geboren am 4. Juli 1885 in Berlin
gestorben am 17. Januar 1978 in Cambridge, Massachusetts, USA
eine der ersten deutschen Juristinnen; Kämpferin für Frauenrechte
45. Todestag am 17. Januar 2023
Biografie • Literatur & Quellen
Biografie
Marie Munk wird als jüngste Tochter des Landgerichtsrates Wilhelm Munk und seiner Frau Paula in Berlin geboren. Sie hat zwei Geschwister, Ernst Munk (Richter) und Gertrud Munk (Künstlerin). Marie beendet ihre Schulbildung mit dem 10. Schuljahr.
Die Bildungspolitik verwehrt Mädchen eine gymnasiale Schulbildung, erkennt Marie Munk, als ihr Bruder Ernst sein Studium beginnt. Sie wird Kindergärtnerin und wechselt in die Hilfsgruppen sozialer Arbeit bei Alice Salomon. In den Gymnasialkursen für Mädchen bei Helene Lange, einer führenden Persönlichkeit der Frauenbewegung, bereitet sie sich auf die Hochschulreife vor und besteht erfolgreich.
Nach Vorlesungen in Psychologie, Philosophie und Volkswirtschaft entscheidet sie sich für ein Studium der Rechtswissenschaften. Allerdings verwehren frauendiskriminierende Auslegungen geschlechtsneutraler Bestimmungen an den Universitäten und die Gesetze des Deutschen Reichs jungen Frauen bis 1908 die Vollimmatrikulation, aber noch bis in die 1920er Jahre hinein den Studienabschluss oder die Examina. Deshalb promoviert Marie Munk nach acht Semestern an der liberalen Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg (1911). Erst mit der Verfügung des Preußischen Justizministers (1919) und mit Inkrafttreten des Gesetzes über die Zulassung von Frauen zu den Berufen der Rechtspflege (1922) darf Marie Munk das 1. und 2. Juristische Staatsexamen ablegen (1919 / 1924). Bis dahin arbeitet sie als juristische Hilfsarbeiterin in einer Bonner Kanzlei, in Berliner Betrieben und der Berliner Verwaltung.
Sie gründet mit Margarete Berent und Marie Raschke den Deutschen Juristinnenverein (1914), den Vorläufer des DJB. Als erste Rechtsanwältin in Berlin (1924-1929) ist ihr Engagement zur Familienrechtsreform in der Weimarer Zeit in den Rechtskommissionen des Bundes Deutscher Frauenvereine richtungweisend. Ihre Veröffentlichungen (68) zum Ehe-, Ehegüter-, Scheidungs- und Nichtehelichenrecht werden in der Fachwelt beachtet. Das Ziel, Richterin zu werden, erreicht sie mit namhaft männlicher Unterstützung im August 1930. Sie gründet ein internationales Berufsnetzwerk für Frauen unterschiedlichster Profession (Business and Professional Women's Club Germany, 1931). Am 31. März 1933 wird Munk beurlaubt und am 22. Mai 1933 wegen ihrer jüdischen Herkunft ohne Pensionsanspruch aus dem Richteramt entlassen.
Nach einem Gastaufenthalt (1933-1934) lässt sie sich endgültig in den USA nieder (1936). Mit Stipendien für ihre Lecture Trips und als Gastwissenschaftlerin am Hood College (Maryland) und Sophia Smith College in Northampton, Massachusetts, sichert sie sich den Lebensunterhalt (1938-1941). Sie hat Einfluss im amerikanischen Ehe-, Ehegüterrechts- und Scheidungsrechtsdiskurs in der National Conference on Family Relations und im Committee on Family Law im National Council on Family Relations, zusammen mit aus Deutschland geflohenen Wissenschaftlern, wie z.B. Max Rheinstein und Hans von Hentig (ab 1939). Womöglich als Folge der Anti-Hitler-Allianz (1942) bleiben die meisten ihrer Manuskripte unveröffentlicht.
