© Doris Hermanns
geboren am 25. April 1979 in Mekka, Saudi-Arabien
saudi-arabische IT-Sicherheitsexpertin und Aktivistin (Women2Drive)
45. Geburtstag am 25. April 2024
Biografie • Weblinks • Literatur & Quellen
Biografie
„Ich wollte nie in meinem Leben eine Frauenrechtlerin sein. Ich war ein religiöses Mädchen, geboren und aufgewachsen in Mekka.“ - und doch gilt Manal al-Sharif heute als bedeutende Aktivistin. Bereits 2011 wurde sie im US-amerikanischen Magazin Foreign Policy als eine der Top 100 Global Thinkers benannt, sowie von Forbes zu den Women Who (Briefly) Rocked gezählt. 2012 erhielt sie gemeinsam mit der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi und dem chinesischen Künstler Ai Weiwei den Václav Havel Prize for Creative Dissent des Oslo Freedom Forum und im gleichen Jahr zählte das TIME Magazine sie zu den 100 einflussreichsten Persönlichkeiten der Welt.
Manal al-Sharifs Mutter war Libyerin, aber in Ägypten geboren und aufgewachsen. Sie hatte vier Jahre eine Schule besuchen können, während Manals Vater Analphabet war und keinerlei Schulbildung hatte. Die Mutter weigerte sich nach der Hochzeit, das typische Leben einer saudischen Frau zu führen. Sie traf ihre eigenen Entscheidungen und sorgte dafür, dass ihre Kinder sowohl eine Ausbildung erhielten als auch einen unabhängigen Beruf ergreifen konnten: Ihre weltberühmte Tochter war die erste saudische IT-Expertin, deren Schwester wurde Ärztin und ihr Bruder Erdöl-Geologe.
Ihre Mutter lehnte es strikt ab, dass ihre Kinder Hausarbeiten übernahmen, wie es im Lande üblich war; sie wollte, dass sie besten Schulnoten in ganz Mekka bekamen. Erfolg in der Schule kam für sie an allererster Stelle.
Trotzdem entwickelte sich Manal al-Sharif während ihrer Schulzeit zu einer strenggläubigen Muslimin. Hatte sie erst noch Romane gelesen, die sie sich aus Ägypten mitbrachte, so verbrannte sie diese sowie die Musikcassetten im Haus, denn sie wollte ihre Familie vor Sünden bewahren. Nur an ihrer Liebe zum Zeichnen hielt sie fest. Sie folgte sogar einem Fernstudium mit Master-Abschluss in den USA. Lebewesen durften auf ihren Zeichnungen jedoch nicht zu sehen sein.
Für Mädchen war es üblich, gleich nach der Schulausbildung zu heiraten. Aber die Mutter bestand darauf, dass ihre Töchter erst nach Beendigung einer Ausbildung heiraten sollten. Zwar galt das Lehramt an einer Mädchenschule als die einzige akzeptable Berufswahl für eine Frau, aber es war Manal al-Sharifs Traum, Ingenieurin oder Kernphysikerin zu werden. Diese Fächer waren in Saudi-Arabien nicht möglich, und so entschied sie sich für ein Studium der Naturwissenschaft. Nach drei Semestern Physik als Hauptfach wechselte sie zur Informatik. Der Zugang zum Internet ermöglichte ihr, erstmals internationale Nachrichten wahrzunehmen und damit auch Kritik an der salafistischen Ideologie zu entwickeln. Bis dahin hatte sie diese Sichtweise als einzig mögliche wahrgenommen. In sozialen Netzwerken merkte sie, dass sie eine Stimme hat, was für sie eine wichtige Erkenntnis war in einem Land, in dem Frauen so gut wie nie gehört werden, weitgehend rechtlos sind und für jeden Behördengang die Erlaubnis ihres Vormunds oder eines männlichen Aufpassers benötigen. Da aber Informatik als Hauptfach ein neuer Studiengang war, hatte sie keine Gelegenheit, einen Master darin zu machen bzw. zu promovieren.
