Eduard Vuillard
(Marie Sophie Olga Zénaïde (genannt Misia) Godebska, verh. Sert, gesch. Natanson, gesch. Edwards)
geboren am 30. März 1872 in Sant Petersburg
gestorben am 15. Oktober 1950 in Paris
französische Pianistin, Muse, Freundin und Förderin zahlreicher namhafter KünstlerInnen in Paris
150. Geburtstag am 30. März 2022
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Seit meiner Diplomarbeit »Les Ballets Russes« hat Misia Sert mich nicht mehr losgelassen. Was war an ihr so faszinierend?
Misia Sert, das reiche, mal glückliche, mal unglückliche, in Polen geborene Kind, saß beim alten Liszt auf dem Schoß, musizierte mit Grieg und Fauré, hat dreimal geheiratet und durch das Geld ihrer Ehemänner die damalige Kunstszene äußerst großzügig unterstützen können. Sie wurde von vielen Malern der Zeit porträtiert, Komponisten widmeten ihr ihre Werke, und Schriftsteller ließen sie in Romanen und Theaterstücken aufleben. In ihrem Salon verkehrte Tout-Paris, und Misia war eine von denen, die die Belle Epoque zu der schillernden Zeitspanne machten, die wir heute kennen.
Am Ende ihres Lebens änderte sich alles: Frankreich darbte unter deutscher Besatzung, und Misia, die so gar nichts für den Nationalsozialismus übrig hatte, sympathisierte mit der Resistance. Wie im 1. Weltkrieg Ambulanzen zur Unterstützung der Verletzten zusammenzustellen, das überstieg jedoch längst ihre Kräfte. Nach dem Krieg verfiel sie immer mehr der Morphiumsucht, starb 1950 blind und vereinsamt in Paris. Ihre Lebensfreundin Gabrielle bettete sie auf Rosen und sorgte dafür, dass die ehemalige »Königin von Paris« ein stilvolles Begräbnis erhielt.
Ein Leben also, dermaßen prall gefüllt mit den unterschiedlichsten Facetten von Glück und Unglück, von Armut und Reichtum, von Liebe und Abhängigkeit – das ist für uns Nachgeborene eine überreiche Fundgrube. Was lässt sich da alles nachlesen und recherchieren.
Und nun endlich soll es nur um Misia gehen, um sie als Mittelpunkt dieser Geschichte. Denn das wurde mir im Laufe der Zeit bewusst: Auch Misia Sert ist Teil dieser großen Gruppe von Frauen, die eine Gemeinsamkeit haben – sie alle sind die »Mutter/Tochter/Schwester/Ehefrau/Muse/Geliebte von …«. Das trifft auf Fanny Hensel[1] zu, auf Clara Schumann[2], auf Artemisia Gentileschi[3], auf Clara Rilke[4] und viele andere. Obwohl all diese Frauen selbst Großes geleistet haben, werden sie meist in Verbindung mit ihren Brüdern/Ehemännern/Vätern genannt. Nun drehe ich den Spieß um.
Misia und Gabrielle – eine Frauenfreundschaft mit Höhen und Tiefen
Auf ein Bett aus weißen Rosen hat Gabrielle ihre tote Freundin Misia gelegt. Ganz in Weiß gekleidet, mit einer rosa Seidenschleife und mit Juwelen geschmückt – so empfing die einstmalige »Königin von Paris« dann den Abschiedsbesuch vieler Freunde und Bewunderer.
Gabrielle – das ist Coco Chanel. Die beiden Frauen hatten sich kennengelernt während der Entstehung des Ballettes »Parade« im Jahre 1917.
Anlässlich eines Abendessens bei einer Schauspielerin saß Coco, damals Mitte dreißig, neben Misia, und die beiden Frauen mochten sich sofort. Coco stand noch am Anfang ihrer Karriere als Modedesignerin und Unternehmerin, war liiert mit der großen Liebe ihres Lebens, dem Briten Arthur »Boy« Capel. Misia hingegen war längst Mittelpunkt der Pariser Salon-Szene, zum zweiten Mal verheiratet (mit dem Millionär Alfred Edwards), aber schon die Geliebte des spanischen Malers Josep Maria Sert, der wiederum die große Liebe ihres Lebens war.
Die beiden Frauen sollten ihr Leben lang befreundet bleiben, halfen sich durch schwierige Zeiten, waren aber oft auch Konkurrentinnen[5], vor allem wenn es um die Entdeckung und Gönnerschaft aufstrebender Künstler oder um die Unterstützung wichtiger Projekte ging.
Misia, die zehn Jahre Ältere, konnte in der Anfangszeit ihrer Freundschaft Gabrielle den Zutritt zur besseren Pariser Gesellschaft ermöglichen. Sie sorgte dafür, dass Coco die Kostüme zu Cocteaus Antigone-Inszenierung und zu »Le Train Bleu«[6] der Ballets Russes entwarf.
Misia lud Coco zu einer Urlaubsfahrt nach Venedig ein, und durch Misia lernte Coco Stravinsky kennen - eine nicht ganz durchschaubare Liebesgeschichte nahm ihren Lauf.
Auch die Idee zum berühmten Parfüm Eau de Chanel, aus dem bald Chanel No.5 wurde, entstand bei einem gemeinsamen Gläschen Sekt der beiden Freundinnen.
