(Mary Henrietta Kingsley)
geboren am 13. Oktober 1862 in Islington bei London
gestorben am 3. Juni 1900 in Simonstown, Südafrika
englische Forschungsreisende, Schriftstellerin und Anthropologin
160. Geburtstag am 13. Oktober 2022
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Die ersten dreißig Jahre lebt Mary Kingsley das Leben einer vorbildlichen viktorianischen Tochter. Sie kümmert sich um ihre invalide Mutter und später auch um den Vater, als der endgültig von seinen Forschungsreisen nach England zurückkehrt. Sie ist sehr wissbegierig, darf aber nicht wie der Bruder studieren. So liest sie sich durch die Bibliothek ihres Vaters und hilft ihm, seine Fetische und Notizen zu dem Thema Opferriten zu ordnen.
Erst der Tod ihrer Eltern 1892 erlaubt ihr ein kurzes und intensives Leben als Forscherin. Während zweier langer Reisen durch das damals malariaverseuchte, lebensgefährliche Westafrika beweist sie unglaublichen Mut und Durchhaltevermögen. Ihre Reise finanziert sie sich durch Handel mit Elfenbein, Gummi, Pfeilspitzen. Auf diese Weise lernt sie verschiedene afrikanische Stämme wie z.B. die von ihr als kannibalistisch bezeichneten “Fang” kennen, lebt in ihren Hütten, ist besonders stolz darauf, ihre schwierigen Kanus lenken zu können. Sie erforscht die Lebensweise und religiösen Zeremonien der verschiedenen Stämme und lernt deren Sprachen. Außerdem sammelt sie seltene Fische und Reptilien für das Britische Museum - einige Arten sind nach ihr benannt worden.
Nach England zurückgekehrt, schreibt sie mehrere erfolgreiche Bücher über ihre Reisen, die auf ihren Tagebüchern basieren - eine Mischung aus Reisebeschreibung und anthropologischen Abhandlungen. Die gefährlichsten Abenteuer lesen sich darin wie amüsante Anekdoten. Wegen ihres Wissens und Humors ist sie auch als Vortragreisende gefragt und berät sogar Chamberlain über Kolonialpolitik.
Als Mann hätte sie sich in ihrem außerordentlichen Erfolg sonnen können, doch als Frau fühlt sie sich gespalten, was sich in Schmerzen und Depressionen äußert. In Afrika ist sie wagemutiger und dringt weiter ins Land vor als die meisten weißen Männer, selbst wenn sie darauf besteht, ihre schweren viktorianischen Kleider zu tragen. In London erwartet der Bruder von ihr, dass sie ihm den Haushalt führt. Als kämpferische “neue Frau” kann sie sich nicht sehen, ist gegen das aktive und passive Wahlrecht für Frauen. Trotzdem ist sie selbst immer wieder in der Afrikapolitik aktiv und schließt ihr Buch “West African Studies” mit Vorschlägen zur Kolonialpolitik ab. Bei ihrer letzten Afrikareise nimmt sie eine traditionellere Rolle an. Sie fährt während des Burenkrieges nach Südafrika, um die Soldaten in den Lazaretten zu pflegen und stirbt dabei an Typhus, noch nicht 38 Jahre alt.
(Text von 1999)
Verfasserin: Gabriele Koch
Zitate
“Was steckte eigentlich hinter diesen wilden Abenteuern, auf die Mary Kingsley sich einließ? War es nun Mut, Übermut oder gar Lebensüberdruß? Von allem wohl etwas. Die so intensiv Reisende scheint fast geahnt zu haben, daß sie nicht als alte Frau in den Kissen sterben würde…: ‚Ich hatte ein komisches Leben. Todmüde und in dem Gefühl, daß niemand mich brauchte, nach dem Tod meiner Eltern… ging ich nach Westafrika, um zu sterben. Westafrika amüsierte mich und war nett zu mir und war wissenschaftlich interessant – und hat mich seither nicht getötet…‘” (Köster 173)
“Ich bemerkte einen strengen Geruch in der Hütte…Die Spur führte zu den Taschen. Also holte ich die größte herunter und merkte mir genau, auf welche Weise sie verschlossen war…Dann schüttete ich den Inhalt in meinen Hut, um nichts Wertvolles zu verlieren. Es handelte sich um eine menschliche Hand, drei große Zehen, vier Augen und andere Teile des menschlichen Körpers. Die Hand war frisch, die anderen Dinge schrumpften bereits.” (Mary Kingsley über eine Nacht in der Hütte eines Fang-Häuptlings, zitiert nach Kingsley 1989, S. 120).
Ich darf jeder unverheirateten Frau, die hier ist und vorhat, die Erforschung der [Afrikaner] aufzunehmen, im Vertrauen sagen, daß sie ständig durch die Frage ‚Wo ist ihr Gatte?‘ ... in Verlegenheit gebracht werden wird. Ich muß sie davor warnen, zu sagen, daß sie keinen habe. Ich habe das versucht und das führt nur zu noch schrecklicheren Fragen. Ich bin der Meinung, daß es ratsamer ist zu erklären, daß Sie auf der Suche nach ihm sind und dann als seinen Aufenthaltsort die Richtung angeben, in die Sie reisen wollen; dann wird ihnen geholfen und Mitgefühl entgegengebracht werden.” Kingsley in einem Vortrag am Cheltenham Ladies College, 1898 (Blunt, 131).
Literatur & Quellen
Blunt, Alison. 1994. Travel, gender and imperialism: Mary Kingsley and West Africa. New York; London. The Guilford Press.
Frank, Katherine. 1986. A Voyager Out: The Life of Mary Kingsley. Boston. Houghton Mifflin.
Kingsley, Mary. 1993 [1897]. Travels in West Africa. London. J.M. Dent (Everyman's Library).
Kingsley, Mary Henrietta. 1989. Die grünen Mauern meiner Flüsse: Aufzeichnungen aus Westafrika [= Travels in Westafrica, Auszüge]. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Ulrike Budde. Aus d. Engl. von Ulrike Budde und Angelika Felenda. München. Bertelsmann.
Köster, Magdalena. 1994. “Was ist das Leben ohne ein Handtuch: Mary Kingsley (1862-1900)” in Härtel, Susanne und Magdalena Köster. Reisefrauen. Weinheim; Basel. Beltz.
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