Nach Beendigung ihres Studiums machte Manal al-Sharif ein Praktikum in einem Krankenhaus, bei dem sie ihren Schleier ablegte, was sie als „Wiederentdeckung des Gesichts“ wahrnahm. Zum ersten Mal hatte sie einen normalen Arbeitsplatz mit Frauen und Männern. Anschließend absolvierte sie ein weiteres Praktikum bei Aramco, der Arabian American Oil Company, einer riesigen Ölfirma, bei der sie später auch eine Stelle in der Arbeitsgruppe für Datensicherheit erhielt. Das Firmengelände von Aramco war eine Art eigenes Land, das sich in wesentlichen Dingen vom Rest Saudi-Arabiens unterschied. Als Praktikantin durfte al-Sharif noch auf dem Gelände wohnen, nicht aber als Mitarbeiterin. Für jede ihrer Entscheidungen brauchte sie immer wieder eine Einwilligung ihres Vaters. Mit einer Kollegin konnte sie eine Weile eine kleine Wohnung teilen, protestierte aber bei der Direktion und verlangte, auf dem Gelände wohnen zu dürfen. Aber sie war während dieser Zeit noch weiteren Absurditäten ausgeliefert: So mussten z.B. alle Mitarbeiter an Kursen teilnehmen – aber Frauen war es nicht erlaubt. Sie umging diese Situation, indem sie sich die Lehrbücher von Kollegen auslieh und Einzelunterricht für sich selber organisierte.
Aber es sollte eine wichtige Zeit für sie werden: Sie lebte inmitten von Menschen mit zahlreichen Nationalitäten und lernte dort vor allem das Leben von US-AmerikanerInnen im Auslandsdienst kennen; sie erlebte es als friedliches Miteinander und konnte dort vieles tun, was außerhalb dieser Enklave in Saudi-Arabien verboten ist. Dort lernte sie auch ihren ersten Mann kennen, mit dem sie einen gemeinsamen Sohn hat.
2009 ging Manal al-Sharif für ein Austauschprogramm nach New Hampshire in die USA. Ihren Sohn durfte sie dorthin nicht mitnehmen, da sein Vater es ihr verbot. Dort wurde es für sie normal, alle Dinge selber zu erledigen, für die sie in Saudi-Arabien die Erlaubnis ihres Vaters brauchte. Auch den Führerschein machte sie dort – und als sie 2011 wieder zurück in ihre Heimat ging, wollte sie auch dort Autofahren, was ihr aber ausschließlich auf dem Firmengelände erlaubt war.
Zurück in Saudi-Arabien erlitt sie einen Kulturschock, und viele alte Regeln leuchteten ihr nicht mehr ein. Sie erfuhr, dass es Frauen nicht gesetzlich verboten ist, Auto zu fahren, sondern dass es nur „sittenwidrig“ ist. So sind Frauen immer Chauffeuren ausgeliefert, von denen viele weder eine Fahrerlaubnis, noch je Fahrstunden gehabt haben – eine Situation, die immer mehr Frauen nicht für sich akzeptieren wollten. Mit anderen Frauen zusammen plante sie die Veranstaltung „Wir fahren am 17. Mai Auto“. Um auf die Kampagne aufmerksam zu machen, ließ sie sich beim Autofahren filmen – ein Video, das im Internet um die Welt ging. Sie wurde noch am gleichen Tag von der Religionspolizei deswegen verhaftet und kam ins Gefängnis. Dort lernte sie zahlreiche Frauen kennen, die zum Teil bereits seit Jahren ohne Gerichtsverfahren vor sich hinsiechten, viele von ihnen Ausländerinnen. Für sie setzte sie sich nach ihrer Freilassung ein und erreichte, dass zwölf von ihnen das Land verlassen konnten. Erst einmal ging aber ihr Vater persönlich zum König, um ihre Freilassung aus dem Gefängnis zu erbitten. Nach neun Tagen unter katastrophalen Bedingungen wurde seine Tochter entlassen. Während sie im Ausland immer wieder ausgezeichnet wurde, schlug ihr bei der Arbeit offene Feindseligkeit entgegen, während die Mehrheit schwieg. Aufgrund von Todesdrohungen musste sie das Land letztendlich verlassen.
Da ihre zweite Ehe mit einem Brasilianer in dessen Heimatland geschlossen wurde, gilt sie in Saudi-Arabien als nicht legal verheiratet. Ihr Sohn aus dieser Ehe kann seinen älteren Bruder nicht persönlich kennenlernen, da der eine das Land nicht verlassen und der andere nicht in dieses Land einreisen darf.
Seit dem Frühjahr 2017 lebt Manal al-Sharif mit ihrer Familie in Australien.
(Text von 2017)
Links
https://www.emma.de/artikel/manal-al-sharif-abgefahren-334935
https://www.emma.de/artikel/frau-wegen-autofahrt-im-gefaengnis-154666
https://www.amnesty.de/informieren/aktuell/saudi-arabien-losfahren-ende-des-fahrverbots-fuer-saudische-frauen
Literatur & Quellen
al-Sharif, Manal. 2017. Losfahren. Zürich, Secession Verlag für Literatur. Übersetzung: Gesine Strempel unter Mitarbeit von Joachim von Zeppelin
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