Später werden sich die Rollen der Frauen umkehren, und Misia wird die längst erfolgreiche Coco bei deren Hollywood-Besuchen begleiten.
Als Misia 1950 mit 78 Jahren stirbt, ist Coco 67 Jahre alt und wird noch über 20 Jahre erfolgreich an ihrem Modeimperium arbeiten.
Misia Godebska
Misia wird 1872 in Sankt Petersburg geboren. Eigentlich bewohnten ihre Eltern zu dieser Zeit eine große Villa in der Nähe von Brüssel. Was nun aber folgt, könnte man »Theater des Lebens« nennen. Misias Eltern waren einander eigentlich sehr zugetan. Der Bildhauer Cyprien Godebski hatte sich in die Tochter seines Auftraggebers verliebt, in die 22-jährige Eugénie Sophie Servais. Deren Vater Adrien war zu Lebzeiten ein weltberühmter Cellist, und die Familie Servais führte ein gastfreies Haus, in dem ab ihrer Hochzeit im Jahre 1865 auch das junge Ehepaar Godebski lebte. Zwei Söhne kamen zur Welt, Franz und Ernest, und schließlich reiste der erfolgreiche Bildhauer Cyprien Godebski nach Russland, um dort den Sommerpalast der Fürstin Jussupoff auszuschmücken. Seine Ehefrau blieb mit den beiden kleinen Jungen in Belgien und bemerkte kurz darauf ihre erneute Schwangerschaft. Cyprien war in Russland bei der Familie seiner Schwiegermutter untergekommen. Mit der äußerst attraktiven, jüngeren Schwester dieser Schwiegermutter hatte der weitgereiste Bildhauer bald eine Affäre, und die unterdessen hochschwangere Eugénie brach mitten im Winter nach Sankt Petersburg auf, um ihren untreuen Ehemann zur Vernunft zu bringen. Kaum dort angekommen, begannen die Wehen und sie brachte ihr drittes Kind zur Welt – Maria Sophie Olga Zénaïde Godebska, genannt Misia.
Eugénie überlebte diese Geburt nicht. Einige Zeit blieb das neugeborene kleine Mädchen in Russland beim Vater, der aber keine Zeit verlor und sich in die nächste Liebesgeschichte stürzte. Er heiratete die vermögende, künstlerisch begabte Witwe und zweifache Mutter Matylda Natanson. Daraufhin wurde Misia zurück zur Großmutter mütterlicherseits gebracht, Sophie Servais, die – voll der Trauer um die verstorbene Tochter – das kleine Mädchen gerne aufnahm.
Die folgenden Jahre verbrachte Misia also in dem Haus, in dem auch schon ihre Mutter eine glückliche Kindheit verlebt hatte. Die Servais-Villa schien mit Musik imprägniert zu sein, mehrere Flügel waren vorhanden, die nur äußerst selten nicht zum Klingen gebracht wurden. Misias Cello spielender Großvater war zwar schon einige Jahre zuvor gestorben, jedoch behielt Sophie Servais auch als Witwe die Gewohnheit bei, ihr Haus für Freunde und deren Freunde offen zu halten. Das kleine Mädchen wurde liebevoll gekleidet, hatte viel Freiraum und immer einen Schoß, auf den es klettern konnte.
In diesen sorgenfreien Jahren besuchte auch Franz Liszt das Haus Servais. Dort hatte man unlängst festgestellt, dass die hübsche, kluge und lebhafte kleine Misia auch musikalisch sehr begabt war und nach kürzester Zeit schon erstaunlich gut Klavier spielen konnte. Liszt nahm sie auf seinen Schoß und dort thronend ließ die Kleine ein paar Takte aus einer Beethoven-Sonate erklingen. Der größte Pianist seiner Zeit, damals bereits ein alter Herr, war ehrlich beeindruckt und drückte Misia an sein von Warzen übersätes Gesicht.
Leider hielt diese Idylle nicht lange. Denn Cyprien Godebski zog in Misias achtem Lebensjahr mit seiner zweiten Ehefrau Matylda von Warschau nach Paris und nahm nun die drei Kinder aus erster Ehe zu sich. Nur eine einzige Tatsache an dieser für sie lebensverändernden Entscheidung gefiel Misia wirklich sehr: Sie bekam einen drei Jahre jüngeren Halbbruder, Cipa, von dem sie sich von nun an nie mehr für längere Zeit trennen sollte – bis zu Cipas Tod im Jahre 1937.
Misia und Cipa – Geschwister unter schwierigen Umständen
Acht Jahre ist Misia also alt, als sie ihren fünfjährigen Bruder Cipa in Paris kennenlernt. Dieser wurde von seiner Mutter mit Zuwendung überschüttet, kam er doch mit einem verkürztem Arm und einem ebensolchen Bein zur Welt. Misia hingegen wurde für das nächste halbe Jahr in einem Pensionat untergebracht und ab da von einem vorübergehenden Fürsorgeplatz in der weitverzweigten Familie zum nächsten weitergereicht, um schließlich in der Klosterschule Sacré-Cœur zu landen.
