Biographien Mechthild von Hackeborn
(Mechtildis)
geboren am 1241 in Eisleben
gestorben am 19. November 1299 im Kloster Helfta
deutsche Mystikerin, Nonne und Klosterschul-Leiterin
725. Todestag am 19. November 2024
Biografie • Zitate • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
Wie Mechthild von Magdeburg und Gertrud die Große hatte die Zisterzienser–Nonne Mechthild von Hackeborn religiöse Visionen, die die wachsende weibliche Spiritualität des 13. Jahrhunderts prägten und reflektierten. Mechthilds Visionen, die im Liber specialis gratiae (Buch der besonderen Gnade) im Kloster Helfta schriftlich festgehalten sind, sprechen von einer mystischen Vereinigung, in der die Nonne auch die kirchlichen Funktionen eines Priesters übernahm. Als Sprachrohr göttlicher Wahrheiten konnte Mechthild ihre Schwestern im Konvent anleiten und wurde nach ihrem Tod auch außerhalb des Klosters als Heilige verehrt.
Mechthild stammte aus dem Geschlecht der Edlen von Hackeborn bei Halberstadt. Mit sieben Jahren machte sie mit ihrer Mutter bei den Zisterzienserinnen von Rodenfeld einen Besuch. Das Kind entwickelte den unumstößlichen Wunsch, im Kloster zu bleiben, wo ihre Schwester Gertrud (nicht mit Gertrud der Großen identisch) schon als Nonne lebte und drei Jahre später Äbtissin wurde. Wahrscheinlich wurde das Mädchen zuerst nur in die Klosterschule aufgenommen und entschloss sich erst später, Nonne zu werden.
Unter Gertruds Leitung erlebte das 1258 nach Helfta verlegte Kloster eine Blüte spiritueller und literarischer Aktivitäten, die um die Jahrhundertwende in umfangreichen lateinischen Werken von Mechthild und Gertrud der Großen ihren Niederschlag fand. Die intellektuell und musikalisch begabte und für ihre Zeit hoch gebildete Mechthild unterrichtete die jüngeren Schwestern, vertonte Gebete, und war als Vorsängerin des Konvents tätig. Wahrscheinlich hat sie auch ihre 15 Jahre jüngere Schülerin und Freundin Gertrud (später »die Große«) zum Schreiben ermuntert. Am wichtigsten war aber ihre Tätigkeit als sensible geistliche Ratgeberin und besonders effektive Fürbitterin und Mittlerin für Nonnen und männliche Geistliche sowie für Menschen aus dem weltlichem Bereich.
Wie andere Mystikerinnen hatte Mechthild von Hackeborn seit Jahren Gesichte, bevor sie jemals darüber sprach. Sie war immer kränklich und litt unter Kopfweh, aber als sie mit 50 schwer erkrankte und von anderen gepflegt werden musste, begann sie, über ihre Visionen zu sprechen. Zwei Nonnen, unter ihnen wahrscheinlich Gertrud die Große, schrieben sie zuerst heimlich auf. Nach sieben Jahren lasen sie Mechthild die Mitschriften vor, und diese erkannte »die besondere Gnade« und bestätigte den Bericht.
In Mechthilds Gesichten gibt es eine mächtige väterliche Gottheit; Jesus ist zugleich gerechter Richter und eine Quelle süßen Trosts, Maria Königin und Mittlerin. Trotz asketischer Einstellung wird die materielle Schöpfung bejaht. Mechthild gebraucht das Bild der Braut Christi, macht aber keine Anspielung auf die stereotype klerikale Darstellung der Frau als Symbol des Fleisches, der Begierde, der Schwäche oder der Irrationalität. Ihre Visionen unterscheiden auch nicht zwischen »männlichen« oder »weiblichen« religiösen Funktionen, sondern übermitteln eine Zuversicht, die von ihrem direkten Bezug zur Gottheit herrührt.
