kuczalska und Józefa Bojanowska 1890 in der Unia Kobiet. Auch wenn Paulina die bekanntere von ihnen beiden war, nahm Józefa großen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Frauenbewegung in Polen. Sie galt als das Herz der Bewegung, Paulina als ihr Hirn. Ihr gemeinsames Ziel war die völlige politische Gleichberechtigung und das Recht der Frauen auf Selbstbestimmung. In der breiten (Frauen-)Öffentlichkeit galten ihre Ansichten als zu radikal, doch gelang es ihnen immer wieder, Unterstützerinnen und Unterstützer zu finden.
Paulina Kuczalska organisierte und eröffnete im Oktober 1905 den ersten polnischen Frauenkongress, gründete 1907 die Vereinigung für die Gleichberechtigung der polnischen Frauen (Związek Równouprawnienia Kobiet Polskich) und gab in der Folge erneut die Zeitschrift „Ster“ heraus. 1911 wurde sie von ihrer Organisation für ihre dreißigjährige publizistische Tätigkeit und ihren unermüdlichen, kompromisslosen Kampf um Frauenrechte mit einer großen Versammlung gefeiert. (Die Teilnehmerinnen der Jubiläums-Versammlung trugen übrigens grün-lila Kokarden und damit ganz bewusst auch die Farbe der Frauenbewegung.)
Kurz vor ihrem Tod 1921 erlebte Paulina Kuczalska noch die polnische Unabhängigkeit und die Einführung des Frauenwahlrechts. Ihre Forderungen nach Gleichheit, Unabhängigkeit und Schwesterlichkeit aber blieben für die meisten Polinnen unerfüllt.
Begraben wurde Paulina Kuczalska-Reinschmit auf dem Powązki-Friedhof in Warschau. Ihr Grabstein trug die Widmung „Paulina Kuczalska-Reinschmit / Vorsitzende der Vereinigung für die Gleichberechtigung der polnischen Frauen / Redakteurin des „Ster“ / Du, die Du für die Idee gelebt hast / Ehre sei Dir“. (Original: Paulina Kuczalska-Reinschmit / Przewodnicząca Związku Równouprawnienia Kobiet Polskich / Redaktorka „Steru“ / Ty, która żyłaś dla idei / chwała Ci)
Verfasserin: Eva Weickart
Links
http://feminoteka.pl/muzeum-historii-kobiet/
http://paulinakuczalskareinschmidt.blogspot.de/
Literatur & Quellen
Veröffentlichungen von Paulina Kuczalska
Nasze drogi i cele. Szkic do programu działalności kobiecej, Lwów 1897. (Unsere Wege und Ziele. Skizze eines Programms für weibliche Tätigkeiten)
Stan wykształcenia kobiet w Polsce, 1902. (Stand der Frauenbildung in Polen). [Beitrag zum Handbuch der Frauenbewegung von Helene Lange und Gertrud Bäumer]
Historia ruchu kobiecego, 1903. (Geschichte der Frauenbewegung)
Młodzież żeńska i sprawa kobieca, Warszawa 1906. (Die weibliche Jugend und die Sache der Frauen)
Siostry; sztuka psychologiczna, Warszawa 1908. (Schwestern; Theaterstück)
Wyborcze prawa kobiet, Warszawa 1911. (Das Frauenwahlrecht)
Quellen
Cecylia Walewska: W walce o równe prawa. Nasze bojownice. Warszawa: Kobieta Współczesna, 1930
Aneta Górnicka-Boratyńska: Chcemy całego życia. Antologia polskich tekstów feministycznych z lat 1870-1939. Warszawa: Fundacja Res Publica, 1999
Sollten Sie RechteinhaberIn eines Bildes und mit der Verwendung auf dieser Seite nicht einverstanden sein, setzen Sie sich bitte mit Fembio in Verbindung.