Als dann Cipas Mutter, also Misias Stiefmutter Matylda, früh verstirbt und der gemeinsame Vater erneut heiratet, verbindet Misia und Cipa das gleiche Schicksal: Sie waren nun beide Stiefkinder einer ungeliebten und nicht besonders mütterlichen Stiefmutter.
Als die beiden erwachsen waren und eigene Partner gefunden hatten, behielten sie engen Kontakt; Cipa ist auf mehreren Bildern mit Misia abgebildet und an seinem typischen Profil leicht zu erkennen.
Als Misia und ihr erster Ehemann Tadeusz Natanson das zwar heiß geliebte, aber für ihre Bedürfnisse zu kleine Landhaus La Grangette schweren Herzens verkaufen wollten, sprang Cipa in die Bresche und übernahm es 1897. So konnte das hübsche, verwunschene Anwesen in der Familie bleiben; und als in den Folgejahren Cipas Kinder Mimi und Jean zur Welt kamen, füllte sich das Haus mit Leben.
Misia betete die beiden Kinder an und mochte Cipas polnische Frau Ida sehr.
Dort, in La Grangette, war auch häufig Maurice Ravel zu Gast, der ebenfalls gerne mit den Godebski-Kindern spielte. Er erzählte ihnen Geschichten, beschenkte sie einfallsreich und komponierte für die beiden »Ma mère l’Oie« (Mutter Gans). Misia fiel die Aufgabe zu, das doch recht schwere neue Werk mit den Kindern zu üben.
Misia und Cipa hatten gemeinsame Freunde in der Musik-, Literatur- und Kunstszene. Beide interessierten sich für beinahe alle Sparten der Kunst, vor allem auch für die modernen Strömungen innerhalb dieser. So kam es, dass die beiden gemeinsam drei große Kämpfe bei der Verteidigung und Einordnung von »Ubu roi«, »Le Sacre du printemps« und »Parade« führten.
1896: Das Stück »Ubu roi« (König Ubu) von Alfred Jarry sorgte für stürmische Episoden in der Theatergeschichte. Die Bühnenbilder schufen Bonnard, Vuillard, Toulouse-Lautrec, Sérusier und Ranson; die Musik stammte von Claude Terrasse.
Die Aufführung des neuen Werkes sollte der erste Theaterskandal werden, den Misia miterlebte.
Im Grunde als Parodie auf Machtgier und Tyrannei angelegt, setzte das Werk durch den monotonen Sprachstil, die Deformation wichtiger Wörter und eine übertriebene Maskierung der Akteure bis dahin unbekannte Akzente.
1913: Ähnliches geschah beim Ballett »Le Sacre du printemps« (Frühlingsopfer) des Komponisten Igor Stravinsky. Der geniale Tänzer Vaslav Nijinsky erschuf in mühsamer Kleinstarbeit die Choreografie auf diese neuartige, sehr rhythmische Musik. Bei der Uraufführung durch Diaghilevs Ballets Russes war das Publikum entsetzt über die revolutionäre, primitiv anmutende Tanzszenerie. Das Werk sollte Stravinsky zur Berühmtheit machen und gilt als Schlüsselwerk der Neuen Musik.
1917: Und schließlich »Parade«. Das Ballett in einem Akt nach Jean Cocteaus thematischem Gerüst und mit der Musik von Eric Satie wurde ebenfalls für die Ballets Russes erschaffen. Das Bühnenbild entwarf Pablo Picasso, die Choreografie stammte von Leonide Massine, und Ernst Ansermet dirigierte. Hochkarätigeres war zur damaligen Zeit nicht möglich. Das Bühnenspektakel entfachte, wie 20 Jahre zuvor »Ubu roi«, einen veritablen Skandal. Die kubistischen Figuren auf der Bühne, die in die Musik verwobenen Geräusche, der erste in Europa komponierte Ragtime und die überaus enge Verbindung von Malerei, Tanz, Sprache und Mimik überforderten im ersten Anlauf das Publikum, verhalfen auf der »Langstrecke« jedoch zur Unsterblichkeit. Apollinaire erfand für dieses Ballett das neue Adjektiv »surrealistisch«, um auszudrücken, dass die poetische Realität durch ihre gebündelte Intensität eine kraftvollere Ausdrucksmöglichkeit hat als die Realität selbst. Als Folge seiner Arbeit an »Parade« wurde Eric Satie in die Dada-Bewegung aufgenommen.
Misia und ihre Stiefmutter Matylda
Beziehungen zwischen Kindern und neuen Partnern der Eltern sind selten einfach, manchmal bereichernd für alle Seiten, aber sehr häufig durch Vorurteile und mangelnde Empathie belastet. Nicht anders scheint das in diesem Falle gewesen zu sein. Misia war im Hinblick auf Materielles, aber auch auf Intellektuelles, ein äußerst verwöhntes und altkluges kleines Mädchen. Und mit der Erfahrung von gerade einmal acht Lebensjahren, die bis zu diesem Zeitpunkt hauptsächlich von ihr sehr zugetanen Menschen geprägt waren, hatten Misia und ihre beiden leiblichen Brüder Ernest und Franz eine schwere Zeit vor sich. Matylda war eine kühle Stiefmutter und schenkte ihre ganze Zuneigung Cipa, was Misia diesem erstaunlicherweise nicht übelnahm. Der ältere Bruder Franz wurde sofort ins Internat geschickt, die beiden verbliebenen Geschwister Misia und Ernest traten der neuen, an ihnen wenig interessierten, Stiefmutter mit einer großen Portion Trotz entgegen. Was nicht ganz in dieses Bild passt, ist die Tatsache, dass Matylda den beiden Kindern schnell sehr gute Klavierlehrer suchte; vermutlich war sie beeindruckt von der durchaus außergewöhnlich zu nennenden Musikalität, die vor allem Misia auszeichnete und nicht unbemerkt bleiben konnte.
