(eigentlich Alexandrine Martina Schnabl, verheiratete Weisl)
geboren am 10. Dezember 1882 in Wien, Österreich-Ungarn
gestorben am 25. Januar 1957 in Wien, Österreich
österreichische Schriftstellerin
140. Geburtstag am 10. Dezember 2022
Biografie • Zitate • Literatur & Quellen
Biografie
Martina Wied wurde als Martina Schnabl in eine wohlhabende jüdische Wiener Familie geboren. Ihre Mutter war die Journalistin und Dichterin Jenny Schnabl, ihr Vater der Rechtsanwalt Dr. Joseph Schnabl. Ihre Familie war der Mittelpunkt eines kleinen Kreises von literarisch Interessierten.
Bereits während ihrer Schulzeit begann sie, Lyrik zu schreiben. Erste Versuche erschienen in Zeitschriften wie dem Simplicissimus und Die Jugend, wobei sie von Anfang an ihr Pseudonym Martina Wied benutzte.
Nach einer eher traditionellen Ausbildung als Lehrerin fing sie an, Kunstgeschichte, Philosophie und neuere Literaturen an der Universität in Wien zu studieren. Aufgrund ihrer Heirat 1910 mit dem Fabrikanten Sigmund Weisl brach sie ihr Studium jedoch ohne Abschluss ab. Ein Jahr später wurde ihr Sohn Johann Georg, genannt Hanno, geboren.
Seit 1912 arbeitete sie an der Innsbrucker Literaturzeitschrift Der Brenner mit. Erst sieben Jahre später sollte ihr erster Lyrikband Begegnungen erscheinen. Für diesen erhielt sie 1924 zusammen mit Richard Billinger, Robert Musil und Otto Stoessl den erstmals verliehenen Förderpreis der Stadt Wien.
Von 1926 an lebte die Familie in Lodz, wo Sigmund Weisl in einem Textilunternehmen arbeitete, bis er 1930 starb. Anschließend musste sie alleine für sich und ihren Sohn aufkommen. Auch wenn es nicht gerade einfach war, Texte in Zeitungen unterzubringen, gelang es ihr, Rezensionen, Feuilletons Erzählungen, Lyrik, Essays und literaturkritische Aufsätze in Wiener und Berliner Zeitungen und Zeitschriften zu veröffentlichen. In der Wiener Arbeiter-Zeitung erschienen die Novellen Das unruhige Herz (1929) und Der Türkis-Ring (1931), in der liberalen Neuen Freien Presse der Roman Zwei Frauen auf dem Meer (1933). Von 1927 bis 1927 unternahm Wied verschiedene Reisen nach Warschau und Krakau, sowie nach Frankreich, Österreich, England und Italien.
Nicht nur aufgrund ihrer finanziellen Situation war ihre Lage verzweifelt, sondern auch wegen des politischen Rechtsrucks, der in Österreich natürlich bereits vor dem „Anschluss“ zu spüren war. Für nationalsozialistische Zeitungen wollte sie nicht arbeiten. Ihre Haltung war ein konservativer Humanismus.
Bereits Mitte der 1920er Jahre hatte Wied den Roman Das Asyl zum obdachlosen Geist geschrieben hatte, aber erst 1934 wurde dieser erstmals als Fortsetzungsroman in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Eine Buchausgabe ließ sogar noch bis 1950 auf sich warten, als der Roman unter dem Titel Kellingrath erschien - unter dem ursprünglichen Titel wurde er erst 2019 wieder neu aufgelegt.
Der erste Roman von Martina Wied, der als Buch erschien, war der Dorfroman Rauch über Sanct Florian (1936), in dem sie bereits darüber schrieb, „wie existenzielle Unsicherheit aufgrund gesellschaftlicher Radikalisierungstendenzen beschleunigt, was wenig später in den Abgrund der NS-Diktatur führte“ (Polt-Heinzl im Nachwort von Das Krähennest).
