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geboren am 10. September 1982 in Kansas City (Missouri)
US-amerikanische Ballett-Tänzerin; Primaballerina am American Ballet Theatre (ABT)
40. Geburtstag am 10. September 2022
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
„Stellen Sie sich eine Ballerina in Spitzenschuhen und Tutu vor. Wie sollte sie wohl Ihrer Meinung nach aussehen?“
„Immer wieder sagen mir die Leute »aber wir sehen dich gar nicht als Schwarze«. Da frage ich mich, wie seht Ihr Schwarze denn, wenn ihr allen Ernstes glaubt, dass ich solch einen Kommentar als Kompliment auffassen soll?“
So wie der Titel ihrer Autobiographie „ An unlikely Ballerina“ erscheint Misty Copelands kometenhafter Aufstieg in der Tat als unlikely, als unwahrscheinlich. Misty wächst unter widrigen familiären Umständen mit sechs Geschwistern, einer unsteten Mutter und deren häufig wechselnden Partnern und Wohnorten auf.
Misty charakterisiert sich selbst als extrem nervöses und ängstliches Kind mit tiefen Versagensängsten. Ein Referat in der Schule löst Panikattacken aus. Aus Angst, zu spät in den Unterricht zu kommen, macht sie sich bereits Stunden vor Schulbeginn auf den Weg.
Nur wenn sie sich selbst in eine Bühnenpräsenz versetzt, fühlt sie sich stark und vollkommen sicher. Als Siebenjährige sieht sie im Fernsehen eine Dokumentation über die legendäre rumänische Turnerin Nadia Comaneci. Mit ihrem brillanten visuellen Gedächtnis und ihrer natürlichen physischen Begabung merkt sie sich die Bewegungsabfolgen und imitiert sie mühelos, ohne darüber nachzudenken. Zur Musik von Mariah Carey erfindet sie Choreographien, ohne dass sie dieses Wort zuvor je gehört hätte. Bald entwickelt sich daraus ein meditativer Rückzugsort vor dem familiären Chaos.
Mit dem Wechsel auf die Middle School wird sie durch ihre ältere Schwester zur Mitgliedschaft im Drillteam, der Schulmannschaft für Formationstanz, animiert. Misty weiß instinktiv, dass sie nicht nur Mitglied des Drillteams, sondern die Kapitänin sein will. Das Vortanzen dafür schafft sie spielend. Die Trainerin wird auf ihre außergewöhnliche Begabung und perfekten physischen Voraussetzungen für Tanz aufmerksam und stellt den Kontakt zu einer Freundin her, die in der Mittagsbetreuung der Schule Ballettunterricht anbietet. Misty folgt der Aufforderung unwillig. Die anderen Kinder der Ballettklasse schüchtern sie ein durch ihre professionelle Tanzkleidung und fortgeschrittenen Fähigkeiten. Die Leiterin, Cindy Bradley, erkennt sofort, dass sie ein Ausnahmetalent vor sich hat und lässt nicht locker, bis Misty an ihrem Unterricht teilnimmt. Zu diesem Zeitpunkt ist Misty bereits dreizehn, was für klassisches Ballett extrem spät ist.
Bis heute gehört der tägliche Ballettunterricht zu Misty Copelands festem Trainingsplan, den sie während ihrer gesamten Karriere, auch als Primaballerina, durchziehen wird. Nur so kann sie den späten Start kompensieren und ihren Standard halten. Die Verbindung zu Cindy Bradley ist prägend für Mistys Zukunft als Tänzerin. Die Bradleys verhelfen ihr zu Stipendien, melden sie bei Tanzwettbewerben an, so dass die Öffentlichkeit in Los Angeles auf die junge afro-amerikanische Tänzerin aufmerksam wird. Bei den Bradleys sieht sie Fernsehübertragungen des American Ballet Theatre und weiß sofort, dass sie dort tanzen will. 1997 gewinnt sie in der Rolle der Kitri aus Don Quixote den Los Angeles Music Center’s Spotlight Award. Das Kitri-Solo gilt als technisch sehr anspruchsvoll, und Misty meistert es nach noch nicht einmal zwei Jahren Training mit Bravour.
Nach diesem Erfolg bewirbt sie sich um die Teilnahme am Sommerprogramm der namhaftesten amerikanischen Ballettkompagnien wie das American Ballet Theatre, Dance Theatre of Harlem, Pacific Northwest Ballet, San Francisco Ballet und New York City Ballet. Sie erhält Einladungen zum Vortanzen von allen, außer von New York. Ihr wird bewusst, dass ihre Hautfarbe ein Thema ist. Eine verstörende Erfahrung macht sie als Gasttänzerin für die Rolle der Clara im Nussknacker bei einem Gastspiel in South Dakota. Der künstlerische Leiter bittet sie, so zu tun, als ob sie mit den anderen KandidatInnen am Vortanzen teilnähme, obwohl klar ist, dass sie die Titelrolle tanzen wird. Später erklärt er ihr, dass er diesen Schritt gehen musste, um der ausschließlich aus weißen TänzerInnen bestehenden Kompagnie klar zu machen, wie gut sie ist - obwohl sie schwarz ist.