Nach bestandenem bar exam (Zulassung als Anwältin) und Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft (1943) beeinflusst sie als Marriage Counselor in Toledo/Ohio ein Modellprojekt der Familiengerichtsbarkeit (1944). In den Wiedergutmachungsverfahren nationalsozialistischen Unrechts unterstützt sie deutsche Opfer in den USA für Rechtsanwälte in Deutschland (ab 1945). Auf Reisen in Europa und Deutschland wirbt sie für Demokratie und die Gleichberechtigung der Frau (1946-1956). Nach einem postgradualen Studium an der Harvard University wird ihr der akademische Grad Adjunct of Art verliehen (1953). Mit einer Rente aus ihrem Wiedergutmachungsverfahren bestreitet sie ihren Lebensunterhalt bis zu ihrem Tod in Cambridge, Massachusetts.
Einfluss auf die deutsche und amerikanische Rechtsentwicklung
Marie Munk hat als erste Berichterstatterin auf dem 33. Deutschen Juristentag (1924) die männliche Jurisprudenz von der Zugewinngemeinschaft im Ehegüterrecht überzeugt. Die Frau sollte dem Manne nicht gehorchen, sondern in der Ehe allein über ihr Vermögen und ihre Berufstätigkeit entscheiden und nach der Scheidung an dem Ehegewinn beteiligt werden.
Munk trat für ein Scheidungsrecht ohne Schuldfrage ein (35. DJT, 1931). Sie forderte die objektive Zerrüttung als Scheidungsgrund. Das skandinavische Recht war ihr Modell für ein nacheheliches gemeinsames Sorgerecht geschiedener Eltern und ein gemeinsames Sorgerecht der Eltern nichtehelicher Kinder. Diese Akzente der gescheiterten Weimarer Reform wurden nach Inkrafttreten des Art. 3 Abs. 2 GG in den Jahren 1957, 1958, 1978, mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 und der Familienrechtsreform 2009 umgesetzt. Das gemeinsame Sorgerecht für Kinder nicht miteinander verheirateter Eltern trat erst im Jahre 2013 in Kraft.
Eine interdisziplinäre Mediation vor und im Familiengerichtsverfahren, ein öffentlich-finanziertes Gesundheitssystem, eine für alle Bundesstaaten einheitliche JuristInnenausbildung, ergänzt um die Fächer Psychologie, Pädagogik und Medizin, sind ihre bis heute nicht eingelösten Forderungen für die Vereinigten Staaten von Amerika.
(Text von 2017)
Verfasserin: Oda Cordes
Literatur & Quellen
Marie Munks Werke (Auswahl)
- Die widerrechtliche Drohung des § 123 BGB in ihrem Verhältnis zu Erpressung und Nötigung, Dissertation, Bonn 1911.
- Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt nebst Gesetzentwurf, Berlin 1923 (im Auftrag des Bundes Deutscher Frauenvereine).
- Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht, Berlin 1929.
- ca. 68 wissenschaftliche Beiträge in Deutschland und 2 in den USA bis 1933.
Sekundärliteratur
- Oda Cordes, Diversität des Wissenschaftsbetriebes in historischer Perspektive und der Versuch eines Ausblicks: die Situation vor 100 Jahren und heute am Beispiel einer Forscherin, in: Rene Krempkow, Phillip Pohlenz und Nathalie Huber (Hg.), Diversity Management und Diversität in der Wissenschaft, Bielefeld 2014, S. 271-296. ISBN-13: 978-3-937026-87-9.
- Oda Cordes, Èmigré jurist and transatlantic advocate for family law reform, in: Transatlantic Perspectives, German Historical Institute, Washington DC (Hg.), February 06, 2013.
- Oda Cordes, Die ersten deutschen Juristinnen und ihre Reformforderungen in der Weimarer Republik, Hamburg 2012.
- Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“, München 1990, S. 305.
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