Erst ein Jahr nach dem „Anschluss“ gelang es Wied, nach Großbritannien zu fliehen (ihr Sohn war bereits 1938 nach Brasilien emigriert). Sie arbeitete dort als Lehrerin für Kunstgeschichte, Französisch und Deutsch an unterschiedlichen Schulen in verschiedenen Orten – Edinburgh, Glasgow und Wincanton in South Somerset, also nicht in London, wo die meisten ExilantInnen sich niedergelassen (und teilweise organisiert) hatten und viele in Kontakt miteinander standen. Während ihrer Zeit im Exil, die von finanziellen sowie gesundheitlichen Problemen geprägt war, entstanden vier Romane, geschrieben zumindest teilweise in Klöstern. Da sie diese auf Deutsch schrieb, hatte sie in Großbritannien keine Möglichkeit, sie zu veröffentlichen, Deutsch galt schließlich als die Sprache des Feinds. Genau notierte sie in ihren Büchern, wann sie diese wo geschrieben hatte – so beispielsweise in Das Krähennest: Begonnen am Weißen Sonntag 1944 in Wincanton, Somerset, England. Beendet am Gründonnerstag 1948 in Llandudno, North-Wales.
Heimisch wurde sie in Großbritannien nicht, wie sich beispielsweise an einem ihrer Gedichte zeigt:
Gott hat mich in ein fremdes Land geführt –
Nein, hingesandt, versiegelt und verschnürt –
Ganz willenlos. Und alles ist hier fremd:
Die Kost, der Trunk, die Luft, das Wort, die Tracht –
Und was ich trag`, geborgt, nichts mein als nur das Hemd
Am Leib – und noch das Heimweh, das ich mitgebracht.
(zitiert nach: Patsch: „Und alles ist hier fremd“)
1947 kehrte Martina Wied in ihre Heimatstadt Wien zurück, wo sie ihren Sohn wiedertraf und fortan als freie Schriftstellerin lebte. Im den nächsten Jahren wurden ihre in Großbritannien geschriebenen Romane zwar veröffentlicht, fanden aber keinen großen Anklang und gerieten aufgrund des geringen Interesses an der NS-Zeit schnell wieder in Vergessenheit. 1952 – zu ihrem 70. Geburtstag – erhielt Martina Wied als erste Frau den Großen Österreichischen Staatspreis. Evelyne Polt-Heinzl bezeichnet diese Auszeichnung in ihrem Nachwort zum Krähennest als eine Verlegenheitslösung, da die Voraussetzung für den Preis war, einen ordentlichen Wohnsitz in Österreich zu haben und somit die ExilantInnen ausschloss, die nicht zurückgekehrt waren.
Als Wieds Hauptwerkt gilt der Roman Die Geschichte des reichen Jünglings, den sie 1928 in Polen zu schreiben begonnen hatte; fertiggestellt wurde er 1943 in Glasgow. Es ist eine Art Familienroman, der in der Zeit vom Ende des Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg spielt und die politische Entwicklung eines jungen Polen aus reichem Hauses beschreibt, der letztendlich ins englische Exil fliehen muss, seine Integrität dabei aber bewahren und einen neuen Sinn für sein Leben finden kann.
Auch einen Gedichtband konnte Wied nach dem Zweiten Weltkrieg noch veröffentlichen. Ihre Bücher wurden häufig rezensiert und sie wurde wieder als Schriftstellerin geachtet.
