geboren am 11. Februar 1937 in Pointe-à-Pitre, Guadeloupe
französische Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin
85. Geburtstag am 11. Februar 2022
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Am Anfang ihrer Autobiografie „Das ungeschminkte Leben“ (2020, original La Vie sans fards, 2012) korrigiert Maryse Condé eine weithin verbreitete Information: Keineswegs sei sie, wie in allen Lexika - auch in dem angesehenen KlfG (Kritisches Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur) - steht, mit ihrem Mann in dessen Heimat Guinea gegangen. Sie habe sich - obwohl schwanger - von ihm getrennt und sei mit ihrem dreijährigen unehelichen Sohn, von dem der Mann nichts wusste, an die damals noch französische Elfenbeinküste gereist, wo sie eine Anstellung an einer Schule bekommen hatte.
Sie habe ihre Karriere spät begonnen, schreibt sie. Dabei übergeht sie frühe Werke wie die 1966 herausgegebene Anthologie afrikanischer Literatur und ihre drei Theaterstücke, die Anfang der 1970er Jahre aufgeführt wurden. Bei Erscheinen ihres ersten Romans 1976 war sie noch keine 40, nicht 42, wie sie in der Autobiografie schreibt.
Maryse Boucolon wurde am 11. Februar 1937 als jüngstes von acht Kindern in Pointe-à-Pitre auf der zu Frankreich gehörenden Karibikinsel Guadeloupe geboren. In „Victoire“ (2006) erzählt sie die Geschichte ihrer Großmutter, die, obwohl Analphabetin, durch ihre Arbeit als Köchin ihrer Tochter den sozialen Aufsteig ermöglichte. Maryse war eine gute Schülerin, las und schrieb gern. Als Sechzehnjährige wurde sie am renommierten Pariser Lycée Fénélon angenommen. 1956 bekam sie ihr erstes Kind, dessen Vater, der haitianische Journalist Jean Dominique, sie mit der Literatur der Karibik bekannt gemacht hatte und sie verließ, als er erfuhr, er werde Vater eines „Mulattenkindes“.
Mittellos und an Tuberkulose erkrankt, überließ sie den kleinen Denis der Sozialfürsorge und verbrachte ein Jahr in einem Sanatorium in Südfrankreich. In dieser Zeit erwarb sie einen Abschluss in Literaturwissenschaft an der Universität Aix-en-Provence.
In Paris zurück, versuchte sie, ihren Sohn mit dem kleinen Einkommen aus einem Job im Kulturministerium aufzuziehen, gab ihn aber nach wenigen Monaten wieder ab. Die Heirat mit dem Schauspielschüler Condé rehabilitierte sie in einer Gesellschaft, die ehelose Mütter verachtete. Als Madame Condé fühlte sie sich nun in der Lage, ihren Traum - in Afrika zu leben - zu verwirklichen.
Die ersten Erfahrungen an der Elfenbeinküste waren prägend für ihr Afrika-Bild; aber das Leben zur Zeit der Unabhängigkeit wurde schwierig, zumal sie gerade ihre Tochter Sylvie-Anne geboren hatte. Mit beiden Kindern kehrte sie - nach einem kurzen Aufenthalt bei ihrem Mann in Guinea - nach Paris zurück, brachte sie bei der Pflegemutter, die Denis schon kannte, unter, während sie einige Wochen lang eine „zweite haitianische Leidenschaft“ lebte. Aïcha, die Tochter dieser Leidenschaft, kam in Guinea zur Welt. „Keine Wahl“ habe sie gehabt, als zu ihrem Mann zurückzukehren, schreibt Maryse Condé in ihrer Autobiografie. In Conakry bekam sie eine Stelle als Lehrerin an einer Mädchenschule.
