(Emmy Johanna Westphal)
geboren am 15. Februar 1898 in Ahrensbök bei Lübeck
gestorben am 17. Dezember 1944 in Los Angeles, Kalifornien
zweite Frau von Heinrich Mann
80. Todestag am 17. Dezember 2024
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Nelly Mann war eine Frau mit vielen Namen. Geboren als Emmy Johanna Westphal wuchs die uneheliche Tochter einer Dienstmagd bei ihrem Stiefvater Nicolaus Kröger in dem abgelegenen Fischerort Niendorf an der Ostsee auf. Über ihren leiblichen Vater gibt es nur Vermutungen, auch über ihre Kindheit und Jugend ist wenig bekannt. Erst 1929 wird sie zur Person der Zeitgeschichte, als der damals schon berühmte Schriftsteller Heinrich Mann in ihr Leben trat. Da wohnte sie bereits in Berlin und verdiente ihren Unterhalt als Barfrau im Bezirk Charlottenburg, dem damaligen Vergnügungsviertel der Stadt. Ihr Vorname lautete jetzt Nelly, den Nachnamen Kröger hatte ihr Stiefvater bereits 1921 auf ihrer Geburtsurkunde eintragen lassen. Den 27 Jahre älteren Heinrich Mann hatte sie in einer Bar kennengelernt. Anders als sein vier Jahre jüngerer Bruder Thomas hatte Heinrich Mann von jeher ein eher unkonventionelles Leben geführt und die geistige und moralische Enge im deutschen Kaiserreich stets abgelehnt. Sein Roman Der Untertan, eine schonungslose Abrechnung mit dem wilhelminischen Obrigkeitsstaat, hatte ihn in der Weimarer Republik zum viel gelesenen Autor gemacht; sein Roman Professor Unrat oder Das Ende eines Tyrannen war mit Marlene Dietrich verfilmt worden und wurde Anfang der 1930er Jahre unter dem Titel Der blaue Engel ein Welterfolg. Bereits ein Jahr vor Beginn seiner Liaison mit Nelly Kröger hatte Heinrich Mann seine Ehefrau Maria Kanová und die gemeinsamen Tochter Leonie in München verlassen und feierte nun in Berlin Erfolge als Bühnenautor.
Zunächst wurde die Beziehung zwischen der Barfrau und dem Schriftsteller nicht öffentlich. Sie besuchte ihn aber mehrfach bei seinen Arbeitsaufenthalten in Nizza und erzählte ihm dort ihre Lebensgeschichte, was ihn nach eigener Aussage zu seinem Roman Ein ernstes Leben inspirierte. Das Buch erschien Anfang 1933 und wurde wenig später von den Nationalsozialisten verboten. Der Roman handelt von einer jungen Frau, Tochter von Landarbeitern, die nach einer entbehrungsreichen Kindheit ihr Dorf an der Ostsee verlässt, um in Lübeck eine Lehre als Schneiderin zu machen. Sie verfällt einem windigen jungen Mann und folgt ihm nach Berlin, wo sie schwanger wird, in ein kriminelles Umfeld gerät und schließlich nicht nur ihr kleines Kind verliert, sondern auch in einen Mord verwickelt wird. Bevor sie sich nach der Flucht aus Berlin verzweifelt in die Fluten der Ostsee stürzen kann, wird sie am Schluss wundersam von einem menschenfreundlichen Wachtmeister gerettet. Obwohl die Handlung überwiegend fiktional ist, wurde sie später zur Grundlage der biographischen Literatur über Nelly Mann.
Als Gegner der Nationalsozialisten verließ Heinrich Mann schon im Februar 1933 Deutschland, um drohender Verhaftung zu entgehen. Nelly folgte ihm wenige Monate später ins Exil nach Südfrankreich und lebte mit dem Schriftsteller sieben Jahre in Nizza, wo sie am 9. September 1939 standesamtlich heirateten. Obwohl das Leben im Exil mit finanziellen Einschränkungen und rechtlicher Unsicherheit verbunden war, bezeichneten beide im Rückblick ihre gemeinsame Zeit in Frankreich als die glücklichste in ihrem Leben. Heinrich Mann wurde zur renommierten Galionsfigur des deutschsprachigen politischen Widerstands gegen Hitler in Frankreich. In sein 1936 erschienenes Buch Ihr seid gezeichnet. Es kommt der Tag, eine satirische Abrechnung mit dem nationalsozialistischen Deutschland, schrieb er eine Widmung für Nelly, seine „Gefährtin im Exil“. Sie begleitete ihn zu Kongressen und Tagungen, lernte Französisch und galt als ausgezeichnete Köchin, originelle Geschichtenerzählerin, als warmherzig und hilfsbereit. Das belegen viele Briefe von gemeinsamen Weggefährten aus dieser Zeit.
Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Frankreich mussten Nelly und Heinrich Mann 1940 erneut fliehen. Mit Hilfe der amerikanischen Hilfsorganisation Emergency Rescue Committee gelang es ihnen, unter abenteuerlichen Umständen illegal über die Pyrenäen nach Spanien zu flüchten, um dann in Lissabon auf eins der letzten Schiffe zu gelangen, die noch den Atlantik überquerten.
Anders als in Frankreich war Heinrich Mann in den USA gänzlich unbekannt. Sein Bruder Thomas, der bereits seit 1938 als erfolgreicher Schriftsteller in Amerika lebte, musste für den Unterhalt aufkommen, was ihm auch deshalb schwer fiel, weil er seine ungebildete Schwägerin Nelly strikt ablehnte. Aber sie war es, die mehr schlecht als recht Englisch lernte, um den Haushalt zu führen und die den Führerschein machte, um ihren Mann in der weitläufigen Stadt zu chauffieren. Sie besserte das geringe Haushaltseinkommen mit verschiedenen, immer schlecht bezahlten Jobs aus; so lieferte sie Milch aus, nähte Militäruniformen und arbeitete als Hilfskrankenschwester im Krankenhaus. Anerkennung erhielt sie dafür nicht, weder von Thomas Mann und seiner Familie noch von den Mitgliedern der deutschen Exilgemeinde in Los Angeles, die bereits in Frankreich aus ihren Vorbehalten gegen die ehemalige Bardame keinen Hehl gemacht hatten. Und Heinrich Mann, der das Gastland innerlich ablehnte und sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte, konnte seine Frau nicht mehr wie vormals in Frankreich schützen.
Die gesellschaftliche Isolation, ihre labile psychische Gesundheit und zunehmender Alkoholkonsum überschatteten Nelly Manns Leben immer mehr. Einer Freundin in New York berichtete sie im Oktober 1944 von ihrem Alltag. Dieser Brief, geschrieben in einem mit englischen Vokabeln durchsetzten Deutsch, ist das letzte schriftliche Zeugnis von ihr:
„Die Geschäfte gehen nicht wie anfangs erwartet, die Gelder kommen in kleinen Raten und großen Abständen. Dieses Jahr haben wir zu viele Ärzte- und Krankenhauskosten gehabt, als dass wir es zahlen können. […] Ich nurse im Hospital und habe mich bei der Nachtschicht […] so erkältet, dass ich im Bett liege und Schmerzen habe. […]. 10 Stunden nimmt mich täglich die Abreise, Arbeit und Heimreise in Anspruch, dann die Hausarbeit, Uniform waschen, auch typewriten für meinen Mann - und ihn selbst zu besuchen. Er ist 47 miles von unserem Haus und ich muss alles mit der Car allein fahren. Da ich nie normal lebe, ist alles anstrengend für mich und bin ich mit meiner Gesundheit nie gut. […] Ich arbeite wie ein Kuli.“
Nach vier zermürbenden Jahren, mehreren Selbstmordversuchen und Krankenhausaufenthalten brachte Nelly Mann sich schließlich am 17. Dezember 1944 mit einer Überdosis Schlaftabletten um. Ihren Mann ließ sie in grenzenloser Trauer zurück. Als dieser am 11. März 1950 starb, wurde er wie seine Frau auf dem Woodlawn Cemetery in Santa Monica begraben. 1961 ließ seine Tochter Leonie, die den Krieg im Prager Untergrund überlebt hatte, seine sterblichen Überreste in die DDR überführen. Dort wurde Heinrich Mann in einem Staatsakt auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof erneut beigesetzt. Sein Ehrengrab ist neben dem von Bertolt Brecht und Helene Weigel. Das Reihengrab seiner Frau Nelly hingegen befindet sich immer noch auf einem riesigen Gräberfeld in Santa Monica.
Jahre nach Nelly Manns Tod setzte in Deutschland die Legendenbildung über ihr Leben und Sterben ein, befeuert von Berichten zurückgekehrter Emigrantinnen und Emigranten, besonders aber von Thomas Mann und seiner Familie. Sie alle beteuerten öffentlich, allein die unangepasste und ständig betrunkene Ehefrau des Schriftstellers sei verantwortlich gewesen für Heinrich Manns Misere in den USA; sie habe mit ihren Eskapaden den alternden Schriftsteller in den Ruin getrieben. Romane und Biographien übernahmen das Klischee und fügten weitere abwertende Details hinzu. So wurde das bis heute gültige Porträt einer ordinären, dem Alkohol verfallenen Lebedame mit zahllosen Liebhabern geschaffen - eine veritable Männerphantasie. Neuere Forschungen allerdings weisen nach, dass viele der bisherigen Annahmen über Nelly Manns Werdegang, ihr Leben in Berlin und ihr Zusammenleben mit Heinrich Mann unzutreffend sind. Dokumente und Briefe zeigen eine unkonventionelle Frau, mutig und mit politischer Haltung, die in schwierigen Zeiten um Selbstbehauptung gekämpft hat und doch auch lebenslang auf der Suche nach Geborgenheit war.