(Text von 2021)
Verfasserin: Doris Hermanns
Zitate
„Heute sollte man erkennen, daß viele der von Frauen im Exil geschriebenen Werke nicht nur als Zeitdokument wichtig, sondern auch aus Gründen der sprachlichen Gestaltung von Bedeutung sind. Gerade die Stilistik Martina Wieds sucht ihresgleichen im Deutschen Roman des 20. Jahrhunderts. Ihr weitausholender Satzbau, mit seinen englischen Einsprengseln, mit seiner Andeutungs- und Verhüllungstechnik verleiht ihren Exilromanen, besonders dem »Krähennest« seinen unverwechselbaren Ton.“
Sylvia M. Patsch: „Und alles ist hier fremd.“ Schreiben im Exil
„Martina Wieds Romane sind nicht nur moralisch anspruchsvoll, sie sind es auch literarisch. Ist die Sprache auch klassizistisch-konventionell, so sind Erzähltechniken und Komposition der Moderne verpflichtet. (…) Es sind Epochenporträts im besten Sinne.“
Evelyne Polt-Heinzl in: Zeitlos
„Ausländer werden in einer geschlossenen bodenständigen Gemeinschaft zwar mit äußerster Zuvorkommenheit aufgenommen, solange sie keinen Anspruch darauf machen, darin anders als Gäste zu sein; haben sie aber den Ehrgeiz, ihr Wissen und Können als Mitstrebende und fachlich Gleichberechtigte zu verwerten, dann läßt man sie flugs ihre nationale Minderwertigkeit fühlen.“ (Das Krähennest)
Literatur & Quellen
Literatur über Martina Wied:
Brinker-Gabler, Gisela, Karola Ludwig und Angela Wöffen (1986): Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen 1800 – 1945. München, dtv
Hahnl, Hans Heinz: Martina Wied. In: Hans Heinz Hahnl: Vergessene Literaten. Fünfzig österreichische Lebensschicksale. Österreichischer Bundesverlag 1984, S. 143ff
Patsch, Sylvia Maria: Österreichische Schriftsteller im Exil in Grossbritannien: ein Kapitel vergessene österreichische Literatur : Romane, Autobiographien, Tatsachenberichte auf englisch und deutsch. Brandstätter, 1985
Patsch, Sylvia Maria: Österreichische Schriftsteller im Exil. Texte. Brandstätter, 1986
Patsch, Sylvia Maria: „Und alles ist hier fremd.“ Schreiben im Exil. (1988) In: Gisela Brinker-Gabler (Hg.): Deutsche Literatur von Frauen. Zweiter Band. 19. und 20. Jahrhundert. München, C. H. Beck’sche Verlagsbuchhandlung, S. 304ff
Polt-Heinzl, Evelyne (2005): „Um sein Motiv ordnet sich für den Dichter die Welt“. Martina Wied (1882-1957), in: Evelyne Polt-Heinzl: Zeitlos. Neun Porträts. Von der ersten Krimiautorin Österreichs bis zur ersten Satirikerin Deutschlands. Wien, Milena. Dokumentation Band 30
Polt-Heinzl, Evelyne (2021): Nachwort. In: Martina Wied: Das Krähennest. Wien, Edition Atelier
Wall, Renate (1995): Lexikon deutschsprachiger Schriftstellerinnen im Exil 1933 bis 1945. Band 2. Freiburg i. Br., Kore
Martina Wied in der Deutschen National Bibliothek
Martina Wied in der Österreichischen National Bibliothek
Werke von Martina Wied:
Bewegung. Gedichte. (1919). Wien, E. Strache
Das unruhige Herz. Novelle. (1927).
Das Asyl zum obdachlosen Geist. Roman. (1934 in der „Wiener Zeitung“ erschienen). Neuauflage unter dem Titel: Kellingrath 1950, Innsbruck, Österreichische Verlagsanstalt. Neuauflage unter dem ursprünglichen Titel 2020, Wien, Milena Verlag
Rauch über Sanct Florian oder Die Welt der Mißverständnisse. Roman. (1936) Wien, Fromme. Neuauflage 1949, Innsbruck, Österreichische Verlagsanstalt
Das Einhorn. Aus dem Tagebuch eines schottischen Malers in Italien. Historische Erzählung. (1948). Wien, Ullstein. Neuauflage 1964, Graz/Wien, Stiasny
Jacobäa von Bayern, ihr Leben und ihre Welt. (1401-1436).
Das Krähennest. Begebnisse auf verschiedenen Ebenen. Zeit-Roman (1951). Wien, Herold. Neuauflage: 2021, Wien, Edition Atelier
Brücken ins Sichtbare. Ausgewählte Gedichte 1912-1952 (1952). Innsbruck, Österreichische Verlagsanstalt
Die Geschichte des reichen Jünglings. Roman (1952). Innsbruck, Österreichische Verlagsanstalt. Neuauflage 2005, Klagenfurt, Sisyphus
Der Ehering. Erzählung (1954). Innsbruck, Österreichische Verlagsanstalt
Das unvollendete Abenteuer. Novelle (1955). Wien, Bergland Verlag
Übersetzung: W. Cohn: Chinesische Malerei (1947)
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