Diese mit Musik ausgefüllten Stunden waren für Misia Lichtblicke in jener ersten Zeit im neuen Heim. Denn sonst gab es nur Trostloses zu berichten. Die selbständige und sehr gerechtigkeitsliebende Misia beobachtete mit Argusaugen, wie schlecht und demütigend Ernest von den Eltern behandelt wurde. Sie beschloss davonzulaufen und brach mit wenigen Sous in der Tasche auf. Natürlich war diesem Unterfangen kein Erfolg vergönnt, ganz im Gegenteil. Denn nachdem man die kleine Flüchtige gestellt hatte, beschloss Matylda Godebska, auch die beiden verbliebenen Kinder ihres Ehemannes in Internate zu stecken. Für Misia bedeutete das – nach einem Umweg über mehrere »Zwischenstationen« innerhalb der weitverzweigten Familie – schließlich den Eintritt in die Klosterschule der Schwestern von Sacré-Cœur.
Einmal im Monat war ein Besuch bei den Eltern gestattet; da traf sie dann Cipa und konnte mit ihm über die vielen neuen Eindrücke sprechen. Die Godebskis besaßen mittlerweile ein Haus in der Rue de Prony, ganz in der Nähe des Parc Morceau. Dort residierten sie mit großer Gastlichkeit und ständig vollem Salon. Misia gefielen die Festlichkeiten, und auf diesem Wege lernte sie auch Gabriel Fauré kennen. Dieser erklärte sich gar bereit, Misia jede Woche eine Klavierstunde zu geben.
Die Kinder durften an den Abendessen teilnehmen, die die Eltern für Tout-Paris gaben, aber sie mussten bei Tisch schweigen, wie dies zu jener Zeit in gutem Hause üblich war. Den Unterhaltungen folgten sie gebannt, vermutlich war nicht alles Gehörte jugendfrei, und Misia und Cipa hatten genug Gesprächsstoff.
So gingen ein paar Jahre ins Land. Als Misia fünfzehn war, starb ihre Stiefmutter ganz plötzlich. Überrascht stellte sie fest, dass Matylda ihr 300.000 Francs und einige prachtvolle Brillanten hinterlassen hatte. Dies könnte den Schluss zulassen, dass Misia ihre Stiefmutter wesentlich weniger mochte, als das umgekehrt der Fall war.
Misia Natanson
Misia war noch keine 10 Jahre alt, da besuchte sie hin und wieder mit ihrer Stiefmutter Matylda deren Schwager Adam Natanson. Der reiche polnisch-jüdische Bankier war ein Bruder von Matyldas erstem Mann und lebte mit Frau und drei Söhnen seit kurzer Zeit in Paris. Misia mochte das dortige familiäre Ambiente und fühlte sich sehr wohl in der Atmosphäre, die die gebürtige Russin Madame Natanson zu schaffen wusste und die sie sehr an ihre Großmutter und deren Haushalt in Belgien erinnerte. Nach dem Tod ihrer Stiefmutter verlor Misia die Natanson-Brüder aus den Augen. Erst einige Jahre später – Misia hatte unterdessen mehrere Monate alleine in London verbracht und war wieder zurück in Paris, wo sie mit Klavierstunden Geld verdiente –, traf man sich mehr oder weniger zufällig wieder. Thadeusz Natanson, der mittlere der drei Natanson-Brüder, interessierte sich sehr für diese junge Frau, die so eindeutig die üblichen Gepflogenheiten missachtete. Im Frankreich dieser Jahre war es für eine junge Dame der guten Gesellschaft sehr ungewöhnlich, eigenes Geld zu verdienen und nicht mehr bei den Eltern, aber auch noch nicht mit einem Ehemann zu leben. Die beiden jungen Leute trafen sich häufiger, und Misia interessierte sich ehrlich für die Zeitschrift »La Revue Blanche«, die Thadeusz mit seinen Brüdern 1889 gegründet hatte.
Die literarisch-künstlerische Zeitschrift La Revue Blanche existierte bis 1903. Sie erschien sechsmal im Jahr und war als Gegenentwurf zum Mercure de France gedacht, der mit lilafarbenem Umschlag erschien. So entstand auch der Name - die weiße Zeitschrift. Sowohl hinter dem lilafarbenen als auch hinter dem weißen Umschlag wurde eine Mischung aus Politik, Kunst, Musik und Skandalen veröffentlicht. Viele bis heute bekannte Namen arbeiteten bei der Revue mit oder gaben dort ihr Debut: Guillaume Apollinaire, Tristan Bernard, Pierre Bonnard, Léon Blum, Claude Debussy, André Gide, Paul Claudel, Cipa Godebski, Alfred Jarry, Octave Mirbeau, Marcel Proust, Henri de Toulouse-Lautrec, Paul Verlaine und andere. 1898 verteidigte die Zeitschrift mit aller Kraft Alfred Dreyfus, der zu Unrecht wegen Landesverrates verurteilt worden war.