Das materielle Leben im sozialistischen Guinea unter Sekou Touré wurde immer schwieriger, dazu kam der Rassismus: Maryse Condé wurde als Weiße beschimpft und ihr hellhäutiger Sohn in der Schule verprügelt. Ihr Mann lebte zeitweise in Paris und hatte in Guinea eine weitere Ehefrau. Als es zu Unruhen und Verhaftungen kam, nahm Maryse Condé die Einladung ihrer Schwester nach Dakar an, wo sie das intellektuelle Milieu genoss und ihr viertes Kind Leïla gebar. Einige Zeit arbeitete sie als Lehrerin in Accra, der Hauptstadt Ghanas, und lebte mit einem Ghanaer zusammen. 1966, nach dem Sturz Nkrumahs, wurde sie nach London ausgewiesen. Dort arbeitete sie für die BBC, lernte bekannte afrikanische Autorinnen und Autoren kennen und begann Erzählungen zu schreiben. Als sie nach Ghana zurückkehren durfte, ließ sie die Kinder zunächst bei Freunden in London und widmete sich ihrem ersten Roman „Hérémakhonon“, der 1976 in Paris erschien. Zum Ärger ihres Lebensgefährten holte sie die Kinder dann zu sich, woraufhin er die Verbindung löste. Maryse Condé kehrte in den Senegal zurück, wo sie ihren späteren zweiten Mann, den britischen Übersetzer Richard Philcox kennenlernte.
Mit ihm bereiste sie Europa und Amerika; er unterstützte sie bei einem weiteren Studium an der Sorbonne, das sie mit einer Promotion in Vergleichender Literaturwissenschaft abschloss.
Berühmt wurde sie mit der zweibändigen Familiensaga „Segu“ (1984 und 1985) um die Nachkommen des malischen Fürsten Dusika Traoré aus Segu, die gewaltsamer Islamisierung und brutaler Sklavenjagd zum Opfer fallen. Für dieses Werk bekam Maryse Condé 1987 den „Grand Prix littéraire de la femme“ und 1988 den ersten LiBeraturpreis.
Weitere Romane und Erzählungen kreisen um Wirklichkeit und Mythen der Antillen, sowie um die afrikanischen Wurzeln der karibischen Gesellschaft.
Maryse Condé ist Mitarbeiterin vieler renommierter Zeitschriften und nahm auch etliche Lehraufträge an Universitäten in Afrika und Amerika wahr .
2018 bekam sie den „Alternativen Nobelpreis für Literatur“.
Verfasserin: Almut Seiler-Dietrich
Literatur & Quellen
Werke von Maryse Condé, die auf Deutsch vorliegen:
Segu: Die Mauern aus Lehm. 2. Teil: Wie Spreu im Wind. Übers. Uli Wittmann. Fischer Taschenbuch 2004 .(Ségou: Les murailles de terre/ La terre en miettes, 1984/85)
Ich, Tituba, die schwarze Hexe von Salem. Übers. Ingeborg Ebel. Droemer-Knaur, München 1988. (Moi, Tituba sorcière noire de Salem, 2006)
Das verfluchte Leben. Übers. Volker Rauch. Peter-Hammer, Wuppertal 1995. (La vie scélérate, 1987)
Unter den Mangroven. Übers. Ingeborg Ebel, Traudl Weiser. Droemer-Knaur, München 1991. (Traversée de la mangrove, 1990)
Sturminsel. Übers. Klaus Laabs. Hoffmann und Campe, Hamburg 1997 (La migration des coeurs, 1995)
Insel der Vergangenheit. Übers. Claudia Kalscheuer. Droemer, München 2001
Victoire. Ein Frauenleben im kolonialen Guadeloupe. Übers. Peter Trier. Litradukt 2018. (Victoire, les saveurs et les mots, 2008)
Das ungeschminkte Leben. Autobiographie. Übers. Beate Thill. Luchterhand 2020. (La vie sans fards, 2012)
(Rezension von Martina Kopf zu “Das ungeschminkte Leben”)
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