(Aurelia Wald, gesch. Reichert, geb. Torgau)
geboren am 1. Juli 1914 in Bourell (?) in Frankreich
gestorben am 1. Januar 1962 in Hannover–Ilten
deutsche Widerstandskämpferin, Kommunistin; “Heldin von Auschwitz”
110. Geburtstag am 1. Juli 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Auf der Grabplatte der Familie Wald auf dem Friedhof an der Engesohde in Hannover steht zu lesen „Orli 1914 – 1962“. Hinter dieser Aufschrift verbirgt sich die Geschichte des nur 48 Jahre dauernden Lebens der „Heldin von Auschwitz“.
Sie wurde als Aurelia Torgau am 1. Juli 1914 vermutlich in Bourell (Frankreich) in eine Arbeiterfamilie geboren, 1916 siedelte die Familie nach Trier über. Schon früh war sie Mitglied im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD). Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden ihre Aktivitäten illegal. 1935 heiratete sie den Bauarbeiter Friedrich-Wilhelm Reichert. Obwohl sich ihr Mann bald der neuen politischen Richtung anschloß und Mitglied der SA wurde, setzte sich Orli weiterhin für die Kommunisten ein.
Die Gruppe, in der Orli bei der Verteilung von Parteischriften mitarbeitete, wurde entdeckt und vor Gericht gestellt. Im Jahre 1936, mit gerade 22 Jahren, wurde die „Ehefrau Fritz Reichert, Aurelia geb. Torgau“ wegen „eines hochverräterischen Unternehmens“ vom 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts in Hamm /Westfalen zu 4 Jahren und 6 Monaten Zuchthaus verurteilt. Zu der Zeit wurde Hochverrat noch mit Zuchthaus bestraft, wenige Jahre später hätte eine solche Anklage das Todesurteil bedeutet.
Orli Reichert verbüßte ihre gesamte Haftstrafe im Zuchthaus Ziegenhain bei Kassel. Ihr Mann ließ sich 1939 von ihr scheiden. Am Ende der Haftzeit wurde sie allerdings nicht in die Freiheit entlassen, sondern in Schutzhaft ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück gebracht. Am 26. März 1942 kam sie mit dem ersten Frauentransport von Ravensbrück nach Auschwitz ins Frauenlager, wo sie die Häftlingsnummer 502 erhielt. Die Zeit vom Herbst 1942 bis zum Kriegsende verbrachte sie im Nebenlager Birkenau. Hier wurde sie dem Häftlingskrankenhaus zugewiesen und erhielt im Jahr 1943 den Posten der Lagerältesten.
Im Häftlingskrankenhaus wurde sie durch ihren selbstlosen Einsatz für ihre Mitgefangenen zur „Heldin von Auschwitz“, von einigen Leidensgenossinnen auch „Engel von Auschwitz“ genannt. Mit Wagemut und List versuchte sie zu helfen. So retteten kleine Zuwendungen an Eßbarem viele. Sie half, indem sie, gemeinsam mit einer jüdischen Häftlingsärztin, Mitgefangenen wegen des Verdachts auf Fleckfieber eine kleine Ruhezeit im Krankenhaus ermöglichte. Auch die jüdische Ärztin wurde von ihr vor dem Tode bewahrt. Aber nicht immer hatte sie Erfolg. Die nach dem Krieg geschriebene Erzählung „Das Taschentuch“ schildert, wie sie ein kleines, blindes Mädchen vor der tödlichen Spritze nicht schützen konnte. Orli gehörte der deutschen Widerstandsgruppe im KZ Auschwitz an, über ihre genauen Aufgaben bis zum Aufstand am 7. Oktober 1944 ist nichts bekannt.
Ihre letzte Haftstation war ein Nebenlager des Konzentrationslagers Ravensbrück, wohin sie von der SS am 18. Januar 1945 mit einem der Evakuierungsmärsche geschickt worden war. Von dort gelang ihr die Flucht, allerdings geriet sie in die Hände sowjetischer Soldaten, die sie auch vergewaltigten. Orli überlebte mehr als acht Jahre Haft tuberkulosekrank und kam Ende 1945 ins Sanatorium Sülzhayn. Dort lernte sie Eduard Wald kennen, nach der Heirat 1947 zog sie mit ihm nach Hannover. Orli konnte die Erlebnisse in der Haftzeit nicht verarbeiten und verbrachte längere Zeit in der Psychiatrischen Anstalt in Ilten bei Hannover. Am 1. Januar 1962 ist sie dort gestorben. Die Stadt Hannover ehrt Orli Wald mit einer regelmäßigen Kranzniederlegung auf ihrem Grab auf dem Stadtfriedhof an der Engesohde. 2007 wurde die Straße vor dem Friedhof in Orli-Wald-Allee umbenannt.
Seit ihrer zweiten Eheschließung trug Orli den Familiennamen Wald, zur „Heldin von Auschwitz“ wurde sie aber unter ihrem ersten Ehenamen Reichert.