Man verstand sich als Sprachrohr der gebildeten, moralisch und künstlerisch interessierten Gesellschaft. Obwohl die Revue kaum länger als zehn Jahre bestand, kam der Zeitschrift bei der gesellschaftlichen Entwicklung dieser Jahre eine sehr wichtige Funktion zu. Die Inhalte wurden engagiert aufbereitet, gut in Worte gefasst und deckten den Großteil des damals Wichtigen ab.
Misia war mehrmals auf dem Titel abgebildet, bekannt ist vor allem eine Ausgabe von 1895 mit der berühmten Zeichnung von Toulouse-Lautrec »Misia als Schlittschuhläuferin«.
Schon nach kurzer Zeit hielt Thadée, wie Misia ihn nannte, um ihre Hand an. Vermutlich lag ein Grund für Misias Zusage auch im Tod ihrer Großmutter im Jahre 1892; obwohl man sich selten sah, war diese doch die einzige liebevolle Mutterfigur, die Misia jemals hatte. Nun begann also ein neuer Abschnitt ihres Lebens, eine eigene Familie. Auch wenn von Misias Seite die Leidenschaft nicht an erster Stelle stand, man tat sich gegenseitig sehr gut. Misia und Thadée waren schließlich beide Außenseiter; sie hatte sich ungestüm befreit von familiären Fesseln, und er kämpfte als reicher Jude um die Anerkennung innerhalb der Gesellschaft. Am 25. April 1893 wurde Hochzeit gefeiert und das junge Paar zog in die Nähe der Place de la Concorde.
Misia liebte ihr neues Leben wohl mehr als ihren sehr in sie verliebten Ehemann. Um die Natansons herum entstand einer der interessantesten, abwechslungsreichsten Künstlerkreise, die es in der sowieso schon quirligen und lebendigen Metropole Paris gab. Durch Thadées Vermögen konnten die beiden junge Künstler unterstützen, deren Gemälde kaufen und ihre Wohnräume ausstaffieren lassen. Besonders Edouard Vuillard hat Misia sehr oft in ihrem Lebensumfeld gemalt.
(Als Thadée 1908 in finanzielle Schieflage geriet verkaufte er 19 Bonnards, 27 Vuillards, 7 Roussels und einige Cézannes, Redons, Vallottons und Seurats.)
Das Paar lebte ein öffentliches und doch selbstbestimmtes Leben. Sie gingen oft ins Theater, begeisterten sich einerseits für Sarah Bernhardt und andererseits für Henrik Ibsen, sie besuchten gerne Konzertcafés und das Vélodrome.
Die Revue Blanche war in diesem neuen Lebensabschnitt für Misia eine gute Möglichkeit, um ihre nicht besonders fundierte Schulbildung aufzupolieren. Sie las über Politik, Jura, Philosophie, Dichtung und Geisteswissenschaften. Mit Thadée konnte sie sich austauschen und erwarb sich so eine erstaunliche Allgemeinbildung.
Und noch immer spielte Misia sehr gerne und ausgezeichnet Klavier, ab und zu in öffentlichen Konzerten, immer mit positiven Kritiken.
Ein wichtiges Ereignis dieser Jahre war die Weltausstellung von 1900 und ein weiteres der Dreyfus-Skandal. Letzterer verhalf Thadée zu einer kritischen Einstellung gegenüber dem Kapitalismus. Er skizzierte ausufernde Pläne zur Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse und vernachlässigte immer mehr die Arbeit an der Revue blanche. Die finanzielle Lage wurde immer kritischer. Schließlich hatte Thadée sich völlig in verschiedene Projekte verrannt und all sein Geld verloren. Eine Tragödie bahnte sich an.
Misia Edwards
Die Rettung in der Not schien der wie aus dem Nichts aufgetauchte Alfred Edwards zu sein. Von heute auf morgen war er in Paris das Tagesgespräch Nummer eins. Reich, vulgär, in Ansätzen gewalttätig, hartnäckig und sehr von Misia angetan war er. Diese fand ihn abstoßend, was Monsieur Edwards erst recht faszinierte. Nach kürzester Zeit machte er ihr offiziell den Hof und versuchte mit Thadeusz ins Geschäft zu kommen – ein zweifelhaftes und moralisch bedenkliches Geschäft. Misia versuchte energisch, aber vergebens, ihren Ehemann von diesem Handel abzubringen.
Kurz gesagt: Nach mehreren schmerzvollen Jahren des Hin und Hers hatte Misia schließlich 1905 einen neuen Ehemann an ihrer Seite, und im Gegenzug wurde Thadeusz Natanson vor dem Bankrott bewahrt.
Edwards überschüttete seine Frau mit Brillanten, las ihr jeden erdenklichen Wunsch von den Augen ab und bot ihr in vieler Hinsicht ein Leben in Saus und Braus. Aber er hielt sie auch von vielem fern, sperrte sie manchmal sogar ein, wenn er selbst das Haus verließ. Seine Besitztümer waren in Misias Augen äußerst oberflächlicher Natur, denn Edwards liebte nicht die Dinge, sondern nur ihren materiellen Wert. Sie, Misia, war da ganz anders. Gegenstände konnten ihr Geschichten erzählen, erinnerten an Begegnungen oder verbanden sie mit weit entfernten geliebten Menschen.