Nach dem Erfolg beim Spot Light Award erhält Misty ein Stipendium beim San Francisco Ballet, ein Jahr später folgt das Sommerprogramm am American Ballet Theatre, gefolgt von einem weiteren Stipendium. Im Jahr 2000 wird sie Mitglied der Studio Company am American Ballet Theatre. Jetzt ist Misty da, wo sie hinwollte: beim ABT in New York. In der Studio Company trainieren sechs Tänzerinnen und sechs Tänzer, mit dem Ziel, ins Corps de Ballett aufzurücken. Im darauf folgenden Jahr schafft Misty diesen Schritt. Sie stellt fest, dass das Ballett fest in der Hand von reichen Weißen ist. Sie selber sticht sowohl mit ihrer Hautfarbe als auch ihrem sozialen Hintergrund hervor. Sie hatte als Kind kaum Berührung mit Kunst, Kultur, Theater - sie wuchs mit verschiedenen Stiefvätern, einer voll berufstätigen Mutter und fünf Geschwistern in einer schäbigen Mietwohnung auf. Sie fühlt sich wie ein „kleines braunhäutiges Mädchen in einem weißen Meer“.
Eine Wirbelsäulenfraktur zwingt Misty zu einer zwölfmonatigen Trainingspause. Als sie zum ABT zurückkehrt, ist sie neunzehn Jahre alt und hat den Körper einer Frau und nicht mehr die jungenhafte Figur wie vorher. Bei der künstlerischen Leitung löst das Irritation aus. Mehrfach wird Misty dazu aufgefordert, ihre „vorherige klassische Linie“ wiederzufinden. Da es heikel ist, einer ohnehin schon sehr schlanken und durchtrainierten Frau Gewichtsreduktion vorzuschlagen, bedient man sich beim ABT der verklausulierten Formulierung „to lengthen“, sich „zu strecken“. Anfangs reagiert Misty darauf empfindlich und ändert ihre Essgewohnheiten. Hungern kommt aber nicht in Frage, sonst steht sie das tägliche harte Training nicht durch. Sie nimmt also kein Gramm zu aber auch kein Gramm ab. Sie arbeitet immer intensiver an ihrer Technik, ignoriert den Druck von oben und irgendwann lässt die ABT-Leitung sie in Ruhe, da sie anerkennen müssen, dass sie einwandfrei tanzt, und dass ihre weiblichen Formen, ihre Kurven, ihr Busen und ihre Hüften Teil von ihr sind.
Danach beginnt Mistys nächster Kampf, als Ballerina in klassischen Rollen ernst genommen zu werden. Wegen ihrer Hautfarbe wird sie als „unpassend“ für Schwanensee oder Giselle angesehen. Diese Rollen gehören zum Genre des „weißen Balletts“, in welchem Geisterwesen eine zentrale Bedeutung haben - und diese müssen vollkommen weiß sein. Misty wird als Corps de Ballett-Mitglied bei solchen Vorführungen mit weißer Schminke sprichwörtlich angestrichen.
Ihr Ziel ist und bleibt, als Solistin klassische Rollen zu tanzen. Die ABT-Leitung vertröstet sie: sie sei genau die richtige Interpretin für zeitgenössische Choreographien. Misty gibt nicht auf, und ihre Hartnäckigkeit hat Erfolg. Nach sechs Jahren erkennt der künstlerische Leiter ihre Begabung und Fähigkeiten an und nominiert sie zur Solistin des ABT - die erste Solistin mit afro-amerikanischem Hintergrund in einem Elite-Ballett. Endlich fühlt sie sich als Künstlerin akzeptiert. Der Höhepunkt ihrer Karriere ist im Jahr 2012 die Hauptrolle als Feuervogel. Sie sieht sich selbst auf einem riesigen Werbeplakat an der Metropolitan Opera - sie, Misty Copeland, ist die erste schwarze Frau, deren Gesicht je an der Fassade der Met erschienen ist. Dennoch, neben dem rauschenden Erfolg muss sie rassistisch motivierte negative Kritiken einstecken. Misty erkennt, dass es Leute gibt, die sie einfach nicht als Ballerina sehen wollen, einzig und allein wegen ihrer Hautfarbe, und sie weiß, dass sie diese Leute nie wird überzeugen können, egal wie gut sie ist. Misty liebt das Ballett über alles, sie möchte diese Kunstform mit anderen teilen und vor allem Menschen und besonders Kindern nahe bringen, die sonst niemals die Chance hätten, mit Ballett überhaupt in Berührung zu kommen - nur weil sie nicht weiß sind!
Vor einer Aufführung von Dornröschen, in der sie ein Solo als Katze hat, schickt sie die Make-Up-Assistentin mit ihrem Topf weißer Schminke weg mit der Bemerkung „ich verstehe wirklich nicht, warum es nur weiße Katzen geben soll. Ich bin eine braune Katze!“.
Verfasserin: Karin Müller
Links
www.mistycopeland.com (5.1.2016)
https://de.wikipedia.org/wiki/Misty_Copeland (10.10.2015)
Literatur & Quellen
Misty Copeland: „life in motion. an unlikely ballerina”. Simon & Schuster 2014
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