In Hannover-Wettbergen gibt es eine kleine Sackgasse, den Reicherthof, 1984 angelegt und benannt nach der Widerstandskämpferin Orli Reichert.
Verfasserin: Barbara Fleischer
Zitate
Auch Orli Reichert-Wald mied nach der Befreiung den Anblick von Kindern; als Lagerälteste im Krankenbau hatte sie allzu oft mitansehen müssen, wie Babies und Kleinkinder von Sanitätern der SS mit Giftinjektionen getötet wurden. Sie konnte auch keine Musik vertragen, da sie immer an die Lagerkapelle erinnert wurde, welche beim Abtransport der Selektierten aus dem Krankenbau zu spielen hatte, um Klagen und Geschrei der zur Gaskammer Geführten zu übertönen.
Hermann Langbein (1987), S. 536.
Links
Webseite von Peter Wald.
Online verfügbar unter http://www.peter-wald.de/, zuletzt geprüft am 26.06.2019.
e-Government Hannover (2007): Drucksache Nr. 0706/2007. Straßenumbenennung im Stadtteil Südstadt. Hannover.
Online verfügbar unter https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/Drucksachen/E4B91FE91C2CA2E7C12572AD000E3003?OpenDocument, zuletzt geprüft am 26.06.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6w1OZLo1p.
Kreter, Karljosef (2014): Ehrengrab Orli Wald 1914–1962. Herausgegeben von der Landeshauptstadt Hannover. PDF-Datei (Flyer, 4 S.). Hannover: Landeshauptstadt.
Online verfügbar unter https://www.hannover.de/content/download/571130/13092351/file/Flyer+Orli+Wald%2C+Stand+Juli+2014.pdf, zuletzt geprüft am 26.06.2019.
VVN/BdA Hannover: Die Heldin von Auschwitz – Orli Wald-Reichert. Bitte Orli Wald-Reichert in Seitennavigation anwählen.
Online verfügbar unter http://hannover.vvn-bda.de/hfgf/, zuletzt geprüft am 26.06.2019.
WebCite®-Archivfassung: http://www.webcitation.org/6w1KKUqZY.
Wald, Orli: Brief (Seite 1) an Ester, die ebenfalls Auschwitz überlebt hatte.
Online verfügbar unter http://elladoron.akogan.de/orli%20wald1.jpg, zuletzt geprüft am 26.06.2019.
Wald, Orli: Brief (Seite 2) an Ester, die ebenfalls Auschwitz überlebt hatte.
Online verfügbar unter http://elladoron.akogan.de/orli%20wald2.jpg, zuletzt geprüft am 26.06.2019.
Hinweis: Zum Zeitpunkt der letzten Linkprüfung war die Webcite-Seite nicht erreichbar. AN
Literatur & Quellen
Adler, Hans G. (Hg.) (1988): Auschwitz. Zeugnisse und Berichte. Enthält: Das Taschentuch / Orli Wald-Reichert. Frankfurt am Main. Athenäum. (Athenäums Taschenbücher Die kleine weiße Reihe, Bd. 30) ISBN 3610046309.
(Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Hannoversche Frauen gegen den Faschismus (1983) Darin: S. 34-38. Hannover. Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, Bund der Antifaschisten Niedersachsen, Kreisvereinigung Hannover. (Antifaschistische Reihe, 5)
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Menzel, Manfred (2007): Orli Wald, 1914 - 1962. Die dramatische Lebensgeschichte einer außergewöhnlichen Frau. Hannover. Stadtarchiv.
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Schroeder, Hiltrud (1996): Sophie & Co. Bedeutende Frauen Hannovers ; biographische Portraits. 2. Aufl. Hannover. Fackelträger-Verl. ISBN 3-7716-1521-6.
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Steger, Bernd; Wald, Peter (2008): Hinter der grünen Pappe. Orli Wald im Schatten von Auschwitz – Leben und Erinnerungen. Neuausgabe. Hamburg. VSA-Verl. ISBN 978-3-89965-322-9.
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Wald, Peter (Hg.) (1989): Der dunkle Schatten. Leben mit Auschwitz ; Erinnerungen an Orli Reichert-Wald. Mit Texten von Orli Reichert-Wald, Bernd Steger und Günter Thiele. Marburg. SP-Verl. Schüren. ISBN 3-924800-57-X.
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Wald, Peter (2003): Nachrichten von Vater und Mutter. Eine Jugend im Zwiespalt 1936 - 1948. Orig.-Ausg., Erstdr., 1. Aufl. Oldenburg. Schardt. ISBN 3-89841-085-4.
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Wald, Eduard; Wald, Peter (2014): Auf halbem und auf ganzem Wege. Der lange Marsch eines deutschen Sozialisten zur Demokratie (1905 - 1978). Bremen. Donat. ISBN 9783943425369.
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