Ein Geschenk gefiel ihr aber wirklich. Edwards überließ ihr die »Aimée«, ein 35m langes Hausboot mit Salon, Speisesaal und mehreren Kabinen. Ein Kapitän und fünf Besatzungsmitglieder gehörten zum Präsent dazu. Sie machten einige Kreuzfahrten mit der »Aimée«, immer mit vielen Freunden an Bord, zum Beispiel nach Trouville, aber auch auf belgischen, holländischen und deutschen Kanälen.
1906 lernte Edwards eine junge Schauspielerin kennen, die zu seiner nächsten Obsession wurde. 1908 blieb Misia also alleine zurück, ausgestattet mit einem monatlichen Scheck in stattlicher Höhe. Die Scheidung wurde im Frühjahr 1909 ausgesprochen.
Misia Sert
Da hatte Misia schon den spanischen Maler José-Maria Sert wiedergetroffen, den sie von einer ihrer Reisen auf der »Aimée« kannte. Seit zehn Jahren lebte er in Paris und hatte schnell einen festen Platz in der mondänen Gesellschaft der französischen Hauptstadt eingenommen.
Sert war drei Jahre jünger als Misia, stämmig, eher klein, verschwenderisch und freigebig. Wie ein lange erhoffter Platzregen überschwemmte er ihr Leben. Gebildet wie er war, konnte er Misia, die nichts mehr hasste als langweilige Gespräche, sofort für sich einnehmen. Sehr schnell verband die beiden eine Affäre, die auch voller körperlicher Leidenschaft war – für Misia eine erstaunliche, neue Erfahrung.
Sie reiste 1908 mit ihrem Liebhaber auf seine Einladung hin nach Rom, wo dieser sie als Reiseführer und Lebemann gründlich beeindruckte.
Bei ihrer Rückkehr nach Paris war für Misia klar, dass ihre Beziehung zu dem charmanten, großzügigen, ungestümen und auch durchaus erfolgreichen Maler eine Zukunft haben würde.
1909, wenige Tage nach der offiziellen Scheidung von Edwards, starb Misias Vater. Wie ihre beiden ersten Ehemänner war er in ihrem Leben eher eine Enttäuschung gewesen. Nun hoffte sie, wenigstens im dritten Anlauf der Partnerwahl ein gutes Los gezogen zu haben.
Sert polarisierte als Künstler, war doch seine Art zu malen eher ungewöhnlich. Man traf ihn nie an der Staffelei an, sondern immer mit einem Skizzenblock, auf dem er seine großformatigen Wandmalereien vorbereitete. Der große Wurf gelang ihm mit dem »Sert-Saal« im Hotel Waldorf-Astoria in New York.[7]
Keinen Gefallen tat Misia ihrem neuen Partner, als sie auch ihn als Bühnen- und Kostümbildner für eines von Diaghilevs Balletten unterbrachte. Obwohl Misia lange davon überzeugt war, dass ihr José der große spanische Maler war, konnte er beim direkten Vergleich mit Picasso, der ein Ballett ausgestattet hatte, das nur 12 Tage zuvor auf die Bühne gekommen war, unmöglich bestehen.
Misia und Sert werden erst 1920 heiraten, da sind sie schon seit 12 Jahren ein Paar. Nicht noch einmal genauso lange wird die Ehe halten, denn 1925 tritt die georgische Prinzessin Roussy Mdivani in das Leben der beiden Ehepartner. Roussys Stammbaum ist nicht ganz zu entschlüsseln, vermutlich hat es hauptsächlich der Titel »Prinzessin« der jungen Georgierin angetan. Sie wickelte Sert um den Finger, und auch Misia erlag ihrer Anhänglichkeit. Eine ganze Zeit lang gestand sich Misia nicht ein, was da vor sich ging. Vermutlich sah sie in Roussy auch ein wenig die Tochter, die sie nie hatte. Aber selbstverständlich kam das, was kommen musste. Ende 1927 wurden die Serts geschieden, 1928 heiratete Sert Roussy. Es sollte aber noch viele Monate dauern, ehe das neue Ehepaar einerseits und Misia andererseits voneinander entfernt zur Ruhe kamen.
Misia, Diaghilev und »Les Ballets Russes«
1909 war auch das Jahr, in dem zum ersten Mal Les Ballets Russes[8] in Paris auftraten. Durch Sert lernte Misia den Impresario Sergej Diaghilev kennen, der seit einiger Zeit alles daransetzte, russische Kunst und Musik in Paris bekannt zu machen. Die Ballets Russes waren sein größter Coup. Und Misia teilte seine Leidenschaft.
Was Diaghilev an finanziellen Mitteln fehlte, machte er durch Redegewandtheit und einen unbestechlichen Blick für Talente wett. Misia war sofort begeistert und unterstützte ihn großzügig.