1270 zog auch die 58jährige Begine Mechthild von Magdeburg ins Kloster Helfta, deren lyrische, erotische Visionen später unter dem Titel »Das fließende Licht der Gottheit« bekannt wurden. Ihre eher apokalyptische, das Leiden betonende Mystik wurde in Helfta bewundert. Die Visionen der Helftaer Nonnen Mechthild von Hackeborn und Gertrud die Große sprechen dagegen mit Autorität und Selbstbewusstsein. Sie bestätigen die Bedeutung des Konvents und der kirchlichen Ordnung, beanspruchen aber zugleich für sich »die klerikalen Rollen des Bindens und Lösens und unterlaufen damit… die … Ausgrenzung der Frauen von der Autorität des Geistlichen.« (Bynum, zit. in Peters., 98).
Verfasserin: Joey Horsley
Zitate
Sie hat Unterweisung in einem Ausmaß gegeben, wie es noch nie im Kloster gesehen wurde, und, fürchten wir, leider nie mehr zu sehen sein wird. Die Schwestern umringten sie wie eine Predigerin, um das Wort Gottes zu hören. Sie war Zuflucht und Trost für alle, und durch eine einmalige Gabe hatte sie die Kraft, daß andere ihr im Vertrauen die Geheimnisse ihres Herzens eröffnen wollten. Wie viele Menschen, nicht nur im Kloster sondern auch von draußen, religiöse und weltliche, sind von weitem her zu ihr gekommen und wurden von ihren Sorgen gerettet; und sie sagten, daß sie solchen Trost nirgends gefunden hätten als bei ihr. …
Genau wie die ... Apostel, die Christus Tag und Nacht anhingen, täglich seine süße Beredsamkeit hörten und sich seiner Gegenwart erfreuten, so hat diese fromme Jüngerin Christi sich in seinem Angesicht seiner Beredsamkeit erfreut, … und wie eine Jüngerin und eine geliebte Tochter wurde sie von ihm über alles, was sie wollte und brauchte, unterrichtet …
(Liber specialis gratiae. In Revelationes Gertrudianae et Mechthildianae. Ed. Benedictines of Solesmes. Paris: Oudin, 1877. S. 366-68. Zit. nach Bynum 1982:225; deutsch von Joey Horsley)
Mechthild von Hackeborn, * 1241, † 1298. – Mystikerin. M. stammte aus dem Geschlecht der in Nordthüringen u. am Harz begüterten Freiherren von Hackeborn. Wie häufig bei Mystikerinnen, wurde sie bereits in jungen Jahren (siebenjährig) in ein Kloster gegeben, in das Zisterzienserinnenkloster Rodersdorf, wo ihre ältere Schwester Gertrud bereits Nonne war. Gertrud, 1250-1291 Äbtissin, sorgte sich sehr um die Bildung des Mädchens. Wegen Wassermangels wurde das Kloster 1258 nach Helfta bei Eisleben verlegt, wo die auch musikalisch begabte M. als Leiterin der Klosterschule u. als Vorsängerin im Chorgesang diente. 1261 wurde ihr die fünfjährige Gertrud von Helfta anvertraut. Ihre myst. Erlebnisse verschwieg M. aus Bescheidenheit bis zu ihrem 50. Geburtstag, als sie bereits durch Krankheit bettlägrig war. Ihre Offenbarungen wurden im Auftrag der Äbtissin von Gertrud u. einer anderen Schwester heimlich aufgeschrieben u. nach sieben Jahren von M. als richtig bestätigt. Mitschwester in Helfta war auch die Mystikerin Mechthild von Magdeburg. Bald nach ihrem Tod wurde M. als Heilige verehrt.
Der Liber specialis gratiae ist urspr. lateinisch verfaßt, obwohl davon auszugehen ist, daß das nicht für M.s mündl. Berichte an Gertrud u. die andere Schwester gilt. Die Endfassung des Werks ist erst nach ihrem Tod entstanden u. wird durch Gertrud ihre endgültige Form erhalten haben, wobei der tatsächl. Umfang ihres Beitrags schwer zu ermessen ist. Der Liber zerfällt in sieben thematisch gegliederte Teile: 1. M.s Visionen im Lauf des Kirchenjahrs, 2. ihre bes. Gnaden, 3. u. 4. mystisch geprägte Ausführungen über rechte Andacht u. über Tugendleben, 5. Jenseitsvisionen, 6. Leben u. Tod ihrer Schwester Gertrud, 7. ein wohl Gertrud von Helfta zuzuschreibender Bericht über M.s letzte Tage u. ihre Verdienste.