(Text von 2023)
Verfasserin: Annette Lorey
Biografie von 1993 über Nelly Mann-Kröger von Marianne Krüll
Zitate
Lieber Heinrich, bedenke, als Du krank warst [...], ich habe Dich auch nicht in eine Anstalt gebracht! [...] Ich kann nicht denken an das, was ich die zwei letzten Jahre gelitten habe, und nur weil ich in meiner tiefsten Demütigung ein Glas Wein zu viel getrunken habe und oft betrunken war, habe ich nicht ganz meinen Verstand verloren. Nun will ich leben! Es ist ganz an Dir, daß wir in Güte und ohne noch mehr Aufsehen zu machen diese Angelegenheit ordnen. Sonst zwingst Du mich, etwas zu tun, was Dir bestimmt [...] leid tut.
(Brief vom 30. 1. 1944)
Literatur & Quellen
Literatur
Anger, Sigrid. Hg. 1977. Heinrich Mann 1871-1950. Werk und Leben in Dokumenten und Bildern. Berlin; Weimar. Aufbau.
Briefwechsel Heinrich Mann - Thomas Mann (2021). Hg. von Kathrin Bedenig und Hans Wißkirchen. Frankfurt am Main. ISBN 978-3-10-002262-2
Jasper, Willi. 1992. Der Bruder Heinrich Mann: Eine Biographie. München. Hanser.
Jasper, Willi (2007): Die Jagd nach Liebe. Heinrich Mann und die Frauen. Frankfurt am Main. ISBN 978-3-10-036720-4
Illies, Florian (2021): Liebe in Zeiten des Hasses. Frankfurt am Main. ISBN 978-3-10-397073-9
Juers, Evelyn (2012): House of Exile. The Life and Times of Heinrich Mann and Nelly Kroeger-Mann. London. ISBN 978-0-241-95420-1[Erstausgabe Giramondo Publishing 2008]
Jüngling, Kirsten (2008): Nelly Mann. Die Biographie. Berlin. ISBN 978-3-549-07269-1
Krüll, Marianne. 1991. Im Netz der Zauberer: Eine andere Geschichte der Familie Mann. Zürich. Arche.
Lahme, Tilmann (2015): Die Manns. Geschichte einer Familie. Frankfurt am Main. ISBN 978-3-10-002284-4
Lorey, Annette (2014): Nelly Mann - die „unglückliche Säuferin“? Überlegungen zur biographischen Wahrnehmung von Heinrich Manns zweiter Ehefrau, in: Heinrich Mann-Jahrbuch 32, S.103-126. Lübeck. ISBN 978-3-7950-5228-7
Lorey, Annette (2021): Nelly Mann. Heinrich Manns Gefährtin im Exil. Würzburg. ISBN 978-3-8260-7310-6
Mann, Heinrich (1991): Ein ernstes Leben. Frankfurt am Main. ISBN 3-596-25932-0 [Erstausgabe 1933]
Mann, Thomas (1977-1995): Tagebücher. Hg. von Peter de Mendelssohn [1933-1943] und Inge Jens [1944-1955]. Frankfurt am Main.
Seyppel, Joachim (1976): Abschied von Europa. Berlin und Weimar
Seyppel, Joachim. 1979. Abschied von Europa: Die Geschichte von Heinrich und Nelly Mann, dargestellt durch Peter Aschenbach und Georgiewa Mühlenhaupt. Berlin; Weimar. Aufbau.
Zeitungsartikel
Mann, Golo: Die Brüder Mann und Bertolt Brecht. Einige Klarstellungen zu den eben veröffentlichen „Arbeitsjournalen“, in: „Die Zeit“ vom 23.Februar 1973
Marcuse, Ludwig: Das sonderbare Ehepaar Nelly und Heinrich Mann, in: „Die Zeit“ vom 25. März 1960 [erneut abgedruckt in: Marcuse 1989]
Raddatz, Fritz J.: Armer Heinrich. Joachim Seyppels Geschichtsklitterung, in: „Die Zeit“ vom 2. April 1976
Seyppel, Joachim: Eine Antwort an Golo Mann. Wer war Nelly? Auskünfte über Heinrich Manns zweite Frau, in: „Die Zeit“ vom 2. März 1973
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