Alle Beteiligten fieberten der ersten Vorstellung der Ballettkompanie am 19. Mai 1909 entgegen. Selbstverständlich erhoffte man ein volles Haus, begeistertes Publikum und gute Kritiken. Auf den nicht anders als überwältigend zu nennenden Erfolg jedoch war wohl keiner vorbereitet. Unzählige Vorhänge waren nötig, um den Applaus zu bändigen. Paris lag seinen neuen Idolen zu Füßen. Michel Fokine, Tamara Karsawina, Anna Pawlowa und vor allem Vaclav Nijinsky wurden gefeiert wie Popstars.
Auch die folgenden Programme sollten unvergesslich werden. Les Ballets Russes wurden quasi über Nacht weltberühmt. In ihrem Kielwasser formte sich eine neue gesellschaftliche Gruppierung: die Freunde der Ballets Russes. Misia war deren Mittelpunkt, und ihr Salon wurde zum inoffiziellen Hauptquartier. Dort gingen neben den TänzerInnen, Choreographen, Musikern und Komponisten auch begeisterte AnhängerInnen ein und aus.
In den folgenden Jahren wurde das Pariser Publikum mit einer Fülle exotischer, schillernder und neuartiger Ballette beschenkt. Die technischen Fertigkeiten der Tänzer und die neuen Ballettkompositionen von Stravinsky, Debussy u. a. waren etwas derartig Anziehendes, dass das Publikum auf erstaunlich lange Zeit in ihren Bann gezogen wurde. Misia hatte Diaghilev endlich davon überzeugen können, auch französische Komponisten um Ballettmusiken zu bitten. Diaghilev selbst wollte ursprünglich nichts auf der Bühne sehen und hören, das nicht russischen Ursprungs war.
Misia stellte häufig einen ruhenden Pol dar im meist brodelnden Miteinander der russischen Künstler. Vor allem zwischen Stravinsky und Diaghilev hat sie mehrmals vermittelnd eingegriffen und so vermutlich auch einen gar nicht geringen Anteil an der Entstehung mancher Meisterwerke. Und Misia war Diaghilev eine wichtige Gesprächspartnerin, oft allerdings nicht ganz selbstlos, wenn sie versuchte, einen ihrer Schützlinge in den Kreis der Ballets Russes einzuschleusen. Am eindrucksvollsten gelang ihr das beim Ballett »Parade«. Satie, Cocteau und Picasso konnten so den russischen Olymp erklimmen. Natürlich gereichte dies Diaghilev nicht zum Nachteil, denn »Parade« schrieb Ballettgeschichte.
Was nicht direkt nach außen drang, waren die finanziellen Schwierigkeiten, die Diaghilev nach wie vor hatte. Die Inszenierungen waren spektakulär, viele Tänzer, Musiker, Bühnenbildner usw. mussten bezahlt werden. Misia sprang immer wieder ein. Nach der Scheidung von Edwards erhielt sie von ihm noch immer eine recht großzügige Apanage. Sie befürchtete jedoch, dass diese wegfallen würde, sollte sie wieder heiraten.
Glücklicherweise war nun auch ihr dritter Ehemann vermögend, und so konnte Misia weiterhin Feste feiern, Bälle und unvergessene, spontane Partys auf der Seine geben (der Jazz hatte in Paris Einzug gehalten).
Die Jahre verflogen – unterdessen gingen Misia und Diaghilev, die beide im selben Monat geboren waren, auf die Sechzig zu. Misia durchlitt Serts Untreue und Diaghilev zeigte deutliche Spuren des Verschleißes. Er umgab sich nach wie vor mit viel zu vielen jungen Männern, litt an Diabetes und ahnte, dass sein Leben dem Ende entgegen ging.
Noch ein letztes Mal entdeckte er ein Jahrhunderttalent: den jungen Georges Balanchine. Auch Misia erkannte sofort dessen ungewöhnliche Begabungen und brachte den jungen Tänzer und später ausgezeichneten Choreographen in Kontakt mit Stravinsky – eine der fruchtbarsten Phasen der Geschichte des Ballettes begann.
1929 stirbt Diaghilev auf einer Reise nach Venedig. Ein paar Tage zuvor erreicht Misia ein Telegramm, das sie zu ihm ruft. Sie kommt gerade noch rechtzeitig und kann an seinem Bett wachen. Seine Beerdigung und die kleine Trauerfeier wurden größtenteils von ihr geplant, und so liegt der große Impresario Sergej Diaghilev auf dem Friedhof San Michele in Venedig. Sein Grab ist auch heute noch immer mit Blumen überhäuft und viele zertanzte Ballettschuhe liegen darauf.
Diaghilev und seine Ballets Russes haben ein schwergewichtiges Erbe hinterlassen, zwanzig Jahre lang unterstützt von Misias Begeisterung und ihrem finanziellen Geschick.
Misia
»Ich achte die Kunst nicht, ich liebe sie.« Das war ihr selbstgewählter und bei Gesprächen häufig eingeworfener Wahlspruch.
Misia wird noch über zwanzig weitere Jahre leben. Diese Zeit verbringt sie mit zunächst unermüdlichen Versuchen, etwas Sinnvolles oder Erfüllendes im Sinne ihres Lebensmottos zu tun.
1933 gibt sie gemeinsam mit der aufstrebenden jungen Pianistin Marcelle Meyer, die sie unterstützen möchte, ein bejubeltes Konzert. Werke neuer, junger Komponisten und Komponistinnen werden dabei gespielt, die längst ins Rampenlicht getreten sind. Zu ihnen gehört auch die Groupe des Six, deren Mitglieder Auric, Milhaud und vor allem Poulenc Misia unter ihre Fittiche nimmt.