M. legitimiert ihr Werk durch die göttl. Herkunft ihrer Offenbarungen. Der Charakter des Liber u. des Legatus divinae pietatis Gertruds ist trotz Berührungspunkten wesentlich anders als frauenmyst. Werke in der Volkssprache, was v. a. auf den hohen Bildungsstand der beiden Helftaerinnen zurückzuführen ist. Die beiden lat. Texte sind durchsetzt mit Bibel- u. Väterzitaten (Augustinus, Hieronymus, Gregorius usw.), auch sehr gute Liturgiekenntnisse fließen in die Werke ein. Im Mittelpunkt beider Werke steht die Passionsbetrachtung, wobei das Herz Jesu immer wieder die an sich unbeschreibbare persönl. myst. Verbindung mit Gott, die geistl. Brautschaft, versinnbildlicht. Vor allem im häufigen Dialog mit Gott wird das spirituelle Verlangen der Seele erweckt.
Der Liber wurde mehrfach ganz oder teilweise ins Deutsche übersetzt. Europäische Verbreitung des Werks wird durch etwa 250 lat. u. volkssprachliche Handschriften u. zahlreiche Drucke bezeugt. Durch die Dominikaner gelangte das Werk nach Florenz, durch die Kartäuser nach England. Auch in Spanien wurde der Liber rezipiert. Die Werke der beiden Helftaerinnen beeinflußten auch die kath. Frömmigkeit, v. a. durch die bis heute von der Kirche gepflegte Herz- Jesu-Verehrung. Der Jesuit Petrus Canisius förderte diesen Kult nachhaltig u. starb mit einem Büchlein von Herz-Jesu-Gebeten M.s in der Hand. Zweifellos sind Gertrud u. M., von der Verbreitung u. Wirkung ihrer Werke her gesehen, die berühmtesten dt. Mystikerinnen überhaupt.
(Werner Williams-Krapp, in: Killy, Walther (Hg.) (1990): Literaturlexikon. Band 8 – Autoren und Werke von A bis Z. Mat – Ord. Gütersloh: Bertelsmann Lexikon Verlag. ISBN 3-570-04678-8. S. 39-40.)
Links
Bayerische Staatsbibliothek - Digitale Bibliothek: Digitalisierte Werke. Verfasser: Mechthild
Handschriftencensus (Bestandsaufnahme der handschriftlichen Überlieferung deutschsprachiger Texte des Mittelalters): Mechthild von Hackeborn – »Liber specialis gratiae«, dt. (Link aufrufen)
Kloster St. Marien zu Helfta - Lutherstadt Eisleben (Link aufrufen)
Mechthild von Hackeborn (1241 – 1299). Aus: Sloterdijk (Hrsg.): Mystische Zeugnisse aller Zeiten und Völker gesammelt von Martin Buber, Diederichs DG 100. (Anzeigeprobleme bei Firefox – notfalls Browserengine wechseln bzw. den Eintrag über Index aufrufen). (Link aufrufen)
Ökumenisches Heiligenlexikon: Mechthild von Hackeborn. Mit Links zu Einträgen in anderen Lexika (Stadlers Vollständiges Heiligenlexikon, Catholic Encyclopedia, Biographisch- Bibliographisches Kirchenlexikon). (Link aufrufen)
Wikisource: Artikel »Hackeborn, Mechthild von« in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 21 (1885), ab Seite 156, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource (Link aufrufen)
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Literatur & Quellen
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Bangert, Michael und Keul, Hildegund (Hg.) (1998): »Vor dir steht die leere Schale meiner Sehnsucht«. Die Mystik der Frauen von Helfta. Leipzig. Benno-Verlag. ISBN 3-7462-1259-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Brinker-Gabler, Gisela (Hg.) (1988): Vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. München. Beck. (Deutsche Literatur von Frauen, 1) ISBN 3-406-32814-8. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Bynum, Caroline Walker (1982): Women Mystics in the Thirteenth Century. The Case of the Nuns of Helfta. . In: Bynum, Caroline Walker: Jesus as mother. Studies in the spirituality of the High Middle Ages. Berkeley. University of California Press (Publications of the Center for Medieval and Renaissance Studies, UCLA, 16). ISBN 0-520-04194-1S. 170–262. (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Finnegan, Mary Jeremy (1991): The women of Helfta. Scholars and mystics. Rev. ed. of Scholars and mystics Athens. University of Georgia Press. ISBN 0-8203-1291-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Haas, Alois Maria (1984): Mechthild von Hackeborn. Eine Form zisterziensischer Frauenfrömmigkeit. . In: Haas, Alois Maria: Geistliches Mittelalter. Freiburg/Schweiz. Universitätsverlag (Dokimion, 8). ISBN 3-7278-0306-1S. 373–391. (WorldCat-Suche)
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Mechthild von Hackeborn (1877): Liber specialis gratiae. In Revelationes Gertrudianae et Mechthildianae. In lateinischer SpracheHerausgegeben von Benediktiner von Solesmes. Paris. Oudin. (WorldCat-Suche)
Mechthild von Hackeborn (1955): Das Buch vom strömenden Lob. (=Liber specialis gratiae) Auswahl, Übersetzung und Einführung von Hans Urs von Balthasar Einsiedeln. Johannes-Verlag. (Sigillum, 4) (Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Weiterführende Literatur Hinweis: Dies sind keine Literaturempfehlungen, sondern die zum Thema erschienenen Titel – ohne Wertung unsererseits.
Brüning, Barbara (2008): Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackeborn, Gertrud die Große. Mit den Augen der Seele schauen. Leipzig. Militzke. (Gelebte Philosophie, 2) ISBN 978-3-86189-783-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Hubrath, Margarete (1996): Schreiben und Erinnern. Zur »memoria« im Liber specialis gratiae Mechthilds von Hakeborn. Paderborn, München, Wien, Zürich. Schöningh. ISBN 3-506-73945-X. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Köbele, Susanne (1993): Bilder der unbegriffenen Wahrheit. Zur Struktur mystischer Rede im Spannungsfeld von Latein und Volkssprache. Zugl.: München, Univ., Diss., 1990 Tübingen, Basel. Francke. (Bibliotheca Germanica, 30) ISBN 3-7720-2021-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Mechthild von Hackeborn (2001): Das Buch vom strömenden Lob. (=Liber specialis gratiae) Auswahl, Übersetzung und Einführung von Hans Urs von Balthasar Freiburg im Breisgau, Basel, Wien. Herder. (Die Grundwerke der drei großen Frauen von Helfta) ISBN 3-451-27613-5. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Mechthild von Hackeborn (2006): Über den Trost. Fotos: Maria Hildegard Brem Regensburg. Schnell und Steiner. (Zisterziensische Spiritualität für den Alltag, 5) ISBN 3-7954-8052-3. (WorldCat-Suche)
Reimers, Gabriele (1989): Das Leiberleben in der mystischen Erfahrung bei Mechthild von Magdeburg, Mechthild von Hackborn und Gertrud von Helfta. Dissertation Tübingen. Universität
Repges, Walter (2001): »Den Himmel muss man sich schenken lassen«. Die Mystikerinnen von Helfta. Leipzig. Benno-Verlag. 2002. ISBN 3-7462-1424-6. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
Ruh, Kurt (1993): Frauenmystik und Franziskanische Mystik der Frühzeit. München. Beck. (Geschichte der abendländischen Mystik, 2) ISBN 3-406-34499-2. (Amazon-Suche | Eurobuch-Suche | WorldCat-Suche)
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