Nach Roussys frühem Tod hat sie wieder mehr Kontakt zu Sert; auch ihre Nichte Mimi, die Tochter ihres mittlerweile verstorbenen Bruders Cipa, wird oft mit ihr gesehen. Jedoch sterben auch Mimi und Sert im Laufe der 40er-Jahre, Misia vereinsamt mehr und mehr.
Nun empfand sie sich nur mehr als Bindeglied zu einer besseren, vergangenen Zeit. Ihre Rolle als Gastgeberin und Mäzenin hatten unterdessen andere übernommen, aber nicht eine oder einer von ihnen so glanzvoll und empathisch, wie einst Misia selbst.
Bald lässt sie auch ihr Körper im Stich; erst muss sie sich einer Augenoperation unterziehen, dann überwältigt sie ein Herzanfall. Bei Kriegsbeginn ist Misia, einst strahlend und lebhaft, nur noch ein Schatten ihrer selbst; und nach Kriegsende ist ihre Abhängigkeit vom Heroin unübersehbar.
In Serts jungem Sekretär Boulos Ristelhuber findet sie einen letzten einfühlsamen Zuhörer und Gesprächspartner. Er wird es auch sein, der ihr beim Schreiben ihrer Memoiren hilft.
1950 stirbt Misia in Paris im Alter von 78 Jahren.
Was bleibt, ist die große Anzahl an Bildern, die Vallotton, Bonnard, Renoir, Toulouse-Lautrec und vor allem Vuillard von ihr gemalt haben. Letzterer war wohl sein Leben lang unglücklich in Misia verliebt und hat eines der letzten Porträts von ihr in ihrer eher bescheidenen Wohnung in der Nähe des Invalidendomes angefertigt. Das Musée d’Orsay in Paris zeigte im Jahre 2012 unter dem Titel »Misia – Reine de Paris«[9] eine großartige und sehr erfolgreiche Ausstellung mit all diesen Gemälden.
Cocteau und Savoir verarbeiteten Misias Leben in Theaterstücken; Ravel widmete ihr »La Valse« aus Dankbarkeit für ihre Unterstützung in der Zusammenarbeit mit Diaghilev.
Auch Poulencs Ballett »Les Biches« ist Misia gewidmet. Ihr ist außerdem das in zarten Pastelltönen gehaltene Bühnenbild zum Ballett zu verdanken, denn dafür konnte sie die Malerin und Lyrikerin Marie Laurencin gewinnen. Die leichtfüßige Choreographie zu Poulencs wohl bekanntestem Werk stammt von Bronislava Nijinska – Misia hat alle Strippen gezogen.
Marcel Proust, das Wunderkind der literarischen Welt, der die Pariser Salons in seinem Jahrhundertroman »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« erschreckend genau unter die Lupe nimmt, lässt Misia gar in zwei seiner Protagonistinnen aufleben.
Und natürlich bleibt die Erinnerung an dieses Leben voller Lebenslust, Liebe zur Kunst und nicht nachlassender Suche nach Schönheit.
[1] Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy
[2] Frau von Robert Schumann
[3] Tochter von Orazio Gentileschi
[4] Ehefrau von Rainer Maria Rilke
[5] Ein Beispiel, das am Ende der Lektüre des Textes besser zu verstehen sein wird: Coco Chanel steckte Diaghilev einen hohen Scheck zu, als sie hörte, dass er Geld brauchte für die Produktion von »Le Sacre du printemps«. Sie bat ihn, niemandem davon zu erzählen. Das war Coco Chanels erster Schritt heraus aus Misias übergroßem Schatten der ersten Jahre ihrer Freundschaft.
[6] Daraus übrigens nahm Picasso seine Inspiration zum Gemälde »Badende Frauen«, in dem er die figurbetonten Badeanzüge aus der Chanel-Linie abbildete.
[7] Für ihn selbst zählte jedoch nichts mehr als die Fresken für die Kathedrale in Vich. Diese Komposition begleitete ihn beinahe sein ganzes Leben lang.
[8] Mehr dazu kann man finden im Text https://www.blog.der-leiermann.com/les-ballets-russes/ und im Buch »Meine französischen Kulturgeschichten«
[9] Misia – Königin von Paris
Verfasserin: Anja Weinberger
Links
Youtube Film “Misia - Reine de Paris”
Literatur & Quellen
Arnaud, Claude u.a.: Misia - Reine de Paris - Ausstellungskatalog, Paris 2012
Gold, Arthur und Robert Fizdale: Misia - Muse, Mäzenin, Model, Berlin 1991
Rehn-Wolfmann, Ursula: Muse and Patron to Poets, Painters and Musicians, online 2016
Sert, Misia: Pariser Erinnerungen, aus dem Frz. von Hedwig Andertann, Frankfurt/M. 1999
Weitere Frauenbiografien der Autorin finden Sie in diesem Buch:
Weinberger, Anja (2023): Frauengeschichten: Kulturgeschichten aus Kunst und Musik. 1. Auflage. Grieskirchen. Der Leiermann. ISBN 978-3-903388-41-3.
(Zum Buch)
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